Auf dem Weg zu einer grünen Ideengeschichte der liberalen Demokratie

Die grüne Ideengeschichte entdeckt die liberale Demokratie spät – heute gilt es Repräsentation gegen populistische Forderungen zu verteidigen.

Schrägansicht auf das Reichstagsgebäude und der Inschrift "Dem deutschen Volke"

1. Herausforderungen der Demokratiepolitik

Entstanden aus Bürger- und Protestbewegungen, war die Forderung nach basisdemokratischen Reformen des bestehenden parlamentarischen Systems eine zentrale Komponente grünen Politikverständnisses. Diese Forderung hat sich mit der Zeit weiterentwickelt, doch Demokratiepolitik als Teil des grünen Programms behielt eine zentrale Stellung und orientierte sich weiter an Möglichkeiten für institutionelle und gesellschaftliche Reformen im bestehenden Repräsentativsystem.

Damit ergibt sich für die Partei Bündnis 90/Die Grünen aber ein besonderes Verhältnis zu aktuellen demokratiepolitischen Herausforderungen. Auf der einen Seite lässt sich beobachten, dass bei gesellschaftlichen und politischen Vorstößen in diesem Feld – wie es sie durch die Piratenpartei in der jüngeren Vergangenheit beispielsweise gab – die Grünen unter Druck geraten, ihren Status als Reformbewegung der parlamentarischen Demokratie zu verteidigen. Auf der anderen Seite sind durch populistische Angriffe auf das bestehende parlamentarische System die ideellen Ressourcen der Partei gefordert, da sie hier – neben der ursprünglichen Rolle als Reformkraft – auch als Verteidigerin von Werten und Verfahren des bestehenden parlamentarischen Systems auftreten möchte und muss.

Ideengeschichtliche Potenziale um den politischen Herausforderungen zu begegnen

Bezüglich dieser Problemstellungen für die Partei durch aktuelle Entwicklungen und Diskussionen scheint es wesentlich, die ideengeschichtlichen Elemente der liberalen Demokratie zu erörtern, um grüne Demokratiepolitik in ihren Kontext stellen zu können. Dies soll verhindern, dass angesichts solcher, wie eben angeführter politischer Herausforderungen, von einem ideellen, demokratischen Kern losgelöste Vorschläge und Maßnahmen ins Feld geführt werden müssen, um den Status als Reformbewegung zu verteidigen, die demokratische Verfahren stärken will. Genauso sollte überzeugend den Angriffen auf wichtige demokratische Werte und Verfahren entgegengetreten werden können.

Für die Grünen als basisdemokratische Reformbewegung, wie sie sich ursprünglich demokratiepolitisch verstanden, stand der so genannte «Parteienstaat» im Zentrum der Kritik. Das Element der Repräsentation, wie es im bestehenden parlamentarischen System institutionalisiert war, wurde entsprechend kritisiert. Dies rückt die damalige grüne Position mit den erwähnten Reformvorschlägen zumindest rhetorisch in die Nähe populistischer Forderungen unserer Gegenwart und damit in ein problematisches Licht. Das geteilte Element der Positionen ist hier der (teils berechtigte) Hinweis auf die Ungenügsamkeit der repräsentativen Verfahren, das zu gewährleisten, was Demokratie ausmachen soll – eine durch die Bürgerinnen und Bürger geprägte Machtausübung.

Liberale Demokratie ist ein Konzept mit zentraler Bedeutung für grüne Demokratiepolitik

Allerdings lässt diese sehr grundsätzlich formulierte Maxime es offen, auf welche Annahmen sie sich stützt und welche Prinzipien und Verfahren für die Umsetzung von Demokratie daraus folgen. Der allseits gern formulierte Anspruch auf «mehr Beteiligung» ist daher nicht einfach mit einem Zugewinn an Demokratie gleichzusetzen. Das scheinbar einende Element – die Machtausübung durch die Bürgerinnen und Bürger einzufordern –mündet in sehr unterschiedlichen Überzeugungen. Entsprechend resultiert eine sehr unterschiedlich zu verstehende Kritik am parlamentarischen System.

Die liberale Demokratie kann aber als das Konzept verstanden werden, das eine zentrale Bedeutung für grüne Demokratiepolitik im Lauf der Zeit gewonnen hat, was die Weiterentwicklungen des Konzepts der Basisdemokratie im Laufe der Zeit deutlich ausdrücken. Denn in der liberalen Demokratie steht der Beteiligungsaspekt im direkten Verhältnis zur Einhaltung der Grundwerte bezüglich des Individuums, und die demokratische Machtausübung ist daran gekoppelt. Die Garantie der individuellen Rechte der Bürgerinnen und Bürger – im Sinne von Grundrechten – dürfen durch das kollektive Entscheidungsverfahren nicht in Frage gestellt werden.

Die Erörterung ideengeschichtlicher Aspekte liberaler Demokratie ermöglicht die Identifizierung der wesentlichen Merkmale und Abgrenzungen einer Demokratiepolitik im Verhältnis zu anderen, weniger demokratisch geprägten Reformhaltungen.

2. Liberale Demokratie als Prozess der Rechtfertigung und der Machtteilung

Das aufgrund der Kritik an ihm erwähnte Prinzip der Repräsentation ist als Element im Konzept der liberalen Demokratie verankert und lässt sich aus zwei Richtungen rechtfertigen. Die «diskursive» oder «deliberative» Richtung bezieht sich auf das «Verantwortungsprinzip».[1] Bedeutsam für dieses Prinzip ist, dass die Bürgerinnen und Bürger durch Wahl eine Auswahl treffen – eine im Verhältnis kleine Gruppe von Repräsentantinnen und Repräsentanten ist verantwortlich für die Gesetzgebung.

Durch die periodische Wiederholung stellt das Wahlverfahren einen Kontrollmechanismus bezogen auf die Entscheidungsträger/innen dar. Durch diesen Mechanismus kann Repräsentation aber eine besondere Qualität bei den demokratischen Entscheidungen erreichen. Denn die gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten müssen sich mit ihren getroffenen Entscheidungen vor den Betroffenen – den Bürgerinnen und Bürgern – verantworten.

Während bei direkt getroffenen Entscheidungen niemand den eigenen Standpunkt vor anderen rechtfertigen muss, müssen in einem repräsentativen System immer die Gesamtheit der Betroffenen im Blick bleiben und die Konsequenzen der Entscheidungen auch entsprechend bedacht werden. Die Rechtfertigung der Beschlüsse vor den Bürgerinnen und Bürgern als Betroffene rückt damit in den Mittelpunkt. Diese qualitative Unterscheidung zu direkten Entscheidungen ist auch dann zu machen, wenn davon ausgegangen wird, dass die Beteiligten der direkten Entscheidungen gemeinwohlorientierte Standpunkte haben. Denn aus einer aufgeklärten Perspektive ist ja gerade das Merkmal politischer Entscheidungen, dass es sich nicht unabhängig bestimmen lässt, was «das Richtige» im Sinne der Allgemeinheit ist. Es ist stattdessen der Kern politischer Auseinandersetzung.

Richtungen der Beteiligungspolitik in der liberalen Demokratie

Demokratie im Sinne eines diskursiven Verständnisses bedeutet eine Entscheidungsfindung, die es schafft, trotz divergierender Interessen, tiefer Überzeugungen und Weltanschauungen, welche die Standpunkte über das Gemeinwohl prägen, legitime Entscheidungen zu treffen. Legitim sind sie dann, wenn die Entscheidungen diese Diversität durch den gewährleisteten Prozess integrieren und sich vor allen Bürgerinnen und Bürgern rechtfertigen. Der Mehrheitsentscheid dient als neutrales Mittel, um einen von allen anerkannten Prozess des Beschlusses zu verkörpern. Eine einfache Aggregation von einzelnen Standpunkten durch direkten Entscheid erreicht die angestrebte Qualität aus dieser Perspektive nicht. Repräsentation ist also nach dieser Sichtweise das wesentliche Element, um den Prozess der Rechtfertigung vor allen Bürgerinnen und Bürgern zu gewährleisten.

So erklärt sich dann aber auch beispielsweise die essentielle Rolle freier Mandate in der liberalen Demokratie. Denn durch freie Mandate ist die Einbeziehung der unterschiedlichen Standpunkte in eine Entscheidung erst möglich. Die Anpassung von Standpunkten durch die Konfrontation mit anderen, abweichenden Standpunkten kann durch Deliberation im Parlament passieren und ist ein wesentliches Mittel um legitime Entscheidungen erreichen zu können.

Als zweite Richtung liberaler Demokratie mit Blick auf die Beteiligungspolitik kann die «republikanische» Richtung gelten. Dabei gewährleistet Repräsentation eine Machtteilung. Durch die Wahl von Repräsentantinnen und Repräsentanten obliegt die Gesetzgebung nicht den gleichen Personen, die diese kontrollieren. Der Personenkreis fällt auseinander. Damit ergibt sich eine Machtteilung und überhaupt erst die Möglichkeit einer Kontrolle. Denn sich selbst kontrollieren zu können ist kein adäquates Mittel im Sinne einer effektiven Ausübung von Kontrolle.

Wer regiert? Das Repräsentationsprinzip sorgt für systematische Unklarheit

Die liberale Demokratie, lässt sich sagen, arbeitet durch das Repräsentationsprinzip mit einer systematischen Unklarheit: denn die Entscheidungen der Repräsentantinnen und Repräsentanten sollen einerseits die der Bürgerinnen und Bürger darstellen und sind es effektiv aber natürlich nicht, da sie durch einen anderen, viel kleineren Personenkreis getroffen werden. Durch das Repräsentationsprinzip regieren die Bürgerinnen und Bürger in der liberalen Demokratie und regieren gleichzeitig nicht.[2] Den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern obliegt es also zu entscheiden, ob die – von anderen – getroffenen politischen Entscheidungen als die ihren gelten können.

Die Errungenschaft des Repräsentationsprinzips ist es aber somit, die Vorstellung einer Einheitlichkeit – im Sinne einer einzigen souveränen Macht – zu zerschlagen. Denn die Entscheidungen werden nicht von den Bürgerinnen und Bürgern als ein Souverän getroffen. Stattdessen unterliegen die getroffenen Entscheidungen der Repräsentantinnen und Repräsentanten den vielen einzelnen Beurteilungen dann aller Bürgerinnen und Bürger, die durch die Wahl die Kontrolle ausüben können.

Vereinheitlichungen legitimer Machtausübung sind in liberalen Demokratien problematisch

Das Prinzip der Volkssouveränität ist im Sinne von liberaler Demokratie problematisch, da es vorgibt, – analog zur absolutistischen Souveränität – es ließe sich eine Vereinheitlichung in Bezug auf legitime Machtausübung vornehmen. Dies ist aber – wie bei der «deliberativen» Linie – aus liberaler Perspektive abzulehnen. Gerade auch durch das Heranziehen des Mehrheitsentscheids wird der Mehrheitswille im Modell der Volkssouveränität verabsolutiert.

Damit ebnet das Konzept aber die Unterschiedlichkeit der politischen Standpunkte und die vielen möglichen gesellschaftlichen Konflikte ein. Stattdessen muss es darum gehen, dass diese im demokratischen Verfahren Ausdruck erhalten können, die bestehenden Strukturen hinterfragen und auf sie einwirken können. Das Prinzip der Repräsentation soll aus liberaler Sicht diese Überzeugungen in sich tragen, indem es den individuellen Standpunkten durch den Wahlmechanismus Einbringung ermöglicht, welche sich auf die für alle getroffenen – und damit vereinheitlichenden – Entscheidungen beziehen.

In diesem Sinne erhalten aber auch beispielsweise Parteien ihre Stellung in der liberalen Demokratie. Denn die Kontrolle in einem repräsentativen, parlamentarischen System durch die Wahlentscheidungen der Bürgerinnen und Bürger muss sich auf eine Gesamtheit von getroffenen Entscheidungen der ganzen Wahlperiode beziehen. Damit die Kontrolle in diesem Setting überhaupt effektiv stattfinden kann, benötigen die Wählenden aber Einheiten, die diese Gesamtheit von Entscheidungen repräsentieren und gleichzeitig eine Zuordnung der einzelnen Entscheidungen erlauben. Parteien als kollektive Akteure können diese Gesamtheit aller Entscheidungsbereiche abdecken und machen es gleichzeitig möglich, dass sie anhand der Entscheidungen in einzelnen, für die jeweiligen Wählenden relevanten Bereiche beurteilt werden.  

Gefahren durch die institutionelle Beschreibung demokratischer Verfahren

Diese Argumente für repräsentative Verfahren öffnen allerdings auch Raum für mögliche Gefahren in der liberalen Demokratie. Durch die institutionelle Beschreibung demokratischer Verfahren besteht die Gefahr, dass sich ein Verständnis durchsetzt, nachdem die institutionellen Prozesse allein den demokratischen Charakter eines Gemeinwesens sicherstellen können oder sollen. Es kann so zu einer Abkopplung der Verfahren in repräsentativen Organen von den gesellschaftlichen Konflikten und damit Kontrollmechanismen kommen. Tatsächlich funktionieren die beschriebenen Mechanismen nur und ziehen ihren Sinn aus der Verwebung mit den gesellschaftlichen Engagement und den Anfechtungen, welchen die bestehenden Strukturen ausgesetzt sind.[3]

Die beschriebene Qualität demokratischer Entscheidungen im Sinne eines «deliberativen» Verständnisses sowie das Merkmal der Machtteilung möchten gerade gewährleisten, dass die Möglichkeit dieser Anfechtungen besteht und sie ihren Weg in den politischen Entscheidungsprozess finden. Daran anknüpfend soll der nächste Abschnitt die Möglichkeiten eines Grünen Demokratieverständnisses skizzieren.

3. Grüne Demokratiepolitik als Vermittlung gesellschaftlicher Konflikte und von Verschiedenartigkeit

Als die prägnantesten Elemente grüner Beteiligungspolitik lassen sich die folgenden nennen: Trennung von Amt und Mandat, Abführung von Diäten, Rotationsverfahren, Imperatives Mandat und «Basis-Disziplin» sowie Quotierung und Gruppenrepräsentation.[4] Drei bewegungsgeschichtliche Quellen bilden den Hintergrund für diese Elemente.

Die Idee der «Graswurzelbewegung» setzt auf «spontane, inklusive und themenspezifische Zusammenschlüsse von Bürgerinnen zur gemeinschaftlichen Regelung akuter politischer Fragen». Wichtig ist dabei, dass die politische Initiative von den Bürgerinnen und Bürgern ausgeht und ein möglichst breiter Konsens erreicht wird. Alle Betroffenen eines Themenbereichs sollen direkt an der Entscheidung mitwirken, und die inhaltlichen Forderungen müssen sich in der Form der Organisation widerspiegeln.

Als zweite Linie lässt sich die der «direkten Demokratie» nennen, die sich eher an einem identitären Demokratiemodell ausrichtet. Die Einheit von Regierenden und Regierten ist hier eine wichtige Komponente. Aus Sicht dieser Vorstellung kamen die Parteien ihrer Aufgabe, den Willen des Volkes zu repräsentieren, nicht angemessen nach und Reformen sollten durch die Integration plebiszitärer Elemente und Konsenssuche im bestehenden System durchgesetzt werden.

Als dritte Strömung, aus der sich die basisdemokratischen Forderungen von Bündnis 90/Die Grünen speisten, war die der Rätedemokratie. Dieses Konzept enthält die Vorstellung eines «strikt formalen Modus der Delegation politischer Entscheidungen von unten nach oben». Es verstand sich als Alternatives Gesellschaftsmodell, in dem durch strikte Kontrolle Abgeordnete und Träger/innen von Parteiämtern dem Willen der Basis unterworfen werden. [5]

Wichtige Impulse zur Forderung von Demokratiereformen

Vor dem Hintergrund der skizzierten Eigenschaften der liberalen Demokratie lassen sich die bewegungsgeschichtlichen Strömungen grüner Beteiligungspolitik deuten. Gemäss den Beschreibungen sind die Modelle der Rätedemokratie und der direkten Demokratie gar nicht oder nur sehr eingeschränkt in ihrer reinen Form mit einem liberalen Verständnis von Demokratie vereinbar. Die Grünen Forderungen bezüglich Demokratiereformen sollten daher so verstanden werden, dass sie sich gegen die Einrichtung oder nachträgliche Abkopplung von institutionellen, repräsentativen Verfahren wenden, die eine ausreichende Verbindung und Integration der gesellschaftlichen Konflikte nicht erlauben und damit Legitimität durch effektive Mitwirkungs- und Kontrollmechanismen nicht erreichen können und die daher einer Korrektur bedürfen.

In diesem Sinne sind aus der Bewegungsgeschichte von Bündnis90/Die Grünen zwei sehr wichtige Faktoren bezüglich der Bestrebungen demokratischer Reformen zu betonen. Zum einen ist es die Strömung der «Graswurzelbewegung», welche der liberalen Demokratie immer wieder wichtige Impulse für demokratische Prozesses geben kann. Das liberale System benötigt zu den institutionellen Verfahren die Ergänzung der gesellschaftlichen Bewegungen, die ihre Anliegen anhand ihrer Betroffenheit organisieren und zum Ausdruck bringen und sich auch als Gegensätze zum staatlichen Wirken und damit den bestehenden Strukturen verstehen. Sie sind wichtige Instanzen der gesellschaftlich fundierten politischen Kontrolle, durch welche die institutionellen Kontrollmechanismen überhaupt erst effektiv werden, da sie auf die politische Willensbildung einwirken.

Zum anderen – und damit verbunden – ist es die Rolle der Parteien und ihrer Organisationsformen, welche für die liberale Demokratie von besonderer Bedeutung sind. Denn die Parteien sind Elemente in einem repräsentativen System, die dieses entscheidend prägen und denen daher die Vermittlung der gesellschaftlichen Konflikte in das politische Entscheidungsverfahren obliegt. Funktionieren diese Elemente mit ihren Willensbildungsprozessen nicht entsprechend einer wirklichen demokratischen Vermittlung gesellschaftlicher Anliegen und Konflikte, so droht das repräsentative System seine Legitimität zu verlieren.

Die Bestimmung eines Parteiprogramms ist essentieller Bestandteil liberaler Demokratie

Die Auseinandersetzung mit der Funktionsweise der Parteien in einem demokratischen, beteiligungspolitischen Sinne ist somit ein essentieller Bestandteil liberaler Demokratie, der in der Geschichte von Bündnis 90/Die Grünen verwurzelt ist. Beispielsweise erhält der innerparteilich offene Prozess zur Bestimmung des Parteiprogramms so aus Sicht der liberalen Demokratie eine zentrale Stellung, genauso wie die offene – aber dennoch geregelt geführte –  Austragung von innerparteilichen Konflikten sowie ein transparenter und beteiligungsoffener Prozess der Auswahl von Kandidatinnen und Kandidaten für Parlaments- und Parteimandate.

Urwahlen können dann ebenfalls ein effektives Mittel sein, wobei sie auch weiteren Verfahrensansprüchen – etwa einer möglichst adäquaten Abbildung der Präferenzen der Beteiligten – genügen müssen und sich nicht ausschließlich durch die Vergrößerung der Beteiligungsbasis rechtfertigen können (was schließlich auch als strategisches Mittel eingesetzt werden kann). So erscheint der absolute Mehrheitsentscheid geeigneter für den genannten Anspruch als der relative Mehrheitsentscheid und die Verwendung von letzteren kann den durch die Vergrößerung der Beteiligungsbasis angestrebten demokratischen Gewinn zunichtemachen.

Der Fokus grüner Demokratiepolitik liegt in der Stützung zivilgesellschaftlicher Akteure

Zusammenfassend sollte sich somit aber auch zukünftig der Fokus grüner Demokratiepolitik darauf richten, sich der Bedeutung außerparlamentarischer, zivilgesellschaftlicher Akteure und der Konflikte, welche diese repräsentieren – auch mit ihrer wohlmöglichen Radikalität – bewusst zu sein, ihre Stellung im politischen Prozess zu stützen und die Verbindung zu ihnen herzustellen. Gradmesser für ihre Berücksichtigung können die Überzeugungen sein, welche hinter dem Konzept liberaler Demokratie stehen: die gesellschaftliche Pluralität, die Ablehnung von dem Konzept einer Einheitlichkeit im politischen und gesellschaftlichen Sinne und damit das emanzipatorische Anliegen solcher Bewegungen.

Weiter und daran anknüpfend sollten sich die Bestrebungen darauf richten, die Prozesse der Willensbildung und der Interaktion mit der Öffentlichkeit der Parteien offen und fair zu gestalten, damit die gesellschaftlichen Anliegen und Konflikte durch die Parteien ihren Ausdruck finden können. Quotierungen könnten dann beispielsweise als Mittel gedeutet werden, informelle Machtprozesse, die zu einer Benachteiligung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen führen, zu durchschlagen.

Die Motive grüner Beteiligungspolitik erfüllen sich im Zusammenspiel von Repräsentation und basisdemokratischen Prozessen

Die skizzierten möglichen Richtungen von Beteiligungspolitik – die auf die Korrektur oder Weiterentwicklung etablierter parlamentarischer Verfahren zielen – erhalten aber durch die institutionellen Verfahren der liberalen Demokratie ihren Sinn und ihre demokratiestärkende Wirkung. Da die repräsentativen Verfahren die nötige Qualität demokratischer Entscheidungen – im Sinne einer Rechtfertigung vor den vielfältigen Standpunkten der Bürgerinnen und Bürger – sowie Machtteilung und somit eine effektive Kontrolle ermöglichen, sind sie die zentrale Komponente einer auf die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger gerichteten Politik.

Keine der genannten bewegungsgeschichtlichen Linien verkörpert alleine diese elementaren Charakteristiken von Demokratie und ihren Entscheidungsprozessen. Vielmehr können sich die Motive grüner Beteiligungspolitik – die Bindung von Entscheidungen an die Standpunkte der Bürgerinnen und Bürger und die mögliche Herausforderung bestehender Strukturen durch Initiativen der Betroffenen – in den Qualitäten der liberalen Demokratie und dem Element der Repräsentation wiederfinden. Dies immer unter den genannten Bedingungen, dass sich die institutionellen Verfahren nicht von den gesellschaftlichen Prozessen abkoppeln. Auf dieses Zusammenspiel von Repräsentation und basisdemokratischen Prozessen sollte sich grüne Demokratiepolitik ausrichten.


[1] Für das Verantwortungsprinzip vgl. Peter Graf Kielmansegg (1988): Das Experiment der Freiheit: Zur gegenwärtigen Lage des demokratischen Verfassungsstaates. Stuttgart: Klett-Cotta.

[2] Vgl. D. Runciman (2017): Political Theory and Real Politics in the Age of the Internet. Journal of Political Philosophy, 25: 3-21. S.12.

[3] Vgl. K. Meyer (2011): Kritik der Postdemokratie. Leviathan, 39(1), 21-38. S. 28-29.

[4] Vgl. Andreas Stifel (2018): Vom erfolgreichen Scheitern einer Bewegung: Bündnis 90/Die Grünen als politische Partei und soziokulturelles Phänomen. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 76-92.

[5] Für die drei bewegungsgeschichtlichen Quellen Grüner Beteiligungspolitik vgl. ebenda, S. 71-73.