Die Zukunft der simbabwischen Identität

 

Einer meiner Kollegen bemerkte einmal: „Es ist schon erstaunlich, dass die Frage, wer man ist und wo man herkommt, erst dann ausschlaggebend wird, wenn man Simbabwes Grenzen überquert hat“. Für viele Simbabwer wurde die Frage der simbabwischen Identität tatsächlich erst zu einem Thema, nachdem sie das Land verlassen hatten. Für diejenigen, die wie ich nach Südafrika gezogen sind, gehört die Frage nach der Herkunft zum Alltag.

Als Volk definieren wir uns auf eine bestimmte Art und Weise. Charaktereigenschaften, mit denen sich die Simbabwer gern selbst beschreiben, sind: arbeitseifrig, gebildet, des Englischen genauso mächtig wie die Briten, christlich und ehrgeizig, um nur ein paar zu nennen.

Diese selbst auserkorenen, eher schmeichelhaften Wesenszüge stehen jedoch im starken Kontrast zu der „simbabwischen Identität“, wie sie von anderen Afrikanerinnen und Afrikanern definiert wird. Hier in Kapstadt, dem Parlamentssitz Südafrikas, fallen Simbabwer vor allem dadurch auf, dass sie schwarz sind – und zwar wesentlich dunkler als die gebürtigen Südafrikaner –, dass sie in der Öffentlichkeit laut Shona sprechen (eine der Landessprachen von Simbabwe) und der hiesigen Sprache nicht mächtig sind. Über diese offensichtlichen Anzeichen hinaus schreiben die einheimischen Südafrikaner den Simbabwern häufig folgende Eigenschaften zu: sie seien rückständig, unbeeinflusst von der Moderne, materiell extrem verarmt und immer kurz vorm Verhungern. Simbabwes Männer werden als Kriminelle bezeichnet, denen man immer wieder vorwirft, den Südafrikanern die Xhosa-Frauen zu rauben. Frauen aus Simbabwe macht man wiederum für den Anstieg der Prostitution in der Stadt verantwortlich.

Kurz vor der Wahl 2013 in Simbabwe beschäftigt viele von uns die Kernfrage, wie man sich das zukünftige Simbabwe vorzustellen hat, wenn sich der durch die Wahlen aufgewirbelte Staub wieder gelegt hat? Dies setzt natürlich voraus, dass alles gut geht und die Wahlen eine neue Regierung hervorbringen werden – eine Regierung, die darauf hinarbeitet, Simbabwe zu vereinen und das Leben der Menschen vor Ort zu verbessern.

Wie sieht das Simbabwe der Zukunft aus?

Während also die Menschen in Simbabwe sich ein Simbabwe nach ihren Vorstellungen ausmalen, liegt die Herausforderung darin, ein Simbabwe zu erschaffen, dass allen gerecht wird und zugleich seine eigene Identität bewahrt. Natürlich wird die Politik der nationalen Zugehörigkeit von einer Insider/Outsider-Dichotomie, von Dazugehörigen und Außenstehenden, bestimmt. Indem wir bekräftigen, dass wir zu Simbabwe gehören, sind wir gleichzeitig gezwungen, diejenigen, die nicht dazugehören, auszugrenzen. Diese Gratwanderung zwischen Inklusion und Exklusion könnte leicht dazu führen, dass wir uns als fremdenfeindlich, rassistisch oder gar „tribalistisch“ erweisen – um nur einige der möglichen hässlichen Szenarien zu entwerfen.

Nach der Unabhängigkeit Simbabwes im Jahr 1980 wurde das nationale Selbstverständnis entlang eines Narratives des Befreiungskampfes etabliert – einer Geschichte von der guten schwarzen Volksarmee, die sich mit den Massen verbündete, um die bösen weißen Kolonialherren zu stürzen. Alles, was nicht in das Narrativ passte, wurde ignoriert, verdrängt, verleumdet. Die Rolle der Frauen im Befreiungskampf fiel nach und nach unter den Tisch, weiße Simbabwer wurden als Verräter abgestempelt, die Beteiligung des Flügels der simbabwischen revolutionären Volksarmee (Zimbabwe People´s Revolutionary Army - ZIPRA) an der Befreiung wurde ausgeschlossen und die Tatsache, dass durchaus auch Schwarze auf der Seite der (weißen) Rhodesier gekämpft hatten, schlichtweg ignoriert. Da der nationale Diskurs alles in Schwarz-Weiß-Kategorien abhandelte, wurden auch Menschen „gemischter Herkunft“ zwangsläufig aus der nationalen Erzählung verdrängt – sowie Schwule und Lesben, deren Existenz eine unliebsame nationale Realität darstellt. Diejenigen, die aus Simbabwe auswanderten, wurden ebenfalls aus der nationalen Erzählung gestrichen und als Dissidenten verurteilt.

Narrativ des Befreiungskampfes

Während Simbabwe mit der Wahl nun (hoffentlich) ein neues Kapitel in seiner Geschichte aufschlagen wird, stellt sich die Frage: Wer genau ist denn nun tatsächlich Simbabwer? Als Simbabwe vor 33 Jahren die Unabhängigkeit erlangte, unterteilte der führende Diskurs ganz dem etablierten Befreiungsnarrativ folgend Simbabwer in Verräter und Patrioten, in  Weiße und Schwarze. Aber das was damals diesen Identitäten einen Sinn verliehen hätte, existiert längst nicht mehr. Insbesondere die heutige Jugend (die unter 25-Jährigen) haben wenig persönliche Erfahrung mit dem „Rassenkampf“ – wenn, dann in Form der hasserfüllten Rhetorik, wie sie in Politik und Medien weiterhin gebräuchlich ist. Sie stopft nach wie vor jegliche Identitätszuordnung in Schubladen und verhindert fließende Übergänge, wie etwa Weiße, die mit dem Anliegen der Schwarzen sympathisieren, oder Schwarze, die die rhodesischen Streitkräfte unterstützt haben.

Ganz offenbar wurzelt diese Art von binärem Rahmenwerk im kolonialen Machtverständnis, welches „Macht“ eindeutig den (weißen) Siedlergemeinschaften zuschrieb und sie den einheimischen Schwarzen verweigerte. Paradoxerweise tauschte der Nationalstaat nach der Unabhängigkeit zwar die Spieler aus, hielt dabei jedoch die exakt gleichen dichotomen Prinzipien aufrecht.

Man mag der Befreiungsgeneration aufgrund ihrer eigenen negativen Erfahrungen innerhalb des rassistischen Kolonialstaates noch das Recht zugestehen, in binären Ausprägungen zu denken. Dennoch stelle ich mir die Frage, wo das hinführen soll? Soll diese verneinende Geschichtsschreibung weiterhin dazu beitragen, die Wahrnehmung von Herkunft und ethnischer Differenz der jüngeren Generationen zu gestalten? Soll diese negative Rahmenstruktur der Nation weiterhin dazu verwendet werden, das Entstehen eines demokratischen Pluralismus zu verhindern? Worauf wir besonders achten sollten, ist die Erkenntnis, dass der Nationalstaat immer als Einheit auftritt, eine Homogenität, die wenn sie nicht sorgfältig durchleuchtet wird, dazu beiträgt, diejenigen an den Rand zu drängen, die idealerweise integriert werden sollten.

Geschichte als Lehrstück

Wie schmerzhaft Simbabwes Geschichte in den letzten 15 Jahren auch gewesen sein mag – sie ist dennoch eine von vielen. Trotz der vielen länderspezifischen Unterschiede haben fast alle anderen postkolonialen afrikanischen Staaten diesen Moment des Umdenkens und der Neugestaltung erfahren, und das Erbe des Befreiungskampfes mit seinen nationalistischen Determinanten in Frage gestellt. Während die Rolle, die die Befreiungsgeneration für die Emanzipation der Nation gespielt hat, keinesfalls zu unterschätzen ist, sollte diese Geschichte nicht zum Fluch, sondern zum Lehrstück werden, das uns ermutigt neue und bisher verschwiegene Erzählstränge mit einzubeziehen.

Ich, für meinen Teil, möchte meinen Kindern und Kindeskindern nahebringen, dass Gesellschaft nichts Statisches ist und dass sich die Frage der Identität nicht durch nationalistischen Essentialismus einschränken lässt. Ich will, dass sie leben und eine Lehre frei von Fremdenfeindlichkeit, Rassenhass, Sexismus, Rassismus und Homophobie weitergeben. Diese Möglichkeit sehe ich mit den kommenden Wahlen gegeben. Für das zukünftige Simbabwe, so wie ich es mir vorstelle.
 


Über die Autorin
Rutendo Hadebe ist eine Feministin aus Simbabwe, die sich in ihrer Arbeit in unterschiedlichen Organisationen der Zivilgesellschaft für Frauenrechte, gute Regierungsführung und wirtschaftliche Gerechtigkeit einsetzt. Seit 2009 lebt und arbeitet sie in Kapstadt. Im Rahmen ihres post-graduierten Studiums forschte sie dort zu simbabwischen Migrantinnen. Momentan arbeitet sie im Büro der Heinrich-Böll-Stiftung Südliches Afrika als Koordinatorin für eine Konferenz über Zimbabwes Zukunft nach den Wahlen 2013.