Leben an der Grenze - Spanisch ist angesagt

Eisgeschäft in der Alameda Street, El Paso (Texas)
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Eisgeschäft in der Alameda Street, El Paso (Texas)

Auf der nördlichen Seite der US-mexikanischen Grenze sind die meisten Städte hispanisch geprägt. Wer kein Spanisch spricht, fühlt sich hier schnell ausgegrenzt. Die Südlink-Kolumnistin Lourdes Cárdenas beschreibt, dass es weißen Angelsachsen und -sächsinnen hier ähnlich ergeht wie sonst Menschen aus Lateinamerika im Rest der USA.

Fast zehn Jahre sind vergangen, seit Beth Staley nach El Paso in Texas gezogen ist, einer Stadt an der US-mexikanischen Grenze mit gut 600.000 Einwohner/innen. Sie war damals 21 Jahre alt, und nachdem sie einen US-Mexikaner geheiratet hatte, wechselte sie ihren Nachnamen in González. Sie brauchte viel Zeit, um sich an die intensive Hitze und die eintönige Dürre der Wüste anzupassen, aber nicht so viel, wie sich daran zu gewöhnen, in ihrem eigenen Land zu einer Minderheit zu gehören.

Trotz der Jahre, die sie schon in dieser Stadt verbracht hat, fühlt sich die junge Frau, die ursprünglich aus Minnesota stammt, häufig fehl am Platz. "Das passiert mir, wenn ich in kleine Läden gehe oder an Orte, die nicht so oft von Weißen besucht werden. Ich fühle mich dann so, als würden sie fragen 'Und was macht diese Frau hier?'", erzählt Beth.

Sie hat Gründe dafür, sich so zu fühlen. In Minnesota, wo 82 Prozent der Bevölkerung weiß oder angelsächsisch sind, stellen Hispanas/os gerade einmal 4,9 Prozent der Gesamtbevölkerung. In El Paso ist es umgekehrt: 80 Prozent der Bevölkerung sind hispanischer Herkunft und nur 13,7 Prozent sind weiß oder angelsächsisch. Natürlich ist in diesem Teil der USA Spanisch die am häufigsten gesprochene Sprache.

"Gezwungen" Spanisch zu lernen

In dieser Stadt einer Minderheit anzugehören erforderte für Beth einen Prozess der Anpassung. Nicht nur, weil sie eine neue Sprache lernen musste, sondern auch, um in ihrem eigenen Land die mexikanische Mentalität, Gewohnheiten und Kultur zu verstehen. "Viele Leute erwarten, dass du Spanisch sprichst, und es stört sie, wenn du es nicht tust", sagt sie und versucht, das Gute an der Situation zu sehen. "Ich sehe es als Vorteil, es hat mich dazu gezwungen, etwas mehr Spanisch zu lernen."

Alle Städte entlang der Grenze in den vier Bundesstaaten Kalifornien, Neu-Mexiko, Arizona und Texas weisen eine ähnliche Demografie auf wie El Paso. Hier leben laut den jüngsten Statistiken 60 Prozent der hispanischen Bevölkerung der USA (die meisten davon mexikanischer Herkunft), aber nur 17 Prozent der Weißen.

Doch die Mehrheit zu stellen bedeutet nicht zwangsläufig eine Verbesserung der Wohlstandsindikatoren, insbesondere im Grenzgebiet. In El Paso beträgt der durchschnittliche Jahresverdienst knapp 40.000 US-Dollar, während es im Bundesstaat Texas gut 51.500 und im US-Durchschnitt über 53.000 Dollar sind. Knapp ein Viertel der Bevölkerung in El Paso lebt unterhalb der Armutsgrenze, die für eine vierköpfige Familie bei einem Jahreseinkommen von unter 20.000 US-Dollar definiert ist. Im mehrheitlich "weißen" Minnesota liegt das durchschnittliche Jahreseinkommen hingegen bei knapp 60.000 US-Dollar und nur 11,2 Prozent der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Vermutlich gehört ein Großteil davon zum hispanischen und afroamerikanischen Teil der Bevölkerung.

Faktoren wie Bildung, Migrationsstatus, Geschichte und Sprache spielen eine fundamentale Rolle in der sozioökonomischen Entwicklung der hispanischen Familien in der Region. Laut dem US-Zensus liegen die Grenzstädte im Bereich Schulbildung auf den hinteren Rängen. In El Paso hat nur jeder Fünfte einen Universitätsabschluss, in Minnesota sind es fast 39 Prozent. Bei einem niedrigen Bildungsniveau überrascht es nicht, dass die Löhne für weniger qualifizierte Arbeit mit 7,50 US-Dollar pro Stunde sehr niedrig sind und die Armutsquote hoch ist. Aber die Hispanas/os wehren sich auch dagegen, sich zu assimilieren oder in das Land, in dem sie nun leben, zu integrieren. So empfinden es zumindest einige aus der weißen Minderheit.

Tom erlebt Diskriminierung, die Millionen Hispanas/os kennen

Tom Ruggiero, ein Journalismus-Professor der Universität Texas in El Paso, lebt seit über 15 Jahren in dieser Stadt. Ebenso wie Beth blieb er hier, nachdem er eine Mexikanerin geheiratet hatte. Tom spricht kein Spanisch und hat sich daran gewöhnt, bei den Gesprächen mexikanischer Freunde ausgeschlossen zu sein. "Wir Angelsachsen sind hier nicht komplett akzeptiert", sagt Tom, der zuvor in mehreren Ländern des amerikanischen Kontinents und auch in Deutschland gelebt hat. "Man muss es sich erarbeiten, um von der Gemeinschaft anerkannt zu werden, und wenn Du die Sprache nicht lernst, wird es schwierig."

Er findet es sonderbar, dass es die Hispanas/os stört, wenn er nicht ihre Sprache spricht, und sie sich darüber wundern, dass er sie nicht lernen möchte. Für ihn hat es den Anschein, dass sich die Hispanas/os an der Grenze nicht durch eine breitere Verwendung des Englischen integrieren wollen und dass sie die Angelsachsen und -sächsinnen nicht auf dieselbe Art und Weise annehmen, wie sie selbst von diesen akzeptiert werden wollen. Tom erlebt in dieser besonderen Situation an der Grenze das gleiche, was Millionen Hispanas/os im Rest des Landes fortlaufend erleiden müssen: Sie werden diskriminiert, weil sie nicht fließend Englisch sprechen und ihre Kultur und Traditionen erhalten. Dies wird für gewöhnlich als ein Fehlen von Assimilierung angesehen.

Grenzen sind eine Art Laboratorium der Zukunft. Wie ich bereits in der letzten Kolumne erwähnt habe, werden die Hispanas/os in den USA eines Tages etwa 40 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen. Zusammen mit anderen Minderheiten wie Afroamerikaner/innen, Indigenen und Asiat/innen werden sie voraussichtlich im Jahr 2043 erstmals in der Mehrheit sein.

Zwar wird keine einzelne Gruppe die Mehrheit stellen, doch die heutigen Minderheiten werden in den politischen Entscheidungen eine größere Rolle spielen. Auch wenn viele Angelsächs/innen wie Tom und Beth in einer überwiegend hispanischen Stadt bisher mit begrenztem Spanisch überleben konnten, müssen sie langfristig akzeptieren, dass sich die Kräfteverhältnisse zwischen den Bevölkerungsgruppen ändern. In dem neuen Erscheinungsbild der USA wird es keine Ausnahme mehr darstellen, sich als Minderheit oder fehl am Platz zu fühlen.

Aus dem Spanischen von Tobias Lambert.

Diese Kolumne erscheint in Zusammenarbeit mit dem Nord-Süd-Magazin Südlink; Herausgeber: INKOTA-netzwerk.

 

Bereits in der Kolumne "Leben an der Grenze" erschienen:

Dezember 2013: Leben an der Grenze -Feminizide
März 2014: Leben an der Grenze - Spanglish