Die Angst der AKP vor einem zweiten Gezi

Ein Demonstrant im Gezi Park, Istanbul September 2013
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Das letzte, das die AKP will, sind demonstrierende Bürger/innen wie im vergangenen Jahr

Die türkische Regierungsspartei AKP hat Angst. Es gärt wieder in der türkischen Gesellschaft. Und die pro-kurdische HDP zeigt, wie eine Politik der Toleranz aussehen kann.

Vergangene Woche tönte der stellvertretende türkische Ministerpräsident in die Mikrofone, man könne die Demokratische Volkspartei (HDP) auch verbieten. Ach ja? Diese Woche hieß es, man werde zwar das Recht auf Demonstrationsfreiheit respektieren, aber den Aufruf der HDP zu den Demonstrationen für Kobane am 1. November, den nicht. Logisch, oder? Dann donnert es aus der AKP, die HDP sei für die über vierzig Todesfälle während der Proteste vor ein paar Wochen verantwortlich. Hat man denn nun etwa die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit der HDP übertragen?

Man spürt ihn förmlich, den Angstschweiß, der aus den Poren der AKP-Politiker hervortritt, sich auf ihrer Stirn zu immer größer werdenden Angstperlen ansammelt, um dann in einem feinen Rinnsal den Hals hinter zu laufen und von dem schneeweißen, steif gebügelten Hemdkragen ihrer Putz- und Ehefrauen aufgesogen zu werden.

Woher kommt diese Angst? Was steckt dahinter? Seit den Gezi-Protesten führen Protestaktionen auf den Straßen zu hektischen Reaktionen: Man befürchtet, ein zweites Gezi könnte entstehen. Denn auch wenn es so scheint, als hätte die AKP die Gezi-Proteste ohne allzu große Blessuren hinter sich gelassen, auch wenn die Wahlergebnisse erneut einen Sieg der AKP bescherten, auch wenn die AKP weiß, dass das Ergebnis von Staatspräsident Erdogan kein Traumresultat ist und Gezi in der Gesellschaft tiefe Spuren hinterlassen hat - es gärt in der Gesellschaft und niemand weiß, wann die wie Hefeteig immer weiter wachsende Protestblase erneut platzen wird. Bei den Gezi-Protesten waren die Kurden noch relativ zurückhaltend. Doch vielleicht wird beim nächsten Mal alles anders.

Hohn und Spott für den "Weißen Palast"

Insofern schlägt die AKP derzeit wild wie ein am Boden liegendes Tier um sich. Sie fletscht die Zähne… Doch sie kann kaum beeindrucken und macht zudem immer mehr Fehler. Zu drohen, die Friedensverhandlungen einzustellen, würde ihr letztes Projekt kaputt machen, mit dem der Präsident die nationale und vor allem internationale Öffentlichkeit blenden wollte.

Die gigantischen Ausmaße des Präsidentensitzes namens „Weißer Palast“ (Weißes Haus ist doch rein begrifflich einem Staatspräsidenten der Türkei nicht würdig) ernteten allseits nur Hohn und Spott. Wer keine „inneren Werte oder Größe habe, brauche eben derartige gigantische Gebäude“, hieß es. Egal, was die AKP auch macht, sie wird nicht geliebt.

Dann kommen diese Kurden mit Konzepten von religiöser und ethnischer Toleranz, die sie auch noch praktisch in ihren Kommunen umsetzen. Sie drucken Broschüren in den Sprachen der Minderheiten, nicht nur der Kurden. Während die AKP nur plaudert von Öffnung gegenüber Aleviten und anderen religiösen Minderheiten, setzt die HDP es in ihren Kommunen in konkrete Politik um. Jetzt steht auch noch der 100. Jahrestag des Genozids an den Armeniern bevor. Während die AKP bemüht ist, ihre nationalistische Klientel bei der Stange zu halten, und daher nicht richtig weiterkommt mit der Annäherung an die Armenier/Armenien, hat die HDP längst schon begonnen, sich mit ihrem Teil an dem Genozid auseinanderzusetzen.

Heimliche Sympathie für den "IS"

Fast schon Mitleid erregt es, wenn die AKP sich in der „Frauenfrage“ versucht und die HDP von dieser Seite herausfordern will. Aus dem Nichts hat vergangene Woche eine AKP-Abgeordnete (natürlich eine Frau, damit es überzeugend wirkt) der HDP bescheinigt, dass die HDP-Frauen sich von ihrer Natur entfernen. Was das sollte, was damit gemeint war, weiß bis heute niemand. Eine größere Bruchlandung kann man kaum machen, Spott und Hohn nicht nur aus den Reihen der HDP, der Frauenbewegung, auch weiter Teile des AKP-Spektrums.

Eine AKP, die sich bis heute schwer damit tut, sich klar und deutlich gegen IS zu positionieren (nicht nur mit Lippenbekenntnissen, sondern mit einer Politik, die der nicht geringen klammheimlichen Sympathie in der Türkei gegenüber IS eine klare Absage erteilt) sollte insbesondere zu Zeiten, in denen IS Frauen massenhaft vergewaltigt, versklavt und verkauft, nicht auch noch die Rolle von Frauen der HDP thematisieren. Sie kann nur verlieren.

Und sie verliert nicht nur punktuell, das Bild der neuen Türkei wird immer mehr zu einer Fratze verzerrt. Die Fehler der AKP häufen sich, die Politik wird immer skurriler – dies zeigt sich an Form und Inhalt, wie eben dem weißen Palast.