
Jawad Jawed hat in Großbritannien einen Abschluss in International Business Studies gemacht und arbeitete anschließend als Nachrichtenredakteur bei Ariana TV und als Medienbeobachter für die Britische Botschaft in Kabul. Heute ist er verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit der afghanischen Behörde Office of Administrative Affairs. Wir sprachen mit Jawad im Rahmen unserer Interview-Serie mit jungen Politiker/innen.
Sie haben Wirtschaft und Management studiert. Wie passt das zu dem, was Sie heute beruflich machen?
Management ist Management, ganz gleich ob es um einen Firma oder eine Behörde geht. Worauf es ankommt ist, dass man sich der jeweils passenden Werkzeuge bedient. Management bei der Regierung, speziell bei der Zentralregierung, bedeutet, dass man sich sehr gut in einzelnen Politikfeldern auskennen muss. Das gilt auch für meine Tätigkeit beim Office of Administrative Affairs. In Afghanistan haben wir viele junge, gut ausgebildete Menschen. Um dieses Potential auch richtig zu nutzen, benötigen sie Führungskompetenz. Wer Management studiert hat, kann in jedem Bereich Erfolg haben - sei es in der Regierung, Privatwirtschaft oder Zivilgesellschaft.
Wie beurteilen Sie die Fortschritte, die Afghanistans junge Generation in den vergangenen 13 Jahren gemacht hat?
Die jungen Menschen haben noch keine politischen Führungspositionen inne, aber sie haben viel dafür getan, ihre Chancen zu verbessern. Viele junge Menschen befinden sich noch in der Ausbildung; andere arbeiten für die Regierung oder für Nicht-Regierungsorganisationen. Für Afghanistan ist das ein bedeutsamer historischer Einschnitt. Früher hatten junge Menschen solche Chancen nicht. In der Regel haben sie in der Landwirtschaft gearbeitet und Vieh gehütet. Heute bildet sich immer stärker eine Mittelschicht heraus. Für die Zukunft des Landes ist das eine vielversprechende Entwicklung.
Warum gibt es noch keine jungen Menschen in hohen politischen Ämtern?
Vor 13 Jahren war unser Volk noch nicht so gebildet wie heute. Die Führungsrollen gingen deshalb an die ältere Generation, die ein eher traditionelles Verständnis von Politik hatte. Dennoch sind junge Menschen in vielen Bereichen der Gesellschaft aktiv. Heute zeigt sich, dass die junge Generation nach und nach auch auf nationaler Ebene auf wichtigere Positionen vorrückt.
Welches Handwerkszeug brauchen junge Menschen, damit sie in Afghanistan Politik machen können?
Ich sehe das als eine Frage des Leitens und Führens. Entscheidend ist, dass man die Menschen zum Handeln befähigt. In den 1960er Jahren entstanden in Afghanistan eine Reihe linker und rechter Parteien, was daran lag, dass in den Städten das Bildungsniveau stieg. Diese Generation brachte später die Dschihadisten sowie die kommunistischen und liberalen Führungspersönlichkeiten hervor. In den vergangenen 13 Jahren konnten die jungen Menschen sich gut ausbilden. Ich hoffe, die neue Regierung wird verstärkt auf junge Führungskräfte setzen.
Lassen sich die Vorstellungen der jungen Menschen denn überhaupt mit denen der älteren Spitzenpolitiker vereinbaren?
Eine interessante Frage. Aus den Erfahrungen, die die Älteren gemacht haben, aus ihren Fehlern und Erfolgen, können junge Menschen viel lernen. Wichtig ist, dass die politische Elite die jungen Menschen an Politik teilhaben lässt. In den USA hat Edward Kennedy, ein Weißer, Barack Obama sehr unterstützt. Obama seinerseits konnte die Erwartungen, die Kennedy in ihn gesetzt hatte, erfüllen.
Denken Sie, dass jene Generation, die nun von der politischen Bühne abtritt, den jungen Menschen Vorbild sein kann?
Man kann sie kritisieren und auch loben. Insgesamt, denke ich, haben sie gute Arbeit geleistet. Präsident Karzai ist es beispielsweise gelungen, sowohl die Anführer der Dschihadisten politisch einzubinden, als auch junge Menschen in die Politik zu bringen.
Was macht gute Politik aus?
Das ist eine vielschichtige Frage und lässt sich nicht eindeutig beantworten. Ich denke aber, Politik funktioniert dann am besten, wenn ihr konkrete Vorstellungen zugrunde liegen. Anders gesagt: Politiker sollten nicht versuchen unser Denken und Handeln unmittelbar zu steuern, denn dann wäre Politik nicht mehr Taktik, sondern Strategie. Wer bei einer Wahl kandidiert, muss beispielsweise fest an demokratische Werte glauben. Wenn einem Kandidaten gleichgültig ist, was das Volk sagt und sieht man in den Wählerstimmen nur ein Mittel zur Macht, dann ist am politischen System etwas faul.
Wollen Sie selbst in die Politik?
Der Mensch ist ein politisches Wesen. Politik wirkt sich direkt auf unser aller Leben aus. Zwar bin ich nicht politisch aktiv, aber ich gehe sehr ernsthaft meinen Aufgaben nach und versuche, meiner Verantwortung als Bürger meines Landes gerecht zu werden.
Wieviel gilt in der derzeitigen Politik der mündige Bürger, die mündige Bürgerin?
Afghanistans junge Generation hat viel Potential. Was fehlt ist, dass sie auf zeitgemäße Art Anerkennung findet. Wir sollten uns davon aber nicht abschrecken lassen. Unsere Generation muss ihr Äußerstes geben, um Frieden, Stabilität und Frauenrechte zu stützen, die Diskriminierung von Ethnien und Gewalt zu beenden und mehr Demokratie zu schaffen. Bürgerrechte werden heute viel stärker geachtet als früher. Frieden, Sicherheit, freie Wahlen – all das sind Grundrechte. Unsere Verfassung garantiert mittlerweile Frauen bestimmte Rechte. Junge Menschen sollten weiterhin für ihre Bürgerrechte eintreten.
Was hoffen Sie, wird sich in den nächsten zehn Jahren tun?
Was im Laufe von zehn Jahren geschieht, lässt sich schwer vorhersagen. Ich hoffe, man wird alles tun, damit das Land vorankommt, dass die Menschen in Frieden leben und ihre Rechte ausüben können.
Wie könnte Afghanistan in zehn Jahren aussehen?
Afghanistan wird anders sein als während der 1990er Jahre. Der Mittelschicht geht es momentan gut. Viele junge Menschen sind aktiv in Musik oder Sport, sie studieren und wählen. Die jungen Menschen, die in zehn Jahren Afghanistan als modernes Land führen werden, kann uns keiner wegnehmen.