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Wie man die Stimmen von patriotischen Kritikern zum Schweigen bringt

Brett Murray hat in seiner eidesstattlichen Erklärung Ende Mai versucht darzulegen, warum er das Bild „The Spear“ gemalt hat. Seine Ausführungen darüber, wodurch seine Kunst inspiriert wird, beginnt Murray mit einem der traurigsten Sätze, die man über das neue Südafrika sagen kann: „Vorab möchte ich betonen, dass ich ein stolzer Südafrikaner und früherer Unterstützer des ANC bin. Ich bin kein Rassist.“

Obwohl Murray sich nicht für das Gemälde entschuldigt, das eine so heftige Kontroverse ausgelöst hat, hat er mit diesen Worten eine Entschuldigung ausgesprochen, die viel tiefer reicht und die zerrissene Seele unserer Nation anspricht.

Sie rührt an das Herz einer Sache, die zwar oft angetippt, aber nie laut angesprochen wird. Damit meine ich die Annahme, dass manche weißen Südafrikanerinnen und Südafrikaner ihre frühere Beteiligung am Kampf gegen Apartheid ganz einfach ablegen können und nun mit ihrer Kritik ihr wahres Gesicht als das zeigen, was sie schon immer waren und sein werden – Rassisten.

Genau diese Schablone hat man nun diese Woche auf Brett Murray angewendet. Was auch immer vor „The Spear“ war, wird mit brutaler Absicht verdrängt und verneint – weniger von den schwarzen Südafrikanerinnen und Südafrikanern auf der Straße, als vielmehr vom ANC und seinem Präsidenten.

The Spear: Ein rassistischer Affront?

Wenn sie Murrays Rolle im Kampf gegen die Apartheid als „lobenswert“ bezeichnen, ist das nicht viel mehr als ein billiges Ablenkungsmanöver. Denn nachdem sie diese lästige Pflicht erledigt und ihre Hände sozusagen in Unschuld gewaschen haben, können sie ihm umso gnadenloser mit dem Vorwurf an die weiße Kehle gehen, sein Bild sei nicht nur ein rassistischer Affront gegen Jacob Zuma, sondern gegen das gesamte schwarze Südafrika.

Man könnte die Sache auch zum Anlass einer Diskussion über die gesellschaftliche Rolle und Bedeutung der Arbeit von Künstlerinnen und Künstlern und darüber machen, ob dem Amt des Präsidenten der Nation eine automatische Respektgarantie innewohnt. Aber daran hat der ANC keinerlei Interesse.

Dem ANC geht es schlicht und einfach darum, einen Mann zu schützen, der sich Ende 2012 wieder zur Wahl als ANC-Präsident stellen will. Und mit einem geschickten Schachzug hat der ANC es verstanden, seinen Angriff auf Murray als Verteidigung der Würde aller schwarzen Afrikaner zu verkaufen.

Ich kenne Männer und Frauen wie Brett Murray  – weiße Männer und Frauen, die sich im Kampf gegen die Apartheid ausgezeichnet haben und mit dem aus der Luft gegriffenen Vorwurf des Rassismus angegangen wurden. Wird dieser Vorwurf immer wieder erhoben, kann er Menschen das Leben hier sehr schwer machen.

Ich habe Freunde und Bekannte, die zu Zeiten der Apartheid das Land verließen, um nicht zur Armee gehen zu müssen, die für ihre Überzeugungen ins Gefängnis gesteckt wurden, die verfolgt wurden, weil sie nicht wie das andere weiße Südafrika waren, die von ihren eigenen Familien verstoßen wurden.

Ich habe, über die Jahre hinweg, gesehen, wie sie immer vorsichtiger geworden sind. Sie sprechen nicht mehr über ihre Erfahrungen, sie verbergen ihr Befremden angesichts des Verhaltens ihrer einstigen Kampfgefährten; dass man ihnen, wenn sie sich zu Wort melden, guten Willen unterstellt, darauf hoffen sie längst nicht mehr. Weil sie ja wie Rassisten klingen könnten. Und weil sie oft genug genau so bezeichnet werden.

Flucht ins hohe Gras

Denen, die öffentlich als „Rassisten“ verunglimpft worden sind, bleiben nicht mehr viele Möglichkeiten. Entweder verweisen sie gebetsmühlenartig immer wieder darauf, dass sie ohne den leisesten rassistischen Hintergedanken von einem rein patriotischen Standpunkt aus argumentieren. Oder sie verdrücken sich ins hohe Gras und bleiben dort, bis ihre „Verbrechen“ vergeben oder vergessen sind. Oder sie erheben weiter ihre kritische Stimme und finden sich damit ab, als verbitterte Repräsentantinnen und Repräsentanten eines marginalen Segments des weißen Südafrika abgetan zu werden. Oder sie können, wie die südafrikanische Philosophieprofessorin Samantha Vice [1] es einmal empfohlen hat, an sich selbst weiter arbeiten und derweil ihren Kopf in stiller Scham gebeugt halten, weil sie qua ihrer weißen Hautfarbe gar nicht qualifiziert sind, von einem moralischen Standpunkt aus zu argumentieren.

In der von Einschüchterung und Schikane geprägten Atmosphäre, die momentan in Südafrika herrscht, scheinen allein die Stimmen der Afrikaner als legitim und authentisch zu gelten.

Dabei bekommen mit der fortschreitenden Ausdifferenzierung dessen, was legitim ist, inzwischen selbst Afrikanerinnen und Afrikaner Probleme – wie zum Beispiel Reuel Khoza, der Vorsitzende der südafrikanischen Großbank Nedbank, unlängst feststellen musste, als er offen Kritik an der südafrikanischen Führung übte. Bei dem anschließenden Sturm der Entrüstung gehörte ANC-Generalsekretär Gwede Mantashe mit zu den lautesten Wortführern.

Die Hierarchie des Unterdrücktwordenseins

Diese Woche brachte einen weiteren Beweis dafür, wie gut sich der ANC inzwischen darauf versteht, die Freiräume für kritisches Engagement einzuschränken. Sobald die Rassenkarte, die Untreuekarte, die Verräterkarte oder wie auch immer man sie nennen mag, auf dem Tisch liegt, bleibt dem Gegenüber im Prinzip nur noch die Wahl zwischen ewigem Apologeten oder schweigendem Zuschauer.

Dieses Mal ist es der frühere ANC-Unterstützer Brett Murray, der sich traute, seinen desillusionierten Blick auf die Partei und ihre Führung auf die Leinwand zu bannen und öffentlich zu machen, und dafür als Rassist verteufelt wird.

Als "coloured woman" [2] gelte ich als jemand, dem das volle Ausmaß der Entwürdigung und Unterdrückung erspart blieb, das Apartheid den schwarzen Landsleuten aufzwang. Und weil ich damit in der Hierarchie des Unterdrücktwordenseins ein paar Stufen tiefer stehe, habe ich auch weniger Recht darauf, Kritik zu üben. 

Gut möglich also, dass man mich morgen als Antiafrikanerin und Rassistin brandmarkt. Und übermorgen dann vielleicht Sie.


Phylicia Oppelt ist Chefredakteurin der von Montag bis Freitag erscheinenden “Times” und schreibt wöchentlich eine Kolumne für die Sunday Times. Dieser Beitrag erschien in der Sonntagsausgabe vom 27. Mai.


[1]  Samantha Vice ist Lektorin an der  philosophischen Fakultät der Rhodes University. Ihr 2010 im Journal of Social Philosophy (vol.41, Issue 3, 323-342) erschienener Aufsatz „How Do I live in This Strange Place?” hat 2011 in Südafrika großes Aufsehen erregt und viel Widerspruch hervorgerufen.  

[2]  Als „coloured“ wurden im Apartheid-Südafrika 1950 alle Menschen klassifiziert, die weder weiß noch schwarz waren, also u.a. Nachfahren der Khoisan, der Urbewohner des Kapgebietes, der nach Südafrika gebrachten Sklaven und Kinder von Eltern, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen angehörten. Später  wurden eigene Kategorien für „Inder“ und „Asiaten“ geschaffen. Viele der etwa 4,5 Millionen Coloureds (9 Prozent der Gesamtbevölkerung) sagen über ihre heutige Situation, dass sie früher nicht weiß genug waren und heute nicht schwarz genug sind. 

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