Normale Arbeit oder sexuelle Ausbeutung?

Frauen demonstrieren in Brasilia: Auf dem Transparent steht: "Die Welt ist kein Handelsobjekt – Frauen auch nicht"

In Brasilien diskutiert man wieder einmal eine gesetzliche Regelung der Prostitution. Der vom Abgeordneten des Nationalparlaments Jean Wyllys (PSOL) eingebrachte Gesetzentwurf zielt darauf ab, die Tätigkeit von Zuhälter und Unternehmer im Sexgewerbe zu legalisieren, um damit die "Arbeitsbedingungen" von Prostituierten zu verbessern. Allerdings fehlen im Entwurf Regelungen für Bordelle oder diesbezüglich angemessene Bedingungen. Inhaltlich erkennt man im Gesetzentwurf keine Absicht, die Lebensumstände von Frauen in der Prostitution zu verbessern. Er sieht keinerlei spezifische politische Initiativen vor, um zu verhindern, dass diese Frauen weiterhin Opfer von Beleidigungen, Gewalt und Ausgrenzung bleiben. Anstatt die Rechte und die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen zu stärken, bedient der Gesetzentwurf die Bedürfnisse der Sexindustrie, die im Verband mit Großunternehmen beabsichtigt, die Körper von Frauen zu benutzen, um bei Großveranstaltungen, wie etwa Weltmeisterschaften, hohe Gewinne einzufahren.

Die öffentliche Diskussion fußt auf Prämissen, die die Realität der Prostitution verzerren und verfälschen. Zunächst einmal wird das Problem dadurch vereinfacht, dass eine institutionalisierte Tätigkeit, die Teil eines Systems ist, als individuelles Verhalten behandelt wird. Diese Argumentation entstammt der liberalen Perspektive, die das Individuum und seine freien Entscheidungen auf dem Markt in den Mittelpunkt stellt, ohne die Politik- und Machtverhältnisse zu berücksichtigen. Diese Position ist offensichtlich unkritisch gegenüber dem Patriarchat als System männlicher Dominanz und gegenüber den Verbindungen zwischen Prostitution und heutigen gesellschaftlichen Praktiken von Sexualität.

Vertreter der liberalen Position bezeichnen Prostitution als Arbeit, ohne sich darum zu kümmern, dass der Verkauf von Arbeitskraft und die Aneignung eines Körpers gänzlich verschiedene Dinge sind. Anders gesagt: Es geht nicht um die Tätigkeit der Prostituierten, sondern um ihren Körper. Laut Marie-Victoire Louis (2004) "setzt diese Betrachtungsweise voraus, dass nicht nur Dinge, sondern auch Körper Gegenstände von Verträgen sein können und widerspricht damit offen dem universellen Prinzip, demzufolge der menschliche Körper unveräußerlich ist"[1]. Die vorgeschlagene Regelung behandelt Prostitution als eine Arbeit wie jede andere, bei der jemand etwas verkauft – in diesem Fall also die Frauen ihre Körper. Sie sollen daher als "SexarbeiterInnen" (trabalhador@s) begriffen werden. Die Befürworter verwenden das @ Zeichen (analog dem großen I als Pluralform im Deutschen, d.Ü.) als wäre Prostitution von Männern und Frauen das gleiche. Dies verschleiert von vornherein den patriarchalischen Charakter und die ungleichen Machtverhältnisse bei der Prostitution. Die Unterscheidung zwischen Prostitution und sexueller Ausbeutung sowie zwischen freiwilligen sexuellen Diensten und Zwangsprostitution soll Prostitution als eine frei handelbare Dienstleistung legitimieren. Diese Differenzierung erkennt an, dass Zwangsprostitution existiert. Im Allgemeinen wird diese in Zusammenhang mit Kinderprostitution gebracht, welche als unfreiwillige sexuelle Ausbeutung gilt.

Was diese Betrachtungsweise außer Acht lässt, ist die Tatsache, dass die meisten Frauen bereits als Kinder oder Jugendliche in die Prostitution geraten, wie es in Brasilien der Fall ist. Ab dann ist es ja nur eine Frage der Zeit, bis eine Frau achtzehn ist. Falls sie sich weiter prostituiert, ist das dann automatisch eine freiwillige Entscheidung. Es werden also die Erfahrungen einer Achtzehnjährigen, die seit ihrem zwölften Lebensjahr Prostituierte ist, ignoriert. Und damit die Auswirkungen auf ihr Selbstwertgefühl und ihren Mangel an Vertrauen, in einem anderen Lebensbereich anerkannt zu werden. Als würde die sexuelle Ausbeutung keine Spuren am Körper einer Frau und an deren Sicht und Einstellung zur Welt und zu sich selbst hinterlassen. Hinzu kommt das Stigma und alle anderen Barrieren, die eine Frau zu überwinden hat, um sich im Arbeitsmarkt zu etablieren. Und schließlich darf man nicht vergessen, dass die meisten Prostituierten von Zuhältern und Zuhälterinnen beherrscht werden und ihnen nur sehr schwer entkommen können.

Ein Job wie jeder andere?

Die Befürworter der Prostitution als "Job wie jeder andere" bedienen sich der extremen Ungerechtigkeiten des Arbeitsmarktes als Argumentationshilfe. Sie erklären, dass Frauen als Prostituierte viel besser verdienen können als in anderen typisch weiblichen Berufen, etwa als Haushaltshilfen oder im Telemarketing. Hier das sogenannte „geringere Übel“ zum Lebensunterhalt vorzuschlagen steht im Widerspruch zu dem Anspruch, für Gleichheit und soziale Gerechtigkeit einzutreten. Außerdem verschweigt diese Argumentation die Rassen- und Klassenunterschiede, die zwischen den Frauen selbst bestehen: Es wird so getan, als lebten wir in einer Welt, in der alle Frauen alle Voraussetzungen haben, um "entscheiden" zu können, ob sie Ärztin, Professorin, Haushaltshilfe, Prostituierte oder Anwältin sein wollen.

Kann man tatsächlich glauben, dass die Lebensläufe (Flucht vor Missbrauch, Armut, Gewalt, Unterdrückung) und Tagesabläufe (Sex mit einer Vielzahl von Kunden, Drogenkonsum, um durchzuhalten) von Prostituierten auf „freien Entscheidungen“ beruhen? Es ist eine Sache, sich anziehen zu können, was man möchte, ohne belästigt zu werden, oder ins Bett zu gehen, mit wem man will. Etwas ganz anderes ist es, den Körper benutzen zu müssen, um zu überleben. Denn es geht ums blanke Überleben. Der Alltag von Prostituierten ist weit entfernt vom Glamour, der sich oft in Filmen, Telenovelas und Zeitschriften findet und auch in den viel beachteten Äußerungen von Frauen, die sich als freie und selbstbestimmte Prostituierte beschreiben.

Den Gesetzesentwurf können nur diejenigen begrüßen, die über die Wirklichkeit und das Wesen der Prostitution hinwegsehen. Tatsächlich zählen die allermeisten Prostituierten zu den Ärmsten der Gesellschaft, sind aus ihrer Heimat vertrieben worden und arbeiten am Rande von Großbaustellen, Bergwerken oder Agrarunternehmungen. Dazu gibt es die Wirklichkeit der Prostitution in reichen Ländern Europas, in denen die meisten Frauen, aus dem Süden oder Osten kommend, nach Europa migriert sind oder geschmuggelt wurden.

Tatsächlich unterstützt die positive Sicht der Reglementierung die Perspektive der dominierenden Gruppe – die Gruppe der männlichen Freier. Sie agieren innerhalb des institutionalisierten Systems des Patriarchats, dass ihnen seit Jahrtausenden Macht zuschreibt. Und sie lassen es so erscheinen, als seien diese Machtverhältnisse biologisch bedingt: Der angeblich angeborenen unstillbaren männlichen Sexualität wird die passive weibliche Sexualität gegenübergestellt.

Das Verlangen gehört den Männern, und der weibliche Körper ist dazu da, es zu befriedigen – nur so lässt sich erklären, warum Männer Sex mit jemandem haben wollen, der sie nicht begehrt. Tatsächlich ist dies nur konsequent für jemanden, der eine Frau als Ware betrachtet. Diese Auffassung entspringt also einer bestimmten althergebrachten Moral, die Frauen im Dualismus von Heiliger und Nutte betrachtet. Im Feminismus wurde diese Dichotomie als heuchlerische Doppelmoral analysiert, die das Verlangen von Frauen verneinen und kontrollieren will. Diese Moral entzweit die Frauen untereinander und benutzt ihre Sexualität, um über sie zu urteilen. Aus weiblicher Sicht führt dies zu Ambivalenzen und zu Widersprüchen zwischen dem Ausdruck ihres sexuellen Verlangens und den Strafen und Gefahren, die dieser mit sich bringt – die Gefahren, denen sie sich aussetzen, wenn sie sich in das Grenzgebiet zwischen Heiliger und Nutte begeben. Das komplizierte ist, dass diese liberale Position, die ihre konservativen Ansichten verbirgt, versucht, die Diskussion durcheinander zu bringen, indem sie die kritische feministische Position als moralistisch und von sexuellen Tabus bestimmt bezeichnet.

Eine andere Moral

Wir vertreten eine andere Moral: nämlich die des Schutzes von Freiheit und Selbstbestimmung. Freiheit kann nur erreicht werden, wenn die Dominanzmechanismen kritisch betrachtet werden. Andernfalls legitimiert man die Praxis der Unterdrückung. Die Prostitution ist eine historische Institution, die eingerichtet wurde, um das Patriarchat und die entsprechenden sexuellen Muster zu stützen. Bis heute funktioniert die Prostitution als Zwangsmechanismus.

Wir sind davon überzeugt, dass wir die Reglementierung der Prostitution als Beruf verhindern müssen. Aber das bedeutet nicht, dass nicht ohnehin gehandelt werden muss. Der Staat hat bereits Mittel, um Frauen, die in Prostitution leben, von Unsichtbarkeit und Stigmatisierung zu befreien. Der Staat muss vorbeugende und bewusstseinsbildende Kampagnen fördern, die die Gewalt und die Kontrolle des Sexmarktes über die Körper und Leben von Frauen und Mädchen thematisieren.

Die Akteure, die diesen Sexmarkt organisieren und ihn tragen – also die Zuhälter und Freier – müssen für die Gewalt, die sie verursachen, bestraft werden. Außerdem müssen Diskriminierung und Vorurteile bekämpft werden, mit denen Prostituierte konfrontiert sind, wenn sie Gesundheitsdienste und Polizeiwachen aufsuchen. Des weiteren sind wir der Meinung, dass politische Initiativen entwickelt werden müssen, die eine allgemeine Rente ermöglichen und die Prostituierte in soziale Integrationsprojekte aufnehmen und für Prostituierte spezifische Bildungs-, Wohnungs- und Arbeitsprogramme schaffen. Keine dieser Maßnahmen ist im Gesetzentwurf enthalten. Im Gegenteil: Die Legalisierung der Zuhälterei trägt dazu bei, das System der Ausbeutung zu legitimieren, das Frauen als Objekte behandelt und nicht wie Bürgerinnen, die das Recht auf Rechte haben.

[1] Louis, Marie-Victorie, in: La Prostitución. Selección de Articulos de Le Monde Diplomatique. Santiago de Chile: Editorial Aún Creemos en los Sueños, 2004. SOF. Prostituição: uma abordagem feminista. São Paulo: SOF, 2013.