Der Diktator ist gestürzt, "die Militärherrschaft aber noch lange nicht". Einiges spricht im Moment dafür, dass die ägyptischen Generäle ihr Versprechen umsetzen und den Weg für freie und faire Wahlen bereiten. Der Enthusiasmus darüber ist groß in der arabischen Welt und im Westen – nur in Israel überwiegt bisher die Skepsis.
Der östliche Nachbar Ägyptens fürchtet, die Freiheit am Nil könnte kurzlebig sein, könnte nur jenen Islamisten dienen, die, sobald sie an der Macht sind, der Demokratie wieder ein Ende setzen – und Ägypten von Israels wichtigstem Partner in der Region zu einer seiner größten Bedrohungen wandeln. Wie sollen sich in dieser Situation die Freunde Israels verhalten? Wir sollten uns von der islamistischen Fratze nicht in Hysterie versetzen lassen, wir erleben gerade die ersten postislamischen Aufstände in der Arabischen Welt. Sie wollen Freiheit, Demokratie, Würde. Auch im Interesse Israels kann es nur heißen: Im Zweifel für die Freiheit.
Die Geschichte lehrt uns, dass Demokratien unter einander keine Kriege führen – diese These des "demokratischen Friedens" ist politikwissenschaftlich fest untermauert. Israel, lange Zeit der einzige demokratische Staat in der Region, sollte daher mehr als jedes andere Land ein Interesse daran haben, dass auch seine Nachbarn demokratisch regiert werden. US-Präsident Barack Obama hat Recht wenn er sagt: "Demokratie wird zu mehr, nicht weniger Stabilität in der Region führen".
Zudem haben die Bilder vom Tahrir-Platz gezeigt: Diese Revolution ist säkular, weder amerikanische noch israelische Fahnen wurden verbrannt oder getreten. Die Menschenmassen zeigten wenige religiöse Symbole. Die öffentlichen Gebete waren ruhig und würdevoll, und die Betenden hatten tausende säkulare Demonstranten zu ihrer Seite. Niemand kann vorhersagen, auf wieviel Rückhalt die bisher verbotenen Muslimbrüder bei freien Wahlen zählen können. Sicher ist aber, dass die Revolutionäre am Nil nicht von islamischen Verheißungen inspiriert wurden, sondern vom Vorbild des demokratischen Wandels in Tunesien.
Wer bereits jetzt eine gewaltsame Konfrontation mit Israel an die Wand malt, sollte zudem nicht vergessen, dass diese Revolution bisher friedlich verlief – die einzige Gewalt, die kurzzeitig aufflammte, ging von Mubaraks wenigen Schergen aus. Als Freunde Israels sollten wir also die Radikalisierung der Ägypter nicht herbeireden. Ihr Verhalten gibt bisher dazu keinen Anlass – und das sollte mehr zählen als diffuse Ressentiments gegenüber einem nicht belegbaren "arabischen Exzeptionalismus".
Der beste Weg, um eine Radikalisierung in der Zukunft zu vermeiden, ist es, der demokratischen Transformation zum Erfolg zu verhelfen. Sollte die neugewonnene Freiheit von einem neu installierten säkularen Regime wieder unterdrückt werden – gar mit der ausdrücklichen oder stillschweigenden Unterstützung des säkularen Westens, einschließlich Israels – wird sich die Unzufriedenheit der Ägypter andere Ventile suchen. Wenn die demokratische Revolution scheitert, besteht die Gefahr, dass die Menschen ihr Heil in der islamistischen Revolution suchen.
Ein Zurück in die Gewissheiten des Mubarak-Regimes (oder eines Surrogats) kann es für Israel nicht geben. Was wäre ein autoritärer Alliierter auch noch wert, der jeglichen Rückhalt und jeden Rest an Glaubwürdigkeit verloren hat – beim eigenen Volk und in der internationalen Gemeinschaft. Anstatt sich an unwiederbringlich verlorene Gewissheiten zu klammern, sollten die Freunde Israels ihre Kräfte darauf konzentrieren, die Zukunft der Region positiv mit zu gestalten und sich auf die richtige Seite der Geschichte zu stellen.
Die Freunde Israels sollten also den demokratischen Wandel unterstützen (ein Unterfangen, das übrigens auch eine umfangreiche sozio-ökonomische "Komponente" haben muss). Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton hat dazu in der Financial Times (15. Februar) nach langem Zögern eine ambitionierte Vision entwickelt. Diese schnell und konsequent umzusetzen ist der beste Dienst, den Europa Israel leisten kann.
Im Zweifel für die Freiheit
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