Eine Obsession mit Namen Transformation

Politikwissenschaftler Prince Mashele
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Politikwissenschaftler Prince Mashele stellt sein neues Buch "The Fall of the ANC - What Next?" vor

Renate Wilke-Launer im Gespräch mit dem südafrikanischen Politikwissenschaftler Prince Mashele:



Früher waren Sie in einem Studentenverband aktiv, der mit dem "African National Congress" (ANC) verbunden war. Jetzt sagen in Ihrem Buch den Niedergang der Regierungspartei voraus. Wann haben Sie gemerkt, dass sich die Dinge nicht wie erhofft entwickeln?



Nach der Studentenzeit und dem Engagement in SASCO, dem ANC-nahen South African Students Congress, habe ich viele Jahre als Politologe in verschiedenen Forschungseinrichtungen gearbeitet. Bei der Beschäftigung mit dem ANC habe ich immer mehr Anzeichen dafür entdeckt, dass die Partei vom Weg abgekommen ist. Dass sie nicht mehr das vertreten und repräsentiert hat, für das sie so viele Jahre gestanden hatte.



Denken Sie zum Beispiel an den Arms Deal - enorme Ausgaben für Rüstungsgüter. Das war ein riesengroßer Korruptionsskandal in Südafrika. Einige höhere ANC-Führende waren darin verwickelt. Wie diese Leute dann von der Parteispitze gedeckt worden sind, das war für mich eine Abkehr von dem ANC, den ich bis dahin gekannt hatte. Da habe ich angefangen zu zweifeln, ob der ANC überhaupt noch so etwas wie eine ethische Orientierung hat.



Bald darauf hat es noch einen weiteren Skandal gegeben, in den Parlamentarierinnen und Parlamentarier verwickelt waren, Travelgate wurde er in Südafrika genannt. Die Abgeordneten haben das Parlament betrogen und sich persönlich bereichert. Kein einziger ANC-Abgeordneter wurde aus der Partei ausgeschlossen und keiner musste sich einem Disziplinarverfahren stellen. Über alle hielt die Partei ihre schützende Hand.



Das waren so eklatante Beispiele von Korruption, die nicht geahndet wurden, dass ich diese Partei einfach nicht mehr unterstützen konnte. Meiner Ansicht nach hat der ANC als Regierungspartei eine Verpflichtung, in ethischer Hinsicht vorbildlich zu sein. Genau das war er aber nicht mehr.   



Seitdem hat es noch weitere Skandale gegeben, in die höhere ANC-Führende verwickelt waren. Und nichts passiert. Deshalb habe ich mich von der Partei entfernt. Meine Überzeugungen und das Verhalten der Partei passten einfach nicht mehr zusammen.



Trotz der weit verbreiteten Unzufriedenheit im Land hat der ANC bei der Wahl im Mai 62,15 Prozent der Stimmen bekommen. Mehr noch: Er hat in den letzten Jahren auch die Zahl seiner Mitglieder auf 1,2 Millionen verdoppelt. Wahrscheinlich ist er die am stärksten wachsende Partei der Welt. Wie kann das sein?



Ach, die Zahl der Parteimitglieder beschäftigt mich nicht so sehr. Diese Angaben kann doch niemand überprüfen. Sie behaupten das einfach so. Keiner weiß, wie es wirklich ist.  



Mich interessieren die Wahlergebnisse. Diese Zahlen kann man nicht nach Belieben zusammenstellen. Und da hat der ANC nun mal 62 Prozent bekommen. Wir wissen aber auch, dass der Anteil des ANC seit 2009 gesunken ist. 2004, als Thabo Mbeki wieder gewählt wurde,  lag er sogar bei fast 70 Prozent, das war der höchste jemals erreichte Wert. Wenn er jetzt nur noch 62 Prozent hat, dann ist das schon ein Einbruch.  Manche Leute fangen offensichtlich an Fragen zu stellen. Dieser Verlust an Vertrauen der Wählerschaft erzählt uns eine Geschichte. Wir sollten diesen Verlust aber umgekehrt auch nicht überinterpretieren und die Augen davor verschließen, dass der ANC weiterhin mit komfortabler Mehrheit regieren kann. 62 Prozent - das ist überall auf der Welt viel.



Dass der ANC korrupt ist, bedeutet ja nicht, dass er nichts für die Mehrheit der Südafrikanerinnen und Südafrikaner tut. Zum Beispiel hat er seit 1994 mehr drei Millionen Häuser für Arme gebaut, es hat die schwarze Mehrheit mit Elektrizität und sauberem Wasser versorgt. Mehr noch: 16 Millionen Menschen in Südafrika bekommen Sozialtransfers, Kindergeld und Rente zum Beispiel. Und das geschieht unter der Ägide einer vom ANC geführten Regierung. Wenn Sie dann noch bedenken, dass der ANC im Befreiungskampf eine führende Rolle hatte - und daran erinnern sich sehr viele Südafrikanerinnen und Südafrikaner noch sehr genau -, dann kann man schon nachvollziehen, dass die Mehrheit weiterhin den ANC unterstützt. Für sie hat sich etwas Konkretes verbessert, seit der ANC an der Macht ist. Das darf man nicht unterschätzen. Über den Charakter der Partei sagt das gar nichts. Darum geht es in unserem Buch.



Aber sie haben jüngst auch geschrieben, dass der ANC eigentlich keine Erfolgsgeschichte erzählen kann.   



Was die grundlegenden Fragen angeht, kann er keine Erfolge vorweisen. Schauen wir uns Südafrika vor 1994 an: Die sozialen Beziehungen waren so strukturiert, dass der weiße Mann an der Spitze der wirtschaftlichen Hierarchie stand. Der weiße Mann besaß die Fabrik, die Mine, die Farm - alle wichtigen Produktionsmittel gehörten dem weißen Mann. Dem schwarzen Mann war damals  die Rolle zugewiesen, billige Arbeitskraft zu liefern. Das war mehr als ein Jahrhundert seine Aufgabe.



Hat sich an dieser Struktur seit 1994 etwas geändert? Nein, in dieser Kernfrage ist noch alles beim alten.



Sie können die historisch geschaffenen Verhältnisse und ihre Korrektur nicht darauf reduzieren, den Leuten Häuser zu bauen. Selbst wenn sie den Leuten noch so viele kostenlose Häuser bauen, verändern sie in der sozialen Struktur nichts. Schwarze Südafrikanerinnen und Südafrikaner leben immer noch wie unter der Apartheid: Wenn sie morgens aufwachen, müssen sie zum Zug, zum Bus, zum Taxi und in der Stadt für den weißen Mann arbeiten. Das ist doch kein fundamentaler Wandel!



Präsident Zuma sagt jetzt, dass die Transformation beschleunigt werden soll. Ist das für Sie eine Drohung oder versprechen Sie sich etwas davon?



Das hängt davon ab, was er meint. In Südafrika gibt es eine Obsession im Blick auf das Wort "Transformation". Im Kern bedeutet der Begriff nichts anderes als dass in der Wirtschaft Raum für schwarze Leute geschaffen wird. Aber die Art, wie Transformation bisher gestaltet wurde, ist meiner Meinung nach falsch. In den letzten 20 Jahren hat Südafrika nicht verstanden, eine Klasse schwarzer Unternehmender zu schaffen, Leute, die etwas herstellen, die Arbeitsplätze für andere schaffen. So eine Klasse gibt es nicht.



Es gibt jetzt Schwarze, die in den Kreis der Elite aufgestiegen sind, im Kern durch Kooptation in die weißen Unternehmen. Was ihre Rolle in der Wirtschaft angeht, dämonisiere ich weiße Südafrikanerinnen und Südafrikaner nicht. Sie spielen eine sehr wichtige Rolle. Wenn Sie den Weißen sagen würden: Verlasst das Land, dann würde Südafrika wirtschaftlich zu Boden gehen. Es wäre ein Desaster.



Die Leute, die Jobs haben, haben sie doch, weil weiße Unternehmerinnen und Unternehmer da sind. Wenn die Wirtschaft auf breiterer Basis wachsen soll, müssen sie eine neue Schicht schwarzer Unternehmender schaffen, die ihr Geld nicht für Nichtstun bekommen, sondern die etwas produzieren. Wenn sie so eine Klasse haben, dann tun sie gleichzeitig auch etwas gegen Arbeitslosigkeit. Und wenn sie das tun, bedeutet das nicht notwendigerweise, dass sie die Kreise der weißen Wirtschaft massiv stören, sie sorgen vielmehr dafür, dass die Wirtschaft wächst.



Das Problem mit Zumas Vorstellung von Transformation ist, dass sein Konzept unproduktiv ist. Er möchte möglichst viele Schwarze in Anzug und mit Krawatte sehen, aber das bedeutet im Kampf gegen Armut und Arbeitslosigkeit gar nichts. Sie tragen zwar Krawatten, tun aber nichts. Ich bin mit dieser Art Empowerment durch Transformation überhaupt nicht einverstanden.



Dann müsste Ihnen doch eigentlich die „Democratic Alliance“ (DA) mit ihrem Wirtschaftskonzept gefallen. Mit 22,3 Prozent der Stimmen hat die Partei bei den Wahlen um einiges zugelegt.   



Das Problem der DA besteht darin, dass sie im Kern eine Partei ist, die weiße Privilegien schützt. Damit steht sie in einer Ecke. Die DA kann bestimmte Programmpunkte, die das Leben schwarzer Südafrikaner radikal verändern, nicht vertreten. Die Mehrheit der Schwarzen kann ihr deshalb nicht trauen. Wenn ihr aber die Mehrheit der schwarzen Südafrikanerinnen und Südafrikaner nicht traut, dann gibt es Grenzen für das Wachstum der DA. Dann stößt sie irgendwann an eine gläserne Decke. Das ist das Problem.



Ich habe davon gesprochen, dass wir eine produktive schwarze Unternehmerschaft fördern müssen. Die DA würde in ihren Reihen so etwas nie formulieren, weil sie fürchten müsste, dadurch mit ihrer Wählerschaft Probleme zu bekommen. Wer weiße Interessen vertritt, wird niemals für die Herausbildung einer wirklich produktiven Klasse von schwarzen Unternehmenden eintreten, denn die neuen schwarzen Firmeninhaberinnen und Firmeninhaber würden ja mit ihnen konkurrieren.  



Abstrakt gesehen ist die DA-Politik korrekt, wir müssen für gute Investitionsbedingungen sorgen, wenn wir Arbeitsplätze schaffen wollen. Alles andere wird in Südafrika nicht funktionieren. Bloß kann sich die DA nicht zu dem notwendigen Schritt durchringen, das große historische Problem anzugehen: Dass Schwarze so lange von produktiver Tätigkeit ausgeschlossen waren und deshalb noch kaum Produzierende sind. Wir brauchen eine schwarze Unternehmerschaft, die die Ärmel aufkrempelt und nicht bloß Begünstigte der unproduktiven Black-Empowerment-Politik ist.



Neben der Opposition aus liberaler Sicht hat der ANC nun auch von anderer Seite Konkurrenz. Ist die neue Partei der "Economic Freedom Fighters" (EFF) wirklich die linke Alternative, die manche in ihr sehen?



Die EFF ist ein Sammelbecken von allerlei rückwärtsgewandten Ansichten. Schauen wir uns die Jungs doch mal an. Wo kommt Julius Malema her? Er kommt aus dem ANC. Als er noch dazugehörte, hat er gern gesagt, er würde für Zuma töten. Das ist ein Mann, der bereit ist zu töten, das hat er öffentlich gesagt.



Als er noch im ANC war, war er ein unglaublich korruptes Individuum. Er schuldet der Steuerbehörde SARS 16 Millionen Rand. Er hat nie im Leben gearbeitet. Er hat sein Geld damit verdient, dass er dem Staat auf korrupte Weise Geld entzogen hat. Er und seine Kumpane haben sich öffentliche Aufträge verschafft und damit viel Geld verdient, aber nur Schrott abgeliefert. Das ging so weit, dass eine ganze Provinz, Limpopo, praktisch nicht mehr funktionierte.



Nachdem er aus dem ANC herausgeworfen wurde, hat er sich doch nicht geändert. Er will weiterhin die Minen verstaatlichen und Land ohne Entschädigung enteignen.



Malema und sein Freund Floyd Shivambu waren schlicht arbeitslos. Jetzt mußten sie sich also etwas einfallen lassen. Und sie sind dabei sehr clever vorgegangen: Sie haben eine Partei gebildet, sie haben radikale "linke" Ideen auf ihre Fahnen geschrieben, wie etwa Nationalisierung. Aber letztlich wollen sie nur einen Job im Parlament. Es ist ihnen gelungen, einige Südafrikaner an der Nase herumzuführen, die dann für sie gestimmt haben. Jetzt sind sie froh, dass sie ins Parlament einziehen. Das ist ihr Business [1], es geht ihnen nicht darum, das Los der Armen zu verbessern und ihrer Stimme Gewicht zu verleihen. Sie standen im Regen und mussten was für sich tun.



Dann bleibt ja doch nur der ANC. Es gibt ja auch respektable Minister wie Aaron Motsoaledi [2] und Trevor Manuel [3], die gute Arbeit leisten. Kann sich die Partei nicht aus sich heraus reformieren?



Ja, wenn diese guten Leute im ANC bereit sind zu kämpfen, wahnsinnig zu kämpfen. Denn die anderen Fraktionen, die es darauf anlegen, das Erbe des ANC verschleudern, werden mit aller Kraft um ihre Pfründe kämpfen. Gute Männer und Frauen im ANC müssen sich mit aller Konsequenz darauf einstellen und diesen Krieg ausfechten. Wenn sie das tun, besteht die Möglichkeit, dass der ANC sich erneuert.

Wenn sie das nicht tun und sich einfach nur abwenden, so wie Trevor Manuel das getan hat, ist die Sache verloren. Manuel ist nicht in den Führungsgremien des ANC, er wird der neuen Regierung nicht mehr angehören. Wenn sie sich davon machen und in die Privatwirtschaft abwandern, dann wird der ANC weiter schrumpfen, und das scheint bedauerlicherweise gegenwärtig der Trend zu sein.





Prince Mashele hat in Grahamstown Politikwissenschaft studiert und seither in verschiedenen Forschungs- und Politikberatungseinrichtungen Südafrikas und als Redenschreiber im Büro des Präsidenten gearbeitet. Heute ist der Direktor des Centre for Politics and Research (CPR) in Pretoria. Gemeinsam mit seinem Kollegen Mzukisi Qobo hat er Anfang 2014 das Buch The Fall of the ANC - What Next? (Picador Africa) veröffentlicht.





Weiterführendes zum Thema:

Am 3. Juni gibt es eine Filmführung und eine Gesprächsrunde zum Thema "Miners Shot Down - Arbeitskämpfe und Bürgerproteste in Südafrika"

 


[1] Abgeordnete bekommen neben einem Gehalt von 933 000 Rand pro Jahr u.a. Unterkunft, Freiflüge und Smartphone und Laptop.



[2] Aaron Motsoaledi wurde von Jacob Zuma 2009 zum Gesundheitsminister ernannt. Er hat mit einigem Erfolg Missstände im Gesundheitswesen korrigiert  und dafür gesorgt, dass mehr als zwei Millionen der an Aids erkrankten Menschen Medikamente bekommt.



[3] Trevor Manuel war von 1994 bis 2014 Minister, unter seine Ägide wurde ab 2009 der Nationale Entwicklungsplan erarbeitet.