Ein Hoch auf Randsportarten

Many sports icons icluding football icon Marta have played in the Maracanã stadium.
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Das Maracanã-Stadion ist eines der berühmtesten Stadien der Welt. Viele große Athletinnen traten hier in den letzten Jahren in Wettbewerb, so auch die brasilianische Fußballikone Marta

Game Over. Das war Olympia: Sexistische Berichterstattung, Burkini und Bikini, Zwangsouting. Aber vor allem ein Fest der randigsten Randsportarten und ihrer Fans. Ein queer-feministischer Rückblick.

Because it´s 2016 oder: Weil sie es kann

Am 22. Mai 2010 kommentierte erstmals eine Frau im TV live ein Fußballspiel des Nationalteams der Männer. Mittlerweile haben wir 2016: Genug Zeit, sich daran gewöhnt zu haben, sollte man meinen. Aber auch bei Olympia sorgte die Tatsache, dass Claudia Neumann Männerfußball kommentiert, für Shitstorms. Das ZDF reagierte auf empörte Fragen, wie das sein könne, angemessen knapp: „Weil sie es kann“. Es geht um Leistung, nicht um Geschlecht. Wenden wir uns also dahin, wo Optimierung noch möglich ist, zum Beispiel zum Hockey. Bei Olympia schauten wir auch mal Sportarten, die wir nicht kennen. Umso mehr waren wir auf eine fachkundige Kommentierung angewiesen. Beim Penalty-Schießen des Hockey-Halbfinales offenbarte sich, was im Fußball an der Tagesordnung ist: Béla Réthy kommentierte das Offensichtliche („Jetzt schießt sie. Sie muss treffen“). Währenddessen lautete die dringende Frage vorm TV-Bildschirm: Wie oft wird geschossen? Wo bleiben die Informationen?

„Wer rettet Béla Réthy?“, wurde diesen Sommer bereits diskutiert. Beim Hockey-Halbfinale gab es zum Glück Antwort. Der Spezialist als sidekick beantwortete die fachlichen Fragen. Warum nochmal kommentierte Béla Réthy? Weil er gerade in Rio war? Klar, bei Olympia müssen Reporter_innen auch Sportarten kommentieren, die sie nicht so gut kennen. Es gab viel zu tun. Sport lief nicht nur im TV, sondern in unzähligen Streams. Zum Glück. Niemand war vor der Mattscheibe dazu verdammt, immer dorthin geschalten zu werden, wo Schland gerade Medaillen gewann oder verlor. Jede_r konnte dem eigenen sportlichen Interesse folgen, zum Beispiel zum BMX-Rennen. Bei den Vorläufen verwies der Kommentator darauf, dass dieser Sport für ihn nicht Alltag sei, er sich aber stetig um Professionalität bemühe. Und dann bedankte er sich in der Abmoderation für Hinweise aus dem Publikum sowie für Interviews mit Athlet_innen, durch die sich sein know how ständig erweitere. So geht´s doch auch!

Noch 500 Jahre bis zur Gleichberechtigung

Sportredaktionen sind laut der feministischen Medienwissenschaftlerin Johanna Dorer  „letzte männerbündische Bastion“. Michael Schaffrath, Sportjournalismus-Forscher an der Technischen Universität München hatte 2011 dazu folgende Zahlen: Im Jahr 1993 gab es 7,3 Prozent Sportjournalistinnen. Ihr Anteil erhöhte sich bis 2004 auf 11,3 Prozent. Im Verband der Deutschen Sportjournalisten waren 2007 8,9 Prozent weibliche Mitglieder organsiert. 2011 waren es rund ein Prozent mehr: „Damit bleibt die Frauenquote im Sportressort deutlich unter dem Durchschnitt des Frauenanteils im deutschen Journalismus allgemein, der rund 37 Prozent beträgt.“[i]

Männerbastionen haben Folgen. 2005 untersuchte eine Studie die Häufigkeit der Darstellung von Sportlerinnen im Vergleich zu Sportlern in Bezug auf drei US-Sender. 1989 waren es 5 Prozent Sportlerinnen, nach einem Zwischenhoch dann wieder 6,3 Prozent in 2004. Um die Geschwindigkeit zu verdeutlichen, fasst Dorer folgendermaßen zusammen: „Bei einem gleichbleibenden Tempo dieser Entwicklung würde es noch 504 Jahre dauern, bis Sportlerinnen gleich häufig wie Sportler in der Medienberichterstattung vorkommen.“ Nun, dann wären es jetzt nur noch 493. Aber halt: Bei Olympia herrscht Gleichberechtigung. Schließlich gibt’s hier Männer- und Frauensport in weitestgehend gleichen Anteilen.

Doch Gleichberechtigung in der Quantität heißt ja noch nicht Gleichberechtigung bzw. Qualität des Berichtens. Sexismus der Sport-Berichterstattung wurde öfter erforscht. Worte wie Bilder sind geprägt durch „Verniedlichung, Trivialisierung, Infantilisierung und Sexualisierung“. Diesbezüglich hatte auch Olympia 2016 einiges zu bieten. Das Magazin Edition F hatte neben einer Auswahl von Patzern auch einige Tipps zusammengestellt, wie es beim nächsten Mal besser klappt. Nummer 1: „Thematisiere das Geschlecht, wenn es relevant ist, zum Beispiel, wenn du über Geschlechterdiskriminierung sprechen willst – zum Beispiel über die schrottige Art, wie Medien über Frauensport berichten – oder eben auch nicht.“ Und zum Schluss: „Athleten sind Athleten. Wenn dir Sport etwas bedeutet, schreibe über Sport. Wenn dir Geschlechtergerechtigkeit etwas bedeutet – schreibe über Sport.“ Klingt zunächst einleuchtend, Sport ist Sport. Heißt das aber auch, Sport ist NICHT Politik?

Just sports? That´s politics

Sport ist nicht unpolitisch. Korruption, Doping, Bilder-Kontrolle, damit lokale Proteste im TV nicht zu sehen sind. Das IOC tut alles, um den Schein zu wahren. Es wird noch nicht mal mit der Frage belästigt, ob Athlet_innen an einen verstorbenen Trainer mit etwas schwarzem Stoff am Trikot erinnern dürfen. Politische Statements sind unerwünscht: The show must go on.

Das muss (und kann) Mensch alles ausblenden und Spaß haben auf dem Sofa. Auf keinen Fall ausblenden wollen wir: Sport macht Geschlechterpolitik. „Athleten sind Athleten“? Die Frau, die Athletin ist, steht immer schon im Dilemma, antagonistische Rollen – Athletin-Sein und Frau-Sein – verbinden zu müssen. Nina Degele spricht vom „Dilemma von Weiblichkeit und Professionalität“.

Männer- und Frauensport ist mittlerweile gleich(berechtigt) viel, aber nicht unbedingt dasselbe. Die Disziplinen rhythmische Sportgymnastik und Synchronschwimmen gehören exklusiv den Frauen. Frauen turnen an vier Geräten, Männer an sieben. Am Boden turnen sie beide, wenn auch verschieden. Frauen mit Musik und tänzerischem Ausdruck, Männer ohne. So stellt man heute Geschlechter her. Das hat Geschichte.

Der moderne Sport ist männlich. In ihm bekommt der moderne bürgerliche Mann einen Körper. Moderne Weiblichkeit ist dagegen dadurch gekennzeichnet, dass der weibliche Körper immer schon ein Körper im Dienste der Nation ist. Immer wenn Frauen sich einen vormals exklusiv männlichen Sport erkämpften, stand zur Debatte, inwiefern dies der eigentlichen Rolle dieses Körpers – heterosexuell attraktiver Weiblichkeit und damit Gebärfähigkeit – abträglich sei. Frauen, die sich einen männlich codierten Sport aneignen, stehen unter erhöhtem Druck, als symbolischen Ausgleich Weiblichkeit zur Schau zu stellen.[ii]

Frauen, die sich den (männlichen) Sport Stück für Stück erkämpfen: Das hat emanzipatives Potential. Mit dem Sport erkämpfen sich Frauen auch die Kleidung, die sie an sportlichen Bewegungen nicht mehr hindert.

Verhüllt oder enthüllt, aber immer Teil des Spektakels

,Verhülle dich!‘, lautet ein Imperativ für Weiblichkeit. Die Forderung kann ersetzt werden: ,Entkleide dich, aber sei makellos‘. Das Subjekt wird laut Foucault dem eigenen Körper gegenüber verpflichtet, im Körperkult wirke Macht als stimulierende Kontrolle: ,Entkleide dich ... aber sei schlank, schön, gebräunt‘.[iii]

Sport von Frauen verschiebt auf der symbolischen Ebene Ideale von Weiblichkeit. In der Sportgeschichte wurden mit Hinweisen auf die weibliche Anatomie Sport und Frauenkörper als Gegensatz ,hart vs. weich‘ konstruiert und Frauen ausgeschlossen. Mit der Verletzbarkeit der Brust steht die weibliche Gesundheit, also jene im Dienste der Nation als Mutter auf dem Spiel. Sporthosen anzuziehen war ein Akt der Emanzipation.

Die Historikerin Hietzge allerdings meint, „das ,dress‘ [betreffe] heute auch den Körper“, „die Reduktion der Kleidungsschichtung [sei] nicht als Emanzipation zu bewerten, sondern der Körper selbst [erhalte] Bekleidungsfunktion. Das nach innen verlegte Korsett der Muskulatur erlaube den Abbau der Hüllen“.[iv] Zeit, die Hüllen fallen zu lassen: Die US-amerikanische Fußballspielerin Brandi Chastain zog bei der Fußballweltmeisterschaft 1999 nach einem verwandelten Elfmeter das Trikot aus. Sie zeigte ihren Sport-BH und verharrte kniend in einer Jubelpose. Die „Geste [war] insofern innovativ, als Chastain sich damit eine traditionell als männlich geltende Geste des Triumphes und der Freude aneignete, ohne in den Verdacht zu geraten, entweder ,unweiblich‘ oder unwürdig gehandelt zu haben“.[v]

Die weibliche Aneignung der männlichen Pose ist eine innovative Geste. Gleichzeitig enthüllt sie ein neues weibliches Ideal, einen muskulösen hard body, der durch den Sport-BH geformt wird. Die Soziologin Rose verweist auf eine ,Versportung‘ und ,Entmütterlichung‘ weiblicher Körperideale in den 1990ern.[vi] Weibliche Ermächtigung durch Sport steht nicht zuletzt im ökonomischem Kontext. Bezüglich der Geste von Brandi Chastain wurde auch diskutiert, ob die Spielerin ihr Trikot absichtlich auszog, um für die Markteinführung des Nike-Sport-BH Werbung zu machen.

Der Bikini im Beach-Volleyball ist also weniger sexuelle Revolution der 1960er (vielleicht in den voyeuristischen Männerfantasien der Olympioniken, die ihn bis 2012 als Pflicht-Outfit festlegten), sondern hard body der 1990er. Und: die Vermarktung spielt wohl eine Rolle.

Was Frauen tragen sollen und was nicht, war im Kampf um den Sport immer ein Politikum – und ist es auch heute. Bis 2012 schrieb der Weltverband des Beachvolleyballs Spielerinnen vor, was und wie sie sich zu kleiden haben. Zur Wahl stand entweder ein einteiliger Badeanzug oder ein Bikini, der maximal sieben Zentimeter breit sein durfte. Eine Reform 2012 ermöglichte Frauen einen größeren Spielraum. Eine Reform, die neue Zugänge öffnete für Athletinnen, die bisher vom Beachvolleyball in Olympia ausgeschlossen waren – aufgrund der Kleidervorschriften und unabhängig ihrer Leistung.

Dabei soll sportliche Leistung bei den olympischen Spielen doch das einzige Kriterium sein, das zählt. Bisher jedoch nicht, wenn es um Beachvolleyball der Frauen ging. Aber jetzt endlich! Doch ums Spiel kann es offensichtlich nicht gehen, wenn die eine verhüllt und die andere enthüllt ist. Erstmals traten Spielerinnen im Burkini an. Die ägyptischen Spielerinnen Doaa Elghobashy und Nada Meawad spielten auch gegen die deutschen Spielerinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst. Und die deutsche Öffentlichkeit, in der gerade Landeswahlkämpfe über Frauenkörper und Burka ausgetragen werden, schaute genau hin. Das Spiel entfachte eine Diskussion im Internet. Genaugenommen nicht das Spiel, sondern die Kleidung beider Teams. Viele erlebten auf dem Sofa einen Kulturschock. Einige sahen das Aufeinanderprallen von zwei Kulturen – entsprechend waren auch die Medienbilder zum Spiel: Bikini vs. Burkini. Als stünden zwei Zivilisationen gegenüber, ein Kampf ausgetragen nicht von sondern über weibliche Körper, Symbole und Verkörperungen eines irreren Kontrasts. Die Inszenierung als „Kulturkampf“ rückt ein Stück weit wieder jene Stimmen in den Vordergrund, die ihren Akzent auf sichtbare Unterschiede setzen und ignoriert gleichzeitig die Möglichkeit, auch bei Großsportereignissen Vielfalt zu leben und zu erleben. Dabei sind Frauen* vielfältiger als ihre Kleidung und als es der Sport vorsieht.

Zu gut für eine Frau*

Zu schnell für eine Frau?, titelte das ZDF bei Olympia, um den ersten Auftritt Caster Semenyas vorzustellen.

Dieses Mal war die Frage rhetorisch gemeint und mit nein zu beantworten. Die Natur sei vielfältiger, genetische Dispositionen, die im Sport zum Vorteil werden können, würden auch anderen in die Wiege gelegt. Und so gäbe es eben Sportler_innen, die „zu klein für eine_n Basketballer_in“ seien (aber perfekt als Turner_in), oder „zu schwer, um ein_e Hochspringer_in zu sein“ (aber perfekt als Diskurswerfer_in). Entsprechend perfekt sei eben Caster Semenya für die 800-Meter.

Unser Lai_innen-Ohr war positiv überrascht. Seit der Berichterstattung zur Leichtathletik-WM 2009 in Berlin schien das ein Quantensprung. Aber Luft nach oben ist wohl immer: So sehen die Expert_innen von Triq e.V. die Olympia-Berichterstattung. Der Verein bietet  Medienarbeiter_innen Hilfestellung, damit es bei der Berichterstattung über Trans*Inter*Queer-Themen mit weniger Klischees und Diskriminierung klappt.

Nach 2009 wurde Caster Semenya zu einem Geschlechtstest gezwungen. Es wurde eine Testosteron-Obergrenze eingeführt, Semenya musste in folgenden Rennen mit Androgen-Blockern laufen (und war nicht langsamer). Doch 2015 wurde das Urteil einkassiert, eine indische Sportlerin hatte wegen Diskriminierung vor dem internationalen Sportgerichtshof geklagt. Nun darf Semenya wieder ohne Blocker laufen. 2016 gab es den Olympia-Sieg.

Geschlechtstests gehören zur Geschichte des Frauen*sports. Tests sollen die Teilnahme von Männern an Frauenwettbewerben verhindern, da sie unfair im Vorteil wären. Caudwell bemerkt bezüglich diesen Tests, die das wahre Geschlecht von Sportler_innen feststellen sollen, „maybe the concern is not so much that men will masquerade as women, but that women will no longer masquerade as women“.[vii] Weiblichkeit ist Maskerade.

Die Geschichte von Frauen* im Sport erzählt davon, dass natürliche Zweigeschlechtlichkeit, die Sport so demonstrativ zur Schau trägt, hergestellt werden muss. Wo genau am oder im Körper die binäre Differenz festgemacht wird, verschiebt sich im Laufe dieser Geschichte. Gerade auch im Sport wird das, was jeweils als weiblich oder männlich gilt, immer erst hergestellt und ist deshalb auch hier veränderbar. Judith Butler verwies z.B. auf Martina Navratilova. Zu Beginn ihrer Karriere wurde spekuliert, ob da überhaupt eine Frau spiele. Später aber wurde sie zur neuen Tennis-Ikone, die eine veränderte Art Tennis zu spielen populär gemacht hat. [viii]

Sportlichkeit bedeutet eine Bedrohung heteronormativer Weiblichkeit. Diese kulturelle Angst durchzieht auch den homosozialen Raum Männersport.

Ehrlicher Journalismus statt Grindr

Im Sport liegt die Wahrheit nicht (nur) auf dem Platz, sondern wahlweise unterm Trikot oder in der Umkleidekabine. Die homosozialen Räume des Sports mögen zum Blick durchs Schlüsselloch animieren. Daneben ging allerdings dieser Enthüllungsjournalismus: Ein heterosexueller US-amerikanischer Journalist legte sich ein Profil auf der schwulen Dating-App „Grindr“ zu und recherchierte under cover im Olympischen Dorf. Stolz berichtete er danach von Kontaktaufnahmen und beschrieb die (nicht geouteten) Sportler so, dass sie leicht zu erkennen waren. Die Plattform The Daily Beast hatte den Artikel bereits zurückgezogen und sich entschuldigt. Aber hey: das ist kein Grund für die taz, nicht noch nachzulegen. Der Tenor des Autors: Naive Sportler seien schlechte Vorbilder und stünden quasi in einer Reihe mit Doping-Sündern. Was von diesem „Selber schuld“ zu halten ist, brachte ein Artikel auf den Punkt. Das Private ist Politisch. Aber folgt daraus, das Private (des anderen) auch zu veröffentlichen? War Zwangsouting nicht mal für jene vorbehalten, die in Machtpositionen sind und/oder sich homophob äußern? Der taz-Autor wirft den Kritiker_innen Paternalismus vor. Gegenfrage: wie wärs mit queer-feministischen Perspektiven statt Moralismus?

Statt Zwangsouting zu feiern, könnte man über Heterosexualität schreiben. Z.B. über die spezifische Blindheit des männlichen Expertenblickes: Männer sehen die Ästhetisierung männlicher Sportkörper nicht. Diese Blindheit für das Spektakel der Männerkörper hat Strategie. Nicht sehen, verschweigen: das verweist auf das Tabu der Homosexualität. Auf die Angst vor sexualisierten Blicken in der Öffentlichkeit der Arena, oder die Angst vor dem closet, der gleichgeschlechtlichen Intimität der Kabine. Wer über seine Homosexualität nicht in der Öffentlichkeit redet, solle auch keinen Sex haben? Wer sich versteckt (glaubt, sich verstecken zu müssen), hat hoffentlich (trotzdem) ganz viel Sex und Spaß! Keine Ahnung, ob die Geouteten Repressionen fürchten müssen. Aber hey: MANN muss schon unglaublich hetero sein, wenn man es für eine Sensation hält, dass die homosozialen Räume des Sports auch Orte sein können, an denen sich Athlet_innen womöglich sexuell näherkommen.

Statt über die Moral von Nicht-Geouteten zu fantasieren, könnte man über die schreiben, die schon out sind. Ein Blick auf die Liste schwuler und lesbischer Sportler_innen hilft. Diese Liste wurde während Olympia übrigens auch ohne Zwangsouting länger. Eine Story wert war ein Heiratsantrag nach einem Rugby-Spiel. Auch eine Story wert, wenn auch weniger romantisch: Die frisch geoutete brasilianische Judoka Rafaela Silva erzählte von ihren Erfahrungen mit Rassismus. So geht journalistische Arbeit. Sicher fehlen auf der Out-Liste noch ein paar Namen. Aber hey: MANN muss schon unglaublich hetero sein, um zu glauben, man mache auf Grindr ungeahnte Entdeckungen.

Die taz hatte mal eine Kolumne über randigste Randsportarten. Das ist auch in Bezug auf Olympia ein sinnvollerer Ansatz als jener abseitige Kommentar.

Weil sie es verdient

Männerfußball braucht kein Mensch“, meinte Christian Spiller in der Zeit nach dem Olympia-Sieg von Silvia Neid und ihrem Team. Olympia, das sei das Fest der Randsportarten, die in den vier Jahren dazwischen eher selten in der Hauptsendezeit stattfinden: „Die Fußballerinnen, egal aus welchem Land, gehören dazu.“

Im Fußball ist „Bochum vs. Köln – 1:0“ eine Nachricht, „Potsdam vs. Duisburg – 0:1“ eher nicht. Randsportarten sind kein Ergebnissport. Die Rezeption kann nicht auf bekannte Geschichte und Geschichten rekurrieren. Die Randsportart muss erzählt werden.

Ausgangs- und Mittelpunkt des Erzählens sind die Fans. Im Mainstream-Sport rekurrieren sie auf eine große Geschichte. Sie wird interpretiert, (um)gedeutet, mit persönlichen Geschichten konterkariert, um sich, die eigene Bedeutung als Fans, in diese Geschichte einzuschreiben. Die Randsportart ist ohne allgemein bekannte große Geschichte, wenig präsent und rezipiert. Umso so mehr sind Qualitäten wahren Fan-Seins gefordert: das Insider-Wissen und die Leidenschaft für den Sport selbst. In der Nische ist kein Fan verdächtigt, nur an großen Stars und Erfolgen interessiert zu sein.[ix]

Sport braucht Erneuerung. Über den Körper der Randfiguren wird Sport menschlich. Randsportarten und ihre Fans retten den Sport aus der Krise. Mit der Randsportart lässt sich noch von Träumen erzählen, die Sport erfüllt. Mit ihrem Weg ins Zentrum der Arena lädt Sport sich mit den Qualitäten von Protagonist_innen seiner Ränder auf. Sport erzählt immer noch gute Geschichten. Turniere und Spiele entwickeln ihre eigene Dramaturgie. Siege lassen sich nicht programmieren. Es gibt immer die Chance, dass ein_e Kleine_r eine_n Große_n besiegt. Auf dem Platz wird gekämpft und auf der Tribüne auch gelitten. Wahre Fan-Leidenschaft zeigt sich gerade auch in Niederlagen. Ein Hoch auf alle Randsportarten und Viertplatzierten! Oder um es mit den Worten eines 12-Jährigen zu sagen: „Sie hat es verdient“.

 

Dieser Artikel erschien zuerst auf der Website des Gunda-Werner-Instituts.


[i] Schaffrath, Michael (2011): Fußball-Reporterinnen: Hohe Akzeptanz bei niedrigen Bekanntheitswerten. Fachjournalist, 27-29.

[ii] Eggeling, Tatjana (2010): „Homosexualität und Fußball – ein Widerspruch?“ Unter: http://www.bpb.de/apuz/32830/homosexualitaet-und-fussball-ein-widerspruch?p=all

[iii] Foucault, Michel (1976): „Macht und Körper. Ein Gespräch mit der Zeitschrift ,Quel Corps?‘“. In: ders.: Mikrophysik der Macht. Über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin. Berlin. S. 105-113.

[iv] Hietzge, Maud Corinna (2004): „Körperliche Erkenntnis-Empirie und Theorie“. In: Sportwissenschaft 1. S. 121-125.

[v] Junghanns, Wolf-Dietrich (1999): „Körpergegenwart: Sinnlicher Eindruck und symbolischer Ausdruck im Sport“. In: Berliner Debatte Initial 6. S. 3-21.

[vi] Rose, Lotte (1997): „Körperästhetik im Wandel. Versportung und Entmütterlichung des Körpers in den Weiblichkeitsidealen der Risikogesellschaft“. In: Dölling, Irene; Krais, Beate (Hrsg.): Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis. Frankfurt a.M. S. 125-149.

[vii] Caudwell, Jayne (2003): „Sporting Gender. Women’s Footballing Bodies as Sites/Sights for the (Re)Articulation of Sex, Gender, and Desire“. In: Sociology of Sport Journal 4. S. 371-386.

[viii] Butler, Judith (1998):  „Athletic genders. Hyperbolic instance and/or the overcoming of sexual binarism“. In: Stanford Humanities Review 6.2. S. 103-111.

[ix] Vgl. Groll, Stefanie; Diehr, Susanne (2012): Who the f*** is Abby? Die Berichterstattung zur Fußballweltmeisterschaft der Frauen 2011 und ihr Schweigen. In: Sobiech, Gabriele:  Spielen Frauen ein anderes Spiel? Geschichte, Organisation, Repräsentationen und kulturelle Praxen im Frauenfußball, S.123-138.