Mit "The Look of Silence" ist Joshua Oppenheimer ein berührender Film gelungen, der Zivilcourage vorlebt. Die Laudatio von Katrin Schlösser auf den Gewinner des 30. Friedensfilmpreises.
Guten Abend, meine Damen und Herren.
Wenn es um den Friedensfilmpreis geht, dann stellt uns, die Jury, jeder einzelne Bestandteil des Worts Frieden- Film- Preis vor Fragen. Frieden ist definiert als ein heilsamer Zustand der Stille, der Abwesenheit von Störung, besonders von Krieg. Jeder von uns muss Frieden immer wieder neu erringen, auch in kontroversen Diskussionen. Nehmen Sie kontrovers bitte wörtlich. Neun Jurymitglieder treffen sich nach tagelangen Sichtungen, von den Filmen berührt, erschüttert, manchmal auch verärgert, emotional aufgeladen am Runden Tisch der Heinrich-Böll Stiftung: „Ein bunter und meinungsstarker Haufen“, um unser Jurymitglied und Blogger Martin Zint zu zitieren, mit einer „Vielzahl von Perspektiven auf den selben Film“.
An dieser Stelle gebührt unserer Moderatorin Ulla Gorges von der IPPNW (Die internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges e.V.) Dank. Sie schwenkt, gleichsam auf neutralem Boden, da sie ganz bewußt keinen der Filme auf der Berlinale sieht, die Fahne friedfertiger Streitkultur. Sie achtet darauf, gemeinsam mit Karin Lenski von der Heinrich-Böll-Stiftung, der wir ebenfalls danken, dass wir das Ziel nicht aus den Augen verlieren: Den Friedens-Film-Preis zu bestimmen.
Damit sind wir beim Friedensfilmischen: Jeder von uns bringt durch seinen Beruf Kategorien in die Diskussion ein, die er an einen preiswürdigen Film anlegt. Da geht’s um das Thema, um die offensichtliche Handlungsebene und um darunter liegende Erzählstränge. Für welche Gestaltungsmittel – Kamera, Licht, Ton, Montage - hat sich der Filmemacher entschieden und warum? Wir sprechen auch darüber, wieso uns manche Filme stärker berühren als andere. Wodurch Wirkungen hervorgerufen werden und: dass nicht jede Emotionalität ein Ausweis von Qualität ist. Wer emotional aufgewühlt ist, fühlt sich schnell „im Recht“.
Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ein Film, der in mir starke Gefühle ausgelöst hat, mit der eigenen, ganz persönlichen Geschichte zu tun hat. Meinen Kollegen in der Jury läßt der Film aber kalt. Filmegucken hat etwas Biographisches.
Im Lauf unserer Diskussionen um die Findung des Preisträgers stellen wir unsere eigenen Wahrnehmungen in Frage. Wir erweitern unsere Positionen. Dabei gewinnen wir alle einen anderen Blick auf die Filme. Es ist ein Vorgang des Zuhörens und Zulassens.
So finden wir den Preisträger.
Meine Damen und Herren, dieses Jahr vergeben wir den 30. Friedensfilmpreis an den Dokumentarfilm:
------„THE LOOK OF SILENCE“-------
Wir tun das in Hochachtung für den Regisseur Joshua Oppenheimer, der 1974 in Texas geboren wurde. Seine Kurz- und Dokumentarfilme sind vielfach ausgezeichnet. In ihnen beschäftigt er sich seit über zehn Jahren vor allem mit den blutigen Aspekten der indonesischen Geschichte – mit Milizen, Todesschwadronen und ihren Opfern.
Nach „The Act of Killing“ ist „The Look of Silence“ Oppenheimers neuester Film über die Grausamkeiten des indonesischen Militärs nach dem Putsch von 1965. Mehr als eine Million Menschen, Gewerkschafter, Plantagenarbeiter und Intellektuelle wurden als „Kommunisten“ willkürlich umgebracht. Verbrechen, gegen die Menschlichkeit, die weder aufgearbeitet noch geahndet wurden.
Manche Täter von damals sind noch an der Macht. Die Angst, die sie verbreiteten und verbreiten, ist bis heute fühlbar. Die Killer leben als Väter und Großväter, Tür an Tür mit den überlebenden Opfern und den Angehörigen der Ermordeten. Ihre Taten werden „totgeschwiegen“, man meidet einander.
Eine bis heute anhaltende Propaganda macht die Opfer bis heute für das, was ihren Angehörigen angetan wurde, verantwortlich. Lügen decken die Wahrheit zu. Nach wie vor infiltriert Propaganda die Kinder in der Schule und versetzt sie systematisch in Angst. Angehörige von Opfern gelten als „unrein“, der Umgang mit ihnen als gefährlich – bis heute. Für sie wird jeder Gang an die Gräber ihrer Angehörigen zur Mutprobe.
In seinem Film „THE LOOK OF SILENCE“ nimmt Oppenheimer die Perspektive der Überlebenden ein. Der vierundvierzigjährige Adi, zwei Jahre nach der Ermordung des Bruders geboren, befragt die Mörder zu ihren Taten. Das ist in Indonesien bis heute ein höchst gefährliches Unterfangen.
Adi ist von Beruf Optiker. Während er die Sehschärfe der früheren Killer ermittelt, stellt er ihnen Fragen nach ihren Erinnerungen und ihrer Verantwortung – Erkundungen, an denen wir teilnehmen. Der Film findet dafür starke Bilder. Er berührt.
Wir halten „The Look of Silence“ vor allen anderen für friedensfilmpreiswürdig, weil er mit seiner vorgelebten Zivilcourage weit über das in Indonesien Geschehene hinausweist. Adi stellt seine einfach wirkenden Fragen mutig und gefasst. Ihm gelingt es, uns miterleben zu lassen, wie das gesellschaftliche Tabu des Schweigens aufbricht. Selbst einzelne Mörder bzw. ihre Angehörigen erkennen, dass auch sie vom Schweigen erlöst werden wollen. Dass auch sie Versöhnung suchen und brauchen.
„The Look of Silence“ zeigt uns Heilung dadurch, dass Täter und Opfer ihr Schweigen über das Unrecht brechen.
Adi stellt seine einfach wirkenden Fragen mutig und gefasst. Auf die Antworten der Täter reagiert Adi auch mit Schweigen. Mit Stille, die das Gesagte wirken lässt - nicht zuletzt bei dem, der geantwortet hat. Wir erleben mit, wie das gesellschaftliche Tabu des Schweigens aufgebrochen wird. Mörder bzw. ihre Angehörigen erkennen, dass auch sie vom Schweigen erlöst werden wollen, auch sie Versöhnung suchen und brauchen.
„The Look of Silence“ ist ein Film über die Abgründe menschlicher Grausamkeit und über die hoffentlich ebenso große Fähigkeit zur Versöhnung. Die tödliche Stille lässt sich durch Nachfragen überwinden. Das öffnet Opfern und Tätern die Chance zum Weiterleben.
Berlin, 15. Februar 2015