Hun Sen - ein Mann, ein Staat

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Hun Sen und seine Frau Bunrany Hun Sen im Rahmen eines Staatsbesuchs von Herman Van Rompuy, Präsident des Europäischen Rates, und seiner Frau Geertrui Van Rompuy im November 2012

Wer sehen will, wo der dienstälteste Premierminister Asiens lebt und arbeitet, muss gleich drei Orte besuchen. Sein Amtssitz, protzig und klobig, im Stil moderner chinesischer Verwaltungsgebäude, steht am ehemaligen Boeng Kak-See in Phnom Penh. Den See hat jüngst einer seiner Parteifreunde mit enormem technischem Aufwand zuschütten lassen, um dort einen Villenpark zu errichten. Rund 3000 Familien müssen vom Uferrand weichen.

Hun Sens zweite Adresse liegt rund fünf Kilometer südlich, mitten im Herzen der Stadt, am Unabhängigkeitsdenkmal: Hinter einer hohen weißen Mauer ist eine mehrstöckige Villa mit dunkelrotem Ziegeldach zu erkennen, mit den Jahren sind zahlreiche Anbauten hinzugekommen. Vor dem Tor wachen Soldaten, die zuweilen mit rot-weißen Gittern das gesamte Areal absperren, falls sie Demonstrationen gegen den Hausherren fürchten.

Hun Sens dritte Heimat ist rund 20 Kilometer südlich von Phnom Penh zu finden, am Fluss Bassac in der Ortschaft Ta Khmao. Sie gleicht mehr einer Bastion als einem Wohnort. Zwei Sendemasten sind schon von weitem zu erkennen, ein breites Gitter schirmt das Anwesen ab, ein paar hundert Meter entfernt ist Hun Sens private Leibwache stationiert. Sie hat den Ruf, ihrem Kommandeur bedingungslos ergeben zu sein.

Und das soll sich so bald nicht ändern: „Andere entwickelte Länder wechseln ihre Führer öfter aus, aber was mich angeht: Ich will dem Beispiel Chinas und Vietnams folgen“, erklärte der 60jährige Hun Sen jüngst in der Provinz Kompong Speu: „Ich werde bis 74 warten, bis ich mich von der Politik verabschiede, so wie sie es in China tun.“

Schwindende Mehrheiten trotz Wahlbetrugs

Seit 1985, also seit über 28 Jahren, herrscht Hun Sen über das Land der Khmer, bis zum Jahr 2027 will er im Amt bleiben. Er regiert nach Art asiatischer Feudalherren: Wer ihm wohlgesonnen ist, wird mit Posten, Privilegien, Aufträgen, Landtiteln belohnt. Gegner wie unliebsame Journalisten oder Umweltaktivisten riskieren, in Hun Sens Visier zu geraten.

Alle fünf Jahre muss sich Hun Sen allerdings dem Willen des Volkes stellen. In der Vergangenheit war ihm eine große Mehrheit sicher. Doch bei den jüngsten Wahlen am 28. Juli musste er erfahren, dass ein großer Teil der Kambodschaner nicht mehr so weiter machen wollte, wie bisher: Seine „Kambodschanische Volkspartei“ (CPP) verlor in dem 123-Mitglieder-Parlament 22 Sitze und damit die wichtige Zwei-Drittel-Mehrheit.

Die oppositionelle „Kambodschanische Nationale Rettungspartei“ (CNRP) unter Hun Sens Erzrivalen Sam Rainsy hingegen gewann 26 Sitze – genug, um in Zukunft Sitzungen des Parlaments blockieren zu können, da nach dem Gesetz für Parlamentssitzungen ein Quorum gilt. Die Kambodschaner, kommentierte die englischsprachige liberale „Cambodia Daily“, „trotzten der Furcht und wählten die Hoffnung.“

Vor allem junge Erstwähler stimmten für „Wechsel“. „Fast 30 Jahre Hun Sen sind genug. Er und seine Freunde haben sich lange genug die eigenen Taschen gefüllt. Sie haben sich nicht um das Volk gekümmert. Wir brauchen change“, sagte ein Chauffeur in Phnom Penh und drückte die Stimmung vieler jüngerer Kambodschaner aus. Das Wahlergebnis sei ein „Weckruf“ für die CPP, gestand Regierungssprecher Khieu Kanarith ein. „Wir müssen besser werden.“

Dabei hatte die CPP nach Ansicht von vielen Wahlbeobachtern und Bürgern kräftig geschummelt. Pung Chhiv Kek, die langjährige Chefin der Menschenrechtsorganisation Licadho, deren Helfer am Wahltag etliche Wahllokale überprüften: „Es gab kein einziges, in der nicht Geisternamen auftauchten oder in der nicht Wähler von den Listen verschwanden.“

Um sich wieder die Mehrheit zu sichern, habe die CPP in großen Mengen falsche Papiere für Personen ausgestellt, die gar nicht wählen dürfen. Und sie habe CPP-treue Soldaten in Bezirke zur Wahl beordert, in der sie um ihre Mehrheit fürchtete. Kek: „In Phnom Penh allein gab es 25 000 doppelte Namen. Und woanders tauchten Wähler auf, die konnten noch nicht mal Khmer sprechen.“

In Wahrheit habe sie und nicht die CPP die Wahlen gewonnen, erklärte die oppositionelle Rettungspartei, allein von den Beamten und Soldaten hätten 70 Prozent nach ihren Erkenntnissen für sie gestimmt. Überprüfbar ist das nicht, bis Mitte August stand das offizielle Endergebnis noch aus, so lange brauchte die von der CPP kontrollierte Wahlkommission, die Stimmzettel zu zählen.

Oppositionsführer Sam Rainsy verlangt daher, das Ergebnis von unabhängigen Fachleuten, unter anderem von der Uno, kontrollieren zu lassen: „Es gibt zu viele Regelwidrigkeiten.“ Auf einer Massenkundgebung in Phnom Penhs Freiheitspark rief er mit heiserer Stimme: „Wir sind entschlossen, niemanden zu erlauben, den Erfolg der Khmer zu stehlen.“ Sollte die CPP nicht einlenken, werde es im ganzen Land Massendemonstrationen geben, drohte er. Wenige Tage nach der Wahl schwirrten Gerüchte über einen geplanten Generalstreik durch das Land.

Schwierige Ausgangslage für die Opposition

Doch Rainsy und seinen Leuten sind die Hände gebunden. Aufmärsche und Streiks, warnen selbst die Anhänger des Politikers, seien riskant, sie könnten in einem Blutbad enden. Möglich wäre es für die Opposition allerdings, das Parlament auf Dauer zu boykottieren. Aber darauf hat Hun Sen eine Antwort parat: Dann würden eben CPP-Politiker oder Funktionäre kleinerer Parteien die leeren Sitze besetzen, erklärte er.

Diese Drohung an die Opposition übermittelte pikanterweise der deutsche Botschafter, Wolfgang Moser, nach einem Gespräch mit dem Regierungschef. Der Berliner Diplomat musste sich prompt den Vorwurf kambodschanischer Bürgerrechtler gefallen lassen, sich zum Sprecher eines autokratischen Herrschers gemacht zu haben.

Denkbar wäre auch eine Große Koalition. Das Parlament bliebe in diesem Fall ohne Opposition. Aber: Sich mit Hun Sen zu verbünden, wäre nach Ansicht langjähriger Beobachter in Phnom Penh ein aussichtsloses Unterfangen. Rainsy würde nicht nur Sympathien seiner Anhänger verspielen, sondern auch riskieren, von Hun Sen an die Wand gedrückt zu werden.

Darin hat der Premierminister Übung: Nachdem er 1993 die ersten - von der UNO nach dem Abzug der vietnamesischen Besatzungsmacht organisierten - Wahlen verloren hatte, zwang er den Sieger, Prinz Norodom Ranariddh und dessen Funcinpec-Partei, in eine Koalition. Er selbst übernahm damals den Posten eines Stellvertretenden Premierministers. Nur vier Jahre später jagte er den Regierungschef nach einem Putsch aus dem Land. Ranariddhs Funcinpec ist mittlerweile in der Bedeutungslosigkeit versunken, bei diesen Wahlen schaffte sie es nicht einmal mehr ins Parlament.

So bleibt der Opposition allenfalls, ein paar einflussreiche Posten im Parlament herauszuschlagen und zu versuchen, Hun Sen zu Zugeständnissen zu überreden, etwa die CPP-Vorherrschaft in der Wahlkommission aufzugeben.

Die Repressionen werden bleiben

Kaum jemand hält es allerdings für wahrscheinlich, dass Hun Sen den Griff lockern und seinen Gegnern mit politischen Reformen entgegenkommen könnte. Zu eng und zu lukrativ sind inzwischen die Bande zwischen Funktionären, Militärs und Tycoonen, sagen Bürgerrechtler. Der Regierungschef kontrolliert alle Ebenen der Gesellschaft: die wichtigsten khmer-sprachigen Medien, die Polizei, Armee, Verwaltung, die Gerichte. „Die Justiz ist eine Farce“, sagt die amerikanische Juristin Evi Schüller von der NGO „Licadho“. Es sei unglaublich, wie unfair und unprofessionell es in kambodschanischen Gerichtssälen zugehe.

Seit 1993, dem Jahr der ersten freien Wahlen in Kambodscha, seien „mehr als 300 Menschen in politisch motivierten Attacken“ ums Leben gekommen, zählt die US-Organisation „Human Rights Watch“. Die „Beteiligung führender Regierungsbeamter, Militärs, der Polizei und Geheimdienstler“ bei diesen Taten sei erwiesen. In keinem Fall habe es eine „glaubwürdige“ Untersuchung, geschweige denn eine Verurteilung gegeben.

Und weiter: Im vorigen Jahr seien mindestens 35 Bürgerrechter, die gegen Landraub und für bessere Arbeitsbedingungen kämpften, durch „CPP-gelenkte Sicherheitskräfte und die CPP-kontrollierte Justiz, getötet, verwundet, willkürlich verhaftet, mit Haft bedroht oder im Exil gehalten“ worden.

Auch Erpressung gehört zum politischen Alltag. „Wenn die Menschen nicht die CPP wählen, dann werden wir … nichts mehr geben“, warnte Hun Sen im März bei der Einweihung einer neuen Straße die Anwohner. „Alle Projekte ... werden gestrichen, sogar die Bewässerung von trockenen Feldern.“

„Ich sehe nicht, dass das Hun Sen-Regime auf die Wahlen mit Reformen reagiert“, sagt der australische Kambodscha-Experte Carlyle Thayer in der „Cambodia Daily“. „Sie werden sich weiter Land unter den Nagel reißen, sie werden nicht die Korruption angehen. Reformen werden allenfalls oberflächlich sein, weil es zu viele etablierte Interessen gibt.“

Hun Sen selbst zählt inzwischen zu den reichsten Männern Asiens. Zudem hat er schon jetzt zahlreiche Familienmitglieder auf einflussreiche Positionen gehievt, zwei seiner Söhne sind Armeegeneräle. Böse Zungen erklären, er wolle es dem nordkoreanischen Kim-Clan nachtun und in Kambodscha eine Familiendynastie etablieren.

Viele Kambodschaner fragen sich mittlerweile, ob die Opposition nach so langer Hun-Sen-Herrschaft überhaupt in der Lage wäre, die Macht im Land zu übernehmen. „Die Personaldecke der CNRP ist zu kurz, die haben nicht genug fähige Leute, um die Verwaltung in den Griff zu bekommen“, fürchtet Lao Mong Hay, ein Veteran der kambodschanischen Bürgerrechtler.

Wachstum zu einem hohen Preis

Und Hun Sen kann auf Erfolge verweisen: Zwar gehören die Kambodschaner noch immer zu den ärmsten Menschen auf der Welt, doch es geht für einen Teil von ihnen aufwärts. Die Wirtschaft wuchs zuletzt um 7,2 Prozent, vor allem die Exporte von Schuhen und Textilien nach Europa, auch nach Deutschland, boomen. In Phnom Penh sprießen Banken und Wohnhäuser in die Höhe. Wichtige Überlandstraßen, einst üble Schlaglochpisten, sind mittlerweile asphaltiert. An der Straße nach Sihanoukville haben sich zahlreiche thailändische, südkoreanische und taiwanische Fabriken angesiedelt, am Abend drängen sich auf den Ladeflächen kleiner Laster die Arbeiterinnen.

Das Wachstum aber „ist teuer erkauft“, sagt Lao Mong Hay. „Wir haben riesige Schulden bei den Chinesen, wir holzen unsere Regenwälder ab, wir beuten unsere Rohstoffe ohne Rücksicht auf die Natur gnadenlos aus.“ Die Menschen, die das Wachstum schaffen, tun dies für miserable Löhne: Der Mindestlohn für Textilarbeiter liegt derzeit bei 75 Dollar im Monat, andere verdienen noch weniger: rund zwei Dollar am Tag. Damit geht es den Kambodschanern schlechter als den Arbeitern in anderen Niedriglohnländern Asiens.

Auch diese Wahlen haben wieder klargemacht: Eines der größten Demokratie-Experimente in Asien ist gescheitert. Nach den Schreckensjahren zwischen 1975 und 1979 der Bauernrebellen unter Pol Pot, die als Rote Khmer bekannt wurden und den Tod von rund zwei Millionen Menschen auf dem Gewissen haben, und nach zwölfjähriger vietnamesischer Besetzung hatte die UNO 1993 die ersten freien Wahlen organisiert. Die Hoffnung: Kambodscha würde sich mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft in einen demokratischen asiatischen Staat verwandeln.

Doch der Test ging schon früh schief: Als Hun Sen sich 1993 trotz verlorener Wahl weigerte, in die Opposition zu gehen und sich statt dessen an die Macht klammerte, gab die internationale Gemeinschaft klein bei. Sie pumpte weiter Milliarden Dollar nach Kambodscha – stets in der Hoffnung, es werde sich irgendwann irgendwie alles zum Guten wenden.

Zu den einflussreichsten Stützen Hun Sens gehört heute die Volksrepublik China. Nach der Wahl vom Juli dieses Jahres ließ die Pekinger Botschaft in Phnom Penh dem kambodschanischen Militär eine besonders passende Aufmerksamkeit zukommen: 1.000 Pistolen mit 50.000 Kugeln - kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.

Für die deutsche Außenpolitik sollten die jüngsten Wahlen Anlass sein, genauer hinzuschauen, forderte der Grünen-Abgeordnete Thilo Hoppe: Die Bundesregierung müsse ihre Kooperation überdenken und womöglich die staatliche Zusammenarbeit kappen und auf die Zivilgesellschaft umlenken, sagte er.

Der kambodschanische Bürgerrechtler Ou Virak ist allerdings wenig zuversichtlich, dass sich etwas ändert: Das Ausland, sagt er, habe längst gelernt, mit Hun Sen zu leben. Die internationalen Geldgeber sehen zwar „die Ungerechtigkeit, sie werden sich darüber beschweren, aber sie werden nichts tun.“