Kambodscha: Urteilsverkündung im Rote Khmer Prozess

Hintergrund

Am 16.11. wurde ein Urteil im Prozess zu den Roten Khmer in Kambodscha gesprochen. Im Prozess wurde ein Rechtsgutachten der Heinrich-Böll-Stiftung Kambodscha zu Zwangsschwangerschaften in die Urteilsbegründung aufgenommen. Damit wurde dem besonderen Leid von zwangsverheirateten Frauen unter den Roten Khmer Rechnung getragen.

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Foto aus dem Tuol-Sleng-Genozid-Museum in Phnom Penh. Das Gelände ist ein ehemaliges Gymnasium, das vom Roten Khmer-Regime (1975) bis zu seinem Sturz im Jahre 1979 als berüchtigtes Sicherheitsgefängnis betrieben wurde. Tuol Sleng war nur eines von mindestens 150 Hinrichtungszentren im Land. Bis zu 20.000 Gefangene wurden dort getötet.

Am 16. November 2018 verurteilte das so genannte Rote Khmer Tribunal die Angeklagten Nuon Chea (ehemaliger Chefideologe der Roten Khmer) und Khieu Samphan (ehemaliger Staatspräsident) zu lebenslanger Haft. Sie waren schuldig befunden worden, für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen verantwortlich zu sein.

Das Urteil stellt den versuchten Genozid gegen religiöse Gruppen (Mönche, Muslime) sowie Minderheiten (Indigene, Vietnamesen/innen) in den Mittelpunkt. Darüber hinaus erwähnt es auch Zwangsarbeit, willkürliche Hinrichtungen, Folter und systematisches Verhungernlassen. Beide Angeklagten wurden zu lebenslanger Haft verurteilt. Da sie bereits 2014 zu lebenslang verurteilt worden waren, und da lebenslang in Kambodscha wirklich bedeutet, dass sie nie wieder auf freien Fuß kommen, wurden beide Urteile zu lebenslänglich zusammengefasst.

Unter der Herrschaft der sich selbst als marxistisch-leninistisch bezeichnenden Roten Khmer wurden zu Beginn der 70er Jahre ca. 2 Millionen Menschen (ein Viertel der damaligen Bevölkerung Kambodschas) umgebracht. Der Versuch, das Land in einen reinen Bauernstaat umzuwandeln, war verbunden mit Zwangsarbeit, willkürlichen Hinrichtungen, Folter und Verhungernlassen. Die klassische Familienstruktur wurde aufgebrochen, die Partei bestimmte über Heirat und forderte Frauen ultimativ dazu auf, Kinder zu gebären.

Bereits 2016 war ein Rechtsgutachten der Heinrich-Böll-Stiftung Kambodscha zu dem Ergebnis gekommen, dass der Tatbestand der Zwangsschwangerschaft ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt. Bis dahin war dieses Thema nicht aufgegriffen worden, sondern wurde allenfalls unter Zwangsheirat subsummiert. Nun erwähnte das Gericht in seiner Begründung ausdrücklich, dass der Versuch der Roten Khmer, die Bevölkerungszahlen durch Zwangsheirat und Zwangsschwangerschaft (verbunden mit Vergewaltigung) massiv zu erhöhen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt. Noch 2016 hatte das Gericht die Aufnahme dieses Straftatbestands abgelehnt. Dies bedeutet nun, dass erstmals dem besonderen Leiden jener Frauen Rechnung getragen wird, die damals unfreiwillig Kinder kriegen mussten und die zum Teil bis heute traumatisiert sind.

Die Heinrich-Böll-Stiftung Kambodscha engagiert sich seit 2014 kontinuierlich im Bereich der Vergangenheitsaufarbeitung durch Dokumentationen, Konferenzen, Jugendbildung und Research. Ein Buchprojekt gemeinsam mit dem Cambodian Human Rights Action Committee gab Opfern die Möglichkeit, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Dieses Oral History Projekt wurde inzwischen vom Tribunal in die Liste der kollektiven Reparationsmaßnahmen mit aufgenommen. In weiteren Projekten wurden zusammen mit Partnerorganisationen Praktiken der Zwangsheirat sowie das Leiden von LGBTI Menschen thematisiert und dokumentiert.  

Bei aller berechtigten Kritik am Rote Khmer Tribunal mit seinen langen Verfahren, hohen Kosten, den Vorwürfen von Korruption und der politischen Einflussnahme zeigt das heutige Urteil dennoch, wie wichtig die juristische Aufarbeitung für die Dokumentation historischer Wahrheit ist. Für die Opfer des Regimes bedeutet diese Urteil die Anerkennung ihrer Leiden und ist somit ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung ihrer persönlichen Geschichte. Gerade weil es bisher nur drei Urteile gegen hochrangigen Rote Khmer gab, darf die juristische Aufarbeitung nicht enden. Da die kambodschanische Regierung die Arbeit des Tribunals einstellen will, ist nun politischer Druck der Gebergemeinschaft (u.a. Deutschlands) nötig, damit weitere Anklagen vorgebracht werden können.

Die Heinrich-Böll-Stiftung Kambodscha wird weiterhin vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte im Bereich Vergangenheitsaufarbeitung aktiv bleiben und gemeinsam mit kambodschanischen Partnerorganisationen die Arbeit des Tribunals kritisch begleiten.