Lahya Aukongo – Eine radikal-liebende, queere femme of color

Interview

Mikael Owunna hat für seine Fotoserie zahlreiche queere, afrikanische Menschen fotografiert und interviewt. Auch die in Berlin lebende Namibierin Lahya Aukongo.

Lahya Aukongo
Teaser Bild Untertitel
Ein Foto aus der Ausstellung „Queering The Gaze“, Galerie Futura.

Wie heißen Sie, woher kommen Sie, welche Personalpronomen verwenden Sie für sich selbst, und wo verorten Sie sich innerhalb des LGBTQ-Spektrums?

Ich heiße Lahya Aukongo, komme aus Namibia und lebe in Berlin. Ich bin Poetin, Sängerin, Fotografin – das heißt, ich bin Künstlerin. Ich verwende für mich das Personalpronomen „sie“; kein Pronomen zu verwenden ist auch passend. Ich bin „queer“ und begehre „pan“. Ich bin eine erwachsene, Schwarze, von gesellschaftlicher Behinderung betroffene, neurodiverse, von unerschöpflichen Emotionen getragene, löffelzählende, queere, „big-is beautiful“ Akademikerin, Künstlerin und Aktivistin mit deutschem Pass, die zahlreiche Katastrophen überlebt hat. Eine ost, weiß und cis_weiblich, in der Mittelschicht sozialisierte, poly-liebende queer_Femme of Color mit einem Einkommen, was ab und an begrenzt und nie planbar ist. Ich bin eine politische queen mit angemessen vielen Haaren auf dem Kopf und mit einem großen Herzen.

Wie würden Sie ihren Stil beschreiben?

Ich denke mein Stil ist feminin, schrill – ein klassischer „me style“.

Was meinen Sie, in welcher Art und Weise enthält oder verbindet ihr Stil Teile ihrer afrikanischen und ihrer LGBTQ-Identität?

Für mich, als ein Mensch, der behindert, Schwarz und fett ist, also als jemand, dessen Körper nicht mit den üblichen Normen konform geht, ist Stil ein Ausdruck der Selbstermächtigung. Meine afrikanische Herkunft, Spiritualität, Tradition, Kleidung und meine Haare sind dabei ein wichtiger Faktor, denn ich mag große Ohrringe, mag Erdfarben, mag es angenehm bunt. Das ist kein Klischee, das kommt von meinen Ahnen her – das ist meine Kultur.

Ich zeige meinen Körper gerne so wie er ist, wenngleich ich versuche, ihn so vorteilhaft wie möglich zur Schau zu stellen. Queer an meinen Outfits ist, dass ich trage, wonach immer mir ist, auch oder gerade als big-is-beautiful-femme of color, denn meine Weiblichkeit drückt sich eben nicht in einem cis-heteronormativen „femme Stil“ aus. Dass sich jemand wie ich in einer dünnen, heteronormativen, weißen cis-Welt wohlfühlt, ist nicht vorgesehen, das heißt, eine solche Welt spricht mir meine Identitäten ab.

Sind Sie jemals auf Distanz gegangen zu ihrer afrikanischen oder zu ihrer LGBTQ-Identität? Und wenn ja, wie haben sie das persönlich bewältigt?

Häufig nehmen mir Menschen meine afrikanische Identität, selbst Afrikaner_innen, die mich „das deutsche Mädchen“ nennen, und entsprechend denke ich manchmal, dass ich irgendwo zwischen den Stühlen sitze. Aber das stimmt nicht. Obwohl ich in Deutschland aufgewachsen bin, bin ich 100 Prozent afrikanisch … Ich mache eben afrikanische, Schwarze Erfahrungen in der Diaspora. Naja, vielleicht bin ich zu 7 Prozent deutsch (lacht), aber nur, weil ich so gern deutsche Würstchen esse. Zusammen macht das dann 107 Prozent.

Für mich ist es eine sehr schöne, sehr tief gehende Erfahrung in einem queeren Umfeld zu leben, in einem QTBPOC-Umfeld – und das mitten in Deutschland in einem überwiegend weißen rassistischen Umfeld. Queer zu denken, Schönheit, Wissen, Erfahrungen, Macht zu definieren, Liebe „anders“ zu verstehen, an tradierten Konzepten zu rütteln, darin ist Heilung. Das sind alles Erfahrungen, die ich in einer weiß normierter Umwelt kaum bis gar nicht gemacht habe.

Als ein Schwarzer, intersektionaler Mensch muss ich mich selbst immer ein bisschen mehr lieben, als andere Menschen dies tun. Also habe ich mir gesagt, ich bin wer ich bin, sehe aus, wie ich aussehe – und entsprechend fühle ich auch und drücke mich aus. Ich suche andere Menschen, die die gleiche oder die eine ähnliche Identität haben. Ich bin auf der Suche nach einem Zuhause, das zu mir passt, und manchmal finde ich das, und manchmal finde ich das wenigstens zum Teil. Meine Liebe und meine Wut drücke ich in der Kunst aus – und dabei lausche ich den Stimmen meiner Vorfahren und meiner Schwestern und Brüder.

Wie ist ihr Verhältnis zur Familie – und was bedeutet es, dass ihre Familie Sie „akzeptiert“?

Zuerst einmal habe ich zwei Familien, nämlich meine ursprüngliche Familie in Namibia und meine deutsche Familie. Zu beiden habe ich, in Anbetracht der real existierenden Machtstrukturen, ein gutes Verhältnis. Für meine namibische Familie bin ich ein schöner, vielleicht etwas seltsamer Vogel – die Künstlerin. Sie sagen „du siehst so aus und du machst was du machst, weil du Künstlerin bist“. Meist kann ich dann tun und lassen, was ich will, und durch die sozialen Medien stehen wir in Kontakt.

In allen meinen Wandlungsprozessen stand mir meine deutsche Familie näher, und sie sind Teil meiner Erfahrungen. Sie bewegen sich manchmal nicht so rasch weiter, wie es mir lieb wäre ... aber es ist, was es ist. Wir sprechen viel über politische Themen, über Privilegien, über Intersektionalität, über Rassismus und über Diskriminierung sowie auch über ihre Ansichten zu unterdrückerischen Strukturen. Immer noch bin ich ein Teil dieser wunderbaren Familie, aber ich bin eben ein Pflegekind dieser Familie. Immer schon war ich das behinderte, körperdiverse, schüchterne, traumatisierte und künstlerisch begabte Kind dieser Familie – und entsprechend verschieden war ich. Gleich wo ich war, ich war immer verschieden.

Akzeptiert zu werden, das bedeutet für mich, dass ich zu ihnen kommen und ihnen alles erzählen kann, zum Beispiel: „Oh je, meine Beziehungen sind gerade ziemlich anstrengend“ oder „Da ist ein QTBPOC-Festival – und leider kann ich deshalb nicht zu deinem Geburtstag kommen“ oder „Jemand in der Community braucht für eine Operation finanzielle Unterstützung.“ Dann ist meine Familie da und gibt ungefragt. Sie kommen zu meinen radikalen Poesie-Performances, und sie lieben mich. Das ist alles OK. Von mir bekommen sie dafür aber nur selten eine Extrawurst.

Was würden Sie zu Leuten sagen, die meinen, LGBTQ sei „un-afrikanisch“?

Dass sie falsch liegen, dass sie kolonisiert wurden und nun ein Teil dieser kolonialistischen Strukturen sind, die sie mit solchen Aussagen stützen. Ich würde ihnen sagen: Nein, da liegt ihr falsch. Punkt. Geht in euch und überlegt, aus welcher Perspektive solche Gedanken und Empfindungen kommen. Ich erinnere mich dann immer an Audre Lordes Satz: „Die Werkzeuge des Herrn werden niemals das Haus des Herrn niederreißen.“ Wir müssen unsere Geschichten selbst erzählen.

Wie war es für Sie, am „Limit(less) shoot“ teilzunehmen?

Für mich war es so eine Art „oh je“-Erfahrung, denn als Künstlerin und als Fotografin bin ich immer auf der anderen Seite des Objektivs. Als Lahya die Privatperson werde ich ständig objektiviert, exotisiert, erotisiert, entmenschlicht.

Es hat etwas sehr Heilendes, auf der anderen Seite der Kamera zu stehen, und von einer Schwarzen Person fotografiert zu werden, von einer Person, die selbst Schwarz und queer ist und entsprechend Objektivität auf eine ähnliche Art erlebt wie ich. Anders sieht es aus, wenn eine weiße Person davon profitiert. Stets fürchte ich den Blick der Leute, und deshalb war dies eine tiefe Erfahrung für mich und etwas ganz Besonderes. Selbst fotografiert zu werden ist oft sehr unangenehm für mich, denn meist machen Leute ohne meine Einwilligung Aufnahmen von mir. Von dir gesehen, wahrgenommen, fotografiert zu werden, das war eine Erfahrung, die mich prägen wird.

Was finden Sie an Limit(less) am spannendsten?

Dass die ganze Welt daran teilhat – und dass viele Schwarze Menschen, besonders Menschen in Afrika, diese Arbeit sehen werden. Dann sehe ich es mir an, und ich denke: „Oh, diese Leute sehen aus wie ich, und ihre Erfahrungen spiegeln die Meinen.“ Besonders gern würde ich das den LGBTQQIA+-Gruppen in Afrika zeigen, denn auch wenn die Lage in der Diaspora eine ganz andere ist, können wir uns verbinden, solidarisieren und gegen die herrschenden normativen Vorstellungen kämpfen. Deshalb wünsche ich mir, dass alle Welt das zu sehen bekommt, die Menschen in Afrika, in der Diaspora und ganz besonders die afrikanischen LGBTQQIA+ – und zwar in jedem Dorf.

Wie können andere Menschen sie über soziale Medien erreichen? Bitte nennen Sie uns entsprechende Adressen.

Facebook: Lahya - Stefanie-Lahya Aukongo

Tumblr: @stefanielahya

Instagram: lahya_aukongo

 

Aus dem Englischen übersetzt von Bernd Herrmann. Im Unterschied zur englischen Fassung wurde der deutsche Text von den Beteiligten noch einmal aktualisiert und überarbeitet. 

Weitere Informationen zur Ausstellung Queering the Gaze.

 

Glossar:

„queer“: stellt als emanzipatorisch angeeigneter Begriff Heteronormativität, also Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit, in Frage. Er wird häufig als Sammelbegriff für „lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, inter*“ verwendet.

Die sexuelle Identität eines Menschen kann u.a. sein:

Cisgender: Als „Cis“ bezeichnen sich Menschen, deren Geschlechtsidentität demjenigen Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde.

Schwul: Als schwul wird die männliche Homosexualität bezeichnet.

Lesbisch: Als lesbisch wird die weibliche Homosexualität bezeichnet.

Transgender/Trans*: Als „trans*“ bezeichnen sich Menschen, die in einem anderen Geschlecht leben, als ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Oder aber sich grundsätzlich in keine Geschlechtskategorie einordnen wollen.

Bisexuell: Bisexuelle Menschen begehren Frauen und Männern gleichermaßen und können sich somit zu Personen beider Geschlechter hingezogen fühlen.

Pansexuell: Als „pan“ bezeichnen sich Menschen, die sich in der Lage fühlen, zwischenmenschliche Beziehungen, auch sexueller Art, mit Angehörigen jeden Geschlechts auszuführen – egal ob Frau, Mann, Inter, Trans* oder andere. Sie unterscheiden in ihren Beziehungen nicht nach Geschlecht bzw. Geschlechtsidentität.

Asexuell: Als „asexuell“ bezeichnen sich Menschen, wenn sie keinerlei Interesse an Sexualität haben, bzw. sich sexuell nicht durch andere Personen angezogen fühlen.

QTBPOC: - Queer und Trans und BPOC steht für die politische Selbstbezeichnung Black and People of Color

LGBTIAQ: steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Inter-Asexual, Queer