Sind die USA reif für einen Green New Deal?

Hintergrund

Der Green New Deal soll den Klimawandel bekämpfen, die Wirtschaft nachhaltig gestalten sowie für zukunftsfähige Jobs, soziale Gerechtigkeit und einen neuen Gesellschaftsvertrag sorgen. Wer den Green New Deal vorantreibt und was dahinter steckt, beleuchtet dieser Artikel.

Aktivist/innen in den USA demonstrieren für den Green New Deal

Mit dem Ausgang der Midterm-Wahlen weht ein neuer Wind auf dem Capitol Hill in Washington, DC. Nicht nur, weil die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus gewonnen und damit das Machtmonopol der Republikaner im Kongress aufgelöst haben. Sondern vor allem auch, da die US-Amerikaner/innen letzten November einen vielfältigeren Kongress in Hinblick auf Herkunft, Alter und Gender gewählt haben. Diese neue Ära an Politiker/innen – jünger, weiblicher, vielfältiger – trägt eine andere Debattenkultur und neue Themen ins Kapitol.

Eine ihrer Leitfiguren ist die bisher jüngste Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez aus New York. Sie hat die politische Arena mit einem groß angelegten und derzeit viel diskutierten Projekt betreten – dem Green New Deal. Dieser soll den Klimawandel bekämpfen, die Wirtschaft nachhaltig gestalten sowie für zukunftsfähige Jobs, soziale Gerechtigkeit und einen neuen Gesellschaftsvertrag sorgen.

Genese des Green New Deal

In Anknüpfung an den New Deal unter Präsident Franklin D. Roosevelt während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren, der weitreichende Wirtschafts- und Sozialreformen implementierte, widerbelebte und prägte Thomas Friedman den Begriff des Green New Deal maßgeblich, als er 2007 in seiner Kolumne A Warning From the Garden den Kampf gegen Klimawandel durch die Umsteuerung von fossilen auf erneuerbare Energiequellen beschrieb. Die Idee einer Grünen Revolution entwickelte er 2008 in seinem Buch Hot, Flat, and Crowded weiter.

Daraufhin integrierte Präsidentschaftskandidat Barack Obama den Green New Deal in seine Wahlkampagne und setzte während seiner Präsidentschaft einige weitreichende energie- und klimapolitische Maßnahmen um. Obama implementierte ein 51 Milliarden US Dollar umfassendes Grünes Konjunkturprogramm, welches vor allem erneuerbare Energiequellen wie Solar- und Windkraft förderte, und vergab zudem Steuererleichterungen in Höhe von 2,3 Milliarden US Dollar für die Produktion von nachhaltiger Energie. Darüber hinaus jedoch wurde das Konzept eines Green New Deals nicht weiter verfolgt. Eine umfassende Transformation der Wirtschaft blieb aus, beispielsweise die Kürzung der jährlichen Subventionen von etwa 20 Milliarden US Dollar für fossile Industrien oder weitreichende Umsteuerungsmaßnahmen wie ein nationales Emissionshandelssystem.

In Europa zogen die europäischen Grünen mit dem Manifest A Green New Deal for Europe 2009 in den Europawahlkampf und legten ein umfassendes ökologisches und wirtschaftspolitisches Konzept als Antwort auf die europäische Finanz- und Wirtschaftskrise vor. In der zugrunde liegenden Studie A Green New Deal for Europe – Towards Green Modernization in the Face of Crisis werden weitreichende politische Handlungsempfehlungen zur nachhaltigen Ausgestaltung des Energie-, Transport- und Ressourcenbereichs aufgezeigt und damit erstmals eine konkrete Ausgestaltung für einen Green New Deal formuliert. In den kommenden Jahren wurden auf EU-Ebene einige weitreichende Zielsetzungen zum Ausbau von erneuerbaren Energien und zur Effizienzsteigerung verabschiedet. Jedoch fand sich keine politische Mehrheit für ein umfangreiches nachhaltiges Konjunktur- und Infrastrukturprogramm. Damit wurde es auf beiden Seiten des Atlantiks erst mal wieder still um die Idee eines Green New Deals.

Revival des Green New Deal in den USA

Im Herbst 2018 dann belebte das „Sunrise Movement“ – eine US weite Bewegung von jungen Klima-Aktivist/innen, die sich als Antwort auf den Wahlausgang von 2016 formiert hat – die Idee wieder und startete eine schlagkräftige Kampagne, in der sie einen Green New Deal fordern. Dieser sieht einen umfangreichen Umbau des derzeitigen Wirtschafts- und Sozialsystems der USA vor – 100 Prozent Erneuerbare bis 2035, maximale Effizienzsteigerung im Gebäudesektor, Nullemissions-Transportsystem inklusive Ausbau des Schienennetzes, Job- und Weiterbildungsprogramme, Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung für alle Bürger/innen. Fahrt nahm der Ruf nach einem Green New Deal auf, als sich die neu gewählte Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez der Forderung des „Sunrise Movement“ anschloss und der Green New Deal-Bewegung zu politischem Gewicht verhalf. So schloss sie sich am 13. November 2018 „Sunrise Movement“ Aktivist/innen an, die vor dem Büro der bis dato demokratischen Fraktionsvorsitzenden Nancy Pelosi für eine progressive Klimapolitik demonstrierten.

Innerhalb weniger Wochen gewann der Green New Deal immer mehr Unterstützer/innen und öffentliche Aufmerksamkeit, auch wenn hinter der Idee noch kein konkretes und ausformuliertes Konzept stand. Auf jeden Fall sollte der Green New Deal deutlich über ein klimapolitisches Programm hinaus gehen. Er sollte Gesundheit, Bildung, Minderheitenrechte, Generationengerechtigkeit sowie die Gestaltung guter Jobs und einer lebenswerten Zukunft beinhalten. Der Anspruch war nichts weniger als ein neuer Gesellschaftsvertrag für die Vereinigten Staaten von Amerika.

Im Kongress hatte Alexandria Ocasio-Cortez Anfang 2019 die Gründung eines eigenständigen Ausschusses zur Entwicklung und Umsetzung eines Green New Deals gefordert. Dieser Vorschlag wurde von der nun als Sprecherin des Abgeordnetenhauses gewählten Nancy Pelosi abgelehnt, stattdessen wurde ein neuer Ausschuss für Klimawandel gegründet, der sich laut Pelosi auch, aber nicht ausschließlich dem Green New Deal widmen soll. Zudem bekam Alexandria Ocasio-Cortez keinen Sitz in diesem neuen Ausschuss.

Exemplarisch wird daran deutlich, dass die Auseinandersetzung darum, wie weitreichend die künftige Klima- und Sozialpolitik der Demokraten sein soll, auch eine Generationenfrage ist. Vor diesem Hintergrund ist noch offen, wie die Klima- und Sozialpolitik der Demokraten in Zukunft gestaltet sein wird und wie sich letztendlich auch die demokratischen Präsidentschaftskandidat/innen positionieren werden.

Resolution Green New Deal

Als ersten formellen Schritt hat Alexandria Ocasio-Cortez gemeinsam mit dem demokratischen Senator Edward J. Markey aus Massachusetts bei einer Pressekonferenz am 7. Februar eine Resolution zu einem Green New Deal vorgestellt. Beide betonten, dass diese Resolution der erste Schritt sei, um die großen Probleme des Landes wie Klimawandel, Umweltzerstörung, Gesundheitsschäden, wirtschaftliche Stagnation und schlechte Jobs aufzuzeigen sowie deren Zusammenhang mit Diskriminierung und Ungerechtigkeit gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten deutlich zu machen. In den nächsten Jahren müssten die Forderungen des Green New Deal durch entsprechende Gesetze umgesetzt werden.

Die Resolution wird von 67 Abgeordneten und 11 Senator/innen unterstützt, darunter die Präsidentschaftskandidat/innen Cory Booker, Kirsten Gillibrand, Kamala Harris, Amy Klobuchar und Elizabeth Warren. Sie ruft zu einer nationalen Mobilisierung und weitreichenden Maßnahmen über die nächsten zehn Jahre auf und formuliert ambitionierte Ziele: 100 Prozent des Strombedarfs bis 2035 durch erneuerbare und Nullemissions-Energiequellen produzieren, Emissionen in den Bereichen Transport, Industrie und Landwirtschaft so viel wie technologisch möglich reduzieren, maximale Energieeffizienz im Gebäudesektor erreichen, ein landesweites öffentliches Verkehrssystem inklusive Höchstgeschwindigkeitszug einführen sowie gute Löhne, bezahlbares Wohnen, Bildung und Gesundheitsversorgung für alle garantieren.

Inwieweit Carbon Capture & Storage (CCS) und Atomkraft beim angestrebten Nullemissions-Strommix eine Rolle spielen könnten, scheint derzeit noch offen. Auf Nachfrage der Presse, sagte Senator Markey bei der Vorstellung des Green New Deal, die Resolution sei technologieneutral und sie seien allen Lösungsvarianten zur Emissionsreduzierung gegenüber offen. In einem Factsheet, welches Alexandria Ocasio-Cortez am Morgen der Pressekonferenz auf ihrer Webseite veröffentlichte, hatte sie sich gegen CCS ausgesprochen:

We believe the right way to capture carbon is to plant trees and restore our natural ecosystems. CCUS (Carbon Capture, Utilization, and Storage) technology to date has not proven effective.

Vor allem bezüglich Nuklearkraft gehen die Meinungen bei den Unterstützer/innen des Green New Deals weit auseinander – die meisten Umweltschutzverbände und das „Sunrise Movement“ sprechen sich dagegen aus, wohingegen andere Akteure wie Senator Booker aus New Jersey als Verfechter von Atomstrom gelten. Die anstehende Debatte zu geeigneten Technologien zur Emissionsreduzierung sollte mit ausgewogenen Argumenten geführt werden. An diesem Entscheidungsprozess wird sich später auch messen lassen, inwieweit die Initiator/innen des Green New Deals sich an den Anspruch der jungen Politikneulinge halten, einseitigem Lobbyismus einen Riegel vorzuschieben und Politik unabhängiger von Industrieinteressen zu betreiben.

In einer Kongress-Anhörung letzte Woche machte Alexandria Ocasio-Cortez erst deutlich, wie Geld in der Politik, Korruption und einseitig interessengeleitete Gesetzschreibung zur Tagesordnung in den USA gehören.

Seit Verkündung der Resolution wird der Green New Deal vielschichtig kommentiert und diskutiert. Die Republikaner stellen sich den Ideen nicht inhaltlich, sondern verspotten den Plan auf ideologischer Ebene als neo-sozialistisches Gedankengut und heizten die Diskussion mit der Behauptung auf, die Demokraten wollten nun Kühe verbieten, mit Blick auf das von ihnen ausgestoßene Methan.

Das vielzitierte Factsheet, von Alexandria Ocasio-Cortez nutzten ihre Gegner/innen für sarkastische Kommentierungen in Hinblick auf die Forderung des Papiers einer Nullemissions-Erreichung innerhalb von zehn Jahren als unrealistisches Ziel. Angeblich aufgrund missverständlicher Formulierungen entfernte ihr Büro daraufhin das Factsheet nach wenigen Stunden wieder von der Webseite. Ein Eingeständnis, dass in Sachen Kommunikation, Konkretisierung und Ausarbeitung des Green New Deal noch viel Arbeit vor Ocasio-Cortez und ihren Mitstreiter/innen liegt.

Am 12. Februar kündigte der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell an, den Green New Deal noch in diesem Monat im Senat zur Abstimmung vorlegen zu wollen. Damit will er den Green New Deal zu Fall bringen, bevor er überhaupt als Konzept ausformuliert ist, und die Demokraten spalten. Strategisch mag dieser Vorstoß klug sein, jedoch wäre eine Abstimmung ohne vorherige Ausschussanhörungen, Expert/innen-Befragungen sowie einer gesellschaftlichen Debatte zu dem Vorschlag ungewöhnlich und aus demokratiepolitischer Sicht kritisch.

Gleichzeitig arbeiten die Verfechter/innen des Green New Deal nun daran, ihn zu konkretisieren und in legislative Vorschläge zu übersetzen. Progressive Think Tanks wie New Consensus und Data for Progress haben bereits erste Konzepte als Diskussionsgrundlage vorgelegt.

Gleichzeitig soll der Green New Deal in den nächsten Monaten landesweit diskutiert und ein vielfältiger Unterstützer/innen-Kreis mobilisiert werden.

Wenn die Demokraten den Green New Deal in den nächsten Monaten ausformulieren und damit in den kommenden Wahlkampf ziehen, wird dies voraussichtlich das ambitionierteste und weitreichendste Programm für eine nachhaltige und soziale Politik, das die Partei je gewagt hat. Es wird sich daran messen lassen müssen, ob es die große Transformation hinreichend beschreibt, welche notwendig sein wird, um den Herausforderungen der Klima-Krise, der 4. Industriellen Revolution und der Bewahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in den USA gerecht zu werden.

Derweil zeichnet die Journalistin Kate Aronoff in diesem Beitrag ein visionäres Bild, wie das Leben der nächsten Generation und die USA im Jahr 2043 unter einem Green New Deal aussehen könnten.

Ob das Land dafür reif ist werden die nächsten zwei Jahre und der Wahlausgang im Herbst 2020 zeigen.