Näherinnen in der Armutsfalle

Garment workers receiving food during lunch time Cambodia
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Mittagspause in einer Fabrik in Kambodscha

Die kambodschanische Textilindustrie bietet zwar viele Arbeitsplätze für Frauen. Ihre Arbeit in den Fabriken trägt allerdings nicht zur Gendergerechtigkeit bei – im Gegenteil.

90 Prozent der knapp 700.000 Beschäftigten im kambodschanischen Textilsektor sind Frauen. Ein Drittel aller Kambodschanerinnen zwischen 19 und 24 Jahren arbeitet in den Sweatshops in und um Phnom Penh. Immer wieder werden Fälle von Minderjährigen berichtet, die entgegen dem Gesetz gegen Kinderarbeit in den Fabriken arbeiten, um ihre in Armut lebenden Familien zu unterstützen. Textilien machen mit 80 Prozent den Hauptteil der kambodschanischen Exporte aus. Doch die Arbeit in den Fabriken trägt weder zur Emanzipation noch zur Gendergerechtigkeit bei.

Zwar haben Frauen in den vergangenen Jahren verstärkt die Möglichkeit gehabt, Arbeit in der schnell wachsenden und globalisierten Textilindustrie aufzunehmen. Doch finden sie sich in einer Situation von Schutzlosigkeit wieder, die mit mangelnder Anerkennung in der Gesellschaft und fehlendem Zugang zu Dienstleistungen verknüpft ist. Frauen, die fernab des eigenen Hauses und ohne Kontrolle der Familie einer Arbeit nachgehen, verstoßen gegen den kambodschanischen Ehrenkodex für Frauen, Chbab Srey, der bis heute den Mädchen beigebracht wird.

Gerade Frauen in ländlichen Regionen werden in eine Zwickmühle gezwungen: Sie werden von den Aussichten auf ein regelmäßiges Einkommen angezogen und von den in Armut lebenden Familien zur Arbeitsaufnahme nach Phnom Penh geschickt. Doch in den Sweatshops finden sie sich in geschlechtergetrennten Gesellschaftsstrukturen wieder, die die angenommene Minderwertigkeit von Frauen manifestieren.

In der Textilindustrie werden Frauen auf die Arbeitsplätze verwiesen, für die nur geringe Bildung vonnöten ist und die dadurch schlecht entlohnt sind. Gemäß dem Armutsbericht der Weltbank verdienen Frauen in der kambodschanischen Textilindustrie bis zu 30 Prozent weniger als Männer. Bei einer 6-Tage-Woche mit regelmäßig angeordneten Überstunden bleibt den Frauen keine Zeit und Möglichkeit für berufliche Weiterbildung. Benötigen die Frauen kurzfristig mehr Geld, z.B. wenn in der Familie ein Krankheitsfall auftritt, dann müssen sie sich bei Kreditinstitution Geld mit bis zu 25 Prozent Zinsen ausleihen. Bis heute ist die kambodschanische Regierung nicht gewillt, gegen diese Wucherzinsen vorzugehen.

Immer wieder kommt es zu Streiks in der Textilindustrie, weil jede Erhöhung des Mindestlohns von der Inflation aufgefressen wird. Anfang 2014 kam es zu einer blutigen Niederschlagung des Streiks. Fünf Arbeiter wurden erschossen, ein Jugendlicher ist bis heute vermisst. Niemand wurde für die tödlichen Schüsse zur Rechenschaft gezogen.

Der monatliche Mindestlohn ist ab Januar 2016 für die Arbeiterinnen und Arbeiter der kambodschanischen Bekleidungsindustrie nur um 12 US-Dollar auf 140 erhöht worden. Völlig unzureichend, wie Gewerkschafterinnen meinen, unter ihnen Yorn Sophorn, die sich für einen Mindestlohn von 177 US-Dollar einsetzt.

Frauen sind auch die Hauptleidtragenden, wenn es zu Unfällen auf dem Arbeitsweg kommt. Da sie oft über keine eigenen Transportmittel verfügen, fahren sie zu Dutzenden auf LKW gedrängt zur Arbeit. Bei Unfällen in Abend- und Nachtstunden kommt es daher immer wieder zu Todesfällen von Näherinnen.

Firmenleitungen bieten Frauen ganz bewusst nur befristete Arbeitsverträge an, weil sie somit die Kosten für den Mutterschutz umgehen können: Schwangeren Frauen wird einfach der Arbeitsvertrag nicht verlängert. Da die Frauen keine Krankenversicherung haben und legale Abtreibungen teuer sind, begeben sich viele schwangere Frauen in halblegale und illegale Gesundheitszentren und gehen damit ein beträchtliches gesundheitliches Risiko ein.

Frauen tragen somit die Hauptlast der wirtschaftlichen Entwicklung in Kambodschas Textilindustrie. Dass ihre eigene Situation sich dadurch verbessert, muss allerdings bezweifelt werden.