Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene

Der letzte Schritt eines Volksbegehrens, die Abstimmung, bedarf aufwändiger Vorbereitungen
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Der letzte Schritt eines Volksbegehrens, die Abstimmung, bedarf aufwändiger Vorbereitungen

Prof. Dr. Helmut Klages von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer zum Thema "Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene - Verschiedene Ansätze einer Verstetigung und Institutionalisierung der Beteiligung" im Rahmen der Veranstaltung "Stadt beteiligt".

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Meine Damen und Herren, ich möchte zunächst daran erinnern, dass wir in den letzten Jahrzehnten bereits zwei Phasen der Bürgerbeteiligung gehabt haben, die sehr verschieden waren. Seit den ausgehenden 60er Jahren des letzten Jahrhunderts gab es eine verhältnismäßig wilde erste Phase, die sogenannte partizipatorische Revolution, im Anschluss an die Revolte an den Universitäten seit 1967, und im Anschluss daran in Form von verschiedensten spontanen Aktionen sowie zahllosen Bürgerinitiativen. Später kam es infolge des Aufbruchs in Osteuropa und der DDR Anfang der 90er Jahre zur Ergänzung der Gemeindeordnung der Bundesländer durch Bestimmungen über Bürgerbegehren und Bürgerentscheide, mit denen man die (allerdings schon wieder abebbende) Protestenergie der Bevölkerung einfangen wollte.

In diesem Erbe kam es schließlich zu einer neuen und sehr anderen Welle der Bürgerbeteiligung, in deren Verlauf sich viele derjenigen Methoden der Bürgerbeteiligung entwickelten, die heute den sogenannten Instrumentenkoffer füllen. Im Rückblick lässt sich diese Welle als eine Versuchs- und Experimentierphase der Bürgerbeteiligung bezeichnen, wenn auch mit einer relativ begrenzten Breitenwirkung. Trotz beträchtlicher Sympathien, die diese Bewegung interessanterweise auch bei den Kommunen selbst fand, die damals das Leitbild der "Bürgerkommunen" entwickelten, wurde nämlich dieser Instrumentenkoffer doch relativ selten geöffnet. So viel zunächst einmal zu diesem Rückblick.

Das Interesse an der Bürgerbeteiligung flaute in den folgenden Jahren deutlich ab. Eine Ausnahme bildeten die Bürgerhaushalte, die einen gewissen Boom erfuhren, aber doch eine Sonderentwicklung blieben; ähnliches gilt für die Entwicklung bei den Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden, die sich, mit gewissen Ausreißern nach oben, auf relativ niedrigem Niveau stabilisieren konnten. Auf beides kann ich an dieser Stelle nicht eingehen.

Verstetigung und Institutionalisierung

Es kann allerdings kein Zweifel bestehen, dass wir nun seit einigen Jahren eine neue Bürgerbeteiligungswelle sehen, die die bisherigen an Stärke übertrifft. Sie bringt andersartige Impulse mit sich und hat, so ist zu hoffen, das Potenzial, mehr zu werden als eine bloße neue Konjunktur. Die Unterschiede zu den vorangehenden Wellen sind eklatant. Die neuen Beteiligungsmethoden werden gern als "informelle Verfahren" bezeichnet. Damit wird eine Abgrenzung von den gesetzlich vorgegebenen "formellen" Beteiligungsansätzen beabsichtigt, die etwa in § 3 Bundesbaugesetz vorgegeben sind. Genau an dieser Bezeichnung kann man den Drehpunkt der gegenwärtigen Veränderung im Verständnis von Bürgerbeteiligung festmachen: Sicherlich wäre es überzogen, zu sagen, dass heute die informellen Verfahren in formelle überführt werden, aber wir können doch davon sprechen, dass es heute darum geht, sie in "geregelte Verfahren" zu überführen. Neu ist heute, dass inzwischen überall, wo das neue Bürgerbeteiligungsverständnis Platz greift, Beteiligungskonzepte erarbeitet werden, die häufig in Papieren zusammengefasst werden mit Überschriften wie "Leitlinien" oder "Leitfäden". Sie kündigen die Absicht einer systematischen Regelung der Bürgerbeteiligung an.

Es geht hierbei keinesfalls nur darum, dass häufiger statt nur gelegentlich beteiligt wird. Wenn man heute sagt, dass es darum geht, die Beteiligung zu verstetigen oder auf Dauer zu stellen, ist damit gemeint, dass die Bürgerbeteiligung ihren Charakter ändern soll; dass sie nämlich zu einer verlässlichen, mit garantierter Sicherheit verfügbaren Qualität des kommunalen Alltags werden soll, mit der die Bürgerinnen und Bürger prinzipiell rechnen können. Sie muss also nicht immer wieder von Neuem erstritten oder dank der gelegentlichen Großzügigkeit kommunaler Politiker oder Verwaltungschefs erhofft werden, sondern sie steht ihnen von Amts wegen als ein Rechtsanspruch zu, als Rechtsanspruch, welcher gegebenenfalls auch in einer kommunalen Satzung niedergelegt wird. In einigen Städten ist das bereits der Fall. Das heißt also: Es geht darum, dass Bürgerbeteiligung verankert oder institutionalisiert wird, um dieses etwas hässliche Wort, an dem ich selbst nicht ganz unschuldig bin, zu verwenden.

Beteiligung ist vielfältig

Soweit also das Neue, das inzwischen bereits teilweise sehr konkret von einer beträchtlichen Anzahl von Kommunen – darunter einer Speerspitze von besonders innovativen Kommunen - getragen und auch realisiert wird, und das, wie zu erwarten ist, in Zukunft von einer weiter zunehmenden Zahl von Kommunen übernommen werden wird. In dem Maß, wie sich diese Praxis in die Breite entwickelt, wird sie vielleicht auch eines Tages in das Recht der Länder Eingang finden oder vielleicht auch sogar in das Recht auf Bundesebene. Einige Ministerien sind ja immerhin schon dabei, in diese Richtung zu arbeiten. Die Perspektive, die sich mit dem neuen Ansatz verbindet, geht dahin, dass diese Bürgerbeteiligung dann eines Tages eine Art von Bürgerrecht werden wird.

Nun ist aber dieses Neue nicht etwa vom Himmel der Landesgesetzgebung oder gar der Bundesgesetzgebung heruntergefallen, sondern von unten gewachsen, nämlich aus der Ebene der Kommunen selbst entstanden. Man braucht sich deshalb nicht darüber zu wundern, wenn dieses Neue nicht einheitlich in Erscheinung tritt, sondern in vielen Varianten und Schattierungen. Das ist ein Thema, über das man sehr lange reden kann. Angesichts der knappen Zeit, die zur Verfügung steht, muss ich einen Weg finden, es etwas zusammenzufassen. Ich werde also einige Unterschiede zwischen den bereits vorhandenen Konzepten herausarbeiten, wobei ich mich auf ein paar Fragen konzentrieren möchte, die so wichtig sind, dass sich ihnen alle stellen müssen, die solche Konzepte erarbeiten - auch deshalb, weil sich von den Antworten, die dann gegeben werden, doch entscheidende Unterschiede der Konzepte und teilweise auch weitreichende Folgerungen ableiten.

Initiation und Aktion

Ich fange mit einer ersten Frage an: Es gehört zu den inzwischen vorherrschenden Überzeugungen derer, die in der neuen Richtung tätig sind, dass Bürgerbeteiligung nur gelingen kann, wenn sie nicht nur von den Bürgerinnen und Bürgern getragen wird, sondern auch von der kommunalen Verwaltung und, jedenfalls mehr oder weniger, mehrheitlich von den Mitgliedern des Rats. Dementsprechend lässt sich überall eine trialogische Tendenz feststellen, soll heißen: Ein Bürgerbeteiligungskonzept wird auf kooperativem Wege gemacht unter Beteiligung maßgeblicher Vertreter aller drei Gruppen: der Bürgerinnen und Bürger, der kommunalen Verwaltung und der kommunalen Politik, und man geht konsensuell vor - man verständigt sich im Grundsatz über ein sinnvolles Konzept der Bürgerbeteiligung, ohne dass der eine oder die andere den anderen immer nur zu bremsen versucht und das Ganze am Ende verwässert wird.

In einigen Kommunen wurde durch Ratsbeschluss ein paritätisch besetzter Arbeitskreis zu diesem Zweck gebildet, mit gewissen Unterschieden, die vor allem bei der Frage deutlich werden, welche Bürgerinnen und Bürger man eigentlich in einen solchen Arbeitskreis hinein nimmt. In Heidelberg z.B. hat man, als es um die Frage ging: Welche Bürgerinnen und Bürger sollen in so einen Arbeitskreis hinein?, an die großen zivilgesellschaftlichen Organisationen gedacht, also an Sportvereine, an Kirchen und Stadtteilvereine. Diese Entscheidung war aber keinesfalls die einzige, die möglich war. Beim Blick auf die kommunalen Konzepte zeigt sich, dass es auch andere Vorstellungen gibt, so zum Beispiel die, Vertreterinnen und Vertreter von Bürgerinitiativen in einen solchen Ausschuss einzubeziehen, oder auch zufällig ausgewählte (geloste) Bürgerinnen und Bürger - ein ganz anderer Ansatz. Es gibt also schon an diesem ersten Punkt eine ganze Reihe von unterschiedlich gelagerten Vorstellungen und Wegen. Natürlich hat jede Kommune - das gilt auch für die weiteren Punkte, die ich ansprechen werde - immer die Vorstellung, dass ihre Position die allerbeste ist. Das ist auch ganz normal, würde ich sagen, es spricht auch für Identifikation mit dem, was man macht. Aber inwieweit das nun tatsächlich so ist und die Kommune dann bei ihrem spontanen Vorgehen wirklich das Optimum erzielen kann, ist natürlich eine ganz andere Frage und setzt auch Diskussion und Evaluierung voraus, Dinge, die in dieser Tagung später noch Platz greifen sollen.

So oder so sind an der Konzeptentwicklung zunächst immer nur relativ wenige Personen beteiligt. Daran anschließend drängt sich die nächste Frage auf, ob und wann die breitere Öffentlichkeit denn an einem solchen Prozess teilnehmen soll. Auch diesbezüglich sind die beteiligten Kommunen durchaus nicht einer Auffassung. In Heidelberg wurde diese Aufgabe, die Öffentlichkeit am Prozess der Leitlinienentwicklung zu beteiligen, auf mehreren Wegen und in verschiedenen Ebenen und Phasen verfolgt. Es gab Offenlegungsphasen, die im Rahmen größerer Veranstaltungen stattfanden. Der Arbeitskreis selbst tagte in einem großen Saal, in dem sich eine große Bühne befand, auf der die Stadtöffentlichkeit erscheinen konnte. Außerdem hatten alle Arbeitskreismitglieder die Aufgabe, in ihren Hintergrundgruppierungen fortwährend zu berichten und Diskussionsergebnisse in den Arbeitskreis zurückzukoppeln. In der Verwaltung bildete sich parallel ein Arbeitskreis von Amtsleitern. Wenn man die verschiedenen kommunalen Konzepte anschaut, sieht man, dass auch darüber in den beteiligten Kommunen unterschiedliche Vorstellungen bestanden und bestehen.

Der Wunsch nach lebendiger Praxis

Was wird mit der Konzeptentwicklung überhaupt angestrebt? Geht es um fachübergreifende Verbindlichkeit oder Beratung?, heißt diese Frage. In Städten wie Mannheim oder Essen gibt es zwar auch Leitsätze oder Grundsätze für die Bürgerbeteiligung, die aber, streng genommen, nur Empfehlungscharakter haben und die sich mit Angeboten für die Beratung und Unterstützung der Fachbereiche von zentraler Stelle aus verbinden. Was Bürgerbeteiligung konkret bedeutet, wird eigentlich in den Fachbereichen entschieden, die diesbezüglich ihre ganz eigenen Wege verfolgen können, ohne dass sie jemand zunächst daran hindern will. In einer Reihe von anderen Städten ist dies aber ausdrücklich nicht der Fall. Zum Beispiel hat die Koordinierungsstelle der Bürgerbeteiligung der Städte Bonn, Duisburg und Heidelberg den Auftrag, in allen Fachbereichen an der Umsetzung fachbereichsübergreifender Leitlinien mitzuwirken, denen eine grundsätzliche Verbindlichkeit für alle Fachbereiche mit auf den Weg gegeben wird, die durch eine entsprechende Satzung des Rats oder einen Ratsbeschluss fundiert sind.

Natürlich besteht jetzt, realistisch betrachtet, auch unter solchen Umständen für die einzelnen Dezernate oder Fachbereiche immer noch ein sehr großer Bewegungsspielraum. Den bemerkt man vielleicht zunächst gar nicht, wenn man noch mit der Entwicklung von Leitlinien beschäftigt ist. Aber hinterher, wenn die Umsetzung los geht, wird das sofort klar. Leitlinien allein können noch keine lebendige Praxis der Bürgerbeteiligung hervorzaubern. Es bedarf hierzu eines aktiven Umsetzungswillens aller Beteiligten, auch der verschiedenen Dezernate und Fachbereiche. Dem, was sich entwickelt, wird jeder Fachbereich, je mehr er sich engagiert und beteiligt, umso mehr auch ein eigenes Gepräge geben können. Hierzu kann auch im Einzelfall gehören, dass sich ein Fachbereich auf den Standpunkt stellt, eine bereits etablierte Praxis der Bürgerbeteiligung dann möglichst auch aufrechtzuerhalten und nicht einem neuen Konzept zu opfern. Das sind Realitäten, mit denen man rechnen muss, an denen auch ein solcher Prozess nicht scheitern darf. Eine Koordinationsstelle wäre wohl schlecht beraten, wenn sie Fachbereiche zwingen würde, gute Verfahren der Bürgerbeteiligung, an denen sie hängt, zu ändern, nur um Einheitlichkeit zu gewährleisten. Allerdings wird eine Koordinationsstelle, die ihre Aufgabe ernst nimmt, Wert darauf legen müssen, dass in einer Kommune nicht allzu unterschiedliche Umsetzungspraktiken entstehen, weil dies die Bürger verunsichern müsste. Bürger wüssten dann womöglich nicht mehr, was mit Bürgerbeteiligung gemeint ist. Eine Toleranzschwelle für fachbereichsspezifische Besonderheiten wird man aber in jedem Fall als normal anzusehen haben, zumal sich ja das, was in den Fachbereichen konkret laufen kann, schon von den Projekten her entscheiden wird, um die es im Einzelfall geht.

Eine Frage, die eine grundsätzliche Bedeutung hat: Soll den Bürgern und Bürgerinnen vor allen die Einbringung eigener Projekte ermöglicht werden oder die Beteiligung an Projekten der Kommune? Die Antwort auf diese Frage scheint nicht schwierig zu sein, denn im Prinzip soll Bürgerbeteiligung natürlich beides gewährleisten. In der Praxis sehen die Dinge allerdings nicht ganz so einfach aus. Bei frühen Beteiligungskonzepten, wie sie zum Beispiel vor einer Reihe von Jahren in Filderstadt (Stuttgart) entwickelt wurden, ging es primär darum, die Projektinitiativen der Bürger von der Kommune her zu unterstützen und sie dann auch in die kommunale Agenda zu integrieren. Umgekehrt liegen die Dinge beispielsweise in Heidelberg, wo der Nachdruck eindeutig auf der Beteiligung der Bürger an den Projekten der Kommune liegt. Es wird hierbei von der empirisch gut gesicherten Erkenntnis ausgegangen, dass der Geburtsort neuer Vorhaben in erster Stelle bei der Verwaltung und in zweiter Stelle beim Rat liegt. Man kann davon ausgehen, dass daran auch eine noch so intensiv entwickelte Bürgerbeteiligung kaum etwas ändern kann. Eine Engführung der Bürgerbeteiligung auf Projekte, die von Bürger/innen eingebracht werden, würde, von daher gesehen, einem Ausschluss der Bürgerinnen und Bürger von der großen Masse der in der Stadt laufenden Projekte gleichkommen. Der ganze Strom der Dinge, die von der Kommune her von Amts wegen oder durch politischen Beschluss in Gang gesetzt wird mit einem Hintergrund von Investoren usw., würde dann an den Bürgern vorbei laufen. Das ist, wenn Sie so wollen, eine Art von Stellungnahme meinerseits zu dieser Frage, zu der es natürlich sehr unterschiedliche Auffassungen gerade unter den Innovatoren und Aktivisten dieser neuen Bewegung gibt. Es geht in einer Stadt wie Heidelberg, wenn ich das richtig sehe, auch in einigen anderen Städten wie Wolfsburg oder Bonn, primär darum, den Bürgern den Zugang zu den Dingen, die entscheidungswichtig sind, zu ermöglichen. Dazu gehört dann auch bereits der informatorische Zugang über die Vorhaben, wie er in Heidelberg, aber auch inzwischen in anderen Städten, gemacht wird.

Voraussetzungen der Partizipation

Wie vollzieht sich die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger an der Entscheidung darüber, in welchen Fällen Bürgerbeteiligung überhaupt stattfindet? Grundsätzlich befinden sich in einer mittleren bis größeren Kommune immer relativ zahlreiche Projekte in der Pipeline, die auch für Bürgerbeteiligung in Frage kommen. Die erste Voraussetzung dafür, dass Bürgerbeteiligung stattfindet, ist also eine ausreichende Information der Bürger über die bestehende Möglichkeit. Die zweite Voraussetzung, deren Erfüllung keinesfalls selbstverständlich ist, ist ein ausreichendes Interesse der Bürger und Bürgerinnen. Die dritte Voraussetzung besteht darin, dass dann ein vorhandenes Interesse auch aktiv in Beteiligung umgesetzt wird. Je mehr Erfahrungen man mit der Umsetzung hat, desto besser weiß man, dass diese Dinge nicht immer so laufen, wie man sich das vorstellt.

Im Fall Heidelberg stehen aktuell achtzig bis hundert Projekte in der Vorhabenliste, und von ihnen ist knapp die Hälfte schon vom jeweils zuständigen Fachamt mit dem Vermerk "Mit Bürgerbeteiligung" versehen. Die faktische Problemlage stellt sich also im vorliegenden Fall anders dar, als gern angenommen wird. Überraschenderweise gibt es einen ganz erheblichen Erwartungsdruck seitens der Verwaltung gegenüber den Bürgerinnen und Bürger. Dieser Erwartungsdruck wird natürlich nun in verschiedenen Kommunen unterschiedlich groß sein. Die Situation in Heidelberg hat sicher einen gewissen Hintergrund, auf den ich hier nicht eingehen kann. Wenn man aber fragt: Was spielt denn dafür eine Rolle, dass ein solcher Erwartungsdruck in der Verwaltung entsteht, dann wird man finden, dass erstens die Entschlossenheit der Verwaltungsspitze zur Durchsetzung des Bürgerbeteiligungskonzepts eine entscheidende Rolle spielt. Zweitens wird man ins Kalkül zu ziehen haben, dass eine Rolle spielt, welche Chancen sich auch das einzelne Fachamt ausrechnet, wenn es sich für die Bürgerbeteiligung stark macht - das geht bis zu der Frage, wie viel Personalvermehrung sich ein Amt von einem Beteiligungsverfahren erwarten darf.

Angesichts weit geöffneter Arme der Stadt machten die Heidelberger Bürgerinnen und Bürger bisher von den in den Leitlinien angebotenen Möglichkeiten zur Einforderung zusätzlicher Beteiligungen wenig Gebrauch. Natürlich verhalten sich die Kommunen auch unterschiedlich großzügig beim Angebot solcher Möglichkeiten. Am weitesten geht hier vielleicht die Stadt Bonn, die es in ihren Leitlinien jedem einzelnen Einwohner freistellt, einen entsprechenden Vorschlag einzubringen. Hier spielt allerdings § 24 der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen eine Rolle, in dem ausdrücklich steht, dass jeder das Recht hat, sich einzeln oder in Gemeinschaften mit anderen schriftlich mit Anregungen oder Beschwerden in den Angelegenheiten der Gemeinde an den Rat oder an die Bezirksvertretung zu wenden, und dann als Antragsteller registriert zu werden mit dem Recht, auch Antwort von der Verwaltung zu erhalten. Das ist natürlich sehr weitgehend, und man darf sich fragen, ob damit das Optimum noch getroffen ist. Das sage ich ganz bewusst, um nicht nur eine Stimmung der garantierten Gemeinsamkeit zu verbreiten.

Beteiligung als Prozess verstehen

Wie werden Bürger und Bürgerinnen für die Beteiligung an dem einzelnen Vorhaben gewonnen? Mit dieser Frage kommt nun endlich die Bürgerbeteiligung selbst, so wie sie alltäglich läuft, ins Blickfeld. Vorweg kann festgestellt werden, dass sich im Gegensatz zu einer früher vorherrschenden Praxis in letzter Zeit die Begleitung von Vorhaben durch Bürger über die gesamte Dauer eines Vorhabens hinweg durchgesetzt hat. Das ist die Leitvorstellung, der man heute im Allgemeinen doch folgt, obgleich sie noch relativ neu ist und vor einigen Jahren praktisch noch unbekannt war. Man denkt heute inzwischen Bürgerbeteiligung grundsätzlich prozesshaft. Bürgerbeteiligung ist keine Einmalbeteiligung, keine One-shot-Beteiligung, wie es im amerikanischen Schrifttum heißt, sondern sie ist etwas Prozesshaftes, weil der Entscheidungsprozess in den Verwaltungen, um die es gewöhnlich bei Projekten geht, auch prozesshaft haft ist und weil man Bürgerbeteiligung insofern nicht als einen einmaligen Akt denken und vollziehen kann. Das hat man früher gemacht, und dann war man erstaunt darüber, dass die Verwaltung oder die Stadt hinterher dann doch etwas ganz anderes gemacht hat. Frühzeitige Bürgerbeteiligung war ja sowieso schon lange Trumpf aufgrund § 3 des Baugesetzbuches; aber was dann hinterher passieren konnte, haben wir in Stuttgart 21 gesehen.

Wie dies gehandhabt wird, ist aber auch wieder unterschiedlich. Als durchgängige Gemeinsamkeit und Standard hat sich durchgesetzt, dass sich die Prozesshaftigkeit der Beteiligung niederschlägt in wiederholten Einladungen von Bürgern zu aufeinanderfolgenden Veranstaltungen. Auch hier gibt es Unterschiede, die zunächst gar nicht wichtig erscheinen, auf die man aber achten muss, weil sie das, was passiert, und den Ausgang von Bürgerbeteiligungsprozessen sehr stark mitbestimmen können. In einigen Kommunen wird in Kauf genommen, dass jeder, der will, zu einer Veranstaltung kommen kann, wenn es eine Serie von Veranstaltungen gibt, um ein Projekt zu bearbeiten, und dass das jeweils wechselnde Personen sein können. In anderen Kommunen wird das nicht akzeptiert, sondern wird davon ausgegangen, dass die Bürger und Bürgerinnen, die sich beteiligen wollen, am Anfang eine Art von Versicherung abgeben, dass sie dem Prozess fortlaufend bewohnen wollen, so dass sie als 'hauptamtliche Bürger' an einem solchen Prozess teilnehmen.

Anschließend an diesem Punkt gibt es auch Unterschiede hinsichtlich der Sicherstellung von Repräsentativität der Beteiligung. In einigen Kommunen strebt man Repräsentativität der Beteiligung an, indem man möglichst direkt die einzelnen Bürger und Bürgerinnen, die man am Tisch haben will, namentlich anspricht aufgrund von vorher erstellten Auswahllisten, andere Kommunen verlassen sich auf die Intelligenz der Selbstselektion.

Unterschiede lassen sich überdies bezüglich der Entscheidung für diese oder jene Veranstaltungsformen feststellen. Ein Thema für sich, das ich im Augenblick nur mit ein paar Worten erwähnen kann. Was wird überhaupt gemacht? Wie macht man die Bürgerbeteiligung? Mit welchen Methoden? Wenn man sich fragt, warum es diese Unterschiede gibt, warum in einem Projekt vor allem runde Tische gemacht und in anderen Projekten ganz andere Veranstaltungsformen gewählt, dann sieht man, dass es oft einfach die Gewohnheiten und Vorlieben der Moderatoren sind, die tätig werden. Ungeachtet aller im Hintergrund stehenden Gemeinsamkeiten wird also die Bürgerbeteiligung unvermeidlicherweise höchst unterschiedliche Erscheinungsbilder entwickeln, was ihrer Qualität aber keinen Abbruch tun muss.

Konflikte und Konsens

Eine letzte Frage, die ich noch aufwerfen will: Wie wird mit Konflikten umgegangen? Bürgerbeteiligung zielt grundsätzlich auf konsensuelle Ergebnisse. Es ist Standard, dass den Bürgern und Bürgerinnen die Möglichkeit zur freien Meinungsäußerung und zur aktiven Mitwirkung und Einflussnahme gegeben wird. Für den Fall, dass Meinungsverschiedenheiten auftreten, denen mit normaler Diskussionstechnik nicht beizukommen ist, sind Moderationstechniken vorgesehen. Aber was passiert dann, wenn diese Moderationstechniken nicht fruchten? Dann bleibt in der Regel nur der Verweis auf die Entscheidung des Rates, wobei es natürlich sehr darauf ankommt, dass der Rat in eine ausreichende Kommunikation mit dem Prozess gebracht ist. Wenn der Rat dem Projekt und den Beteiligten fremd gegenübersteht, dann kann in dem Augenblick, in dem er so etwas auf den Tisch bekommt, Überraschendes entstehen, was die Bürgerinnen und Bürger, die viel Zeit und Energie investiert haben, unter Umständen entmutigen mag.

Das ist ein schwieriger Punkt, an dem es auch breiten Spielraum für unterschiedliche Verfahrensweisen der einzelnen Kommune gibt: Die Sicherung einer ausreichenden Kommunikation zwischen den kooperierenden Gruppen ist ein problematischer Punkt, der intelligenter Lösungen bedarf, die sehr unterschiedlich sein können.

Es wird an dieser Stelle besonders deutlich, dass die gewählten Mandatsträger bei allen diesen neuen Ansätzen, die der aktuellen Welle der Bürgerbeteiligung zuzurechnen sind, die letztentscheidende Instanz sind. Unabhängig davon, wie sie sich nennen, sind alle diese Ansätze konsultativ. Wir machen zwar Bürgerbeteiligung und verstehen diese Bürgerbeteiligung auch als ernsthafte, massive, folgenreiche Beteiligung an öffentlichen Entscheidungen. Aber alle diese Ansätze sind doch in diese große Schublade 'konsultative Ansätze' einzuordnen. Welchen konkreten Beitrag sie dann im Einzelfall dazu leisten können, dass Entscheidungen entstehen, die auch die Wünsche der Bürger wiedergeben, das hängt von einer Vielzahl von Einzelentscheidungen ab, für die es in den einzelnen Kommunen unterschiedliche Gestaltungsansätze bietet.

Ich bin in diesem Vortrag etwas ins Konkrete gegangen und habe Sie damit hoffentlich nicht allzu sehr gelangweilt. Es ist zentral zu sehen, wie wichtig diese Fragen am Ende sind, die man zunächst noch gar nicht im Blick hat, wenn man sich nur mit dem Gedanken der Bürgerbeteiligung annähert Wie wissen noch wenig über die Frage, wie wirksam die einzelnen Ansätze sind, die man in den Kommunen finden kann. Wir wissen genau, dass sich da noch einiges an Einsichten, auch an kritischen Einsichten vollziehen muss, die teilweise dann aus der Umsetzungspraxis, auch in Verbindung mit Evaluierungsprozessen sich ergeben, die aber sicherlich auch in sehr starkem Maße gefördert werden können durch Veranstaltungen wie diese, die wir heute und morgen haben. Deshalb ist also den Veranstaltenden, den Initiatoren und Organisatoren dieser Veranstaltung für diese Tagung herzlich zu danken.