Frei, lebendig und etwas unfair

Veranstaltungsbericht

Silke Helfrich diskutierte in einer überfüllten Veranstaltung mit Robert Habeck und Hartmut Rosa über ihr neues Commons-Buch. Ein Veranstaltungsbericht. 

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Fair, Frei, Lebendig - die Macht der Commons

Das Interesse an der Vorstellung von Silke Helfrich neuem Buch „Frei, fair und lebendig – die Macht der Commons“ war riesig. Das vielhundertköpfige Publikum staute sich am 12. April in der Heinrich-Böll-Stiftung auf Treppen und Fluren. Daran zeigte sich: Commoning, das bei der Güterproduktion auf die Vermittlung durch Markt und Staat verzichtet, ist ein uralter und zugleich hochmoderner Hoffnungsträger. Commoners bewirtschafteten früher vor allem Wälder, Wiesen und Fischgründe gemeinsam, heute sind es zusätzlich dazu Open-Source-Programme, Wikis, die Blockchain-Alternative Holochain, Supermärkte, Pflegedienste, Krankenhäuser und vieles mehr.

Silke Helfrich betonte in ihrer 20-minütigen einführenden Präsentation, dass Markt und Staat wirtschaftlich-ideologisch einen Zusammenhang bilden und keineswegs einen Gegensatz, wie es früher die „kommunistische“ Regierungen der DDR und die „kapitalistische“ der BRD behauptet hatten. Nach insgesamt 15-jähriger internationaler Forschungsarbeit gelangte sie zusammen mit ihrem Co-Autor David Bollier zur Erkenntnis: Sie seien in der herkömmlichen Sprache der Wirtschaftswissenschaften nicht zu fassen und nicht zu begreifen. Deshalb befürwortete sie einen „Onto-Wandel“, eine neue Begrifflichkeit jenseits des Konstrukts vom egoistischen „homo oeconomicus“. Wir seien, so Helfrich, alle ein „Ich-in-Bezogenheit“, agierten stets in Bezogenheit und bräuchten Formen von „Eigentum-in-Bezogenheit“. Commoning sei eine soziale Selbstorganisation durch Gleichrangige. In Commons könne heutzutage fast alles produziert werden, von der Prothese über Lebensmittel bis zu Traktoren. Das Mietshäusersyndikat etwa entziehe dem heißumkämpften Wohnungsmarkt Mietwohnungen und stelle sie unter gemeinschaftliche Kontrolle, ohne dass jemand privat daraus Profit ziehen könne.

 

Frei, Fair und Lebendig - Die Macht der Commons - Heinrich-Böll-Stiftung

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Doch gerade weil das alles so neu ist, häufen sich die Missverständnisse. Das zeigte sich auch in der anschließenden Podiumsdiskussion mit dem Jenaer Soziologieprofessor und Resonanztheoretiker Hartmut Rosa und Grünen-Chef Robert Habeck, moderiert durch ZEIT-Redakteurin Elisabeth von Thadden anstelle der verhinderten Barbara Unmüßig. Die Debatte verlief denn auch etwas anders als der Buchtitel: frei, lebendig, aber etwas unfair gegenüber den nicht gut verstandenen Commons.

„Warum ist der Staat nicht selbst ein Commons? Das ist doch unser Staat“, fragte Rosa, die Entstehung und Funktion des Staates verkennend. Was ihm jedoch gefiel, war der „Onto-Wandel“: „Die Beziehung schafft die Subjekte“, nicht umgekehrt. Kleine Kinder, ergänzte er, wollten noch nicht „haben“, sondern Klötzchen vom Tisch fegen, also die Erfahrung machen, was ihr Tun bewirkt. „Das Possessive“, zeigte sich Rosa überzeugt, „schafft eine andere Weltbeziehung“, schaffe Trennungen, Wachstums- und Steigerungslogiken. Deshalb wünsche er sich, meinte er halbironisch, „eine Revolution“.

Robert Habeck gefiel der ontologische Ansatz weniger: Er sei „quasireligiös“. Zudem unterstellte er den Commons, sie seien „altmodisch, altertümlich oder sehr klein“. Aber: „Die Almwirtschaft ist nicht wettbewerbsfähig.“ Wenn eine politische Partei eine Commons-Gesellschaft organisieren solle, glaubte er, dann müsse sie „Richtung Entstaatlichung und Anarchie gehen. Da fehlt mir die Gutgläubigkeit, dass sich die befreite liebende Gesellschaft einfindet.“

Silke Helfrich wunderte sich sichtlich über den „Dauervorwurf, es gehe um vorgestern und Dorfgemeinschaften“. Der 51 Jahre alte Genossenschaftsverband Cecosesola in Venezuela versorge auch in der gegenwärtigen Krise 700.000 Menschen – und zwar wesentlich besser als die dortige Staats- und Privatwirtschaft. Der Pflegedienst Buurtzorg, ein anderes in ihrer Präsentation genanntes Beispiel, ist inzwischen der größte und effektivste in den Niederlanden und spart Milliarden Euro im Gesundheitswesen, weil die Kranken durch die Pflege selbstorganisierter Teams schneller gesunden.

„Ich habe null Widerspruch gegen die Commons“, wenn sie als Open Source Programme, Solidarische Landwirtschaft, Car-Sharing oder Kleiderbörsen daherkämen, oder als freiwillige Feuerwehr, der er selbst angehört habe, entgegnete Robert Habeck und rückte mit dem Oberkörper wieder näher an Silke Helfrich heran. Er frage sich jedoch, wie sich eine Ordnung organisiere, die darüber hinaus gehe: „Eine nichtkapitalistische Gesellschaftsordnung ist denkbar, aber Machtfragen müssen beantwortet werden.“

Er wolle nicht zur „Urgemeinschaft“ zurück, die schnell zum völkischen „Volkswillen“ werden könne. Das könne obendrein in Frauendiskriminierung enden. Wenn ein Commons-Kriterium sei, dass sich etwas gut anfühle, dann würde Care-Arbeit gar nicht und nur noch „mit Liebe und Anerkennung“ bezahlt. Wo sei denn da das Stopp-Schild? Wohin führe denn eine Commons-Revolution? „Irgendjemand muss die Klos doch putzen.“

„Wieso Urgemeinschaft?“, fragte Silke Helfrich staunend zurück. Die Freiwillige Feuerwehr sei ein gutes Beispiel für „Commons-Öffentliche Partnerschaften“ und funktioniere auch großflächig gut. Und, zur Moderatorin gewandt: „Wieso sollen Commons die große gesellschaftliche Frage beantworten? Das ist nicht fair. Wir sprechen nur eine Einladung zum Weiterdenken aus.“

Und: „Commons sind keine Kuschelökonomie. Sie sind nicht regellos, sie sind keine Anarchie.“ Die Wirtschafts-Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom habe in ihren Forschungsergebnissen ja gerade das Gegenteil aufgezeigt. Nämlich, wie sich Commoners selbst Regeln geben und wann sie Sanktionen aussprechen. Der Unterschied zu staatlichen Gesetzen von der kommunalen bis zur EU-Ebene sei aber in der Tat, dass Commons-Regeln stets kontextgebunden seien. „Dass ein Verein aufgrund von Hygienevorschriften keinen Kuchen verkaufen darf – das kann in Commons nicht passieren.“ Die Regeln würden vor Ort stets an den Kontext angepasst.

In der anschließenden Fishbowl-Diskussion mit dem Publikum wünschte sich die Übersetzerin des Buches, man möge doch bitte zum Kern der Sache zurückkehren: Sie habe nirgendwo im Buch gelesen, dass eine Revolution gefordert würde, dass der Kapitalismus und das Geld abzuschaffen sei, dass dann ein Paradies ausbrechen werde. Ein junger Mann befand, die Paradigmen würden hier „gegeneinander ausgespielt“, man solle sich doch besser über die gemeinsamen Ziele unterhalten.

Und tatsächlich war man sich bei der letzten Frage der Moderatorin denn bei den Zielen doch weitgehend einig. Wie solle man mit dem knappen Wohnraum verfahren?, fragte Elisabeth von Thadden. „Das Mietrecht ändern und Wohnungen tauschen können“, befand Habeck. Heute ziehe ein Altmieter nicht mehr aus, auch wenn ihm die Wohnung nach Weggang der Kinder zu groß werde, weil er befürchte müsse, anderswo für eine kleinere mehr bezahlen zu müssen. Silke Helfrich befand, das sei schon ganz nah an der Logik des Commoning, wo immer gefragt werde: „Was brauche ich wirklich?“ Zusätzlich dazu, ergänzte sie, müsse Grund und Boden dem Markt entzogen werden. Dazu bedürfe es nicht nur neuer Praxis wie beim Mietshäusersyndikat, sondern auch neuer Rechtsformen. Auch Hartmut Rosa konnte dazu am Ende nur nicken: Wohnen sei ein Menschenrecht und zentral für eine Resonanzbeziehung zur Welt.