Kurzanalyse der Landtagswahl Mecklenburg-Vorpommern und der Berliner Abgeordnetenhauswahl

Analyse

Beide Landtagswahlen spiegeln Entwicklungen der Bundestagwahl, allerdings in unterschiedlichen Facetten: Die Grünen gewinnen deutlich hinzu, im großstädtischen Berlin allerdings deutlich mehr als im Flächenstaat Mecklenburg-Vorpommern.

Abgeordnetenhaus von Berlin - Der leere Plenarsaal mit Blick von der Zuschauertribüne

Wie im Bund wird die SPD jeweils stärkste Kraft: In Mecklenburg-Vorpommern gewinnt eine beliebte Ministerpräsidentin Schwesig mit Amtsinhaberinnenbonus die Wahl, die SPD dominiert das regionale Parteiensystem und kann sich die Regierungspartner aussuchen. In Berlin gewinnt die SPD-Spitzenkandidatin Giffey knapp und mehrere, fast gleich große Parteien müssen in einem unübersichtlichen Koalitionsmarkt ein Regierungsbündnis bilden. In beiden Fällen wird die Koalitionsbildung auf Landesebene auch im Zusammenhang mit der offenen Regierungskonstellation auf Bundesebene gesehen werden.

Wahlergebnisse und Bewertung

Trotz Pandemie-Bedingungen und langen Wartezeiten in einigen Berliner Wahllokalen stieg die Wahlbeteiligung bei beiden Wahlen um ca. 10 Prozentpunkte an, erwartungsgemäß aufgrund der gleichzeitigen Bundestagswahl. In Berlin beteiligten sich 75,2 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern 70,8 Prozent der Wahlberechtigten. Der Briefwähleranteil nahm massiv zu, Schätzungen gehen von 40-50 % aus.

Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 2021im Vergleich zu 2016

In Mecklenburg-Vorpommern gewinnt die SPD mit Ministerpräsidentin und Spitzenkandidatin Manuela Schwesig mit fast 40 Prozent (+ 9) klar die Wahl. Der Erfolg basiert stark auf der Aktivierung von ehemaligen Nichtwählerinnen und -wählern, aber die SPD zieht auch Wählerinnen und Wähler von CDU, Linken und AfD an. Die CDU schrumpft weiter und landet hinter der AfD, die ebenfalls stark verlor. Die Grünen ziehen wieder in den Landtag ein.

Schwesig ist in der komfortablen Position, unter mehreren Koalitionsoptionen frei wählen zu können (ein rot-grünes Bündnis verfehlt nur um ein Mandat eine Regierungsmehrheit): Das kann die Fortführung der Großen Koalition, ein in Mecklenburg-Vorpommern bereits erprobtes Bündnis mit der Linken oder eine Ampelkoalition sein. Letztere könnte je nach Verlauf der Ampel-Sondierungen im Bund an Attraktivität gewinnen.

Abgeordnetenhauswahl Berlin 2021 im Vergleich zu 2016

Ganz anders ist die Ausgangslage in Berlin, wo es sowohl in den Umfragen als auch während der Auszählung am Wahlabend Umschwünge und Überraschungen gab. Hier ähnelt das Ergebnis stärker dem auf Bundesebene, wobei die Linkspartei mit 14 % zu der Gruppe der vier stärksten Parteien gehört und FDP (7,2 %) und AfD (8,0 %) deutlich unter den Resultaten im Bund liegen. Die SPD war besonders erfolgreich bei der Mobilisierung von Nichtwählerinnen und -wählern und zog Wählerinnen und Wähler sowohl von Linken wie AfD an.

Interessant ist vor allem der Wert der Sonstigen, die auf 12,4 % (+ 3,3) kommen. Das deutet die Bereitschaft an, bei der Abgeordnetenhauswahl neuen und kleinen Parteien eine Chance zu geben. Allerdings verteilen sich die Stimmen auf sehr viele Kleinstparteien, einzig die Tierschutzpartei kommt auf sichtbare 2 Prozent – die Themendominanz von Klimafragen und Mietpolitik zahlte nicht bei neuen Parteien ein, die sich speziell an diese Themen andockten.

Das mit 56,3 Prozent deutliche Ja für den (nicht verbindlichen) Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ verdeutlicht die Relevanz der Wohnungs- und Mietenpolitik in der Hauptstadt.

Im Vergleich der beiden Wahlen zeigt sich eine Auswirkung des Scholz-Momentums von der Bundesebene für die SPD, allerdings standen in beiden Fällen auch starke und prominente Spitzenkandidatinnen zur Wahl. Wie im Bund zeigt sich, dass die SPD ihre Gewinne vor allem einen Zustrom von ehemaligen CDU-Wählerinnen und -Wählern verdankt, wobei die SPD in den Ländern darüber hinaus erfolgreich Nichtwählerinnen/-wähler anzieht.

Die AfD stabilisiert und etabliert sich im Parteiensystem – auch in den Bundesländern. Allerdings mobilisieren die Proteste gegen Corona-Regeln nicht so stark wie das Thema Flucht/Migration 2015. Die Verluste in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin zeigen, dass die neuen Bundesländer nicht insgesamt gute Bedingungen für die AfD liefern, sondern dass es sich mehr um regionale Hochburgen handelt (wie es die Bundestagswahlergebnisse in Sachsen und Thüringen nahelegen).

Die Grünen verbessern klar ihr Ergebnis in beiden Wahlen. Der Wiedereinzug in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ist ein Erfolg, der große Zugewinn in Berlin ist etwas gedämpft durch die im Vorfeld höheren Erwartungen, das Amt der Bürgermeisterin zu erobern (je nach Koalitionskonstellation noch denkbar, aber unwahrscheinlich).

Wahlgeografie

Die Unterschiede in den Parteiensystemen sind auch an die strukturellen Bedingungen geknüpft: Mecklenburg-Vorpommern ist ein dünn besiedelter Flächenstaat, Berlin Hauptstadt und dicht besiedelte Metropole. Die SPD ist fast durchgehend stark im Land, das Ergebnis der AfD ist mit 10,7 Prozent am Schwächsten in der Stadt Rostock, ihre Hochburg ist der Landkreis Vorpommern-Greifswald. Interessant ist das Ergebnis der Grünen: Erwartungsgemäß fahren sie in den Städten Rostock (12 %, +4) und Schwerin (9,6 % +3,1) ihre besten Ergebnisse ein; aber sie liegen auch ansonsten in 4 der 6 Landkreise über der Fünfprozenthürde.

In Berlin bestätigt sich die bekannte Wahlgeografie. Die Grünen dominieren klar die Mitte von Berlin, ihnen gelingt dort ein Zuwachs von 4 bis 6 Prozentpunkten. Die Linkspartei wird in einigen Ost-Berliner Kreisen stärkste Kraft, verliert aber an Stimmen. Die CDU ist am stärksten im Südwesten und Norden von Berlin, sie gewinnt klar drei Wahlkreise in Marzahn-Hellersdorf. Dort reüssiert auch die AfD, allerdings mit deutlichen Verlusten und nur sehr knapp vor der SPD. Die SPD erreicht ihr bestes Ergebnis in Neukölln mit 36,3 %.

Individuelles Wahlverhalten

Bei Jungwählerinnen/-wählern sind vor allem Grüne und FDP sowohl in Mecklenburg-Vorpommern wie in Berlin überproportional stark (ähnlich wie bei der Bundestagswahl), bei den 25-34-Jährigen erzielen die Grünen in Berlin 28 Prozent. In Berlin ist auch die Linke bei jüngeren Altersgruppen besonders beliebt. Die SPD legt vor allem bei älteren Wählerinnen und Wählern zu: In der Gruppe der Über-Sechzigjährigen erzielt sie in Mecklenburg-Vorpommern fast eine absolute Mehrheit (49 %, +10), ähnlich stark ist sie in dieser Gruppe in Berlin, wo sie allerdings bei Wählerinnen und Wählern unter 34 Jahren deutliche Verluste verzeichnen muss.

Im Hinblick auf das Geschlecht zeigt sich in Mecklenburg-Vorpommern nur bei SPD und AfD ein deutlicher Unterschied: die SPD ist für Wählerinnen deutlich attraktiver, bei der AfD überwiegen die Wähler. In Berlin sind die Unterschiede insgesamt kleiner, die größten Differenzen sind bei den Grünen (21 Prozent bei Wählerinnen und 18 Prozent bei Wählern), und wiederum unter umgekehrten Vorzeichen bei der AfD (6 Prozent zu 9 Prozent).

Fragt man nach der Bedeutung von Programm oder Person für die Wahlentscheidung, zeigen die Ergebnisse deutlich einen Spitzenkandidatinnen-Effekt: Bei allen Parteien außer der SPD nennen die Befragten mit deutlicher Mehrheit das Programm als Motiv (bei den Grünen für beide Wahlen ca. 80 Prozent), nur bei der SPD sind diese Werte in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin gleichauf.

Die Analyse zeigt auch, dass die Verluste bei der AfD mit dem Abwandern von Protestwählerinnen und -wählern zu tun hat. Die Zahl derer, welche die Partei aus Enttäuschung gewählt haben, geht massiv zurück. Das spricht für eine Etablierung der Partei, wenn auch auf einem niedrigeren Niveau als zuvor. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass die AfD nicht grundsätzlich die Partei des Ostens ist, sie erzielt in Mecklenburg-Vorpommern ein Direktmandat und in Berlin zwei; stärkste Kraft nach Zweitstimmen wird sie nur in 2 Wahlkreisen in Berlin.

Politische Repräsentation von Frauen im neuen Parlament

Im Hinblick auf die Spitzenpositionen gestaltete sich die politische Repräsentation von Frauen positiv: In Mecklenburg-Vorpommern dominierte Manuela Schwesig den Wahlkampf, in Berlin spitzte es sich auf einen Zweikampf von Franziska Giffey und Bettina Jarasch zu (betrachtet man insgesamt die Spitzenkandidaturen der relevanten Parteien so gab es hier auch eine Parität). In beiden Bundesländern wird nach der Wahl eine Frau die Regierungsgeschäfte führen. Nicht so positiv sieht es in den Parlamenten aus: In Mecklenburg-Vorpommern steigt der Anteil zwar leicht an, liegt aber immer noch nur bei ca. 30 Prozent. In Berlin sind unter den gewählten Direktkandidatinnen und -kandidaten 36 Prozent weibliche Abgeordnete.

Koalitionsoptionen und Regierungsbildung

Abbildung: Sitzverteilung Landtag Mecklenburg-Vorpommern

Abbildung: Sitzverteilung Landtag Mecklenburg-Vorpommern

Sitzverteilung Landtag Mecklenburg-Vorpommern

In Mecklenburg-Vorpommern läuft zweifellos alles auf die SPD zu. Am wahrscheinlichsten ist eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der Union. Diese wird erleichtert dadurch, dass die CDU klein genug für eine klare SPD Dominanz in Landesregierung ist. SPD-Wählerinnen und Wähler bevorzugen diese Option. Eine denkbare Koalition mit der Linkspartei, die es bereits im Land gab, ist aufgrund des mittig/pragmatischen Kurses von Schwesig unwahrscheinlich. Anreize könnten sich aber aus dem Bund ergeben: Sollte Olaf Scholz Kanzler eines Bündnisses aus SPD, Grünen und FDP werden, würde ein kohärentes Bündnis in Schwerin diese neue Koalition im Bundesrat stärken.

Abbildung Sitzverteilung Berliner Abgeordnetenhaus

Abbildung Sitzverteilung Berliner Abgeordnetenhaus

Sitzverteilung Berliner Abgeordnetenhaus

Berlin befindet sich insgesamt näher am Bundesergebnis, allerdings sind die Grünen hier noch einmal klar stärker. Der Zweikampf zwischen den beiden Spitzenkandidatinnen um das Bürgermeisterinnenamt bedingt ein etwas angespanntes Klima, zumal Giffey die Partei mittiger ausrichtete und Präferenzen für Bündnis mit Union oder FDP signalisierte. Bei den Wählerinnen und Wählern der SPD steht deutlich die Fortführung des Rot-Rot-Grünen Bündnisses an erster Stelle, ein Bündnis von SPD, CDU und FDP liegt in der Beliebtheit deutlich hinter einer Ampel. Ein Jamaika-Bündnis aus Grünen, CDU und FDP würde den Grünen zwar eine Führungsrolle verschaffen und Jarasch zur Regierenden Bürgermeisterin machen, wäre aber bei den Anhängerinnen und Anhängern der Grünen äußerst unpopulär.