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"Die Regierungspartei kontrolliert fast alle Medien"

Madame Kek, sie stammen aus einer angesehenen Familie, einer Familie, die sich um Kambodscha verdient gemacht hat. In der Vergangenheit haben Sie Gespräche vermittelt zwischen Hun Sen, seinerzeit der starke Mann in Phnom Penh, und Prinz Sihanouk, damals in der Opposition. Wie wirkte der junge Hun Sen auf sie?

Als ich ihm zuerst begegnete, 1987, war er ein sehr schüchterner junger Mann. Von dem, was er mir sagte, gewann ich den Eindruck, er wolle etwas für sein Land tun. Er sagte mir, dass er aus einer sehr armen Familie stamme und deshalb verstand was Armut bedeutet und was die Menschen brauchen. Er wollte den Kambodschaner/innen dabei helfen ihr Land zu entwickeln, das ja eben erst das Joch der Roten Khmer abgeschüttelt hatte. Damals glaubte ich an ihn, und ich denke vielen Menschen ging das ähnlich. Viele dachten, wenn wir einen Anführer haben der aus einer armen Familie stammt, dann haben wir jemand, der weiß was es bedeutet hungern zu müssen.

Die Gespräche führten seinerzeit zum Friedensabkommen von 1991. Anschließend kam die UNO ins Land und organisierte und begleitete die Wahlen. Überrraschenderweise gewann Hun Sen diese Wahlen nicht, dennoch trat er nicht zurück. Denken Sie, er hat die Wahlen durch Betrug zu seinen Gunsten entschieden.

Ich halte die Wahlen von 1993 für die einzigen die glaubwürdig waren, das heißt es waren freie Wahlen, obgleich es zu vielen gewalttätigen Zwischenfällen kam. Warum war das so? – Weil diese Wahlen von der UNO organisiert wurden, und, da die UNO neutral und nicht parteiisch ist, kam es zu einem ziemlich gerechten Ergebnis. Die Kambodschanische Volkspartei (CPP) hat diese Wahlen verloren, das Ergebnis jedoch nicht akzeptiert.

Unglücklicherweise wollte keine der Parteien – ganz im Geiste der nationalen Aussöhnung – die Rolle der Opposition übernehmen, was zu einer Koalitionsregierung der drei im Parlament vertretenen Parteien führte. Das war nicht gut. Entschuldigen Sie, ich muss mich korrigieren, es waren seinerzeit vier Parteien, aber eine davon, die Molinaka Partei, verfügte über nur einen Sitz.

Wir als Vertreter der Zivilgesellschaft würden uns wünschen, dass beispielsweise zwei Parteien gemeinsam regieren und eine dritte die Opposition bildet. Es ist wichtig eine Oppositionspartei zu haben, denn deren Aufgabe besteht darin, die Regierung zu kontrollieren.

Seitdem haben jedoch regelmäßig Wahlen stattgefunden. Denken Sie, es handelt sich dabei nur um Scheindemokratie?

Bei demokratischen Wahlen, das heißt, bei wirklich demokratischen Wahlen, ist die Institution, die die Wahlen durchführt, unabhängig. Ist dies nicht der Fall, wie soll man da Vertrauen in den Ausgang der Wahlen haben?
In Kambodscha spielte 1993 die UNO diese Rolle. Seit 1998 hingegen wird die Institution, der es obliegt die Wahlen durchzuführen, von der Regierungspartei beherrscht. Das bedeutet, für die Menschen in Kambodscha ist es schwierig daran zu glauben, dass die Wahlergebnisse unparteiisch, neutral und zuverlässig sind. Wahlen finden nicht für die Parteien statt, sie sind für alle da – und alle Wahlberechtigten sollten das Ergebnis akzeptieren. Ist dies nicht der Fall, dann fehlt es Wahlen an Glaubwürdigkeit.

Ist man in Kambodscha unterwegs, fällt auf, dass überall Plakate der CPP zu sehen sind. Diese Werbung scheint allgegenwärtig, und die anderen Parteien haben gerade einmal hier und da ein Büro.
Kontrolliert die CPP wirklich die gesamte Bevölkerung?

Die zugelassenen Parteien haben das Recht, überall zu plakatieren. Man hört jedoch immer wieder, dass Plakate der Opposition abgerissen werden. Die Regierungspartei und die anderen Parteien trennen Welten. Die Regierungspartei kontrolliert fast alle Medien: Sämtliche Fernsehprogramme und die meisten Radiosender stehen der Regierungspartei nahe. Nur sehr wenige Zeitungen gehören der Opposition oder sind neutral. Es gibt jedoch zwei in englischer Sprache erscheinende Zeitungen, die weitgehend unabhängig sind.

Auf den Listen für die Wahlen Ende Juli 2013 findet man die Namen eines Sohns und eines Schwiegersohns von Hun Sen. Glauben Sie, dass Hun Sen vorhat, die Führung des Landes zur Familienangelegenheit zu machen?

Es gibt Leute, die das glauben. Der Premierminister selbst hat solchen Behauptungen jedoch widersprochen und gesagt: „Es gibt keinen Grund hier von Vetternwirtschaft zu sprechen. Worum es mir geht ist, die junge Generation zu fördern.“ So seine Worte. Auf den Wahllisten finden sich auch die Namen der Söhne von anderen Mitgliedern der politischen Elite.

Wichtig ist aber auch die Frage, wer wahlberechtigt ist. Kürzlich haben zwei Nichtregierungsorganisationen (NROs), das National Democratic Institute (NDI) aus den USA und das kambodschanische Neutral and Impartial Committee for Free and Fair Elections (Nicfec) das Verzeichnis der Wahlberechtigten überprüft. Ihr Ergebnis: Über neun Prozent der dort verzeichneten Personen gibt es gar nicht. Hinzu kommt, dass die Namen von etwa neun Prozent derjenigen, die sich als Wähler registriert haben, auf den Listen fehlen – ihre Einträge sind gelöscht worden. Das ist eine beachtliche Zahl – in der Summe fast 20 Prozent der Wahlberechtigten. Bei manchen im Wählerverzeichnis aufgeführten Personen stimmte zudem das Geburtsdatum nicht, das heißt, es kann sein, dass man sie am Wahltag nicht wählen lässt. Solche Unstimmigkeiten werden den Ausgang der Wahlen erheblich beeinflussen.

Bei derartigen Unstimmigkeiten stellt sich die Frage, ob man Einspruch einlegen kann. Kann man vor Gericht ziehen? Was kann man mit solchen Informationen anfangen?

Wir, als Angehörige der Zivilgesellschaft, sind hier nur Zuschauer/innen. Wir sind keine Wahlaufsicht, das heißt, wir können auch keine Beschwerde einreichen. Nur Vertreter der Parteien können die Wahlaufsicht stellen – und in dieser Funktion eine Beschwerde bei der Nationalen Wahlkommission einreichen. Außerdem können sie vor Gericht ziehen – bis hin zum Verfassungsgericht.

Wenn ich mich recht entsinne, wurde bei früheren Wahlen Beschwerde eingereicht, jedoch erfolglos, denn der Nationalen Wahlkommission gehören mehrheitlich Vertreter der Regierungspartei an und nur ein, vielleicht zwei ihrer Mitglieder sind der Opposition zuzurechenen. Es gibt hier kein Gleichgewicht. Wir als Vertreter/innen der Zivilgesellschaft fordern schon lange eine andere Besetzung der Wahlkommission. Und selbst für den Fall, dass auf nationaler Ebene alles beim Alten bleibt, wollen wir Reformen bei den Wahlkommissionen auf Provinz- und Gemeindeebene sowie bei der Bestellung der Wahlhelfer/innen vor Ort. Bislang hat die Nationale Wahlkommission derartige Forderungen jedoch ignoriert.

Können Sie und andere sich denn als Wahlbeobachter/in frei bewegen, Einwände geltend machen und die Menschen beraten? Oder ist es schwierig, wenn nicht sogar gefährlich die Abläufe zu überwachen?

Um die Wahlen beobachten zu können, müssen wir einen Antrag bei der Nationalen Wahlkommission stellen. Bei den letzten Wahlen taten wir das ein wenig zu spät, und die Wahlkommission hat uns deshalb nicht zugelassen. Dennoch konnten wir uns außerhalb der Wahllokale postieren. Am Tag der Wahl hat man als Wahlbeobachterin das Problem, dass in den Wahllokalen nur wenig zu sehen ist. Draußen, vor den Wahllokalen, können wir hingegen feststellen, wieviele Menschen von den Wahllisten gestrichen wurden.
Wir können also zu den Wahllokalen gehen, aber wenn wir keine Beschwerden einreichen können – wenn wir nichts tun können –, dann ist es sinnlos. Während der Wahlen haben wir stets zahlreiche Empfehlungen abgegeben, aber wir können sehen, dass unsere Empfehlungen berücksichtigt wurden.

Ausländische Wahlbeobachter/innen, beispielsweise aus der EU, die für längere oder kürzere Zeit die Wahlen beobachteten, gaben ebenfalls zahlreiche Empfehlungen ab. Aber wenn man sich diese Empfehlungen ansieht, stellt man fest, dass sie nicht umgesetzt wurden. Es ist demnach kaum möglich zu behaupten, dass die Wahlen in Kambodscha frei und fair ablaufen.

Die Wahlen von 1993 waren frei und fair. Fast sämtliche Wahlberechtigte fanden sich in den Wählerverzeichnissen wieder. Zudem gab es einen Wahlausweis. Die UNO setzte dabei sogar mobile Teams ein, die Menschen in abgelegenen Gebieten und in Gefängnissen in die Wahlverzeichnisse eintrugen und ihnen Wahlausweise ausstellten. Der Wahltermin wurde (in bestimmten Landesteilen) verschoben, gelegentlich sogar um einige Monate, damit die Menschen sich in die Wahlverzeichnisse eintragen konnten.

Die UNO hatte seinerzeit die Kontrolle über fünf Ministerien, darunter das Informationsministerium, was dazu führte, dass Presse, Radio und Fernsehen unabhängig über die Wahlen informierten. Die Wahlen waren entsprechend wesentlich freier und fairer als das heute der Fall ist.

Sind Sie angesichts dieser Vorgeschichte enttäuscht darüber, dass die EU für die Wahlen von 2013 keine Wahlbeobachter/innen entsenden wird?

Als ich das hörte, war ich zuerst schon ein wenig enttäuscht. Als die UNO dann aber erläuterte, warum das so sei, verstand ich die Gründe. Die UNO erklärte, Wahlbeobachter/innen würden nicht entsandt, da die kambodschanischen Behörden die Empfehlungen, die die Wahlbeobachter/innen bei vorangegangenen Wahlen gemacht hatten, nicht umgesetzt haben. Warum also sollten sie noch einmal ins Land kommen, nur um dieselben Empfehlungen erneut auszusprechen? Ich verstehe und akzeptiere diese Erklärung.


Video (eng)