Gefahr einer schweren humanitären Krise in Nicaragua

Hintergrund

Das Centro Humboldt, nicaraguanische Nichtregierungsorganisation und Partnerin der Heinrich-Böll-Stiftung warnt vor einem drastischen Anstieg der Armut durch die politische Krise in Nicaragua und fordert internationale humanitäre Hilfe. 

Proteste in Nicaragua
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Täglich werden Proteste nach Gerechtigkeit und Demokratie durch die Polizei und parapolizeiliche Kräfte gewaltsam aufgelöst.

Nach Ausbruch der gesellschaftlich-politischen Krise in Nicaragua aufgrund der Ereignisse vom 18. April 2018 haben nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen etwa 350 Todesopfer registriert, mehrheitlich zivile Demonstrant/innen. Durchschnittlich fordert die Krise etwa alle sechs Stunden ein Menschenleben. Ein Großteil der Todesfälle geht darauf zurück, dass es öffentlichen Krankenhäusern verboten ist, Zivilisten zu behandeln, die bei Protesten verletzt wurden.

Verletzte und Festnahmen

Die Auswirkungen der von Seiten der Regierung ausgeübten Gewalt gegen die Protestierenden sind im gesamten Land zu spüren. 
Bislang wurden über 2.000 Personen verletzt dazu kommt eine noch unklare Zahl von willkürlichen Festnahmen, Entführungen durch paramilitärische Gruppen und Fälle gewaltsamen Verschwindenlassens. Diese Zahlen zeigen in den letzten Tagen eine klare Tendenz nach oben. Das lässt sich mit der starken Zunahme von Repressionen und tödlicher Gewalt seitens der regierungsnahen Kräfte erklären– darunter Polizist/innen, Sondereinsatzkommandos, parapolizeiliche und paramilitärische Kräfte sowie Anhänger/innen der Sandinistischen Jugend – und stellt einen Teil der Maßnahmen der Regierung zur Zerschlagung der friedlichen Proteste dar, die Gerechtigkeit für Ermordete, Entführte, Gefolterte und Verschwundene sowie eine sofortige Demokratisierung des Landes fordern. 

Die Folgen der Wirtschaftskrise für die Lebensbedingungen der Bevölkerung spielen ebenfalls eine Rolle. Nach Angaben der Weltbank war es im Zeitraum von 2001 bis 2016 gelungen, den Anteil der Bevölkerung in Armut in Nicaragua von 45,8% auf 24,9% zu senken; Schätzungen der Nicaraguanischen Stiftung für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt (FUNIDES) zufolge sind allerdings bis zur ersten Juniwoche 2018 etwa 131.000 Personen unter die Armutsgrenze gefallen, was vorwiegend durch den Verlust von 215.000 Arbeitsplätzen in verschiedenen Branchen zu erklären ist. 

Über eine Millionen Menschen von Armut bedroht

Wenn nicht bald eine friedliche Lösung für diese Krise gefunden wird, könnte die Verschlechterung der makroökonomischen Daten in den nächsten Monaten gravierend zunehmen. Nach Angaben der Nicaraguanischen Stiftung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung (FUNIDES) laufen derzeit 1,3 Millionen Menschen Gefahr, in Armut zu geraten, falls sie ihre Arbeit in den nächsten Monaten verlieren oder sich ihr Einkommen maßgeblich verringern sollte. Wenn diese Befürchtungen tatsächlich eintreten, wären die Verhältnisse vergleichbar mit den Armutszahlen aus der ersten Hälfte der 90er Jahre, als praktisch die Hälfte der Bevölkerung in Armut lebte. 

Bis jetzt reagierte die Regierung auf Forderungen nach Gerechtigkeit und Demokratisierung mit verschärfter Repression und dem inakzeptablen Einsatz von tödlichen Waffen gegen die Bevölkerung. Dies zeigt sich nicht nur im Einsatz von Kriegsgerät gegen Demonstrationen und friedliche Versammlungen, sondern auch in der Zunahme von willkürlichen Festnahmen, dem Verschwinden von Menschen und der direkten Einschüchterung derer, die an Protesten teilgenommen und dies über soziale Netzwerke publik gemacht haben. Derartige Aktionen werden auch gegen Journalist/innen und Medienvertreter/innen, gegen Studierende, Menschenrechtsverteidiger/innen, Vertreter/innen zivilgesellschaftlicher Organisationen und Mitgliedern der katholischen Kirche sowie der allgemeinen Bevölkerung durchgeführt. 

Internationale Intervention dringend notwendig

Die Spirale der Gewalt zeigt, dass die Regierung jegliche Aussicht auf eine friedliche Lösung der Krise aufgegeben hat, zumal die Partei FSLN um jeden Preis an der Macht festhält. Unter diesen Bedingungen entwickelt sich die politisch-gesellschaftliche Krise rasch und droht, sich zu einer schweren humanitären Krise auszuwachsen. Die jüngsten Ereignisse lassen vermuten, dass im wahrscheinlichsten Szenario die humanitäre Krise von einem hohen Grad regierungsseitiger Gewalt gegen die Bevölkerung begleitet sein wird. 

Aus unserer Perspektive ist eine humanitäre Intervention von internationaler Seite dringend notwendig. Zwar gab es bereits einige Solidaritätsbekundungen mit der nicaraguanischen Bevölkerung, doch ist der möglichst rasche Schritt der internationalen Gemeinschaft vom Reden zum Handeln unerlässlich. Wobei die dringend benötigte praktische Hilfe seitens der internationalen Gemeinschaft auf humanitärer Ebene Priorität haben sollte. Ebenfalls notwendig ist die Umsetzung der in den Berichten der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (CIDH) enthaltenen Empfehlungen. Die Umsetzung dieser Empfehlungen würde die Aggressionen des Staates gegen die Zivilbevölkerung eindämmen, was wiederum eine notwendige Bedingung für die Linderung der humanitären Krise und ihrer Auswirkungen darstellen würde.

Centro Humboldt finden Sie hier.

Übersetzung aus dem Spanischen: Christiane Quandt