Tschechisches Abgeordnetenhaus aufgelöst: Wie weiter?

Am 21. August 2013 drehte sich die Berichterstattung in Tschechien vor allem um zwei Ereignisse: Zum einen wurde die am 20. August entschiedene Auflösung des Abgeordnetenhauses analysiert und kommentiert, zum anderen gedachte man dem auf den Tag genau 45 Jahre zurückliegenden Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die damalige ČSSR.

Abgeordnetenkammer des Parlaments der Tschechischen Republik.
Antwort auf wochenlangen Konflikt


Das Abstimmungsergebnis war eine Antwort auf den wochenlangen Konflikt zwischen Präsident Zeman und dem Abgeordnetenhaus und mehr als eindeutig: 140 Abgeordnete stimmten für eine Auflösung, 7 dagegen. Noch Mitte Juli scheiterte der erste von den Sozialdemokraten initiierte Versuch einer Selbstauflösung. Die Gründe für das nun positive Ergebnis liegen auf der Hand: Der Regierung von Jiří Rusnok, die Staatspräsident Zeman im Alleingang ernannt hatte, wurde am 7. August nicht das Vertrauen ausgesprochen. Zudem wurde dabei klar, dass die ehemalige Regierungskoalition (ODS, TOP 09, Lidem) keine Mehrheit mehr im Abgeordnetenhaus hat. Präsident Zeman betonte unmittelbar nach der verlorenen Vertrauensfrage, dass er mit dem zweiten Versuch der Regierungsbildung keine Eile habe und Rusnoks Kabinett auch nach dessen Demission weiterregieren werde. Schlüsselfunktionen in staatlichen Institutionen besetzte die Rusnok-Regierung schon kurz nach ihrer Ernennung neu. Die Verfassung setzt dem Präsidenten in Bezug auf den 2. Versuch einer Regierungsbildung keine zeitliche Frist. Die TOP 09 (Vorsitzender: Karel Schwarzenberg) gab daraufhin bekannt, dass sie nun für eine Auflösung des Abgeordnetenhauses stimmen werde, um so den Weg für vorgezogene Neuwahlen freizumachen. Für die Auflösung stimmten außerdem die Sozialdemokraten (ČSSD), Kommunisten und einige weitere Abgeordnete. Die Abgeordneten der ehemaligen Regierungspartei ODS verließen bis auf Miroslava Němcová, Vorsitzende der nun aufgelösten unteren Kammer des Parlaments, aus Protest den Saal. Die ODS argumentierte, dass durch die Auflösung die Verabschiedung wichtiger Gesetze nicht mehr möglich sei. Ausschlaggebend für den Protest der ODS dürfte aber in erster Linie die Tatsache sein, dass sie in aktuellen Umfragen bei 13 Prozent liegt. 2010 erzielte die ODS 20,22 Prozent. Die Partei ist offensichtlich nicht an vorgezogenen Neuwahlen interessiert, da sie sich selbst in einer tiefen Krise befindet.   

Der Stratege Zeman

Gestärkt geht aus diesen Entwicklungen vor allem Staatspräsident Zeman hervor. Auch wenn „seinem“ Kabinett nicht das Vertrauen ausgesprochen wurde, betont er nun, dass durch sein Handeln vorgezogene Neuwahlen so schnell überhaupt erst möglich wurden. Zeman hat eine Gabe, Entwicklungen immer zu seinen Gunsten zu interpretieren. Dazu gehört ein strategisches Geschick, Konflikte so einzufädeln, dass dieser Raum für Interpretationen entsteht. Vielen Bürgerinnen und Bürgern scheint der Politikstil Zemans zu gefallen. Zeman, wie dieser gerne selbst betont, sieht sich als „Präsident der unteren 10 Millionen“ (Tschechien hat 10 Mio. Einwohner/innen). Er ist dabei alles andere als ein überparteilicher Präsident: 2007 trat Zeman aus der ČSSD aus und gründete die Partei SPOZ (Partei für die Rechte der Bürger – Zemanovci), deren Vorsitzender er bis 2010 war. Bei den Parlamentswahlen 2010 erzielte die SPOZ 4,33 Prozent und verfehlte somit nur knapp die Fünfprozenthürde. Zeman ist bis heute ihr Ehrenvorsitzender. Sein Kanzler Vratislav Mynář ist wie Zeman ehemaliger Vorsitzender der SPOZ und wird eventuell für die SPOZ kandidieren. Zeman sieht in einer Kandidatur seines Kanzlers kein Problem. Als Kanzler, so Zeman, müsse Mynář überparteilich sein, als Bürger habe er allerdings das Recht, für eine Partei seiner Wahl zu kandidieren.

Der Wahltermin

Am 23. August gab Zeman auf einer Pressekonferenz bekannt, dass er am 28. August die Auflösung des Parlaments bestätigen wird und die darauf folgenden vorgezogenen Neuwahlen am 25. und 26. Oktober stattfinden werden. Am 28. Oktober feiert die Tschechische Republik die Gründung der Tschechoslowakei. Da dieser Tag in diesem Jahr auf einen Montag fällt und ein Feiertag ist, werden viele Wählerinnen und Wähler ein verlängertes Wochenende dem Gang zur Wahlurne vorziehen. Dies wird sehr wahrscheinlich vor allem eine städtische und unentschiedene Wählerschaft betreffen. Es ist kein Geheimnis, dass im städtischen Milieu vor allem die Parteien punkten, die Zeman ein Dorn im Auge sind.

Zwei Monate Wahlkampf

Dieser Wahlkampf wird nicht nur kurz, sondern vor allem heftig werden.

Die ehemaligen Regierungspartner ODS und TOP 09 kämpfen nicht nur um ihre Wählerschaft, sondern auch um die Führung im rechtskonservativen Lager. Außerdem zieht Václav Klaus derzeit eine Rückkehr in die tschechische Politik in Erwägung. Die ehemalige EP-Abgeordnete Jana Bobošíková, die keine Gelegenheit auslässt, um gegen eine Vertiefung der europäischen Integration zu wettern, gab in den Medien bekannt, dass sie alles für eine Rückkehr von Václav Klaus tun werde. Sie könne sich vorstellen, dass ihre Partei Suverenita-blok J. Bobošíkové (Souveränität-Block von J. Bobošíková) in SUPR klausovci umbenannt wird (SUPR abgeleitet von SUverenita/Souveränität sowie PRosperita/Prosperität, klausovci bedeutet die Anhänger von Klaus). Klaus wird in den nächsten Tagen seine Entscheidung bekannt geben. Die Partei Suverenita-blok J. Bobošíkové erzielte bei den Wahlen 2010 3,67 Prozent. 

Innerhalb der Sozialdemokratie tobt ein Machtkampf zwischen den zwei Flügeln rund Bohuslav Sobotka und Michal Hašek, in den sich Zeman einmischt. Der derzeitige Parteivorsitzende Bohuslav Sobotka steht für eine Modernisierung der Sozialdemokratie. Sein statutarischer Vertreter Michal Hašek, der dem Präsidenten und ehemaligen ČSSD-Vorsitzenden Zeman nahe steht, verkörpert einen eindeutigen Retrokurs. Der „Zentrale Exekutivausschuss“, das höchste Gremium der Sozialdemokraten zwischen den Parteitagen, beschloss vergangenes Wochenende in einer vom Hašek-Lager initiierten geheimen Abstimmung mit nur 57% der Stimmen, dass der Vorsitzende Sobotka auch Kandidat der ČSSD für das Amt des Ministerpräsidenten ist. Zum Vergleich: Während des Parteitags der ČSSD im Frühjahr 2013 wurde Sobotka mit 84% der Stimmen als Vorsitzender bestätigt. 

Die tschechischen Grünen

Auch wenn der Wahltermin für die Grünen nicht optimal ist, da nicht viel Zeit für die Vorbereitung der Wahlkampagne bleibt, sprachen sich auch die Grünen für vorgezogene Neuwahlen als besten Weg aus der politischen Krise aus. Der stellvertretende Vorsitzende und ehemalige Umweltminister Martin Bursík trat am 23. August aus der Partei aus. In seiner Begründung gab er an, dass er fürchte, die Grünen könnten Teil einer von Zeman gesteuerten „linken Front“ werden. Der Parteivorsitzende Ondřej Liška schließt dies entschieden aus. Seit Monaten kritisiert Ondřej Liška offen und vehement das Vorgehen Zemans und dessen Motive. Die tschechischen Grünen möchten in ihrem Wahlkampf Wählerinnen und Wähler ansprechen, die auf der Suche nach einer sinnvollen Alternative zu den derzeit im Parlament vertretenen Parteien sind. Sie haben auf kommunaler Ebene fast 400 Mandate inne, außerdem erzielten sie bei den Regional- und Senatswahlen 2012 Erfolge. Die unabhängige Senatorin und ehemalige Verfassungsrichterin Eliška Wagnerová kandidierte für die Grünen, auch die Kandidatur des Senators Libor Michálek wurde von den Grünen unterstützt.    

Zeman bleibt Zeman

Das Wahlergebnis bleibt abzuwarten. Klar ist schon heute: Zeman wird weiterhin den Lauf der tschechischen Politik beeinflussen und dabei die Verfassung so deuten, wie es ihm passt. Er wird sich nicht an Verfassungsgewohnheiten orientieren, die er selbst als „idiotisch“ bezeichnet. Er wird sich außerdem als Richter und Anwalt aller Bürgerinnen und Bürger inszenieren, die seiner Meinung nach der Gefahr ausgesetzt sind, von Gesetzgebern betrogen zu werden. Letzten Freitag erwähnte Zeman vor laufenden Kameras, er werde das Wahlergebnis der vorgezogenen Neuwahlen völlig respektieren. Zeman erklärte weiter, er werde für den Fall, dass die TOP 09 gewinnt und Miroslav Kalousek als Premierminister empfiehlt, Kalousek als Premier ernennen. Sollte es allerdings zu einer Koalition zwischen der TOP 09 und ČSSD kommen, werde er keinen Vertreter beider Parteien zum Premier ernennen, weil er eine derartige Koalition als Verrat an der Wählerschaft dieser Parteien deute. Außerdem, so Zeman, sollten die Parteien den Ausgang der Präferenzstimmen beachten, vor allem die Partei, die die Wahl gewinnen werde. Ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Sozialdemokratie, die derzeit in allen Umfragen vorne liegt: Bei den Wahlen 2010 übersprang Michal Hašek in der Wahlkreis-Listenplatzierung Bohuslav Sobotka. Wie Zeman das „Wahlergebnis völlig respektieren“ will, wenn er schon vor der Wahl signalisiert, dass er Koalitionsmöglichkeiten diktieren und der stärksten Partei die Wahl des Premierministers vorschreiben möchte, bleibt ein Rätsel.

Am 28. Oktober zeichnet der Präsident aus Anlass des staatlichen Feiertags traditionsgemäß Personen für ihre Leistungen und ihr Engagement aus. Dieser Auftritt in dem Vladislav-Saal der Prager Burg wird live übertragen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer können sich schon jetzt auf eine Rede Zemans gefasst machen, die es in sich haben und den Ausgang der Wahl aus Sicht des Präsidenten kommentieren wird.