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Ralf Fücks: "Die Zukunft ist nicht Sack und Asche"

Lesedauer: 7 Minuten
 

FAZ.NET: Herr Fücks, als 1972 die Studie „Grenzen des Wachstums“ erschien, waren Sie 21. Haben Sie das Buch damals gelesen?

Ralf Fücks: Ein bisschen später - in der Übergangsphase von meinen linksradikalen Zeiten zur grünen Bewegung, die sich schon in den siebziger Jahren anbahnte mit der Anti-AKW-Bewegung und den Bürgerinitiativen für Umweltschutz. Das war eine Phase, in der ich mit ein paar politischen Freunden sehr intensiv ökologische Literatur gelesen habe. Natürlich auch die „Grenzen des Wachstums“, das war ja quasi die Bibel der globalen Ökobewegung.

Gut vierzig Jahre später sind Sie nicht mehr im politischen Tagesgeschäft tätig, dafür im Vorstand der Böll-Stiftung, und Sie haben ein Buch geschrieben, das „Intelligent wachsen“ heißt. Wie sehen Sie das Wachstumsthema heute?

Es gibt eine frappierende Renaissance der Debatte über die Grenzen des Wachstums, die sich mit einer Wiederkehr der Kapitalismuskritik verbindet. Das Grundgefühl, dass es so nicht mehr weitergeht, teile ich durchaus. Der Kasinokapitalismus ist an seine Grenze gestoßen, und die globale Ökobilanz ist tiefrot. Zugleich gibt es aber auch ein Moment, das ich als europäische Müdigkeit beschreiben würde, eine Erschöpfung an der Moderne. Das hat bei manchen Autoren einen regelrecht kulturpessimistischen Einschlag.

Und Sie wecken jetzt die Europäer auf?

Ich versuche, eine andere Erzählung dagegenzusetzen: dass wir eben nicht am Ende des wissenschaftlich-technischen Zeitalters sind, sondern in einem großen Aufbruch, einer neuen industriellen Revolution. Mit Blick auf die kommenden Jahrzehnte hängt alles davon ab, ob uns eine Entkoppelung von Wachstum und Naturverbrauch gelingt. Nicht ob, sondern wie die Weltwirtschaft wächst, ist die Frage aller Fragen.

„Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Naturverbrauch“, „grüne industrielle Revolution“: Diese Wörter sind sehr groß und auch sehr positiv, so ähnlich wie „Nachhaltigkeit“. Haben Sie den Eindruck, dass die Leute bei solchen Wörtern eher hin- oder eher weghören?

Meine Erfahrung mit dem Buch ist zumindest, dass es spannende Debatten auslöst. Zum Teil wirkt es auch verstörend, weil die Denkfigur der Grenzen des Wachstums so tief ins kollektive Bewusstsein nicht nur der grünen Bewegung eingesunken ist. Viele tun sich schwer mit dem „Wachsen mit der Natur“. Das halten sie für einen Widerspruch in sich. Aber es gibt auch ein Bedürfnis nach einer zuversichtlichen Lesart, dass die Zukunft nicht ein Korridor ist, der immer schmaler wird, sondern ein Universum von Möglichkeiten.

Gehört in dieses Universum die Bionik, eine Technik, die ihre Ideen aus der Natur nimmt? Kühlungssysteme nach dem Vorbild der schwarz-weißen Streifen des Zebras und so weiter?

Unbedingt. Es gibt eine Fülle von Beispielen dafür, dass die Transformation zu einer ökologischen Produktionsweise schon begonnen hat: Gebäude, die mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen, vertikale Solargewächshäuser, der Boom der erneuerbaren Energien, Elektromobilität, Biokunststoffe aus organischen Abfällen.

Vor 100 Jahren gab es so etwas Ähnliches schon mal: das neue Bauen oder den Versuch, Städte zu begrünen. Sind die Reformer damals gescheitert, so dass wir jetzt solch eine neue Bewegung brauchen? Oder sind die Herausforderungen der Moderne so viel größer geworden, dass wir nachlegen müssen?

Wir haben historisch schon immer zwei konkurrierende Lesarten: Der Gedanke der Synergie mit der Natur ist nicht neu, genauso wenig wie die Gegenerzählung, dass die industrielle Moderne der Weg in die Katastrophe ist. Aber wir sind jetzt zum ersten Mal an einem Punkt, wo wir den Absprung von fossilen zu erneuerbaren Energiequellen schaffen können und zu einer Kreislaufökonomie, die sich in vernetzten Wertstoffketten bewegt, wo jeder Reststoff zum Ausgangspunkt einer neuen Wertschöpfung wird.

Und Sie glauben wirklich, dass das geht?

Absolut. Viele Unternehmen sind schon auf dem Weg zur abfallfreien Produktion. Jetzt geht es darum, das auf die ganze Wertschöpfungskette zu erweitern. Ein zentraler Hebel dabei ist die Rücknahmeverpflichtung für die Hersteller.

Die dann aber global festgelegt werden müsste. Die Chinesen zum Beispiel müssten sich ja auch daran halten, damit das auf der ganzen Welt funktioniert.

Da wir keine Weltregierung haben, Gott sei Dank -

Ach, so eine grüne Weltregierung - hätten Sie da was dagegen?

Das wäre mir zu zentralistisch. Die Globalisierung der Ökologie funktioniert über positive Beispiele, die demonstrieren, dass Umweltschutz nicht Verzicht auf sozialen Fortschritt bedeutet.

Und auch nicht Verzicht auf Industrie.

Wir sind ja mitten in einem globalen Industrialisierungsprozess. Der Rückweg in eine naturnahe Lebensform ist versperrt. Die Idee, wir könnten die ökologische Krise durch „Nullwachstum“ bewältigen, unterschätzt völlig die Größenordnung, um die es geht. Wir müssen die CO2-Emissionen in den hochindustrialisierten Ländern bis zur Mitte des Jahrhunderts um 90 Prozent senken. Das schaffen wir nur durch eine Innovationsoffensive.

Wie sieht es mit dem Verzicht des Einzelnen aus? Wenn man möglichst viele Leute überzeugen würde, zum Beispiel weniger Fleisch zu essen, würde die Futtermittelproduktion für die Tierzucht enorm sinken.

Gutes Beispiel, dafür werbe ich auch. Aber geht es hier um Verzicht? Anständiger Umgang mit Tieren und eine vegetarisch ausgerichtete Ernährung bedeuten ja nicht weniger Genuss. Wenn wir Ökologie als Verzicht predigen, bleibt das folgenlos. Ich glaube auch nicht, dass wir bereit sein werden, auf Mobilität zu verzichten. Es geht darum, sie intelligenter zu organisieren.

Was heißt das konkret?

Wir brauchen attraktive öffentliche Verkehrssysteme und müssen den restlichen Autoverkehr auf Elektromobilität umstellen. Und die Städte so umbauen, dass sie fußgänger- und fahrradfreundlich werden.

Und die Flugzeuge?

Die größte Herausforderung, denn der Flugverkehr wird weiter wachsen. Es läuft darauf hinaus, dass wir künftig nicht mit Kerosin auf der Basis von Öl, sondern entweder mit Wasserstoff oder mit Biotreibstoffen fliegen. Die kann man auch aus Algen gewinnen.

Klingt vielversprechend: Dann fliegt man eben mit Algen - und tut nichts Böses mehr beim Um-die-Welt-Jetten.

Die Idee sitzt tief, dass Ökologie schmecken muss wie bittere Medizin: Hedonismus ist Sünde, nur Entsagung kann uns retten. Ich kann mit dieser Art von Ökocalvinismus nicht viel anfangen. Wir müssen die Folgen unseres Lebensstils bedenken und Wertentscheidungen treffen. Ich muss nicht zum Shoppen nach London fliegen. Aber das bedeutet nicht, dass wir unsere Lebenslust aufgeben und der Welt den Rücken kehren müssen. Die Zukunft ist nicht Sack und Asche.

Was halten Sie davon, die Leute zur ökologischen Lebenslust zu verdonnern - etwa mit einem wöchentlichen Veggie Day in Kantinen, wie es die Grünen diese Woche vorgeschlagen haben?

Niemand will den Leuten ihr Schnitzel verbieten. Es geht um einen Appell, die Routine des täglichen Fleischkonsums zu verlassen und ab und zu etwas Neues zu probieren. Die Grünen greifen damit nur auf, was als kulturelle Bewegung von unten schon im Gang ist.

Ist Wachstum für Sie eigentlich schlicht etwas Unvermeidbares, oder ist es sogar etwas Gutes?

Wir leben in einer Epoche rasanten Wachstums der Weltwirtschaft. Für Milliarden Menschen ist das die Grundlage für sozialen Fortschritt, für den Aufstieg aus bitterer Armut in die moderne Lebenswelt. In den wohlhabenden Gesellschaften geht es nicht um immer mehr, sondern um bessere Qualität, auch um mehr immateriellen Konsum: Bildung, Kultur, Gesundheit. Warum sollten wir das alles stilllegen wollen? Wir hatten das ja schon einmal Anfang des 19. Jahrhunderts, als der Theologe und Ökonom Malthus das eherne Gesetz aufstellte: Die Erde bietet maximal Raum für eine Milliarde Menschen. Mehr kann sie nicht ernähren.

Da hat er sich ein bisschen geirrt.

Ja, heute haben wir sieben Milliarden, die Kalorienzahl pro Kopf ist um 50 Prozent höher, die Lebenserwartung hat sich verdoppelt. Ich sage nicht, dass die Zukunft rosig ist. Aber es gibt nicht nur die Grenzen des Wachstums, sondern eine ständige Erweiterung dieser Grenzen. 


Das Interview erschien zuerst am 10.08.2013 auf FAZ.NET.


Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Er publiziert in den großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

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