Zur Entwicklung und Elektrifizierung Myanmars: Lektionen aus Thailand

Gasoline in Plastikflaschen in der Sonne

Myanmar steht am Scheideweg. Nach Jahrzehnten einer unbarmherzigen Militärherrschaft hat sich das Land vor kurzem für internationale Hilfe, Handel und Investitionen geöffnet. Obwohl es reichlich mit Mineralien, Öl und Gas gesegnet ist, ebenso wie mit einem beachtlichen Potenzial für die Entwicklung von Wasserkraft, rangiert Myanmar laut Internationalem Währungsfonds unter den ärmsten Ländern der Welt (Platz 161 von 180) und nach dem Human Development Index der Vereinten Nationen auf Platz 149 von 187 Ländern. Nur 26 Prozent seiner 60 Millionen Einwohner hatten im Jahr 2011 Zugang zu elektrischer Versorgung. [1]

Jetzt aber, wo das Land entwickelt wird und bilaterale Hilfsorganisationen ebenso wie Aktiengesellschaften und andere Unternehmen sowie Touristen ins Land strömen, sieht Myanmar die große Chance, seine Wirtschaft und das Leben seiner Bewohner schnell und tiefgreifend zu verändern. Doch kann Myanmar auf nachhaltige, gerechte und demokratische Art und Weise seine Wirtschaftsentwicklung vorantreiben und die Lebensbedingungen für seine Bewohner (von denen 70 Prozent auf dem Land wohnen) verbessern? Welche Entwicklungs- und Elektrifizierungsmodelle gibt es? Wenn Myanmar über diese Fragen nachdenkt, könnte der nächste östliche Nachbar, nämlich Thailand, aus seiner eigenen Geschichte und seinem Entwicklungsweg auf dem Energiesektor manche Lernprozesse und Lektionen beisteuern. Nicht nur, dass Thailand als Modell gepriesen wird – seine Energiesicherheit ist auch aufs Engste mit Myanmars Ressourcen und seiner Entwicklung verbunden – 30 Prozent der thailändischen Erdgasversorgung stammen aus Myanmar und bringen dem Land Einkünfte, die im Jahr 2006 ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts ausgemacht haben. [2]

Folgt man der Mehrzahl der Einschätzungen, ist die Entwicklung des Energiesektors in Thailand eine große Erfolgsgeschichte. In den 1960er Jahren ließ sich das Land durch das Klima des Kalten Krieges und die Weltbank davon überzeugen, einen zentralisierten Weg der Elektrifizierung zu wählen, bei dem man ein Monopol für drei staatseigene Versorgungsunternehmen schuf: EGAT, das für die Erzeugung und Weitergabe der Elektrizität verantwortlich war, und MEA und PEA, die die Energieversorgung für Bangkok respektive für die ländlichen Gegenden besorgten. Der Energiesektor in Thailand entwickelte sich rapide, und innerhalb von drei Jahrzehnten wurde eine Elektrifizierungsrate von 98 Prozent erreicht. Heute kann das Energieversorgungssystem in Thailand etwa 33 000 Megawatt liefern und wächst noch weiter. Auf den ersten Blick scheint also ein zentralisiertes System für die Entwicklung der Energieversorgung der richtige Weg zu sein, um das Land in den Wohlstand zu führen.

Sieht man aber genauer hin, entdeckt man, dass dieser „Erfolg“ seinen Preis hat. Unter der Herrschaft des zentralisierten Monopols mussten eine ganze Reihe kleinerer Netze auf Gemeindeebene, angetrieben von kleinen Wasserkraftsystemen, wegen der Expansion des landesweiten Netzes schließen. [3] Obwohl die Entwicklung des landesweiten Netzes sehr schnell voranging, führte eine zentralisierte Planung ohne hinreichende gegenseitige Kontrolle zu übertriebenen Einschätzungen des Bedarfs, Überinvestititionen und wirtschaftlicher Ineffizienz, besonders, nachdem Thailand im Jahr 1995 eine Elektrifizierungsrate von 98 Prozent erreicht hatte. Ein ehemaliger Premierminister stellte 2003 fest, dass die Überinvestition in den thailändischen Energiesektor auf etwa 400 Milliarden Baht (ca. 10 Milliarden Euro) zu schätzen sei (das sind etwa 6,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts). Ohne strukturelle Reformen zur Beseitigung des Monopols und der Möglichkeit, unrentable Investitionen an die Verbraucher weiterzugeben, war solche Ineffizienz kein Einzelfall, sondern ein wiederkehrendes Ereignis.

Bei dieser Überversorgung mit Elektrizität gab es keinerlei Anreize, Programme für Energieeffizienz zu propagieren und zu fördern. Der Energieverbrauch in Thailand war verschwenderisch und unproduktiv, wie im Vergleich zu ähnlichen Ländern die hohe Energieintensität (Verhältnis des Energieverbrauchs zum Bruttoinlandsprodukt) zeigte. Diese Ineffizienz bei Verbrauch und Investitionen hatte auch Auswirkungen auf Thailands wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. [4]

Eine weitere Folge des monopolistischen Modells mit der Betonung auf den Ausbau des Energiesystems war die Marginalisierung grüner und billigerer Optionen zur Deckung des Energiebedarfs: Energieeffizienz, erneuerbare Energien und dezentrale Energiesysteme. Energieeffizienz hat sich international wie in Thailand als billigster und grünster Weg zur Deckung des steigenden Bedarfs erwiesen. Viele Länder räumen erneuerbaren Energien wegen ihrer inländischen Verfügbarkeit und ihrer positiven Folgen für die Schaffung von Arbeitsplätzen Priorität ein. Dezentrale und gemischte Energiesysteme, wie etwa die Kombination von Heizkraft und Elektrizitätserzeugung, sind wesentlich wirtschaftlicher als die zentralisierte Erzeugung und brauchen nicht so viel teure Infrastruktur für Leitungsnetze. Trotz der deutlichen Vorzüge beträgt der Anteil der erneuerbaren Energien (ohne große Wasserkraftprojekte) in Thailand nur 1,5 Prozent und derjenige der dezentralen Energiesysteme nur 3 Prozent, verglichen mit 11 Prozent durchschnittlich weltweit. Obwohl die thailändische Politik diese sauberen Energieoptionen fördert, muss diese Politik noch in den Planungsprozess integriert und als gleichrangige Option gegenüber der konventionellen zentralen Energieerzeugung behandelt werden.

Wird grüneren, billigeren und effizienteren Optionen keine Priorität eingeräumt, muss sich Thailands Energieversorgung zum allergrößten Teil auf die zentralisierte Energieerzeugung stützen, die nicht nur sehr kapitalintensive Investitionen verlangt, sondern auch erhebliche soziale und ökologische Folgen hat. Außerdem verliert die zentrale Erzeugung 40 bis 70 Prozent Wärmeinhalt (im Vergleich zu 15 Prozent bei einer dezentralen kombinierten Heizkraft/Elektrizitäts-Versorgung) an die Atmosphäre, an Flüsse und an das Meer und erfordert eine kostspielige Infrastruktur von Leitungsnetzen, um die Energie dorthin zu bringen, wo sie gebraucht wird. Thailands Erdgasreserven sind begrenzt, doch die Überbetonung von großformatiger Energieerzeugung bedeutet, dass wertvolles Gas einfach verpulvert wird, statt produktiv für die Wirtschaft zu werden, und das kann zu Auswirkungen führen, die die angrenzenden Gemeinden nur schwer akzeptieren würden. Oft genug verteilen sich negative Folgen und Vorteile nicht gleichmäßig und gerecht innerhalb der Bevölkerung. Der Pak Mun-Damm, das von der Weltbank finanzierte „Laufkraftwerk“-Projekt, machte 1700 Familien heimatlos, verminderte die Fischbestände um 80 Prozent und beraubte 6200 Familien ihrer Lebensgrundlagen, und all das nur, um genug Elektrizität für die Versorgung einer riesigen Shopping-Mall in Bangkok zu erzeugen. Solche Unverhältnismäßigkeit zeigt die strukturelle Gewalt zentralisierter Energieerzeugung. Sie hat außerdem Öl ins Feuer der politischen und sozialen Teilung (ländliche „Bauern“ gegen urbane „Eliten“) in der thailändischen Gesellschaft gegossen.

Das gewachsene Bewusstsein für die Folgen von Energieversorgungsprojekten hat den Bau neuer Kraftwerke in Thailand schwieriger gemacht. Die zentralen Planer haben sich bei der Deckung des wachsenden Elektrizitätsbedarfs mehr und mehr auf Energieimporte gestützt. Ungefähr 22 Prozent des gesamten Energieverbrauchs im Jahr 2010 kamen aus importiertem Gas (Myanmar), 7,7 Prozent von importierter Kohle und 4,5 Prozent aus importierter Wasserkraft (Laos), was zusammen einen Importanteil von etwa 35 Prozent ausmacht. Man erwartet, dass dieser Anteil noch erheblich wachsen wird, weil Thailand in seinen Nachbarländern und darüber hinaus nach unerschlossenen Energiequellen und nach Standorten für Kraftwerke sucht, bei denen weniger Widerstand und weniger strenge Umweltauflagen zu erwarten sind. Aus thailändischer Sicht entschärfen Energieimporte nicht nur die Probleme schwindender inländischer Quellen, während zugleich die ökologischen und sozialen Folgen exportiert werden, sondern schaffen auch lukrative Investitionsmöglichkeiten für thailändische Unternehmen durch Projektentwicklung, Anlagenbau, Finanzierung, Betrieb und Wartung.

Doch die hohe Abhängigkeit von Energieimporten macht Thailand auch verwundbar. Für die thailändische Volkswirtschaft kann es riskant und teuer werden, dass man nicht die eigenständige Kontrolle über die Energiereserven hat, die Thailands Energieversorgung sichern sollen. Ein gutes Beispiel ist das Erdgas aus Yadana und Yetagun in Myanmar. Das Gas fließt durch eine einzige Gaspipeline, die ungefähr 7 000 Megawatt an Kraftwerke abgibt (mehr als 20 Prozent der insgesamt eingesetzten Kapazität) und ein Drittel der gesamten Gasversorgung pro Jahr leistet. Der hohe Grad an Abhängigkeit von dieser einzigen Energiequelle (der Pipeline) stellt für Thailands Energiesicherheit ein Risiko dar. Es hat das Land gezwungen, den geplanten Reservespielraum von 15 auf 25 Prozent zu erhöhen, wobei die Kosten an die Verbraucher weitergegeben wurden. Trotzdem fordert der letzte Energieentwicklungsplan noch immer zentrale Kraftwerke, die durch importiertes flüssiges Erdgas, importierte Kohle und importierte Wasserkraft angetrieben werden, was die Probleme der Energieabhängigkeit, der Sicherheitsrisiken und des verschwenderischen Verbrauchs verschärft, während es jenseits der Grenzen den Umfang der negativen Auswirkungen erhöht.

Es liegt auf der Hand, dass der Weg, den Thailand für seine Energieversorgung eingeschlagen hat, unter energetischen und ökologischen Gesichtspunkten nicht nachhaltig ist. Der unproduktive und ineffiziente Verbrauch, der durch steigende Energieimporte noch angekurbelt wird, ist nur möglich, indem man bei der Vergangenheit – die Plünderung des Mineralien- und Ressourcenreichtums – und bei der Zukunft – in Form massiver Schulden und vertraglicher Verpflichtungen (wie etwa Verträge über Elektrizitäts- und Gaskäufe über 25 Jahre), die von den heutigen und künftigen Energieverbrauchern bezahlt bzw. erfüllt werden müssen – Kredit aufnimmt. Dieser Schuldenweg ist nicht auf den Energiesektor beschränkt. Das Wachstum der thailändischen Wirtschaft insgesamt beruht gewissermaßen auf Anabolika. Die Schuldenlast befindet sich auf einem nie vorhergesehenen Niveau: Die Staatsschulden betragen mehr als 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, und die durchschnittlichen Schulden bei den privaten Haushalten betragen 20 bis 23 Prozent des Einkommens, und man schätzt, dass sie in naher Zukunft 40 Prozent betragen werden.

Alles in allem mögen Thailands Wirtschaftswachstum und das Wachstum auf dem Energiesektor auf den ersten Blick beneidenswert erscheinen, aber im Kern handelt es sich um ein krankes System. Statt einer gesunden und nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung hat der expansionistische und zentralisierte Ansatz Thailand in einen Zustand der „Energiefettleibigkeit“ geführt, der auf falschen Verbrauchergewohnheiten beruht und durch Schulden finanziert wird. Sind Thailands Energiesektor und sein Weg der wirtschaftlichen Entwicklung das Modell für Myanmar? Nein. Es gibt andere und bessere Wege. Statt den Schwerpunkt auf ein zentralisiertes Netzsystem zu legen, können auch kleine Netze – mit dem Fokus auf Effizienz und dezentralisierte Energieerzeugung – eine große Rolle spielen.

Außerdem hat Myanmar seine eigenen und ganz besonderen Probleme und Bedingungen. Im Gegensatz zu Thailand, das von mit Ressourcen gesegneten Nachbarländern umgeben ist, ist Myanmar „the last frontier“. Seine Entwicklung wird davon abhängen, ob es sich auf seine eigenen Ressourcen stützt. Und selbst wenn das so sein sollte, ist vieles von dem mineralischen Reichtum und den Ressourcen Myanmars „bereits vergeben“. Trotz der dringlich gebotenen Notwendigkeit, das Erdgas zur Energieerzeugung für den inländischen Bedarf an Elektrizität zu nutzen, wird ein großer Teil von Myanmars Erdgasvorräten schon von Thailand und anderen energiehungrigen Ländern „beansprucht“. Myanmar muss eine kluge Entscheidung treffen, welche Art von Industrien und wirtschaftlichen Unternehmungen es unterstützt (unter Berücksichtigung der schon vorhandenen Investitionsgenehmigungen), und zwar auf Grundlage des Energieverbrauchs, der Umweltkosten und des wirtschaftlichen Nutzens (z. B. Arbeitsplätze vor Ort, lokaler Bezug und lokale Auswirkungen, Wertschöpfung).

Die Aufgabe für Myanmar wird es sein, die externen Ressourcen zu nutzen und zugleich den Nutzen für die eigene Bevölkerung zu maximieren, ohne der eigenen Souveränität verlustig zu gehen. Eine Strategie dabei muss eine integrative Planung von Wirtschafts- und Energiepolitik sein, mit dem Ziel, die Verluste zu minimieren und Effizienz und wirtschaftlichen Nutzen (Schaffung von Arbeitsplätzen, Zirkulation des Geldes in der örtlichen Ökonomie) bei jedem in die Energie investierten kostbaren Dollar zu maximieren. Eine zweite Strategie sollte darin bestehen, dem Einsatz dezentraler erneuerbarer Energien Priorität einzuräumen vor den nicht erneuerbaren Ressourcen. Um demokratische Abläufe und demokratische Resultate zu sichern, sollte die Regierung Bürger, Unternehmer und Gemeinden in die Planung und Entwicklung des Energiesektors mit einbeziehen.  

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Chuenchom Greacen ist Mitbegründerin und Leiterin der thailändischen Nicht-Regierungsorganisation Palang Thai. In dieser Funktion forscht sie zum thailändischen Energiesektor und betreibt Politikberatung über faire, nachhaltige und demokratische Entwicklung des Energiesektors in Thailand und der Mekong-Region. Zwischen 1999 und 2003 war sie als Analystin für Thailands National Energy Policy Office (NEPO) tätig, wo sie sich insbesondere mit dem Reformprozess im thailändischen Stromsektor befasste. Sie lebt mittlerweile hauptsächlich auf Lopez Island, USA, arbeitet aber noch immer verstärkt zu Energiefragen in Thailand und der Mekong-Region.               


 

[1] ADB, „Myanmar Energy Sector Assessment“, Oktober 2012, (PDF), eingesehen am 22. März 2013

[2] Angaben nach den Einkünften der großen Gasförderprojekte Yadana und Yetagun und Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt (PDF)

[3] Chris Greacen, „The Marginalization of ‚Small is Beautiful‛: Micro-hydroelectricity, Common Property, and the Politics of Rural Electricity Provision in Thailand“, PhD Thesis, Energy and Resources Group, Berkeley: University of California, August 2004.

[4] EPPO: „Energy Strategy: Energy for Thailand’s Competitiveness“, November 2003, eingesehen am 23. März 2013


Dieser Artikel ist in Perspectives Asia #1 - Kupfer, Kohle und Konflikte erschienen. Das Heft bietet weitere Artikel aus der Region zum Thema.