Wenn die Kohlekonzerne kommen, droht der lokalen Bevölkerung Umsiedlung und Repression. Freiwillige Standards helfen wenig. Ein Kapitel aus dem Kohleatlas.
Bergbauunternehmen werden häufiger als andere Industriezweige mit dem Vorwurf konfrontiert, die Menschenrechte zu verletzten. John Ruggie, von 2005 bis 2011 UN-Sonderbeauftragter für Menschenrechtsverletzungen durch Wirtschaftsunternehmen, gab bekannt, dass sich 28 Prozent aller Beschwerden gegen Bergbau- und Erdöl-/Erdgasfirmen richteten. Bei der Kohleförderung unter Tage, so die Betroffenen, seien insbesondere die Sicherheitsvorkehrungen und die Arbeitsbedingungen unwürdig. Bei den Tagebauen wird Ruggie zufolge moniert, dass das Menschenrecht auf Nahrung und Wasser verletzt werde und die Menschen nicht ausreichend gegen erzwungene Umsiedlungen geschützt seien.
Wegen des Kohletagebaus verlieren sie Ackerland, Weiden und Jagdgebiete. In Mosambik haben Unternehmen aus Brasilien, Großbritannien und Indien zwischen 2009 und 2012 mehr als 2.500 Haushalte umgesiedelt. Diese erhielten unfruchtbares, wasserarmes Land, auf dem sie kaum noch Nahrungsmittel produzieren können. Ein weiteres Problem ist das Grubenwasser, das hochgepumpt und unbehandelt abgeleitet wird. Durch die gelösten Salze aus dem Erdinnern kann es vollkommen unbrauchbar und noch zusätzlich mit Maschinenöl kontaminiert sein. So droht es, das Grund- und Oberflächenwasser einer Region zu verschmutzen.
In Bangladesch sind durch die geplante Phulbari Coal Mine im Nordwesten des Landes 130.000 Menschen von der Umsiedlung bedroht. 220.000 Menschen müssen fürchten, kein sauberes Wasser mehr zu haben. Seit der Veröffentlichung der Pläne demonstrieren Bewohnerinnen und Bewohner der Region gegen das Vorhaben. 2006 töteten die Bangladesh Rifles, eine paramilitärische Gruppe, drei Menschen und verletzten über 100 weitere. Jedes Jahr erinnern Aktivistinnen und Aktivisten an die Opfer. 2012 verbot die Regierung dort Versammlungen von mehr als vier Personen, um die Bewegung einzudämmen.
In Kolumbien, Indonesien und Südafrika, so die Vorwürfe, lassen Unternehmen ihre Anlagen durch brutale Sicherheitskräfte schützen. Sie gehen mit Gewalt gegen Beschäftigte und protestierende Anwohnerinnen und Anwohner vor. Deren Widerstand wird kriminalisiert, um ihm die Rechtfertigung zu nehmen und ihn zu schwächen. Aktuelles Beispiel: Angehörige von drei Gewerkschaftern, die 2001 in Kolumbien von Paramilitärs ermordet wurden, werfen dem US-Konzern Drummond vor, die Täter als Sicherheitskräfte engagiert zu haben. Bis heute verneint der Konzern seine Verantwortung und hat sogar Anfang 2015 den Anwalt der Opfer in den USA verklagt.
Oft sind indigene Völker vom Bergbau betroffen, etwa in Russland die Teleuten und Schoren. Die Siedlungen der beiden sibirischen Turkvölker sind von Tagebauen umgeben. Staub und Abwässer haben ihre Jagd- und Fischfanggründe zerstört. In Kolumbien wehren sich die Gunadule gegen das gleiche Schicksal, nachdem die Regierung Konzessionen für den Abbau von Kohle an ein südkoreanisches Unternehmen vergeben hat. Konsultationen mit Vertretern der örtlichen Bevölkerung gibt es nicht. Und wenn sie im Vorfeld eines Projektes stattfinden, ist den Ergebnissen nicht zu trauen. Die Versprechen, das Land zu rekultivieren, können sich als unhaltbar herausstellen. Im indischen Jharkhand, wo Steinkohle im Tagebau gewonnen wird, wurden die einstigen Ackerböden zwischengelagert, um später wieder ausgebracht zu werden. Doch nach sechs Jahren hatten sie ihre Fruchtbarkeit vollständig verloren.
Im Kohlebergbau sterben die meisten Menschen, weil Sicherheitsstandards und Arbeitsnormen nicht eingehalten werden, ebenfalls ein Verstoß gegen die Menschenrechte. Obwohl der Bergbau nur etwa ein Prozent der weltweit Beschäftigten ausmacht, steht dieser Sektor für acht Prozent der tödlichen Arbeitsunfälle. Längst nicht alle sind offiziell erfasst, erst recht nicht die in den illegalen Kohleminen Chinas, Kolumbiens und Südafrikas.
Die Staublunge ist eine weltweit anerkannte Berufskrankheit, aber Russland, Indien und Südafrika veröffentlichen keine Zahlen über Betroffene. Das Gesundheitsministerium in China meldete im Jahr 2010 genau 23.812 Neuerkrankungen an, die Hälfte davon durch den Kohlebergbau verursacht. Eine internationale Forschungsgruppe untersuchte weltweit 260.000 Fälle von Personen, die an Staublunge gestorben waren; 25.000 konnten auf den Einsatz als Kohlebergarbeiter zurückgeführt werden. Bei den nicht tödlichen Verläufen sind viele Missstände bekannt. Erkrankte können nicht mehr arbeiten, und den betroffenen Familien droht Armut. Zwar gibt es einen rechtlichen Anspruch auf Entschädigung durch die Minenbetreiber, doch er muss von einem Arzt bestätigt werden. Selbst dann erfolgen in vielen Fällen die Zahlungen nicht, nicht schnell genug oder nicht in ausreichender Höhe.
Viele Bergbauregionen gehören zu den ärmsten Gebieten ihres Landes, auch in den Industrieländern. In den Appalachen, einem Höhenzug im Osten der USA, liegen Armuts- und Sterblichkeitsrate im Steinkohlerevier deutlich höher als außerhalb. Untersuchungen in mehreren Bergbauländern zeigen, dass Bergbau in erster Linie einer kleinen, meist städtischen Schicht nützt, während die ländliche Bevölkerung unter dem Abbau leidet. Armut führt auch zu Kinderarbeit in Kohleminen. In den 15.000 Anlagen im indischen Bundesstaat Jharkhand arbeiten 400.000 Kinder unter oftmals menschenunwürdigen Bedingungen.
Bergbauunternehmen reagieren durchaus auf die Vorwürfe. Der Verband ICMM, eine Organisation der 21 weltgrößten Bergbauunternehmen, hat Leitlinien für die Achtung der Menschenrechte und der Rechte indigener Völker veröffentlicht. Gegen brutales Sicherheitspersonal wendet sich eine Selbstverpflichtung von neun Staaten, 28 Unternehmen und zehn Nichtregierungsorganisationen. Einige Konzerne verbessern die Gesundheitsversorgung und die Infrastruktur. Aber bisher fehlt es in vielen Ländern an der Möglichkeit oder dem Willen des Staates, den Beschäftigten und der lokalen Bevölkerung den wichtigsten Schutz zu garantieren – Rechtssicherheit.