Welcher Weg zur Euro-Reform?

Bericht

Welcher Weg zur Euro-Reform? Bericht zur Fachgruppe „Zukunft der Eurozone: Gleiche Währung – gleicher Wohlstand? Was ist der Preis der europäischen Einheit?“ im Rahmen der internationalen Fachtagung „Europa im Aufbruch? – Ideen für eine progressive Politik“ der Heinrich-Böll-Stiftung.

Zusammenfassung

Auf Expert/innenebene herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Euro weiter reformiert werden muss, um wirtschaftlich und politisch nachhaltig zu sein. Der genaue Reformpfad ist jedoch umstritten, insbesondere in Bezug auf konkrete Instrumente und deren politische Kommunikation. Dieser Bericht trägt Argumente aus der Fachdebatte zusammen, identifiziert Konfliktlinien, aber auch Gemeinsamkeiten und Wege zur politischen Reform, die über die Grenzen der politischen Lager hinweg gangbar scheinen.  Er argumentiert dafür, erst mehr Klarheit über die Ziele der Euro-Reformen zu erlangen, ehe deren institutionelle Ausgestaltung im Detail debattiert wird. Die Unklarheit über die Funktion der Reformen nährt Misstrauen und politischen Widerstand. Daher muss nicht das Instrument selbst, sondern das politische Ziel im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Darüber hinaus empfiehlt der Bericht, das Potenzial des EU-Haushalts zur Stärkung der Gemeinschaftswährung zu nutzen. Die aktuelle Debatte zum Mehrjährigen Finanzrahmen der EU bietet sich an, um hier neue Prioritäten zu setzen.


Am 18. Mai 2018 trafen sich auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung Expert/innen aus mehreren europäischen Ländern, um die Lage der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion zu diskutieren. Wie bewerten sie die Stabilität der Gemeinschaftswährung und wo sehen sie Verbesserungsbedarf?  

Nur oberflächlich zufriedenstellend: der Status Quo

Große Einigkeit bestand darüber, dass die Währungsunion trotz des aktuell soliden Wirtschaftswachstums weiterer tiefgreifender Reformen bedarf. Ökonomische Gesichtspunkte spielen dabei eine wichtige Rolle:  Einerseits ist die Erholung Europas nach Ansicht der Teilnehmer/innen zu einem guten Teil auf externe Faktoren wie die lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, einen schwachen Euro und einen niedrigen Ölpreis zurückführen. Andererseits ist die Erholung ungleichmäßig. Obwohl die Quote der Arbeitssuchenden in der EU durchschnittlich nur noch leicht über dem Vorkrisenniveau liegt, verbirgt sich dahinter eine hohe Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern, insbesondere im Süden Europas.

Hinzu kommen strukturelle Schwächen in der Architektur der Währungsunion: Die Volkswirtschaften des Euroraums gleichen wirtschaftliche Ungleichgewichte weiterhin nicht automatisch aus. Dazu bedürfte es entweder Transferzahlungen oder weitergehender wirtschaftlicher Integration. Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit und einseitige Kapitalflüsse, die sich in der Leistungsbilanz widerspiegeln, haben daher weiterhin destruktives Potenzial. Langfristig können sie, wie in der letzten Krise geschehen, zur übermäßigen Verschuldung mancher Länder führen. Derzeit begegnen die Mitglieder des Euroraums dem Problem, indem sie auf einen Leistungsbilanzüberschuss abzielen. Mehrere Teilnehmer/innen äußerten jedoch Besorgnis, dass ein substanzieller Überschuss der gesamten Eurozone für den Rest der Welt nicht akzeptabel sein könnte, insbesondere für die USA unter Präsident Trump.  

Auch im politischen Bereich benannte die Fachgruppe besorgniserregende Entwicklungen. Die Enttäuschung vieler Bürger/innen mit der wirtschaftlichen Entwicklung und wachsender Euroskeptizismus in den meisten Ländern wurden als Argumente dafür genannt, dass ein baldiges Handeln nötig ist. Auch die Fähigkeit des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, sein Land dauerhaft auf einem pro-europäischen Kurs zu halten, ist nach Ansicht Vieler abhängig von Erfolgen bei der Reform der Europäischen Union, wenngleich diese nicht zwangsläufig nur im Bereich der Gemeinschaftswährung erzielt werden müssen. Uneinigkeit bestand darüber, ob die Europäische Zentralbank in einer künftigen Krise ein zweites Mal als Retter des Euros einspringen kann oder ob es dazu einer politischen Autorität bedarf.

Eine umfassende Reform der Währungsunion scheint vor diesem Hintergrund zwingend nötig. Es wurde jedoch auch debattiert, mit welchen Risiken dies einhergeht. Die Reformmüdigkeit der deutschen Bevölkerung und deren abnehmende Zustimmung zum europäischen Projekt wurde dabei wiederholt genannt. Andererseits verwiesen Teilnehmer/innen auch auf Umfragen, laut denen vierzig Prozent der Deutschen die Reformvorschläge des französischen Präsidenten Macron nicht als zu weitgehend ansehen. In diesem Zusammenhang wurde von der Politik gefordert, eine konstruktive Reformagenda zu erarbeiten und eigene Vorschläge zu vertreten, anstatt nur die Vorstöße anderer Länder zu kritisieren. Insbesondere den deutschen politischen Parteien wurde diesbezüglich eine große inhaltliche Leere attestiert.  

Konflikte über Transfers und Kommunikationsstrategien

Die Notwendigkeit von Transferzahlungen spielte eine zentrale Rolle in der Diskussion. Wurden substanzielle Geldflüsse von reicheren in ärmere Regionen der Währungsunion von manchen Teilnehmer/innen als absolut unabdingbar für deren Funktionieren beschrieben, waren andere sehr skeptisch in Bezug auf deren Notwendigkeit und politische Machbarkeit. Mehrmals wurden Parallelen zu Umverteilungsmechanismen in föderalen Staaten wie den USA und Deutschland gezogen. Wer die Ergebnisse des Länderfinanzausgleichs positiv beurteilte, war tendenziell auch optimistischer, was die Wirksamkeit von europäischen Transferzahlungen angeht.

Eng verbunden mit dem Thema Umverteilung war die Diskussion über die angemessene politische Kommunikation. Einige Teilnehmer/innen waren der Ansicht, dass man die deutsche Bevölkerung aufrütteln müsse, indem man ihr die Risiken eines möglichen Auseinanderbrechens der Gemeinschaftswährung in drastischen Bildern aufzeigt und konkrete Vorschläge für Transferzahlungen öffentlich diskutiert. Auf der anderen Seite gab es Stimmen, die ein solches Vorgehen für kontraproduktiv halten und dazu rieten, Reizworte aus der Zeit der europäischen Schuldenkrise zu vermeiden. Aus dieser Sicht braucht die Reform der Gemeinschaftswährung ein Narrativ, in dessen Zentrum nicht mehr gegenseitige Vorwürfe über exzessive Verschuldung und maßlose Leistungsbilanzüberschüsse stehen, sondern eine positive Vision, die leicht verständlich darlegt, was die EU mit den erweiterten Kompetenzen und Finanzmitteln erreichen würde.  

Aus Sicht der mittel- und osteuropäischen Länder, die den Euro bisher nicht eingeführt haben, wird eine stärkere Integration des Euroraums, insbesondere über ein eigenes EurozonenBudget, als Bedrohung wahrgenommen. Manche Teilnehmer/innen sahen die Gefahr einer politischen und wirtschaftlichen Marginalisierung. Insbesondre könnte sich der Zugang zu Unterstützungsleistungen wie den EU-Strukturmitteln in Zukunft verschlechtern, wenn sich der Fokus der wohlhabenderen Länder auf die Stützung schwacher Euroländer verlagere. Dies wiederum könnte die Stimmung in der Bevölkerung gegen die EU wenden und letztendlich den Binnenmarkt in Frage stellen.  

Einigkeit bei den Themen EU-Haushalt und Staatsschulden

Ein Großteil der Fachgruppe war der Ansicht, dass ein größeres EU-Budget zur Stabilität der Währungsunion beitragen würde. Im Unterschied zu einem Eurozonenbudget würde es das Risiko vermeiden, Nicht-Euromitglieder an den Rand zu drängen. Allerdings stellte sich auch hier die Frage, wofür das Geld verwendet würde und welche Prioritäten im Haushalt gesetzt werden sollten.  

Unstrittig war in der Diskussionsrunde, dass jeder Vorschlag für höhere EU-Ausgaben oder Transferzahlungen konkret benennen muss, was das Ziel der Maßnahme ist: Soll die Wirtschaft in Krisenzeiten stabilisiert werden? Sollen soziale Härten abgemildert werden? Übernimmt die EU Aufgaben von den Nationalstaaten, die sie besser erfüllen kann als die einzelnen Mitglieder? In Bezug auf spezifische institutionelle Reformen wie den Europäischen Währungsfonds (EWF) gab es ähnliche Forderungen. Wann sollte ein EWF eingreifen? Sollte er disziplinierend oder unterstützend wirken und mit welchen Instrumenten?  

Viele Teilnehmer/innen befürworteten die Möglichkeit einer Neustrukturierung der Staatsschulden von Euro-Mitgliedern. Sehr hohe Schuldenstände in manchen Ländern wurden nicht nur als Risikofaktor im Falle einer Panik auf den Finanzmärkten identifiziert, sondern auch als Grund für eine ungleiche Machtverteilung zwischen Euro-Mitgliedern. Zementiert sich die Aufteilung in Gläubiger- und Schuldnerstaaten, wird die Währungsunion politisch brüchig. Die Teilnehmer/innen stimmten auch darin überein, dass Austritte aus dem Euro kategorisch ausgeschlossen werden müssen, da Unklarheit in diesem Punkt jede zukünftige Krise verschlimmern würde. Uneinigkeit bestand in der Frage, wie eine Verringerung der Schulden erreicht werden sollte. Manche forderten eine aktive Rolle der EZB, die Schulden aufkaufen und verfallen lassen sollte. Andere forderten ein strukturiertes Verfahren unter europäischer Aufsicht. Auch ad-hoc-Lösungen wie in Griechenland wurden besprochen.    

Obwohl die Bankenunion nur am Rande angesprochen wurde, betonten mehrere Teilnehmer/innen ihre stabilisierende Wirkung auf die Eurozone und forderten, sie durch eine gemeinsame Einlagensicherung und eine Letztsicherung („Backstop“) für den einheitlichen Abwicklungsfonds zu vollenden. Gleichzeitig wurde angemahnt, dass die Restrukturierung und Abwicklung von in Not geratener Banken trotz Zeitknappheit transparent ablaufen muss.  

Ziele statt Instrumente debattieren – der Weg zur Reform  

Trotz der diversen geografischen und politischen Hintergründe der Teilnehmer/innen lassen sich aus der Diskussion konkrete Empfehlungen für die Weiterentwicklung der Währungsunion ableiten.  

Fundamental ist die politische Kommunikation. Auf Expertenebene herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass die Gemeinschaftswährung noch immer unvollständig und krisenanfällig ist. Die bisherigen Reformen gehen nicht weit genug und aus Sicht vieler EULänder war der deutsche Beitrag zur Krisenbewältigung bislang unzulänglich. Diese Botschaft an ein breiteres Publikum in Deutschland zu vermitteln, ist äußerst herausfordernd: Erstens war die Krise hier kaum spürbar und viele Bürger/innen haben bereits heute den Eindruck, dass Deutschland seine Pflichten übererfüllt hat und eine Vorbildrolle in der Eurozone einnimmt. Zweitens darf dabei nicht der Eindruck entstehen, der Gemeinschaftswährung sei nicht mehr zu helfen und man müsse sich nun auf Schadensbegrenzung statt Weiterentwicklung konzentrieren.

Inhaltlich ist es wichtig, Prioritäten bei der Entscheidungsfindung zu setzen. Erst muss Klarheit über die Ziele der Reformen erarbeitet werden, ehe ihre institutionelle Ausgestaltung diskutiert wird. Aktuell steht eine Vielzahl von Politikinstrumenten zur Debatte, ohne dass deren Zweck vollständig klar ist. Beispielsweise herrschte innerhalb der Debattengruppe Uneinigkeit darüber, ob ein EU-Finanzminister in erster Linie nationale Haushalte disziplinieren oder europäische Gelder verteilen würde. Vorschläge wie der Europäische Währungsfonds und das Eurozonenbudget stehen vor einem ähnlichen Problem. Die Unklarheit über ihre Funktion nährt Misstrauen und politischen Widerstand. Nicht das Instrument selbst, sondern das politische Ziel muss im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Würden inhaltliche Ziele wie eine effektivere Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, eine schnellere Unterbindung von Marktpaniken oder eine bessere demokratische Legitimierung im Vordergrund stehen, bestünde mehr Flexibilität in Bezug auf die Instrumente und damit mehr Konsenspotenzial bei der Umsetzung.  

Viele Probleme der Eurozone ließen sich im Rahmen der gesamten EU angehen, was auch die Sorgen der Nicht-Euroländer berücksichtigen würde. Insbesondere das EU-Budget bietet dafür großes Potenzial. Der aktuelle Vorschlag der Europäischen Kommission für den Merhrjährigen Finanzrahmen beinhaltet bereits einen Geldtopf zur Unterstützung von Reformen und zum Ausgleich wirtschaftlicher Schocks. Dieses „Eurozonen-Budget“ steht allen EU-Mitglieder offen. Doch es ist viel zu klein, um in der Praxis etwas bewirken zu können. Das lässt sich vor allem auf den Einfluss der EU-Nettozahler zurückführen, zu denen auch Deutschland und Frankreich gehören. Sie wollen den Haushalt weiterhin auf ein Prozent des EU-Bruttonationaleinkommens beschränken. Dieses Limit bremst jede Neuorientierung des Budgets, da neue Ausgaben nur bei gleichzeitiger Kürzung anderer Bereiche finanziert werden können. Es ist außerdem unsinnig, insofern nationale Aufgaben auf die europäische Ebene verlagert werden und somit den Mehrausgaben für die EU Einsparungen in nationalen Haushalten entgegenstehen.  

Die Debatte über den EU-Haushalt darf sich aber nicht in einem Streit über das Ausgabenvolumen erschöpfen, sondern muss klar benennen, wie zusätzliche Mittel zu einer stabileren Gemeinschaftswährung beitragen könnte. Wiederum lohnt es sich, vom Politikziel ausgehend zu argumentieren. Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit können durch mehr Strukturmittel teilweise ausgeglichen werden. Gegen die mittelfristig höchst schädlichen Kürzungen öffentlicher Investitionen kann eine gemeinsame Rücklage für Krisenzeiten helfen. Alternativ könnte das Einnahmensystem so umgebaut werden, dass die Beiträge eines Landes zum EU-Budget in Krisenzeiten geringer ausfallen. Je deutlicher das Politikinstrument an seinen Zweck gekoppelt ist, desto leichter ist es den Bürger/innen zu erklären.  
Bei allen Vorzügen konkreter Vorschläge wird sich die Währungsunion jedoch mittelfristig fundamentalen Frage stellen müssen, die unterschwellig immer wieder in den Argumenten der Fachgruppe zum Ausdruck kamen: Sollen die Mitgliedsstaaten mehr Verantwortung nach Brüssel abgeben und im Gegenzug stärker gestützt werden, wenn nötig? Oder sollten sie mehr Entscheidungsfreiheit erhalten, aber im Krisenfall stärker auf sich selbst gestellt sein? Ließen sich diese beiden Prinzipien kombinieren?


Downloads (PDF)

deutsch:
Bericht zur Ergebnis der Fachgruppe „Zukunft der Eurozone: Gleiche Währung – gleicher Wohlstand?

englisch:
Report of the Expert Group Future of the Eurozone: Which path leads to a reform of the euro?