27. Februar 2009
Johannes Kode: Die jüngsten Ereignisse in Pakistan stellen eine fundamentale Frage aktueller Sicherheitspolitik: Müssen wir, wenn wir nachhaltigen Frieden suchen, in Bezug auf religiöse Offenbarung, hier konkret die Sharia als Quelle des Rechts, Zugeständnisse machen?
Ejaz Haider: Soweit wir von der Sharia sprechen, muss erst einmal klar sein, dass es schon gemäß der pakistanischen Verfassung keine Gesetze geben kann, die dem Geist der Sharia widersprechen. Die Abmachung im Swat-Tal bedeutet nicht, dass dort ein neues Gesetz in Kraft tritt. Es sollen aber Gerichte in der Region aufgebaut werden, damit die Menschen nicht mehr bis Peschawar oder Islamabad reisen müssen. Dies war eine Forderung der dortigen Gruppen, da die Bevölkerung bislang keine zügige Rechtsprechung erfahren hat. Das ist im Grunde genommen alles, was jetzt von der Regierung bereitgestellt wurde. Damit wurde versucht, eine gängige Rechtfertigung der Extremisten zu entkräften, auf deren Grundlage sie gegen die Sicherheitskräfte gekämpft haben. Eventuell könnte dies sogar ein Modell für andere Orte in der Region sein.
Als Zaradari 2008 Präsident wurde, startete er prompt eine kompromisslose Kampagne gegen die Taliban in den westlichen Provinzen. Die aktuellen Geschehnisse scheinen ein echter Rückschlag für Zardaris Initiative zu sein. Wie ernst ist die Bedrohung durch die Taliban für die pakistanische Regierung?
Ich denke nicht, dass es sich hier um einen Rückschlag für Zardari handelt. Der militärische Part der Initiative läuft auch weiter. Doch es muss sichergestellt werden, dass es sich um angebrachte und effektive Gewaltanwendung handelt, so dass der militärische Einsatz nicht zum Nachteil wird. Deshalb muss Gewalt immer mit anderen Initiativen verknüpft sein. Das führt dazu, dass die Menschen die Maßnahmen der Regierung akzeptieren und die Extremisten isolieren.
Ist Pakistans Atomwaffenarsenal in Gefahr, wie es die New York Times im Januar 2009 verkündet hat?
Nein, gar nicht. Ich denke, die New York Times sollte ihre Position überdenken, die an Propaganda grenzt und eine ganz bestimmte, verstellte Sichtweise vertritt. Das pakistanische Atomwaffenarsenal ist nicht in Gefahr. Pakistan hat 2000 eine nationale Befehlsgewalt aufgebaut, drei Jahre vor Indien. Es ist ein sehr ausgeklügeltes System, das von den führenden Experten weltweit als annähernd so sicher wie jene Kommandokontrollsysteme in anderen Staaten mit Atomwaffen angesehen wird. Wenn wir aber über Unfälle und Vorfälle sprechen, so sollten wir uns an den unautorisierten Flug der U.S. Air Force 2007 erinnern, als aus Versehen Atomwaffensprengköpfe von einem Stützpunkt zum anderen gebracht worden sind. [Anm. d. Red.: Gemeint ist der sog. „United States Air Force Nuclear Weapons Incident“ in 2007.] Solche Vorfälle kann es immer geben, aber an sich ist unser System sehr durchdacht. Selbst wenn wir hier nicht näher auf die Details zu sprechen kommen können, kann ich dennoch versichern, dass das Atomwaffenarsenal nicht in Gefahr ist.
Politische Beobachter in Washington berichten, dass die Obama-Regierung mit den Gesamtergebnissen der NATO in Afghanistan unzufrieden ist. Die USA planen, durch die Entsendung weiterer 17.000 Soldaten ihre Macht in der Region auszubauen – während sie die Allianz voraussichtlich nicht nach weiterer Hilfe fragen werden. Wie sollte das europäische Engagement in der Region Ihrer Meinung nach aussehen?
Ich denke, das sollten die Europäer und Amerikaner beurteilen und sich Gedanken darüber machen. Das Problem gemeinsamer Einsätze ist nicht neu, insbesondere was die Fragen angeht, wie viele Mittel europäische Staaten für militärische Ausgaben aufbringen können, wie viele Soldaten sie für solche Aktionen zu entsenden bereit sind etc. Es gibt viele Probleme in Afghanistan, die gelöst werden müssen. Doch die europäischen NATO-Partner müssen gleichzeitig den Blick auf die eigenen nationalen Gesetze, auf die öffentliche Meinung und auf zahlreiche weitere Faktoren im Inland richten, bevor sie weitere Soldaten entsenden können.
Außerdem gibt es da noch die europäische Sicherheits- und Verteidigungsinitiative, verbunden mit dem Interesse, ein Bündnis jenseits der NATO aufzubauen, was europäischer geprägt ist als das transatlantische Bündnis. Die Amerikaner jedoch sind davon überzeugt, dass eine solche Initiative allenfalls mit der NATO zusammenarbeiten sollte, anstatt ein eigenständiges Bündnis darzustellen.
Es klang bereits in der Frage an, dass Obama nicht glücklich mit der NATO ist. In erster Linie ist es Amerikas Krieg, deshalb müssen die USA mehr Soldaten entsenden – das ist genau das, was sie nun tun, indem sie weitere 17.000 Soldaten in das Land schicken. Ob diese Verstärkung einen großen Unterschied ausmachen wird, ist die Frage der Stunde.
Als Richard Holbrooke zum neuen US-Sonderbeauftragten für Pakistan und Afghanistan ernannt wurde, ist dies als Zeichen für einen neuen regionalen Ansatz der US-Strategie interpretiert worden. Deutschland und Großbritannien haben ebenfalls neue Sonderbeauftragte für Afghanistan und Pakistan ernannt. Ist der neue regionale Ansatz eine Chance oder eher ein Irrtum?
Ich denke, es ist ein guter Ansatz. Letztlich haben wir nun drei Holbrookes: den deutschen, den britischen und den echten Holbrooke. Wenn ein regionaler Ansatz ernsthaft verfolgt wird, der nicht nur Pakistan und Afghanistan, sondern auch Indien einschließt – was von Obama angedeutet wurde – wird es ein ernstzunehmender Anfang sein. Er wäre umfassender und deswegen erfolgreicher als die bisherige Strategie. Wie erfolgreich allerdings die USA, Deutschland und Großbritannien Einfluss auf die Position Indiens ausüben können, bleibt die brennende Frage. Hier liegt der Hase begraben.
Zur Person:
Der pakistanische Journalist Ejaz Haider ist Mitherausgeber und Kolumnist der Daily Times, einer 2002 gegründeten, liberalen, englischsprachigen Tageszeitung mit Redaktionssitz in Lahore. Zu Haiders Themenfeldern zählen die Indien-Pakistan Beziehungen nach den Mumbai-Anschlägen sowie die Diskussion um die Nuklearmacht Pakistan, hier insbesondere die Gefahr der Proliferation.
Haider recherchierte u.a. zu Abdul Qadeer Khan, dem Vater der pakistanischen Atombombe, und dessen illegalen Netzwerk für den Verkauf von nuklearen Blaupausen in den Iran, Nordkorea und Libyen. In seinen Artikeln beschäftigt sich Ejaz Haider u.a. mit der Frage, ob und wann dieses Nuklearwaffenpotenzial in die Hände von Taliban und al-Qaida fallen könnte.
Das Interview führte Johannes Kode, Heinrich-Böll-Stiftung.