Zeit-Redakteurin Özlem Topcu: "Die Medien müssen langsamer werden"

Lesedauer: 4 Minuten

Özlem Topçu, 36, zu Hause bei Ihren Eltern gab es nur BILD und Hürriyet. Erst im Studium hat sie andere Zeitungen entdeckt. Das hat ihr nicht geschadet: Heute ist sie Politik-Redakteurin bei der „Zeit“ – die erste mit türkischen Wurzeln.

 

Frau Topçu, bei dieser Veranstaltung treffen sich zwanzig Studierende, die ihre Zukunft im Journalismus sehen. Sind die verrückt?

Özlem Topçu: Nein, überhaupt nicht, im Gegenteil, sie sollen sich nicht verrückt machen. Von dem Krisengequatsche um die Medien würde ich mich nicht beeinflussen lassen. Es gibt ein paar wenige insolvente Zeitungen, aber davon geht nicht gleich die ganze Medienbranche unter.

Sie sind Redakteurin bei der „Zeit“, einer der wenigen Zeitungen, die immer mehr Abonnements verkauft. Was macht das Blatt so erfolgreich?

In der „Zeit“ findet man Artikel, die mit mehr Zeit entstehen und deshalb ausgeruhter und gereifter sind. Ich habe den Eindruck, dass viele, besonders junge Leute, die täglichen Nachrichten online lesen. Als Ergänzung suchen sie dann ausführlichere Informationen und tiefergehende Analysen, und die finden sie eben in Wochenzeitungen. Natürlich sind nicht alle Tageszeitungen in Gefahr, weil man in qualitativ guten Tageszeitungen mehr findet als nur einen schnellen Überblick über die aktuellen Nachrichten auf Internetseiten.

Ist es mittlerweile normal, als Özlem Topçu Redakteurin bei einem der größten deutschen Medien zu sein?

Ich bin die erste türkischstämmige Redakteurin bei der „Zeit“. Das war am Anfang etwas Besonderes. Eine Redaktion spiegelt letztendlich die Gesellschaft wider, und die hat sich eben verändert. Natürlich habe ich manchmal nett gemeinte, aber ziemlich merkwürdige Bemerkungen gehört, zum Beispiel, ob ich denn unbedingt über Türken schreiben müsste, weil ich türkischstämmig sei.

Ist man als Journalistin mit Migrationshintergrund gleich die Integrationsexpertin?

Man wird schnell zur Integrationsexpertin gemacht. Das kann stören, wenn man das nicht möchte. Andererseits kann man sich aber auch fragen: Warum soll ich denn nicht über Integration schreiben, wenn ich qualifiziert bin und mich zusätzlich durch meinen eigenen Hintergrund und meine persönlichen Erfahrungen nun mal damit auskenne? Ich glaube, insgesamt braucht die Entwicklung einfach noch ein bisschen Zeit. Irgendwann werden ausländisch klingende Namen in deutschen Medien gar nicht mehr auffallen. Dann sind wir auch ganz gewöhnliche Finanzjournalisten oder Kamerafrauen.

Heute gibt es den Verein der Neuen deutschen Medienmacher, der WDR veranstaltet eine Akademie für zukünftige Journalisten mit Migrationshintergrund, die Böll-Stiftung fördert Studierende mit Migrationsgeschichte und dem Ziel Journalismus. Es ist gerade Trend, Migranten in die Redaktion zu befördern.

Ich habe den Eindruck, dass Redaktionen händeringend Journalistinnen und Journalisten mit Migrationshintergrund suchen. Dahinter steht ganz ein schlichtes wirtschaftliches Interesse: Homogene Redaktionen machen keine ansprechenden Medien mehr. Die Gesellschaft verändert sich. Diese Veränderung wollen LeserInnen, HörerInnen und ZuschauerInnen auch in den Medien wiederfinden. Vielfältige Redaktionen sind kreativer und machen damit die spannenderen Beiträge. Das ist eine tolle Chance für alle mit Migrationsgeschichte, die gerne in die Medien wollen: Aus dem vermeintlichen Makel Migrationshintergrund kann man seine eigene Marke machen und sich so profilieren und durchsetzen.

Warum gibt es dann noch keine schwarze Tagesschausprecherin?

Die Strukturen in der Medienlandschaft brechen langsam auf, vieles entwickelt sich. Irgendwann wird auch eine Afro-Deutsche Journalistin die Tagesschau präsentieren, so wie es eine griechischstämmige Kollegin und ein Halb-Italiener schon tun.

Trotzdem hat bisher nur jeder fünfzigste Journalist in Deutschland einen Migrationshintergrund. Helfen internationale Kooperationen?

Die würden zumindest helfen, neue Perspektiven zu gewinnen und politische Ereignisse aus der nationalen Perspektive heraus vielfältiger zu beleuchten. Bei der „Zeit“ gab es mal ein Projekt mit der Irish Times, da kamen tolle Beiträge zur Eurokrise heraus.

Was wünschen Sie der deutschen Medienbranche?

Ich glaube, die Medienbranche muss wieder langsamer werden. Zu allem gibt es heute Live-Ticker. Das ist keine gute Entwicklung. Ich brauche doch keine Wasserstandsanzeige zu jedem Ereignis. Viel wichtiger ist für mich als Mediennutzerin eine Einordnung: Was bedeutet das, was gerade passiert ist?

Mehr Geduld braucht die Medienbranche auch bei den Erwartungen, die sie an den Nachwuchs richtet. Die Journalistinnen und Journalisten von morgen sollen schon heute in alles reinschnuppern, ein bisschen schneiden, aufnehmen, schreiben und moderieren können. Es gibt keinen Journalisten, der auf der einen Schulter die Kamera trägt, links das Mikrofon hält, rechts auf dem Handy twittert. Das wird nichts. Darunter leidet die Qualität.

Sie haben den Traumjob vieler angehender Journalistinnen und Journalisten. Wie wird man Politik-Redakteurin bei der „Zeit“?

Es gibt kein Erfolgsrezept. Wäre das so, müssten ja alle guten JournalistInnen – und von denen gibt es viele -  in der „Zeit“-Redaktion oder vergleichbaren Medien sitzen. Natürlich zählen das Handwerk und das eigene Interesse, aber es zählen auch Zufälle, Glück und die richtigen Begegnungen.

Interview: Susan Djahangard