Der ANC unter Handlungsdruck

Songezo Zibi war Referent bei der Veranstaltung "Südafrika: Quo Vadis? Der ANC nach Mangaung und die Zukunft der Demokratie", am 27.2.2013 in der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin. Foto: Heinrich-Böll-Stiftung, Lizenz: CC BY-SA 2.0

11. März 2013
Der ANC ist gezeichnet von Machtkämpfen, Korruption und veralteten Ideologien. Die zentralistisch orientierte Partei muss sich "von einigen ihrer heiligen Kühe verabschieden" und entschlossen handeln, sonst besteht die Gefahr, dass die Politik ihre Legitimität komplett verliert. Ein Interview mit Songezo Zibi, Gründer der "Midrand Group", einer Gruppe junger Intellektueller, die sich regelmäßig austauschen und in südafrikanischen Medien zu politischen Fragen publizieren.

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Renate Wilke-Launer: Der ANC ist nun seit 1994 an der Macht. Hat er gut regiert?

Songezo Zibi: Er hat sich sehr darum bemüht, und in vielerlei Hinsicht hat er auch Erfolg gehabt. Vor allem, wenn man bedenkt, in welchem Zustand sie die Regierung übernommen haben. Der Staat hatte keine Legitimation, es gab viele gewalttätige Auseinandersetzungen. Und der ANC hatte ja noch nie irgendwo regiert. Er hat sich aber gut behauptet, die Wirtschaft ist ganz solide gewachsen und mit einigem Elan wurden Institutionen geschaffen, die für die Demokratie von großer Bedeutung sind. Das sind wichtige Meilensteine.

Aber sie wurden auch schnell Opfer ihres eigenen Erfolges, denn in mancher Hinsicht waren sie der Tatsache, dass sie nun an der Macht waren, nicht gewachsen, insbesondere den moralischen Anforderungen. Die Vorstellungen darüber, was ihre Mitglieder und Funktionäre tun würden, waren naiv und sind es in vieler Hinsicht noch heute. Menschen sind anfällig für Versuchungen. Deshalb muss man Regeln setzen, um sie zu kontrollieren bzw. ihnen zu helfen, sich selbst zu beschränken. Das hat seinen Teil zum Niedergang beigetragen. Verglichen mit dem Bild, das viele Menschen vor zehn Jahren vom ANC hatten, ist er kaum noch wiederzuerkennen.

Weiter hat er sich nicht von einigen alten marxistischen Konzepten über die Rolle der Regierung und der Partei befreien können. Der ANC schreibt sich eine Rolle in der Gesellschaft zu, die in Arroganz ausartet. Dass nun ausgerechnet die Institutionen, für die er so hart gekämpft hat, der Regierung die Leviten lesen – damit können seine Führer nicht umgehen.

Die Bilanz ist also gemischt. Vieles haben sie gut gemacht, aber seit etwa fünf bis sieben Jahren läuft es schlecht für den ANC. Der Partei ist das bewusst. Das Problem liegt meines Erachtens darin, dass sie nicht weiß, wie sie aus diesem Loch wieder herauskommt.

Der ANC hat bisher alle Wahlen mit komfortabler Mehrheit gewonnen und wird das voraussichtlich auch in den beiden nächsten wieder schaffen. Warum wollen sie dann alles und jeden kontrollieren?


Die Verfasstheit und die Weltsicht des ANC entsprechen praktisch der der kommunistischen Parteien in der früheren Sowjetunion und in China. Zur Ausbildung sind viele in die DDR oder nach Russland geschickt worden. Diese Systeme haben sie kennengelernt. Die Partei ist ihr Ein und Alles. Das ist fast eine Religion.

Das bringt sie in Konflikt mit anderen, denn Südafrika hat eine lange Tradition, dass Menschen ihre Stimme erheben. Und denen versuchen sie nun ihre Vorstellungen aufzuoktroyieren. Das läuft einfach nicht.

Dabei meinen sie es gut. Sie sind wirklich davon überzeugt, ihr Bestes zu geben. Und wahrscheinlich tun sie das auch – es ist nur nicht das Beste. Die gute Absicht ist da. Es wird viel für Bildung, für Gesundheit ausgegeben, nur gelingt es nicht, gute Schulen und funktionierende Hospitäler zu schaffen.

Beim Parteitag im Dezember 2012 wurde der in den Jahren zuvor erarbeitete „Nationale Entwicklungsplan“ zur Leitlinie erklärt, ein durchdachtes und detailliertes Konzept für die Entwicklung des Landes, an dem viele bedeutende Persönlichkeiten mitgearbeitet haben. Will der ANC nun wirklich ernst machen mit diesem ehrgeizigen Programm?

Ja, sie meinen es ernst, mit allen Fasern ihrer Existenz. Dem ANC ist klar, dass die Wählerinnen und Wähler endgültig die Nase voll haben werden von ihnen, wenn es der Regierung nicht gelingt, wenigstens die Hälfte davon umzusetzen. Sie wissen, dass sie sonst weg sind vom Fenster. Die Frage ist nur, ob sie sich von einigen ihrer heiligen Kühe verabschieden können, um sich ans Werk zu machen.         
     
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Trevor Manuel, der Planungsminister, und seine für den öffentlichen Dienst zuständige Kollegin Lindiwe Sisulu haben gerade erklärt, dass sie im öffentlichen Dienst nur professionelles Personal haben wollen. Das ist ein großes Thema und natürlich wollen das eigentlich alle. Aber diese Regeln müssten eben auch für alle gelten. Derzeit ist es so, dass Minister die Generaldirektoren ihres Amtes in den einzelnen Ministerien nach Belieben Anweisungen erteilen können und nicht auf deren Rat hören müssen, die ja die eigentlichen Experten sind. Dabei sollte es genau andersherum sein.      
      
Der Nationale Entwicklungsplan will im Kern so etwas wie einen Entwicklungsstaat erreichen. Dazu gehören gute Bildung, Sparen und Investieren zugunsten zukünftiger Generationen statt Konsum und schließlich ein fähiger, nicht korrupter Öffentlicher Dienst. Genau daran aber mangelt es in Südafrika.
 
Ja, und es fehlt noch ein viertes Element: ein Staat, der relativ unabhängig ist von eigennützigen Interessengruppen, auch der regierenden Partei. Südafrikas Verfassung sieht z.B. keinen Premierminister vor, dennoch haben wir einen. Es ist der Parteisekretär. Der ist zwar nicht vom Volk gewählt, aber wenn er zum Hörer greift und jemanden anruft, hört der sehr gut zu und beugt sich dessen Ansicht, wenn er nicht selbst ein Schwergewicht ist. Der Nationale Entwicklungsplan kann nur Erfolg haben, wenn der Staat Vorrang hat, so wie in der Verfassung vorgesehen. Der ANC will das einfach nicht verstehen. Dabei ist der Nationale Entwicklungsplan doch so etwas wie die Hoffnung für das langfristige Überleben des ANC.

Wenn er diese Chance nicht nutzt – dann gute Nacht. Sie haben von zwei Wahlen gesprochen, die er noch gewinnen wird; ich denke, dann ist es nur eine.

Setzen Sie Hoffnungen in die Opposition?


Die Opposition muss erwachsen werden und ein paar sehr schmerzhafte Entscheidungen treffen. Die sind ähnlich gravierend wie das, was der ANC tun muss. Bei den meisten Menschen genießt die Opposition keine Legitimität. Das ist schon an sich ein Problem. Da der ANC aber schnell an Ansehen einbüßt, besteht die wirkliche Gefahr darin, dass die Politik ihre Legitimität komplett verliert. Wenn die Menschen die vorhandenen Kanäle nicht mehr nutzen, um Entscheidungen zu ihren Gunsten zu bewirken, dann wird es gefährlich. Gewalt, Einschüchterung, das haben wir ja schon jetzt.

Erstens müsste sich eine ganze Reihe von Personen der Opposition aus dem politischen Leben zurückziehen und der jüngeren Generation das Feld überlassen. Zweitens müsste sich die Opposition konsolidieren, es gibt zu viele kleine Parteien. Die Leute sind genervt von diesen kleinen Führern, die gern der große Boss ihres kleinen, sterbenden Reiches sein wollen. Das dritte Problem, das im ANC ganz deutlich sichtbar ist, das aber auch die meisten Oppositionsparteien haben, ist, dass Politik zur Vollzeitbeschäftigung geworden ist, um es auf diese Weise zu etwas zu bringen.
Die Demokratische Allianz (DA, die größte und damit offizielle Opposition – Anmerkung rwl) hat ein fundamentales Problem. Da gibt es eine konservative Clique, die man nicht einfach ausgrenzen kann, auch weil sie für die Parteispenden sorgt. Dass die Parteichefin, dass Helen Zille weiß ist, ist für viele Menschen ein Problem, auch junge, die der DA eigentlich eine Chance geben wollen. Das weiße Erscheinungsbild der Partei ist ein Problem.

Heißt das, dass eine weiße Frau selbst dann nicht gewählt wird, wenn sie wie Helen Zille eine Gegnerin der Apartheid war?

Helen Zille weiß, dass die Partei ihr Erscheinungsbild ändern, dass sie im Umgang mit der Vergangenheit ehrlicher sein muss. Sie scheint kein Problem damit zu haben. Aber einige ihrer Kollegen weichen immer noch aus. Das verletzt viele Menschen. Viele wollen einfach nur, dass man eingesteht, dass ihnen Leid zugefügt wurde und dass deshalb bestimmte Dinge getan werden müssen. Das bedeutet vielen Menschen eine Menge. Viele von Zilles Parteifreunden schaffen das nicht, versagen auf ganzer Front.

Die Opposition müsste auch eine andere Sprache sprechen. Die südafrikanische Politik ist viel zu hochgestochen. Sie orientiert sich an Leuten wie mir, die verstehen, wie das System funktioniert. Und wenn dann Politiker auch noch Verwirrung stiften, dann wird es ganz schwierig. Deshalb können viele Menschen Korruption nicht richtig einordnen.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus meinem Dorf. Im Dezember gab es dort in einer Gruppe von etwa 15 Männern eine hitzige Diskussion über Präsident Zumas neues Anwesen. Zwei Meinungen schälten sich heraus. Drei oder vier Männer waren der Ansicht, dass es sich hier um Geldverschwendung handle. Die Mehrheit aber fand, dass Zuma richtig gehandelt habe, dass er sich ein großes Haus bauen sollte.

Auf die Frage, was ich davon halte, habe ich Ihnen erklärt, dass das Geld vom Steuerzahler komme. Das beunruhigte sie nicht weiter, da sie selbst ohne Arbeit sind und keine Steuern zahlen. Erst als ich Ihnen erklärte, dass sie für alles, was sie kaufen, Mehrwertsteuer entrichten, für jede einzelne Zigarette, da fiel der Groschen, und sie waren wirklich aufgebracht.

Ich habe sie dann noch etwas provoziert und aufgefordert, mit ihrem Abgeordneten im Parlament darüber zu sprechen. Erst sagten sie, sie hätten keinen, dann, dass sie ihn nicht kennen. Parlamentarier werden bei uns ja nicht in den Wahlkreisen gewählt, man kann nur eine Parteiliste ankreuzen.

In einem anderen Fall hat man den Menschen auf dem Land gesagt, wer ihre Abgeordnete ist. Daraufhin sagten sie: ja, wir haben den Namen gehört, aber wir kennen diese Person nicht. Sie war schon mal hier, aber sie ist nicht von hier. Wir kennen sie nicht, wir wissen nicht, wer ihr Vater ist. Sie kennt unsere Probleme hier nicht. Wir möchten jemanden ins Parlament entsenden, der von hier ist, der weiß, wie es uns geht.
   
Wird der ANC einer Wahlrechtsreform zustimmen?

Nein, das werden sie nicht. Sie werden das schon allein deshalb nicht tun, weil es ihrer sowjet-geprägten Vorstellung von dem widerspricht, was eine Partei tun kann. Dann können sie ja die Abgeordneten nicht mehr kontrollieren. Die müssen dann das vertreten, was die Leute wünschen, die sie ins Parlament gewählt haben. Sonst werden sie nicht wieder gewählt. Eine ganz einfache Rechnung. Parlamentarier, die ihren Wählerinnen und Wählern oder ihrem Gewissen folgen – das verträgt eine zentralistisch orientierte Partei nicht.

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Songezo Zibi ist einer der Gründer der "Midrand Group", einer Gruppe junger Intellektueller, die sich regelmäßig austauschen und in südafrikanischen Medien zu politischen Fragen publizieren.

Renate Wilke-Launer

Renate Wilke-Launer ist Journalistin, war von 1990 bis 2007 für die Zeitschrift "der überblick" verantwortlich, hat sich viel mit Südafrika beschäftigt und 2010 das Buch "Südafrika - Katerstimmung am Kap" herausgegeben.

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