Ostjerusalem: Vernachlässigt und vergessen

Kommentar

Mit seiner Jerusalem-Entscheidung hat US-Präsident Donald Trump den Palestinenser/innen ihren Anspruch auf Ostjerusalem abgesprochen. Eine Perspektive aus Ramallah.

Ostjerusalem
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Wenn man als Besucher durch Ostjerusalem fährt, merkt man es sofort: Dieser Teil der Stadt ist deutlich vernachlässigt. Die Straßen sind voller Schlaglöcher, die Ampeln funktionieren nicht, überall liegt Müll herum, es gibt kaum Parkplätze und nur wenige Geldautomaten, die darüber hinaus meist schon um die Mittagszeit leer sind. Die wirkliche Last der Besatzung und der Ungleichbehandlung in dieser Stadt, die Israel als seine unteilbare und vereinigte Hauptstadt beansprucht, spürt man aber erst, wenn man in Ostjerusalem lebt – im palästinensischen Ostjerusalem, wohlgemerkt, nicht in einer der schicken jüdischen Siedlungen östlich der Grünen Linie die hier in den letzten Jahrzehnten entstanden sind und in denen mehr als 200.000 Siedler/innen leben.

Die Palästinenser/innen in Ostjerusalem leiden unter Armut und Arbeitslosigkeit, 80 Prozent von ihnen leben unterhalb der Armutsgrenze, es gibt kein einziges Kino, nur drei kleine und ziemlich schäbige Kultureinrichtungen und kaum Spielplätze. Die Schulen sind überbelegt und schlecht ausgestattet, es fehlen mehr als 1000 Klassenräume, die Abbrecherrate ist vor allem unter palästinensischen Jungen extrem hoch. Eine Baugenehmigung zu erhalten ist für Palästinenser in Ostjerusalem fast unmöglich, weshalb Gebäude immer illegal errichtet werden, die dann von der Stadtverwaltung abgerissen werden.

Die Bevölkerung in den Vierteln jenseits der israelischen Mauer leidet besonders unter der Vernachlässigung. Auch diese Viertel gehören zu dem von Israel annektierten und um 64 Quadratkilometer erweiterten Stadtgebiet, haben aber für die “auf ewig vereinte Hauptstadt” keine Bedeutung und sollen deswegen nach israelischen Plänen langfristig der palästinensischen Autonomiebehörde unterstellt werden. In diesen heruntergekommenen und armseligen Vierteln wird keine Post zugestellt und staatliche Dienstleistungen wie Schulen und Gesundheitseinrichtungen, Strom-, Wasser- und Telefonversorgung fehlen fast vollständig. Die Sicherheitslage ist prekär, denn israelische Polizei betritt diese Viertel nicht. Entsprechend hoch sind Kriminalität und Drogenmissbrauch.

Das ist die Realität für die Palästinenser/innen im vereinten Jerusalem, die seit der Eroberung vor 50 Jahren nur noch über sehr eingeschränkte Rechte verfügen. In ihrer eigenen Stadt sind sie keine Bürger mit vollen Rechten, sondern nur Einwohner/innen, die geduldet sind. Sie haben keine israelische Staatsbürgerschaft und folglich weder einen Pass noch das Wahlrecht in Israel. Diesen prekären Status können sie zudem jederzeit verlieren, z.B., wenn sie für ein Studium ins Ausland gehen. Seit 1967 haben israelische Behörden nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen mehr als 14.500 palästinensischen Jerusalemern ihre Rechte als Einwohner der Stadt entzogen.

Mit seiner Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, hat US-Präsident Donald Trump nun nicht nur den Palästinenser/innen von Jerusalem, sondern dem gesamten palästinensischen Volk seinen Anspruch auf Ostjerusalem abgesprochen – und damit auch die Zweistaatenlösung vom Tisch gewischt. Ein palästinensischer Staat, der weder über territoriale Kontinuität, noch über Außengrenzen, noch über eine Hauptstadt verfügt, ist schlicht nicht vorstellbar.

Er habe mit seiner Entscheidung nur die Realität anerkannt, sagte Trump zur Begründung. Genau das aber stimmt nicht. Die Realität der Palästinenser/innen von Ostjerusalem – rund 350.000 Einwohner/innen und damit fast 40 Prozent der Bevölkerung – hat Trump mit keinem Wort erwähnt. Er hat sich lediglich der rücksichtslosen und ethnozentrischen Illusion der israelischen Regierung angeschlossen, dass Jerusalem eine vereinte Stadt sei, auf die nur das jüdische Volk einen berechtigten Anspruch habe. Er hat sich damit über das Völkerrecht hinweggesetzt und mit der Politik all seiner Vorgänger gebrochen.

Trump hat seine Verbündeten düpiert und dem Friedensprozess den Boden entzogen. Und er hat die USA damit endgültig als Unterhändler im Nahostkonflikt unglaubwürdig gemacht. Für die Europäer/innen bedeutet das: nun bricht ihre Stunde an. Die EU ist nun der einzige Player, der in diesem Konflikt noch vermitteln kann.

 

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