Bus und Bahn schaffen Lebensqualität

Hintergrund

Bessere Luft, hohe Aufenthaltsqualität und soziale Teilhabe für alle – dank Verkehrsverlagerung auf Bus und Bahn.

Kommunale Verkehrswende mit ÖPNV. Foto einer fahrenden Straßenbahn

Schafft es eine Stadt, Verkehr vom Auto auf Busse und Bahnen zu verlagern, wirkt sich das positiv auf die Lebensqualität der Bürger/innen aus. Einerseits verbessert sich die Atemluft. Andererseits sinkt der hohe Flächenbedarf des motorisierten Individualverkehrs (MIV). Durch den gewonnenen Platz ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, die Aufenthaltsqualität in der Stadt zu verbessern. Zudem sind mit Bus und Bahn auch Jugendliche, ältere Menschen und Menschen mobil, die sich kein Auto leisten können oder wollen.

Wer mit Bus oder Bahn unterwegs ist, benötigt für seine Wege 46 Prozent weniger Energie als jemand, der die gleiche Strecke mit dem Auto zurücklegt. Während Autos ihre gesundheitsschädlichen Abgase direkt in die Stadtluft blasen, fahren Straßenbahnen elektrisch. Verkehrsbetriebe schaffen inzwischen immer häufiger E-Busse an. In Städten wie Solingen oder in der Schweizer Hauptstadt Bern versorgen Oberleitungen E-Busse, die keine Reichweitenprobleme kennen, mit Strom. Abgase werden – wenn überhaupt – von Kraftwerken vor den Toren der Städte emittiert und nicht dort, wo die Bürger/innen sie direkt einatmen müssen. Aus diesen Gründen versucht die Bundesregierung derzeit, unter anderem durch die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) Pkw-Fahrverbote in deutschen Städten zu vermeiden.

Zürich zum Vorbild

Durch ein gutes ÖPNV-Angebot lässt sich in Städten viel Platz sparen, sowohl auf als auch neben der Fahrbahn. Bei einer Fahrt mit dem Auto sind durchschnittlich etwa 1,5 Menschen an Bord. Es sind also 50 Autos unterwegs um 75 Menschen von A nach B zu bringen. Alternativ könnten diese Menschen auch mit einem Bus fahren. Wenn eine Stadt es schafft, das Verkehrsaufkommen durch die Verkehrsverlagerung auf Busse und Bahnen zu reduzieren, werden weniger Fahrspuren benötigt. Zudem ist in Städten, in denen man mit dem ÖPNV besser unterwegs ist als mit dem Auto auch der Autobesitz gering.

Das zeigt das Beispiel der Schweizer 400.000-Einwohner-Metropole Zürich. In der Stadt, die seit Anfang der 1980er Jahre in erster Linie den ÖPNV fördert, liegt der Autobesitz bei 0,35 Pkw pro Einwohner/in. In vergleichbar großen deutschen Städten besitzen die Menschen deutlich mehr Autos. In Stuttgart sind es 0,56 Autos pro Einwohner, in Bremen 0,42. Mit der Zahl der Autos sinkt auch der Bedarf an Parkplätzen. Der gewonnene Raum lässt sich nutzen, um Fahrradwege oder Grünflächen anzulegen, Gehwege zu verbreitern oder Restaurants und Cafés Platz für Außengastronomie zur Verfügung zu stellen.

Das Beispiel Zürich zeigt auch, dass Städte und Gemeinden einen guten öffentlichen Nahverkehr, der von den Menschen angenommen wird, nicht über Nacht aus dem Boden stampfen können. Politische Entscheidungen, die Planung und der Bau der Infrastruktur sowie der Wandel der Mobilitätskultur summieren sich zu einem langen Prozess. Entscheidet sich eine Stadt dafür, ihr öffentliches Nahverkehrssystem auszubauen, investiert sie in die Zukunft.

Kostenloser ÖPNV ist keine Lösung

In Deutschland liegt die Auslastung von Linienbussen bei 21 Prozent, bei Straßen- und U-Bahnen sind es 19 Prozent. In großen Städten wie Berlin, Hamburg, München oder Köln sind Busse und Bahnen allerdings oft so voll, dass viele Fahrgäste keinen Sitzplatz bekommen und sich gegenseitig auf den Füßen stehen. Und zwar nicht nur im Berufsverkehr, sondern den ganzen Tag über. Das bedeutet, dass die Kommunen bei der ÖPNV-Förderung unterschiedliche Prioritäten setzen müssen. Während manche Kommunen den ÖPNV attraktiver gestalten müssen, um Fahrgäste zu gewinnen, stehen andere Kommunen vor der Herausforderung, die Kapazitäten auszubauen.

Ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr, den die Bundesregierung Anfang 2018 im Rahmen ihres Lead-Cities-Programms (Modellstädte für saubere Luft) ins Spiel brachte, ist für Großstädte mit gut ausgelastetem ÖPNV jedoch keine Option. „Dort müsste erst einmal die Infrastruktur ausgebaut und das Angebot erweitert werden. Jedem ein Ticket zu finanzieren, damit mehr Menschen auf Bus und Bahn umsteigen, greift zu kurz. Vielmehr muss der Nahverkehr für alle bezahlbar sein und mit seinem Angebot überzeugen“, sagt Philipp Kosok, ÖPNV-Experte des ökologischen Verkehrsclubs VCD.

Mit einem zeitlich begrenzten kostenlosen Angebot können Kommunen, in denen die Kostendeckung durch Ticketverkäufe und Auslastung von Bussen und Bahnen gering ist, dauerhaft Fahrgäste gewinnen. Der Kostendeckungsgrad des ÖPNV lag 2016 bei durchschnittlich 76,3 Prozent. Vor allem in den Metropolen ist die Kostendeckung oft nah an der Eigenwirtschaftlichkeit. In Kleinstädten und im ländlichen Raum decken Zuschüsse von Kommunen, die zum Teil von Bund und Ländern gedeckt werden, oft weit mehr als die Hälfte der Betriebskosten und Investitionen.

Bus- und Bahnfahren attraktiv machen

Eine Möglichkeit, um Menschen zum Umstieg auf Busse und Bahnen zu motivieren, sind Preissenkungen. Die rot-grüne Stadtregierung in Österreichs Hauptstadt Wien reduzierte den Preis für das Jahresticket 2012 von 449 auf 365 Euro. Die Zahl der Jahreskarteninhaber hat sich seither von 363.000 auf fast 778.000 mehr als verdoppelt, der Modal Split des ÖPNV – also der Anteil am Gesamtverkehr – ist auf beachtliche 38 Prozent gestiegen.

Günstige Tickets für Bus und Bahn anzubieten ist das eine. Ein einfaches Tarifsystem, das Fahrgästen hilft, das günstigste Ticket auch zu finden, ist das andere, aber mindestens ebenso wichtig. Denn gerade Neukunden sind von dem Angebot aus Einzel- und Kurzstreckentickets, Viererkarten, Anschluss-, Gruppen-, Tages- und Wochentickets, Monatsabos und diversen Ermäßigungen überfordert.

eTickets als Lösung der Angebotsüberforderung

Eine technische Lösung, die Fahrgästen die Qual der Ticketwahl erspart, sind E-Tickets. Modellcharakter hat die Kolibricard des Kreisverkehrs Schwäbisch Hall. Mit der Chipkarte loggen sich Fahrgäste an Terminals an den Bahnhaltestellen oder in Bussen zu Beginn der Fahrt ein. Beim Aussteigen loggen sie sich wieder aus. Der Fahrpreis wird automatisch berechnet und vom aufgeladenen Guthaben oder Konto abgebucht.

Die Kolibricard basiert auf dem Standard „eTicket Deutschland“ des VDV. „Das eTicket ist eine gute Idee. Der VDV muss jedoch sicherstellen, dass es keine Kleinstaaterei gibt und man nicht bei jedem Verkehrsverbund eine eigene Karte benötigt, dass mit den Daten keine Bewegungsprofile angelegt werden und dass die Nutzer die Kostenkontrolle behalten“, sagt VCD-Experte Kosok.

Die Kleinstaaterei bei den insgesamt etwa 140 Tarif- und Verkehrsverbünden in Deutschland ist für Fahrgäste lästig. Wer sein Ticket per Smartphone buchen will, braucht dazu in der Regel die App des Verkehrsverbundes, in dem er sich gerade befindet. Bei Menschen, die oft in der ganzen Republik unterwegs sind, führt das schnell zum App-Wirrwarr auf dem Handy. Der VDV versucht mit der Schnittstelle IPSI Abhilfe zu schaffen. Diese vernetzt die Apps verschiedener Anbieter und ermöglicht beispielsweise einem Fahrgast, ein Ticket für eine Straßenbahnfahrt in Köln mit dem DB Navigator oder der App des Rhein-Main-Verkehrsverbundes zu kaufen. Bislang nehmen allerdings nur wenige Verkehrsverbünde an dem System teil.

Erforderliche Standards bei Haltestellen und Fahrzeugen

Das Aushängeschild des ÖPNV sind Haltestellen und Fahrzeuge. Diese sollten sauber sein und einladend aussehen, um potenzielle Fahrgäste nicht zu verschrecken. Bei Haltestellen erhöht die Beleuchtung bei Nacht das Sicherheitsgefühl wartender Fahrgäste, während eine Überdachung sie bei Regen schützt. Verständliche Fahr- und Liniennetzpläne sowie Tarifinfos sind für Menschen ohne Smartphone unentbehrlich. Barrierefreie Haltestellen und Fahrzeuge schreibt der Bund in Paragraf 8 Abs. 3 Personenbeförderungsgesetz (PBefG) vor.

Hier ist vor allem für Menschen im Rollstuhl, ältere Menschen mit Rollator und Familien mit Kinderwagen ein ebenerdiger Einstieg ohne Stufen oder große Spalten in Bus oder Bahn wichtig. Akustische Fahrgastinformationen und ein Blindenleitsystem helfen sehbehinderten Fahrgästen bei der Orientierung. Geschultes Sicherheitspersonal in den Fahrzeugen sorgt vor allem nachts dafür, dass es in den Fahrzeugen nicht zu Vandalismus oder bedrohlichen Situationen für Fahrer/innen und Fahrgäste kommt.

Angebot schafft Nachfrage

Wichtig sind auch Pünktlichkeit, ein dichter Takt und Verbindungen mit kurzen Umsteigezeiten. Denn der Faktor Zeit ist für Fahrgäste zentral. Wenig ärgert sie so sehr, wie wenn der Bus zum Bahnhof keinen Anschluss an den Zug hat oder umgekehrt. Und wenn der nächste Bus erst in anderthalb Stunden fährt, sucht man sich ein anderes Verkehrsmittel. Wichtig ist hier ein integraler Taktfahrplan, bei dem die Fahrzeiten nicht für jede Bus- oder Bahnlinie einzeln festgelegt, sondern für das Verkehrssystem als Ganzes geplant wird. Das Land Rheinland-Pfalz hat einen solchen Taktfahrplan bereits 1994 für das gesamte Bundesland eingeführt. Regionalzüge fahren mindestens im Stundentakt und haben Anschluss an teils neu geschaffene lokale und regionale Buslinien. Durch die Angebotserweiterung um 50 Prozent fahren heute doppelt so viele Menschen (250.000 täglich) mit den Nahverkehrszügen in Rheinland-Pfalz als vor der Einführung des Taktfahrplans.