Flucht und Migration aus Zentralamerika

Analyse

Tausende Menschen fliehen vor Gewalt und Perspektivlosigkeit aus Zentralamerika in Richtung USA. Donald Trump setzt auf „Zero Tolerence“ und macht Mexiko zum Türsteher der USA.

Grenzbarriere zwischen den USA und Mexiko in der Nähe der Monument Road, San Diego, Kalifornien, USA, mit Blick auf Tijuana, Baja California, Mexiko
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Grenzbarriere zwischen den USA und Mexiko in der Nähe der Monument Road, San Diego, Kalifornien, USA, mit Blick auf Tijuana, Baja California, Mexiko.

Ende 2018 startete die erste Migrationskarawane aus Honduras, El Salvador und Guatemala Richtung Norden. Tausende Menschen machten sich unter großer medialer Aufmerksamkeit gemeinsam zu Fuß auf den Weg, quer durch Mexiko bis hoch an die Südgrenze der USA. Es war ein Quantensprung in der langen Geschichte der Migration in das „gelobte Land“. Auch 2020 sind wieder Karawanen aus Zentralamerika gestartet, die jedoch alle bereits in Mexiko gestoppt wurden. Die Asylsuchenden werden dort in den völlig überfüllten Auffanglagern an der Grenze zu den USA zusammengepfercht.

Die Migrant/innen versuchen der extremen Armut, Ungleichheit und Gewalt in ihren Ländern zu entkommen. Verstärkt wird diese Bewegung von Zeit zu Zeit durch natürliche Katastrophen wie Vulkanausbrüche und die häufigen Hurrikane, die die Region regelmäßig verwüsten. Schätzungen zufolge leben heute 25 bis 30 Prozent der salvadorianischen Bevölkerung im Ausland, vor allem in den USA. Aus Guatemala und Honduras sind es proportional weniger, doch auch hier führen die schlechten Lebensbedingungen zu extremer Abwanderung in Richtung Norden. Die wenigsten der Migrant/innen können legal in die USA einreisen. Dass es seit Ende 2018 dennoch zu so immenser Migration kommt, hat mit bestimmten Entwicklungen in den Vorjahren zu tun.

Organisierte Kriminalität und Gewalt

Die organisierte Kriminalität, vor allem die Netzwerke des Drogenhandels sowie die berüchtigten Jugendbanden (v.a. Mara Salvatrucha MS13, Barrio 18), hat sich in den Ländern des „Nördlichen Dreiecks“ (Guatemala, Honduras, El Salvador) bis 2018 entscheidend ausgebreitet und dominiert heute weite Teile der Länder – oft in aktiver Komplizenschaft mit korrupten Militärs und Polizei. Zusammen verbreiten sie zunehmend Terror, vor allem in den vielen städtischen Randgebieten und im ländlichen Raum, wo die Institutionen des Staates nie Fuß gefasst haben. Die Gewalt- und Mordraten erreichten in den letzten Jahren erschreckende Rekordzahlen, teilweise wurden über 100 Morde pro 100.000 Einwohner im Jahr verzeichnet.

Feminisierung der Migration – Frauen flüchten vor sexualisierter Gewalt

Auch die Gewalt an Frauen, Mädchen und Gruppen der LSBTI-Bevölkerung hat zugenommen, so steigt die Zahl von Feminiziden und anderen Hassmorden. Diese Problematik ist durch eine stärker werdende Frauenbewegung sichtbarer geworden, doch die Straflosigkeit in Fällen sexualisierter Gewalt verharrt bei ungefähr 90 Prozent. Was dies für die Migrationsströme bedeutet, beschreibt die Lateinamerikanische Wirtschaftskommission CEPAL als „Feminisierung der erzwungenen Migration“ und beziffert die Rate der Frauen unter den zentralamerikanischen Migrant/innen mit 53 Prozent.

Perspektivlosigkeit und Vertreibung

Die stagnierende Wirtschaft in der Region bewirkte in den letzten Jahren, dass kaum neue Arbeitsplätze entstanden und insbesondere Jugendliche aus den nicht-privilegierten sozialen Schichten und der ländliche Raum insgesamt abgehängt wurden. Gleichzeitiger sind die Sozialausgaben für Erziehung, Bildung und Entwicklung geschrumpft. Hinzu kam, dass das vorherrschende extraktivistische Wirtschaftsmodell mit seinen Megaprojekten ganze Landstriche entvölkerte. Der Raubbau an den natürlichen Ressourcen ist oft verbunden mit Landraub und Landvertreibung insbesondere von indigenen Völkern. Dieses extraktivistische Wirtschaftsmodell ist Ausdruck einer Politik, die zugunsten einiger Weniger gemacht wird und den größten Teil der Bevölkerung von partizipativen, demokratischen Entscheidungsprozessen ausschließt.

Klimakrise und Nahrungsunsicherheit

Zentralamerika und seine vielfältigen Ökosysteme zählten schon von jeher zu den am meisten verwundbarsten Regionen der Welt, auch wegen ihrer sozialen Vulnerabilität. Der Klimawandel hat hier extreme Auswirkungen auf die Bevölkerung. Immer längere Dürreperioden bei anhaltender Entwaldung und wenig Investitionen in umweltfreundliche, agroökologische Lösungsansätze, führen dazu, dass Landwirtschaft für einen Großteil der Kleinbauern und Kleinbäuerinnen nicht mehr zum Überleben reicht. Hinzu kommt, dass der industrielle Anbau von Monokulturen – oft betrieben von lokalen Oligarchien – weiter auf dem Vormarsch ist: Zuckerrohr, Ananas, Ölpalmen, Bananen. Diese Anbau-Methoden jedoch brauchen Unmengen von Wasser (das den Anrainergemeinden abgeknapst wird) und vergiften gleichzeitig durch hohe Pestizideinsätze und Düngungsmittelchemikalien den Grundwasserbestand und die Flüsse, von denen die ländliche Bevölkerung lebt. Wasser- und Nahrungssicherheit werden mehr und mehr bedroht und untergraben.

Autoritarismus und Repression in Nicaragua

Nach der Rebellion an dem Ortega-Murillo-Regime in Nicaragua und den extremen Repressionsmaßnahmen in den Jahren 2018/2019, die über 350 Tote forderten, belief sich die Zahl der Flüchtlinge aus dem Land auf geschätzte 80.000 Personen. Viele flohen ins benachbarte Costa Rica und andere in andere zentralamerikanische Länder, aber auch Mexiko und die USA wurden zu Zufluchtsorten. In Honduras wirkt die politische Hoffnungslosigkeit als Beschleuniger der Migrationsströme. Soziale Massenproteste gegen den korrupten, in Drogenhandel verstrickten Präsidenten Orlando und seine fest installierten Günstlinge in allen Machtpositionen des Staates, ließ die Regierung immer wieder niederschlagen.

Der Trump-Faktor

Die Forderung nach einer Mauer an der Südgrenze zu Mexiko war nur der Beginn einer neuen Migrationspolitik seitens der USA unter Donald Trump. Vorher schon gab es unter Obama eine signifikante Zunahme der Abschiebungen von „illegalen“ Migrant/innen nach Mexiko und nach Zentralamerika. Ab 2016 wurde die Außen- und speziell die Migrationspolitik unter dem Motto „Zero Tolerance“ komplett den „nationalen Sicherheitsinteressen“ der USA untergeordnet und die massive Abschottung und Militarisierung der Grenzen USA-Mexiko sowie Mexiko-Guatemala vorangetrieben. Mexiko kam dabei die Rolle des verlängerten Arms der USA zu und mutierte dabei selbst zu einer Art Mauer. Die Migrant/innen werden schon nach Grenzübertritt durch Verhaftung und Deportation vom Erreichen der Nordgrenze abgehalten. 2019 reduzierte Mexiko nach eigenen Angaben den Migrationsfluss zentralamerikanischer Flüchtlinge in den Norden um 70 Prozent, durch restriktivere Gesetze und unter dem Einsatz der neu geschaffenen Nationalgarde. Die Regierungen des Nördlichen Dreiecks und Mexiko wurden unter Androhungen der USA von Zöllen und der Reduktion von Entwicklungshilfegeldern gezwungen, bilaterale Abkommen als „sichere Drittstaaten“ zu unterzeichnen. Damit verpflichteten sie sich, aus den USA zurückgesandte „Illegale“, auch aus den Nachbarstaaten, bei sich aufzunehmen – obwohl die Bedingungen in diesen Ländern den Migrationsstrom erst ausgelöst haben und keineswegs gelöst sind.

Die Armut, Gewalt, Korruption und andere strukturelle Ursachen für die Expulsion von Menschen sind bestehen geblieben, werden von Seiten der USA durch die Unterstützung korrupter und anti-demokratischer Regime wie gerade in Honduras sogar noch befeuert, beispielsweise über erhöhte Finanzmittel für das Militär zur „Sicherung“ der honduranischen Nordgrenze. Das gleiche geschieht auch in Guatemala. Die neuen Fluchtwege und Migrationsrouten sind durch diese Politik vor allem eins geworden: tödlicher. Allein 2019 zählte die Internationale Organisation für Migration 810 zentralamerikanische Migrant/innen, die bei dem Versuch der Grenzüberschreitung von Mexiko in die USA ums Leben kamen.