Das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten

Asylanträge in Deutschland

Der Bundestag entsprach einem Gesetzentwurf, wonach die nordafrikanischen Maghreb-Staaten, also Tunesien, Marokko und Algerien, als sichere Herkunftsländer eingestuft werden sollen. Somit würden Menschen aus diesen Ländern grundsätzlich als „nicht verfolgt“gelten und könnten schneller in ihre Heimat zurückgeschickt werden.

Sommer 2015: Am Münchener Hauptbahnhof kommen zig Tausende Flüchtlinge an. Die meisten aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan. Viele Deutsche empfangen sie herzlich mit Willkommensschildern und Applaus. Im ganzen Land finden sich spontan Freiwillige zusammen, um den Flüchtlingsansturm zu bewältigen. Doch die Euphorie hält nicht lange. Als klar wird, dass der Strom nicht abreißt, und die Deutschen realisieren, welche Mammutaufgabe es sein wird, all die Menschen in die Gesellschaft zu integrieren, kippt die Stimmung. Erster Tiefpunkt ist die Silvesternacht in Köln. Tausende Frauen werden begrapscht, bestohlen, belästigt. Die Zahlen sind bekannt: Über 1200 Anzeigen, 513 davon wegen sexueller Belästigung. 333 ermittelte Beschuldigte, davon stammen fast 200 aus Nordafrika. Unter ihnen sind Asylbewerber, Männer, die sich illegal in Deutschland aufhalten und Männer, deren Aufenthaltsstatus nicht geklärt ist.  

Bundesinnenminister Thomas de Maizière legt darauf dem Bundestag im Mai 2016 einen Gesetzentwurf vor, wonach die nordafrikanischen Maghreb-Staaten, also Tunesien, Marokko und Algerien, als sichere Herkunftsländer eingestuft werden sollen. Das hätte zur Folge, dass Menschen aus diesen Ländern grundsätzlich erst einmal als „nicht verfolgt“ gelten und damit schneller wieder in ihre Heimat zurückgeschickt werden könnten.

Hürden für die Änderung des Asyl-Rechts

Das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht in Deutschland. Um ein Land als sicheren Herkunftsstaat einzustufen und damit das Asyl-Recht einzuschränken, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Das Grundgesetz sagt in Artikel 16a, Absatz 3: „Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet.“ Das Bundesverfassungsgericht ging in einem Urteil aus dem Jahr 1996 sogar noch einen Schritt weiter: „In den betreffenden Staaten muss Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen.“

Damals ging es darum, dass Ghana als sicherer Herkunftsstaat eingestuft werden sollte. Das westafrikanische Land steht heute auf der Liste zusammen mit den Staaten der Europäischen Union, Senegal und den Westbalkanstaaten Serbien, Kosovo, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina, Albanien und Montenegro.

Asyl-Suchender muss beweisen, dass er verfolgt wird

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber in seinem Urteil aber auch die Freiheit gegeben, für jedes Land einzeln zu entscheiden, ob es als sicher gelten kann. Das Bundesinnenministerium verlässt sich für sein Urteil vor allem auf die Berichte aus dem Außenministerium, die sogenannten Herkunftsländerleitlinien. Die sind zwar nicht öffentlich, Auszüge daraus sind allerdings an die Presse gelangt. Die Leitlinien zeigen, dass auch das Außenministerium Zweifel daran hat, die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu machen. Über Marokko etwa heißt es darin: „Trotz des rechtsstaatlichen Rahmens gibt es immer wieder Berichte über (auch schwere) Folter und Meldungen, dass Foltervorwürfen nicht nachgegangen wird. Das betrifft vorrangig Personen im Polizeigewahrsam.“ Zu Algerien schreibt das Außenministerium: „Die Sicherheitslage bleibt problematisch; algerienweit kommt es regelmäßig zu Anschlägen von oder Schusswechseln mit Terroristen.“ Für Tunesien wird angemerkt, dass vor allem Homosexuelle Verfolgung und Strafen befürchten müssen.

Die Einstufung eines Landes als sicheres Herkunftsland schließt nicht aus, dass Menschen aus diesen Ländern Asyl in Deutschland bekommen. Allerdings ist dann die Beweislast umgekehrt, kritisieren Organisationen wie ProAsyl. Das heißt, kommt etwa ein homosexueller Tunesier nach Deutschland und bittet um Asyl, geht der deutsche Staat erst einmal grundsätzlich davon aus, dass der Tunesier nicht verfolgt wird und es daher keinen Anlass gibt, ihm Asyl zu gewähren. Der Tunesier muss nun also das Gegenteil beweisen und seine Gründe offenlegen, warum er nicht in seine Heimat zurückkehren kann. Und das innerhalb weniger Tage, denn wird der Antrag einmal abgelehnt, bleibt nur eine Woche Zeit, um gegen die Entscheidung Einspruch einzulegen.

Menschen aus Maghreb-Staaten bekommen selten Asyl in Deutschland

Schon in der Vergangenheit wurde Asyl-Anträgen von Marokkaner/innen, Tunesier/innen und Algerier/innen selten stattgegeben. Im Jahr 2016 haben etwa 8000 Menschen aus den Maghreb-Staaten in Deutschland Asyl beantragt. Nur in wenigen hundert Fällen war der Antrag erfolgreich. Alle anderen wurden abgeschoben bzw. warten auf ihre Abschiebung. Sollten Tunesien, Marokko und Algerien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden, könnten diese Abschiebungen noch schneller vollzogen werden – so das Argument der Bundesregierung.

Ein sehr schlagkräftiges vor dem Hintergrund des Attentats vom 19. Dezember in Berlin – nach der Kölner Silvesternacht der zweite Schock für die Deutschen.  

Anis Amri, ein Tunesier, rast mit einem LKW auf den Breitscheidplatz und tötet zwölf Menschen. Amri hatte in Deutschland um Asyl gebeten. Das war abgelehnt worden und er sollte zurück in seine Heimat. Doch die tunesischen Behörden haben lange die nötigen Papiere nicht ausgestellt. Amri konnte also nicht ausreisen. Wäre Tunesien ein sicherer Herkunftsstaat, hätte Amri zwar ebenfalls auf seine Papiere warten müssen. Doch das Bundesinnenministerium plant, dass Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten bis zu ihrer Abschiebung im Idealfall in sogenannten Einreisezentren bleiben. Amri hätte sich damit also nicht frei in Deutschland bewegen können.

Der Gesetzentwurf, den Bundesinnenminister de Maizière vorgelegt hat, wurde vom Bundestag angenommen. Doch nun muss er noch die Hürde des Bundesrates passieren. Der hat seine Zustimmung bisher konsequent verweigert.

 

Zum Video-Mitschnitt der Veranstaltung "Sind Marokko, Tunesien und Algerien sichere Herkunftsländer?" am 1. März 2017 (Deutsch)

Sind Marokko, Tunesien und Algerien sichere Herkunftsländer? (Deutsch) - Heinrich-Böll-Stiftung

video-thumbnailDirekt auf YouTube ansehen

Mit:
- Volker Beck, MdB, Bündnis 90/Die Grünen
- Mehdi Azdem, Direktor, Association Racines, Marokko
- Ramy Khouily, EuroMed Rights, Tunesien
- Khadija Ainani, Vorsitzende der Kommission für Migration bei AMDH (Association marocaine des droits humains)

Moderation: Dagmar Dehmer, Der Tagesspiegel