In Sankt Petersburg wurden am Montag, den 8. Oktober, Heinrich Böll und Lew Kopelew mit dem Baltischen Stern in der Kategorie "Erinnerung" geehrt. In ihrem Grußwort verweist Ellen Ueberschär auf die bestehenden Herausforderungen für Verteidiger von Humanismus und Gerechtigkeit.
Das Ambiente war prunkvoll mit Marmorsäulen und Stuck, Musen-Skulpturen und Johann-Strauß-Walzer und ganz petersburgerisch: Wer aus dem Saal mit den Porträts der diesjährigen Preisträger durch die palastartigen Fenster nach Norden oder Süden schaute, sah vor allem Wasser. Zur einen Seite die Newa, zur anderen Kanäle: Das Eremitage-Theater, Schauplatz der Preisverleihung des Baltischen Sterns, war einst als Hoftheater der Zarenfamilie gebaut worden und gehört zum Gebäudekomplex, in dem auch das gleichnamige weltberühmte Museum seinen Sitz hat. Geehrt wurden hier am vergangenen Montag Menschen, die sich um die engen Beziehungen zwischen den Anrainerstaaten der Ostsee verdient gemacht haben. Die Filmregisseure Andrzej Wajda und Aki Kaurismäki, der Schriftsteller Daniil Granin, der Violinist Gidon Kremer, der Dichter Joseph Brodsky und der Ballettmeister John Neumeier gehörten in früheren Jahren zu den Preisträgern. In diesem Jahr ehrte der Baltische Stern in der Kategorie „Erinnerung“ Lew Kopelew und Heinrich Böll.
Der Baltische Stern ist 2004 zum ersten Mal als internationaler Preis für die Entwicklung und Stärkung der humanitären Beziehungen in den Ländern der Ostseeregion verliehen worden. Initiator war die Kultur-Stiftung Baltisches Internationales Festival-Zentrum. Das russische Kulturministerium und das Kulturkomitee der Stadt Sankt Petersburg gehörten zu den Unterstützern. Die Auszeichnung Bölls und Kopelews galt der Freundschaft dieser Aufrechten der Menschlichkeit, die im Zweiten Weltkrieg aufeinander hätten schießen können und in späteren Friedenszeiten für die Verständigung und Aussöhnung zwischen Russen und Deutschen und für die Menschenrechte eintraten. Es hatte symbolische Kraft, dass beide in einer Zeit zu Preisträgern erklärt wurden, in der die deutsch-russischen Beziehungen frostig sind. Zumal Lew Kopelew, der einst in der Sowjetunion in Ungnade gefallen war und mehrfach zu Lagerhaft verurteilt wurde, bis heute vielen seiner Landsleute unbekannt ist – auch, weil er an dunkle Kapitel der russischen Geschichte erinnert.
Die Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, Ellen Ueberschär, verband in ihrem Grußwort die Auszeichnung Bölls und Kopelews mit den heutigen Herausforderungen für Verteidiger von Humanismus und Gerechtigkeit: „Wir erleben, dass Menschen in Russland in ihrer Arbeit behindert und in ihrer Freiheit bedroht sind. Menschen, die sich einsetzen, um die historische Wahrheit herauszufinden oder um auf schwere ökologische Probleme aufmerksam zu machen. Heinrich Böll und Lew Kopelew würden sich zu ihren Fürsprechern machen“, sagte Ellen Ueberschär. „Aber auch in Deutschland finden zunehmend Stimmen Gehör, die die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus verharmlosen und Hass in der Gesellschaft sähen, wo Versöhnung nötig wäre. Heinrich Böll und Lew Kopelew würden mutig widersprechen.“
Für die Familie Kopelew nahm Maria Orlowa, Tochter von Raissa Orlowa, Kopelews zweiter Frau, die Urkunde und Ehrennadel entgegen. „Beide haben den fremden Schmerz als ihren eigenen gefühlt“, beschrieb sie eine besondere Eigenschaft Bölls und Kopelews, die die gemeinsame Freundschaft noch vertiefte. Heinrich Bölls Sohn René betonte die Unbestechlichkeit seines Vaters: „Gerade diese Unabhängigkeit von jeglicher Partei und politischer Richtung hat ihn gegen die Unfreiheit und Verfolgung in Ost und West vorgehen lassen. Er protestierte als einer der wenigen Schriftsteller im Westen nicht nur gegen die Verfolgung seiner Kollegen unter dem Warschauer Vertrag, sondern auch in USA-freundlichen Diktaturen in Südafrika, in Südamerika und in vielen anderen Ländern“, sagte René Böll. Seine Dankesrede schloss er mit den Worten: „Wir freuen uns, dass die Heinrich-Böll-Stiftung und die Organisation Memorial in seinem Sinne in Russland weiter arbeiten.“