Die Autoritarismus-Studie zeigt einen Anstieg der rechtsextremen Einstellung in Deutschland. Das zweite Kapitel stellt die zentralen Ergebnisse der diesjährigen Befragung vor und vergleicht sie mit vorherigen Erhebungen.
Inhalt
- Methode
- Die Verbreitung rechtsextremer Einstellung
- Die Entwicklung der rechtsextremen Einstellung
- Rechtsextreme Einstellungsdimensionen und Soziodemografie
- Antimoderne Ressentiments: Der autoritäre Hass auf „Andere“
- Demokratiezufriedenheit und die Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung
- Die latente Aufstandsbereitschaft gegen die Demokratie
- Zusammenfassung und Diskussion
- Literatur
Mit den Leipziger Autoritarismus Studien (LAS) untersuchen wir seit 2002 und damit bereits in der zwölften Erhebungswelle die Verbreitung der rechtsextremen Einstellung, wir analysieren verschiedene Einflussfaktoren, die aktuelle Dynamik des Autoritären Syndroms und fokussieren darüber hinaus auf weitere politische Einstellungen. Unsere Erhebung im Zweijahresrhythmus ist ein wichtiger Seismograf der politischen Einstellungen in Deutschland und seit Jahren fest etabliert. Die dabei entstandene Zeitreihe erlaubt uns einen auch weltweit einzigartigen Blick auf die Entwicklung der Zustimmung zu rechtsextremen Aussagen. In diesem Kapitel berichten wir die zentralen Ergebnisse der diesjährigen Befragung und vergleichen diese mit vorherigen Erhebungen, wobei wir weitgehend deskriptiv vorgehen. Vertiefende Analysen finden sich in den Kapiteln 3 bis 6.
Im Folgenden beschreiben wir zunächst die Stichprobe und die genutzte Erhebungsmethode, bevor wir die Zustimmung zum Fragebogen rechtsextreme Einstellung, entsprechende Zeitreihen und anschließend Zusammenhänge zu ausgewählten soziodemografischen Merkmalen darstellen und diskutieren. Im darauffolgenden Abschnitt blicken wir auf die Verbreitung weiterer Ressentiments, die sich gegen bestimmte Gruppen richten. Den Abschluss bildet der Bericht zur Wahrnehmung der Demokratie und Teilhabe und zur Verbreitung autoritärer Syndrome.
Methode und Stichprobe
Wie in allen bisherigen Erhebungswellen beauftragten wir auch in diesem Jahr das unabhängige Umfrageinstitut USUMA. Dieses stellt zum einen die Zufälligkeit der Stichprobenziehung nach den geltenden Standards in der empirischen Sozialforschung sicher. Zum anderen ermöglicht uns die Konstanz der Kooperation mit USUMA, der Befragungsart und der grundsätzlichen Arbeitsschritte die Befragungsergebnisse über die Jahre zu vergleichen. So erfolgt die Rekrutierung der Teilnehmenden face-to-face durch geschulte Interviewer, die auch ein kurzes soziodemografisches Interview durchführen. Der Hauptteil der Studie wird jedoch von den Befragten als Papierfragebogen ausgefüllt, sodass ein Höchstmaß an Anonymität gewahrt wird. Die Probanden werden vorab über die Ziele der Studie, den Auftraggeber Universität Leipzig sowie die Freiwilligkeit der Teilnahme und das Recht informiert, die Befragung jederzeit zu unterbrechen bzw. abzubrechen. Auch Informationen zum Datenschutz und der Vertraulichkeit der Daten werden gegeben. Ziel unserer Untersuchung ist es nicht, Auskunft über Einzelpersonen einzuholen, sondern über die Gesellschaft insgesamt sowie für einzelne Gruppen im Vergleich aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Im Sinne der Transparenz und angesichts eines erhöhten Interesses an den methodischen Grundlagen wissenschaftlicher Untersuchungen in der Öffentlichkeit finden sich in Kapitel 7 dieses Buches detaillierte Angaben zu unserem Vorgehen (insbesondere zur Stichprobenziehung und Datenaufbereitung) sowie Antworten auf grundsätzlichere Fragen zu methodischen Aspekten.
In Tabelle 1 finden sich die soziodemografischen Charakteristika unserer diesjährigen Stichprobe. In den ostdeutschen Bundesländern wurden im Bundesvergleich überproportional viele Menschen befragt, um den spezifischen Entwicklungen der politischen Kultur seit der Wende Rechnung zu tragen (neben unserer Studienreihe und stellvertretend für unzählige Publikationen zum Thema z.B. De Souza, 2022; Elff et al., 2022; Heide et al., 2023; Mau, 2024). Die Stichprobe von etwa 500 Befragten in Ostdeutschland ermöglicht uns differenzierte Aussagen über die ostdeutsche Wohnbevölkerung und erlaubt uns beispielsweise einen genauen Blick auf die Verbreitung von rechtsextremen Einstellungen in Abhängigkeit von Alter oder Geschlecht. Für eine Beschreibung einzelner Bundesländer reicht jedoch auch die leichte Überquotierung nicht aus (für Zahlen zu den ostdeutschen Bundesländern siehe Decker et al., 2023). Da auf Basis der Stichprobe auch für Westdeutschland nur für die bevölkerungsreichsten Bundesländer Aussagen möglich wären, verzichten wir ganz auf bundesländerbezogene Auswertungen.
Tabelle 1: Soziodemografische Beschreibung der Stichprobe LAS 2024 (mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit, 16–92 Jahre)
Seit 2002 bildet der Fragebogen zur rechtsextremen Einstellung in der Leipziger Form (FR – LF) den Kern unserer Untersuchungen. Er hat sich als teststatistisch und inhaltlich verlässliches Instrument erwiesen (Decker et al., 2013; Heller et al., 2020) und beruht teilweise auf Items, die bereits in den 1980er Jahren eingesetzt wurden (Greiffenhagen, 1981). Aufgrund der Länge von 18 Aussagen, denen die Befragten auf einer Skala von 1 bis 5 zustimmen können, wird er zwar selten in anderen Befragungen eingesetzt, Teile des Fragebogens werden jedoch in Untersuchungen wie dem Thüringen-Monitor oder der Bürgerbefragung der Stadt Leipzig genutzt. Die zugrundeliegende Definition rechtsextremer Einstellung kann ebenfalls als allgemein akzeptiert gelten, auch wenn für das Phänomen Rechtsextremismus – also unter Einschluss extrem rechter Parteien und Gruppierungen, Diskurse und Ideologeme, Aktivitäten und Strategien – eine auch weiterhin komplexe Begriffsdebatte existiert (Kiess, 2011; Pirro, 2023). Wir definieren Rechtsextremismus für die Einstellungsforschung als
Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen“ (Decker & Brähler, 2006, S. 20).
Die Definition benennt zwei Bereiche, in denen sich eine rechtsextreme Einstellung äußert: zum einen in der Aggression und Abwertung bestimmter Bevölkerungsgruppen, zum anderen in der Präferenz von antidemokratischen politischen Strukturen. Inhaltlich und empirisch bewährt hat sich eine Zuordnung der sechs genannten Dimensionen in Ethnozentrismus einerseits und Neo-NS-Ideologie andererseits (Heyder & Decker, 2011), die wir in der Auswertung wieder aufgreifen werden. Während diese Dimensionen für den deutschen Rechtsextremismus charakteristisch sind, müssen im Einzelfall bei einer Person nicht zwangsläufig alle Dimensionen (gleich) stark ausgeprägt sein.
Auch in diesem Jahr haben wir den Fragebogen zur rechtsextremen Einstellung mit zusätzlichen Instrumenten ergänzt, um antidemokratische Einstellungen, Ressentiments und zugrundeliegende Faktoren zu erfassen. Dazu zählen Fragebögen zur Demokratiezufriedenheit, zu politischer und wirtschaftlicher Deprivation, zu Erfahrungen in der Arbeitswelt (industrial citizenship) (Kiess & Schmidt, 2020, 2024) sowie zum Blick auf die Zukunft. Im letztgenannten Fragebogen haben wir aktuelle, häufig als krisenhaft beschriebene Entwicklungen aufgelistet und die Befragten gebeten, deren Auswirkungen auf das eigene Leben einzuschätzen. Außerdem erheben wir das Autoritäre Syndrom in den drei sadomasochistischen Dimensionen autoritäre Aggression, autoritäre Unterwerfung und Konventionalismus (Beierlein et al., 2014) sowie den zwei Fetischismusdimensionen Aberglaube und Verschwörungsmentalität (Decker et al. 2020). Erstmalig haben wir in diesem Jahr jeweils drei Items zu Ambiguitätsintoleranz, Esoterik sowie einem instrumentellen Naturverhältnis in unsere Befragung aufgenommen. Diese drei Konzepte sind mit dem Autoritarismus verwandt, insofern sie eine Neigung erfassen, Widersprüche und Unklarheiten nicht aushalten zu können oder projektiv nach außen zu verlagern, um ein Kontrollempfinden zu erhalten bzw. zurückzugewinnen. Diese sozialpsychologischen Reaktionen nehmen bei der Erklärung von antidemokratisch-destruktiven Ressentiments und Bewegungen eine bedeutsame Position ein und fließen in den folgenden Kapiteln auch in die Analyse mit ein.
Zusätzlich zu der im Rechtsextremismusfragebogen dokumentierten aggressiven Abwertungsbereitschaft berichten wir im Verlauf dieses Kapitels auch über die Verbreitung von weiteren Ressentiments. Wichtig ist die Erfassung des Hasses gegenüber jenen Gruppen, die als „fremd“, „anders“ oder „abweichend“ wahrgenommen werden, nicht allein zur Dokumentation. Vielmehr ist dieser Hass auch ein Gradmesser für den Zustand der Gesellschaft und er gibt Auskunft über die spezifischen Widersprüche und Konflikte, die in der Gesellschaft gegenwärtig bestehen. Deshalb nutzen wir ausgewählte Fragen, um Muslimfeindschaft und Antiziganismus (Heitmeyer, 2012), Antifeminismus (Höcker et al., 2020), Sexismus (Endrikat, 2003) sowie Transfeindlichkeit zu erfassen. Darüber hinaus erheben wir mit einem Fragebogen die Gewaltbereitschaft und Gewaltakzeptanz der Befragten (Ulbrich-Herrmann, 1995).
Einen Schwerpunkt bildet in diesem Jahr der Antisemitismus, für den wir eine Reihe neuer Fragebögen einsetzen (siehe auch Kap. 4). Auch erfassen wir die Dimensionen Antikapitalismus (Stöss, 2008) und Antiamerikanismus (Knappertsbusch, 2016), die wir auf Grundlage bestehender Fragebögen konzipiert haben (Decker & Brähler, 2010).
Für alle Fragebögen stellen wir die Zustimmungswerte dar. Wenn sie bereits in früheren Erhebungen eingesetzt wurden, berichten wir die Ergebnisse im Zeitverlauf. Und schließlich verwenden wir Kreuztabellen, um bivariate Zusammenhänge abzubilden. Genauere Analysen, wie zum Beispiel multivariate Regressionsanalysen, führen wir in den themenvertiefenden Kapiteln durch. Der Fokus dieses Kapitels liegt auf der Darstellung zentraler Befunde und ihrer Diskussion.
Die Verbreitung rechtsextremer Einstellung
Tabelle 2 bietet eine Übersicht über die einzelnen Aussagen (sogenannte Items) des Fragebogens zur rechtsextremen Einstellung in der Leipziger Form und die prozentualen Zustimmungswerte im Erhebungsjahr 2024. Wir fassen in der weiteren Ergebnisdarstellung die manifeste Zustimmung (vgl. Tab. 2: Wert 4 und 5, letzte und vorletzte Spalte) zusammen und berichten außerdem die Mittelkategorie (Wert 3) als latente Zustimmung. In Letzterer liegt unserer Ansicht nach ein Potenzial, das durch extrem-rechte Akteure in spezifischen gesellschaftlichen Konstellationen mobilisiert werden kann. Dabei kann unsere Interpretation sogar als vorsichtig gelten, da auf einer Likert-Skalierung bereits eine geringe Ausprägung der Einstellung vorliegt, wenn nicht „völlig abgelehnt“ (Wert 1), sondern nur „überwiegend abgelehnt“ (Wert 2) wird (siehe dazu auch Kap. 7).
Tabelle 2: Der Fragebogen zur rechtsextremen Einstellung – Zustimmung auf Item-Ebene (in %, N = 2.504)
Dimensionen der Neo-NS-Ideologie
Wir beginnen die Darstellung und Diskussion der Befunde mit den vier Dimensionen der Neo-NS-Ideologie, also den Elementen des rechtsextremen Weltbilds, die sich im engeren Sinne der neo-nationalsozialistischen Strömung innerhalb des Rechtsextremismus zuordnen lassen. In Grafik 1 ist die manifeste und die latente Zustimmung zu den drei Items der Dimension Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur abgebildet. In den Aussagen enthalten sind die drei auffälligen Schlagwörter Diktatur, Führer und Volksgemeinschaft, die eine historisch und im allgemeinen Sprachgebrauch eindeutige inhaltliche Zuordnung erlauben. 4,3 % der Befragten stimmen der Aussage, dass „unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform“ ist, explizit zu, weitere 15 % können dieser Aussage teilweise etwas abgewinnen. In Ostdeutschland ist die Zustimmung etwas höher. Einen „Führer“ wünschen sich immerhin 8,5 % der Befragten manifest, 15,2 % teilweise. Hier liegt der Wert in Westdeutschland höher als im Osten. Schließlich glauben 17,6 % der in Deutschland wohnenden Menschen, dass Deutschland „eine einzige starke Partei“ brauche, „die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“. Weitere gut 20 % können dieser antipluralistischen Aussage teilweise zustimmen. Die Vorstellung eines homogenen Volkes ohne Interessenskonflikte bzw. einer Gemeinschaft, in der Konflikt oder Widerspruch mit dem erklärten Volkswillen zum Ausschluss führt, wird damit in knapp 40 % der Bevölkerung zumindest nicht explizit abgelehnt.
Grafik 1: Manifeste und latente Zustimmung zu den Aussagen der Dimension »Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur« (Neo-NS-Ideologie; in %)
In der Dimension Antisemitismus finden wir im Westen bei allen drei Items höhere manifeste Zustimmungswerte, wobei dies im Osten durch höhere latente Zustimmungswerte wieder ausgeglichen wird (Grafik 2). Wir erfassen hier nur den tradierten Antisemitismus und gehen davon aus, dass das Antwortverhalten von starker Kommunikationslatenz (Bergmann & Erb, 1986; Beyer & Krumpal, 2010) geprägt ist. Deshalb weisen wir hier auch noch mal auf die hohe latente Zustimmung hin, die wir als eine Form der Umwegkommunikation interpretieren. Aufgrund der deutschen Geschichte lässt sich das Ressentiment gegen Juden nicht so leicht äußern, selbst in einer anonymen Umfrage. Vorhanden ist es dennoch – was sich auch an der Zustimmung zu weniger expliziten Formen des Antisemitismus zeigt (siehe weiter unten die neu erhobenen weiteren Erscheinungsformen des Antisemitismus). 9,2 % der Befragten sind der Ansicht, dass Juden „auch heute noch“ zu großen Einfluss hätten, weitere 23,2 % halten dieses Gerücht zumindest für teilweise richtig. Der Aussage „Die Juden arbeiten mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen“ stimmen 6,8 % explizit und 17 % teilweise zu. 6,8 % meinen, dass Juden „einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich“ hätten und deshalb „nicht so recht zu uns“ passen würden, weitere 18,2 % stimmen dem teilweise zu. Gerade beim Antisemitismus, dem „Gerücht über die Juden“ (Adorno, 1954, S. 200; Kirchhoff, 2021), ist die latente Zustimmung Grund zur Besorgnis, bringt diese doch die Meinung zum Ausdruck, dass an den Aussagen „irgendwie etwas dran“ sei (siehe vertiefend Kap. 4).
Grafik 2: Manifeste und latente Zustimmung zu den Aussagen der Dimension »Antisemitismus « (Neo-NS-Ideologie; in %)
Im Fragebogenteil zur Dimension Sozialdarwinismus kommt die Ungleichwertigkeitsideologie des Rechtsextremismus wortwörtlich zum Ausdruck (Grafik 3): 9,4 % der Befragten stimmen der Aussage „Wie in der Natur sollte sich in der Gesellschaft immer der Stärkere durchsetzen“ zu, weitere 15 % können dem teilweise etwas abgewinnen. Knapp 8 % halten die Deutschen anderen Völkern überlegen, 17 % denken dies teilweise. 9 % meinen, dass es „wertvolles und unwertes Leben“ gibt, 10,5 % halten die Aussage für teilweise richtig, teilweise nicht. Im Osten liegt die (manifeste) Zustimmung durchgehend niedriger, bei zwei Aussagen auch im Hinblick auf die latente Zustimmung.
Grafik 3: Manifeste und latente Zustimmung zu den Aussagen der Dimension »Sozialdarwinismus « (Neo-NS-Ideologie; in %)
Die Zustimmung zu den Aussagen der Dimension Verharmlosung des Nationalsozialismus ist in Grafik 4 abzulesen. Wie auch beim Sozialdarwinismus finden wir in Westdeutschland etwas höhere Werte. 6,6 % der Befragten stimmen der Aussage zu, dass man „Hitler heute als großen Staatsmann ansehen“ würde, wenn es die Judenvernichtung nicht gegeben hätte; weitere 14,6 % sehen das teilweise so. Auch sind 5 % der Befragten manifest und weitere 13,4 % latent der Ansicht, dass die Verbrechen des Nationalsozialismus „weit übertrieben“ werden. Bei dieser Frage liegen die Zustimmungswerte im Westen jeweils ungefähr doppelt so hoch wie im Osten. Eine ähnliche regionale Verteilung zeigt sich bei der Zustimmung zu der Aussage „Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten“, der bundesweit 4,7 % der Befragten manifest und weitere 15 % immerhin latent zustimmen.
Grafik 4: Manifeste und latente Zustimmung zu den Aussagen der Dimension »Verharmlosung des Nationalsozialismus« (Neo-NS-Ideologie; in %)
Dimensionen des Ethnozentrismus
Dem Ethnozentrismus ordnen wir die Dimensionen Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit zu. Im ersten Fall geht es um die überwertige Identifikation mit einer Eigengruppe („Wir Deutsche“), im zweiten Fall um die Abwertung einer Fremdgruppe („Die Ausländer“). In Deutschland ist das Feindbilder „Ausländer“ weit über extrem rechte Diskurse hinaus verankert, auch da sich weder die alte Bundesrepublik noch die DDR als Einwanderungsländer begriffen und sich die entsprechende Selbsteinschätzung erst in den letzten Jahren änderte. Ungeachtet dieses Wandels trennen Staat und Gesellschaft noch heute stark zwischen „Ausländern“ und „Deutschen“. Parolen wie „Ausländer raus“ zeugen davon. Daher bleibt es wichtig, die Anschluss- und Zustimmungsfähigkeit solcher Parolen in der Bevölkerung zu erfassen.
„Endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl“ wünschen sich 32,3 % der Befragten überwiegend oder voll und ganz und weitere 29,1 % teilweise (Grafik 5), wobei die Zustimmung im Osten latenter, im Westen manifester ausfällt. Nur eine Minderheit von knapp 40 % in Ost wie West lehnt diese Aussage überwiegend oder voll und ganz ab. Ein „hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen“ findet bei knapp der Hälfte aller Befragten zumindest teilweise, bei knapp einem Viertel manifeste Zustimmung. Schließlich stimmen der Aussage „Das oberste Ziel deutscher Politik sollte es sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht“ 20,6 % der Befragten manifest zu, 22,7 % teilweise. Auch hier verschwinden die geringen Ost-West-Unterschiede in der manifesten Zustimmung, berücksichtig man die Latenz.
Grafik 5: Manifeste und latente Zustimmung zu den Aussagen der Dimension »Chauvinismus « (Ethnozentrismus; in %)
Auch die Ausländerfeindlichkeit erfährt seit Bestehen unserer Studienreihe sehr hohe Zustimmungswerte. In dieser Dimension sind die Werte für Ostdeutschland durchgehend höher (Grafik 6) – was im starken Kontrast zur geringeren Anzahl der nicht-deutschen Einwohner sowie Einwohner mit Migrationsgeschichte steht. Der Aussage „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“ stimmen 33,2 % der Befragten manifest zu, in Ostdeutschland ist es mit 46,3 % fast jeder Zweite. Insgesamt lehnt aber nur ein Drittel der Befragten – in Ost und West – die Aussage überwiegend oder voll und ganz ab. Wenn Arbeitsplätze knapp werden, wollen 24,8 % der Befragten „die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken“, weitere 26,7 % stimmen dem teilweise zu. In Ostdeutschland lehnen knapp 40 % und in Westdeutschland jeder zweite die Aussage „überwiegend“ oder „voll und ganz“ ab. Schließlich sehen 33,8 % der Befragten die Bundesrepublik „durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“, weitere 28,3 % sehen das zumindest teilweise so. In Ost und West lehnt diese Aussage nur eine Minderheit ab, wobei es im Osten gerade einmal 26 % sind.
Grafik 6: Manifeste und latente Zustimmung zu den Aussagen der Dimension »Ausländerfeindlichkeit « (Ethnozentrismus; in %)
Die Entwicklung der rechtsextremen Einstellung in Deutschland von 2002 bis 2024
In diesem Abschnitt stellen wir die Zustimmung zur rechtsextremen Einstellung und den einzelnen Dimensionen im Zeitverlauf 2002 bis 2024 und für Ost und West getrennt dar. Dazu fassen wir die Zustimmung jeweils über die drei Items hinweg zusammen: Je Dimension reicht die Punktzahl von 3 (lehnt alle Aussagen voll und ganz ab) bis 15 (stimmt allen Aussagen voll und ganz zu). Wir berichten in den folgenden Grafiken den Prozentwert der Befragten, die in der jeweiligen Dimension den Wert 12 erreichen oder darüber liegen. Diese Befragten stimmen also im Mittel allen drei Aussagen „überwiegend“ zu. Dieser Cut-Off-Wert kann vor dem Hintergrund der hohen latenten Zustimmung als sehr hartes Kriterium gelten, da im Mittel eine manifeste Zustimmung nötig ist, um über dem Cut-Off zu gelangen. Wir berichten im Folgenden insofern den Prozentsatz derjenigen, die ein geschlossen ausländerfeindliches, tradiert antisemitisches usw. Weltbild aufweisen und in der letzten Grafik den Prozentsatz der Menschen mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild, die also allen 18 Items im Mittel zustimmen. Wie aus den vorherigen Ausführungen deutlich wurde, liegt die Zustimmungsfähigkeit rechtsextremer Positionen aber deutlich über den im Folgenden aufgeführten Werten, die auf den harten Kriterien des Cut-Offs basieren.
Aufgrund der starken Unterschiede in manifester Zustimmung zwischen den einzelnen Dimensionen variieren aus Darstellungsgründen die gewählten Skalenausschnitte der Prozentangaben auf der y-Achse. Werden signifikante Unterschiede angegeben, beziehen sich diese auf den Vergleich von Ost- zu Westdeutschland in der aktuellen Erhebung 2024.
Neo-NS-Ideologie im Langzeitverlauf
Wir beginnen wieder mit den vier Dimensionen der Neo-NS-Ideologie. Die manifeste Zustimmung zur Dimension Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur ist in Westdeutschland in der Tendenz rückläufig (Grafik 7). Sie lag in Ostdeutschland bis einschließlich 2020 teils deutlich über dem westdeutschen Niveau, sackte in der Pandemie jedoch – bei hoher latenter Zustimmung – von 8,8 % auf 1,5 % ab. In Ost wie West verzeichnen wir 2024 wieder einen leichten Anstieg, der Osten liegt zudem wieder knapp, aber statistisch nicht signifikant über dem Westen.
Grafik 7: Anteil der manifesten Zustimmung zur Dimension »Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur« 2002–2024 (Neo-NS-Ideologie; in %)
Grafik 8 zeigt die manifeste Zustimmung zur Dimension Antisemitismus im Zeitverlauf. Zu Beginn der Studienreihe 2002 lag diese in Westdeutschland deutlich über dem Ostniveau und ging im weiteren Verlauf bislang zurück. Dieser Trend endet im Jahr 2024. Der tradierte Antisemitismus findet bei 4,6 % der Westdeutschen Zustimmung und liegt wieder über dem Niveau der Jahre 2018, 2020 und 2022 (Grafik 8). In Ostdeutschland beobachten wir häufigere Schwankungen: Lag der Bevölkerungsanteil an manifesten Antisemiten dort zunächst deutlich unter dem in Westdeutschland, stieg er bis zum Jahr 2012 auf 10,4 % und damit über das Westniveau. 2024 erreicht er mit 1,8 % einen neuen Tiefstand und liegt signifikant niedriger als im Westen.
Grafik 8: Anteil der manifesten Zustimmung zur Dimension »Antisemitismus« 2002–2024 (Neo-NS-Ideologie; in %)
Die Dimension des Sozialdarwinismus findet bei einem seit Beginn der Erhebung stark fluktuierenden Anteil an Ostdeutschen Zuspruch, während in Westdeutschland der Anteil an manifest sozialdarwinistisch Eingestellten bis 2020 tendenziell abnahm (Grafik 9). Allerdings stiegen in beiden Regionen die manifesten Zustimmungswerte zuletzt wieder leicht, aber signifikant an. Zusammen mit der oben beschriebenen latenten Zustimmung, die wir bereits in der letzten Erhebung insbesondere in Ostdeutschland beobachtet haben, bleibt festzuhalten, dass diese Subdimension rechtsextremer Einstellung also trotz der zuletzt niedrigen manifesten Zustimmung mobilisierbar ist.
Grafik 9: Anteil der manifesten Zustimmung zur Dimension »Sozialdarwinismus« 2002–2024 (Neo-NS-Ideologie; in %)
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Verharmlosung des Nationalsozialismus (Grafik 10): In Westdeutschland nimmt der entsprechende Anteil der Befragten tendenziell ab, in Ostdeutschland beobachten wir eine wiederholte Zu- und Abnahme. Von 2022 auf 2024 nahm der Prozentsatz derjenigen, die den Nationalsozialismus verharmlosen, insgesamt wieder ganz leicht zu.
Grafik 10: Anteil der manifesten Zustimmung zur Dimension »Verharmlosung des Nationalsozialismus« 2002–2024 (Neo-NS-Ideologie; in %)
Langzeitverlauf in den Dimensionen des Ethnozentrismus
Grafik 11 stellt den Anteil der manifest chauvinistisch Eingestellten im Zeitverlauf 2002 bis 2024 dar. Auch hier sehen wir – diesmal auch im Westen – eine unstetige Entwicklung. In den ersten drei Untersuchungen der Studienreihe lag der Anteil in Westdeutschland eindeutig über dem Ostniveau. Dann setzte im Westen eine Folge von Zu- und Abnahmen um jeweils etwa 5 Prozentpunkte ein. Im Osten stieg der Anteil zunächst kontinuierlich an um dann wieder stark abzufallen. Die Ausschläge fallen im Osten deutlicher aus. Konkrete Anlässe lassen sich für diese Entwicklungen nur vermuten, z.B. die Finanz- und Wirtschaftskrise für den Anstieg im Osten 2010/2012. Mit Blick auf die hohe latente Zustimmung (siehe oben) ist auch hier von einer großen Mobilisierbarkeit und deshalb auch Volatilität des Einstellungspotenzials auszugehen.
Grafik 11: Anteil der manifesten Zustimmung zur Dimension »Chauvinismus« 2002–2024 (Ethnozentrismus, in %)
Grundsätzlich findet Ausländerfeindlichkeit zu fast allen Erhebungszeitpunkten in Ostdeutschland eine höhere manifeste Zustimmung als im Westen (Grafik 12). Auch hier zeigt sich aber im Zeitverlauf eine Dynamik: Während wir über die Jahre im Westen eine leicht abnehmende Tendenz beobachten konnten (wobei die Zustimmung ähnlich wie beim Antisemitismus zuletzt aber wieder anstieg), ist die Entwicklung im Osten unstetig. Hier folgte auf einen starken Anstieg in den Jahren 2008 bis 2012 ein Rückgang um 16 % im Jahr 2014. Zuletzt bewegt sich der Anteil der manifest ausländerfeindlich Eingestellten im Osten bei über 30 %.
Grafik 12: Anteil der manifesten Zustimmung zur Dimension »Ausländerfeindlichkeit « 2002–2024 (Ethnozentrismus; in %)
Geschlossen rechtsextremes Weltbild im Langzeitverlauf
Zuletzt blicken wir auf den Anteil der Befragten mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild. Dazu fassen wir die Zustimmung zu allen 18 Items des Fragebogens zusammen und berichten den Prozentsatz der manifest Rechtsextremen. Der Minimalwert beträgt 18 (alle Aussagen werden voll und ganz abgelehnt), der Maximalwert 90 (allen Aussagen wird voll und ganz zugestimmt. Wir haben den Cut-Off-Wert bei 63 festgelegt: Über alle 18 Aussagen hinweg liegt die Zustimmung der Befragten damit im Schnitt bei einem Wert von 3,5 und somit genau zwischen „stimme teils zu, stimme teils nicht zu“ und „stimme überwiegend zu“. Damit ist der Cut-Off zwar weniger streng als bei der Bestimmung der Grenzwerte für die einzelnen Dimensionen, dennoch handelt es sich um eine vergleichsweise harte Grenze. Denn wenn die Zustimmung zu einzelnen Aussagen oder auch in einer Dimension geringer ausfällt, muss sie bei anderen Items entsprechend höher liegen. Diese Varianz zuzulassen trägt nicht zuletzt dem Umstand Rechnung, dass es die eine rechtsextreme Ideologie nicht gibt. Vielmehr handelt es sich dabei – wie bereits in der Weimarer Republik (Sontheimer, 1978) – um ein Spektrum (Kiess & Nattke, 2024).
Grafik 13 ist im Zeitverlauf sowie für Ost- und Westdeutschland der Bevölkerungsanteil derjenigen zu entnehmen, die im beschriebenen Sinne manifest rechtsextrem eingestellt sind. Für Westdeutschland beobachten wir einen tendenziellen Rückgang, wobei der Anteil 2024 über alle Dimensionen hinweg wieder angestiegen ist. In Ostdeutschland liegt der Anteil mit 4,6 % in diesem Jahr nur marginal darüber. Allerdings unterliegen die Werte für Ostdeutschland seit Beginn der Erhebung einer höheren Fluktuation, wobei zunächst wieder die Jahre 2010 und 2012 hervorstechen. Der Tiefpunkt 2022 könnte mit der COVID-19-Pandemie einhergehen, allerdings können wir an dieser Stelle keine empirisch abgesicherte Interpretation anbieten. Möglich wäre, dass es im Zuge der Pandemie, aber auch als genereller Ausdruck der Entwicklung der extremen Rechten zu einer weiteren ideologischen Ausdifferenzierung im Spektrum und entsprechend auch bei den Einstellungsmilieus kommt. Darauf deutet zumindest die hohe Zustimmung zu einzelnen Fragen und insbesondere auch die hohe latente Zustimmung hin.
Grafik 13: Anteil an Befragten mit geschlossen rechtsextremem Weltbild 2002–2024 (in %)
Rechtsextreme Einstellungsdimensionen und Soziodemografie
Der Begriff Rechtsextremismus impliziert politische und gesellschaftliche Widersprüche, die wir an anderer Stelle bereits ausführlicher diskutierten (Kiess & Decker, 2010; Kiess, 2011; Decker, 2018). Dennoch ist er als Sammelbegriff besser als andere Begriffe in der Lage, antidemokratische Phänomene eines bestimmten Spektrums zu bezeichnen, ähnlich wie der der Begriff extreme Rechte (Kiess & Nattke, 2024, S. 14ff.) oder far right im Englischen (Pirro, 2023). Dieses Spektrum bezieht sich im Kern auf eine Ideologie der Ungleichheit (Decker & Brähler, 2006, S. 20; Salzborn, 2015, S. 67). Entsprechend finden wir als Bezugspunkte immer wieder einen völkisch-nationalistischen Diskurs, verschiedene Ausformungen der Ungleichwertigkeitsideologie und Antipluralismus (Kiess & Nattke, 2024, S. 15). Ein zentrales Anliegen der Leipziger Autoritarismus Studien – darauf verwies auch der frühere Name Leipziger Mitte-Studien – ist es aufzuzeigen, dass die Demokratie nicht (nur) von „extremistischen Rändern“ aus bedroht wird. Vielmehr sind Ressentiments und autoritäre Dispositionen in der ganzen Breite der Gesellschaft zu finden und entspringen zudem aus deren „Mitte“. In diesem Abschnitt gehen wir der Verbreitung der rechtsextremen Einstellungen in verschiedenen soziodemografischen Gruppen nach. Dabei zeigt sich, dass keine Gruppe vollkommen frei von Ressentiments ist. Wir berichten an dieser Stelle zunächst nur bivariate Zusammenhänge, in Kapitel 3 vertiefen wir die Analyse der Einflussfaktoren.
Die Unterschiede zwischen Ost und West haben wir in den Grafiken 1 bis 13 bereits betrachtet, Tabelle 3 fasst diese Beobachtungen auf der Ebene der Dimensionen noch einmal zusammen. Bei drei der sechs Dimensionen (Diktaturbefürwortung, Sozialdarwinismus und NS-Verharmlosung) bewegen sich die Zustimmungswert in beiden Landesteilen auf einem ähnlichen Niveau und es finden sich keine signifikanten Unterschiede. Mit Blick auf die Dimension Antisemitismus zeigt sich, dass der Anteil an manifesten Antisemiten in Westdeutschland signifikant höher ist als im Osten. Umgekehrt ist die Zustimmung zum Chauvinismus und noch deutlicher zur Ausländerfeindlichkeit im Osten signifikant höher.
Tabelle 3: Manifest-rechtsextreme Einstellung je Dimension in Ost- und Westdeutschland (in %)
Zahlreiche Studien belegen immer wieder den Zusammenhang zwischen rechtsextremen Einstellungen und dem Bildungshintergrund (vgl. Rippl & Seipl, 2002; Decker et al., 2022). In Tabelle 4 sind die Unterschiede der Zustimmung zu den einzelnen Dimensionen zwischen Befragten mit und ohne Abitur dargestellt. Nur bei der Dimension Verharmlosung des Nationalsozialismus finden sich keine signifikanten Unterschiede. In allen anderen Dimensionen ist der Anteil der Befragten, die rechtsextrem eingestellt sind, in der Gruppe ohne Abitur mehr als doppelt so hoch wie in der Gruppe mit Abitur.
Tabelle 4: Manifest-rechtsextreme Einstellung je Dimension und Bildungsgrad (in %)
Auch zwischen Männern und Frauen finden wir signifikante Unterschiede in fünf der sechs Dimensionen, wobei die Zustimmungswerte der Männer stets über denen der Frauen liegen (Tab. 5). So ist beispielsweise jeder vierte Mann manifest ausländerfeindlich eingestellt, bei den Frauen ist es jede Fünfte. Eine rechtsautoritäre Diktatur befürworten manifest 4,2 % der Männer und 2,3 % der Frauen. Auch beim Sozialdarwinismus ist der Anteil bei Männern höher, jedoch ist hier der Unterschied nicht signifikant und könnte auch zufällig zustande gekommen sein. Generell ist Rechtsextremismus zwar kein reines „Männerproblem“, doch die erhöhten Einstellungen korrespondieren mit einer höheren Mobilisierungsfähigkeit zu rechtsextremen Demonstrationen und für extrem rechte Parteien (Kiess et al., 2015; vgl. z.B. Pickel, 2019; Celik et al., 2020; Arzheimer, 2024).
Aufsehen erregen in jüngster Zeit Berichte darüber, dass die extreme Rechte (wieder) zunehmend bei jungen Menschen erfolgreich ist. Was die NPD in den 1990er Jahren mit Schulhof-CDs versuchte, führen AfD und andere heute auf Social-Media-Plattformen wie TikTok weiter. Über viele Jahre hinweg waren rechtsextreme Einstellungen eher bei Älteren vorzufinden. 2024 ist das Verhältnis zwischen den drei von uns gebildeten Altersgruppen bezüglich der Neo-NS-Ideologie relativ ausgeglichen (Tab. 6). Allerdings zeigen Jugendliche und junge Erwachsene im Westen die höchsten Zustimmungswerte zu diesem Ressentiment. Beim Ethnozentrismus hingegen fallen schon ohne Signifikanztest deutliche Unterschiede ins Auge: Im Osten sind die Jüngeren am chauvinistischsten, wohingegen im Westen die Befragten umso chauvinistischer sind, je älter sie sind. Bei der Ausländerfeindlichkeit wiederholt sich das Bild für den Westen, während im Osten hingegen der Anteil der manifest Ausländerfeindlichen unter 31- bis 60-Jährigen mit 36,6 % am höchsten ist. Unter den jungen Ostdeutschen Befragten ist der Anteil am geringsten, wenngleich immer noch deutlich höher als in der westdeutschen Vergleichsgruppe. Zusammengefasst sind bezüglich der Neo-NS-Ideologie nur geringe Unterschiede auszumachen, beim Ethnozentrismus tritt der Rechtsextremismus gruppenspezifisch zutage.
Tabelle 6: Manifest-rechtsextreme Einstellung je Dimension in Abhängigkeit vom Alter (in %) nach Ost/West
Hinsichtlich des Erwerbsstatus zeigen sich bekannte Muster (Tab. 7): Unter Arbeitslosen ist der Prozentsatz der rechtsextrem Eingestellten über alle Dimensionen hinweg höher als in den Vergleichsgruppen. Auffällig sind zudem die hohen Werte bei Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit unter den im Ruhestand befindlichen Befragten. Eine genauere Auswertung nach Berufsklassen legen wir in Kapitel 3 vor.
Der AfD gelingt es seit Jahren, einen großen Teil der rechtsextrem Eingestellten, die vor der Gründung der Partei demokratisch oder gar nicht wählten, zu mobilisieren. Auch 2024 ist der Anteil der manifest rechtsextrem Eingestellten unter ihren Anhängern am höchsten. Da diese Menschen mit der Programmatik der AfD also eindeutig übereinstimmen, ist zweifelhaft, ob sie durch Angebote in Politikfeldern, die wie das Thema Migration durch die extreme Rechte bearbeitet werden, zurückgewonnen werden können. Potenziell erfolgreicher kann dagegen die Verschiebung der Aufmerksamkeit auf Themen sein, bei denen die AfD ihren Wählern wenig bieten kann. Festzuhalten ist aber, dass es auch in der Wählerschaft der demokratischen Parteien (geringe) Anteile rechtsextrem Eingestellter gibt.
Tabelle 8: Anteil der Menschen mit manifest-rechtsextremer Einstellung je Dimension unter den Parteiwählerinnen und -wählern (in %)
In Tabelle 9 ist dargestellt, wen die (wenigen) manifest rechtsextrem Eingestellten zu den Erhebungszeitpunkten 2020, 2022 und 2024 angaben, zu wählen. Zunächst ist auffällig, dass sich 2022 und 2024 deutlich mehr von ihnen überhaupt für eine Wahlteilnahme aussprachen. Entsprechend sank der Anteil der rechtsextremen Nichtwähler sowie der Unsicheren und der potenzielle Stimmenanteil für die AfD stieg von 2020 zu 2022 deutlich an. Dies spricht für die These, dass die AfD ein bereits zuvor bestehendes extrem rechtes Wählerpotential inzwischen erfolgreich mobilisiert.
Tabelle 9: Was wählen Menschen mit geschlossen-rechtsextremem Weltbild (in %)?
Tabelle 10 ist zu entnehmen, dass die Mitgliedschaft in Gewerkschaften nicht signifikant mit rechtsextremen Einstellungen zusammenhängt. Einerseits mag dies an der heterogenen Gewerkschaftslandschaft liegen, denn hier gehen christliche Nischengewerkschaften, IG Metall, Polizeigewerkschaft oder die Lehrer-dominierte GEW in einer Sammelkategorie auf. Andererseits belegt es die Erfahrung vieler Gewerkschaftsfunktionäre und -forschender, dass die Mitgliedschaft politisch durchaus sehr heterogen ist (Becker et al., 2018; Frymer & Grumbach, 2021).
Tabelle 10: Manifest-rechtsextreme Einstellung je Dimension und Gewerkschaftsmitgliedschaft (in %)
Wie Tabelle 11 zu entnehmen ist, verzeichnen wir zunächst lineare Zusammenhänge zwischen dem Äquivalenzeinkommen (dem nach Anzahl der Personen im Haushalt geteilten Einkommen) und rechtsextremen Einstellungen: Je geringer das Haushaltsnettoeinkommen, desto höher der Anteil der rechtsextrem Eingestellten unter den Befragten. Der Effekt ist in den Dimensionen Antisemitismus und Sozialdarwinismus nicht signifikant. Auch an dieser Stelle verweisen wir auf Kapitel 3, denn in der multivariaten Analyse unter Berücksichtigung anderer Einflussfaktoren ist das Einkommen nicht mehr relevant für die Erklärung rechtsextremer Einstellung.
Tabelle 11: Manifest-rechtsextreme Einstellung je Dimension und Äquivalenzeinkommen (in %)
Antimoderne Ressentiments: Der autoritäre Hass auf „Andere“
Trotz des leichten Anstiegs in diesem Erhebungsjahr beobachten wir seit einiger Zeit tendenziell einen Rückgang der manifesten Zustimmung im Bereich der Neo-NS-Ideologie. Auch wenn das generell für eine stärkere soziale Sanktionierung dieser Ansichten innerhalb der Gesellschaft spricht, haben wir bereits in der letzten Erhebung darauf hingewiesen, dass dies keinen Grund zur Entwarnung darstellt. Gerade im Blick auf die Zustimmungswerte in den beiden Dimensionen des Ethnozentrismus wird die innergesellschaftliche Gefahrenlage deutlich. Die Ausländerfeindlichkeit befindet sich bundesweit seit Jahren auf hohem Niveau und ist im Westen seit zwei Jahren wieder gestiegen. Da gleichzeitig die Aufwertung des Eigenen, also der Chauvinismus, gleichermaßen anhaltende Zustimmung findet, rücken die Gruppendynamiken ins Zentrum der antidemokratischen Dynamik unserer Gesellschaft. In unseren Erhebungen verfolgen wir diese Orientierung an kollektiver Identität und die Bereitschaft zum Ressentiment gegenüber „Anderen“ seit Jahren und legen dementsprechend auch in den anschließenden Analysen den Fokus auf sie. Dass diesen Ressentiments autoritäre Bedürfnisse zugrunde liegen und sie autoritären Aggressionen entsprechen, führt uns im weiteren Verlauf des Kapitels noch zu der Frage nach deren Verbreitung. Zunächst bleiben wir aber bei den konkreten Ressentiments und damit bei dem Bedürfnis, eine als fremd oder gefährlich wahrgenommene Fremdgruppe abzuwerten und in der Folge bekämpfen zu wollen – notfalls unter Einsatz von Gewalt. Dafür betrachten wir, welche Gruppierungen derzeit vornehmlich zum Objekt autoritärer Aggressionen werden, welche Formen des Ressentiments also derzeit am ehesten zustimmungsfähig sind. Die Stärke einzelner Ressentiments soll dabei nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Objekte des Hasses relativ flexibel gewählt werden können. Um dieser Vielgestaltigkeit Rechnung zu tragen, dokumentieren wir auch die vielfältige Abwertungsbereitschaft, die sich jeden Tag gegen unterschiedlichste Gruppen richtet.
In dieser Erhebung legen wir dabei einen Schwerpunkt auf das Thema Antisemitismus (siehe dazu auch Kap. 4): Wir betrachten spezifische Ressentiments gegen Jüdinnen und Juden, die aufgrund der sozialen Sanktionierung direkter Äußerungsformen indirekt, also über Umwege kommuniziert werden. Diese „Umwegkommunikation“ (Bergmann & Erb, 1986) bricht sich beispielsweise in Form einer Dämonisierung des Staates Israel Bahn (israelbezogener Antisemitismus) oder äußert sich in der Forderung, die nationalsozialistische Vergangenheit ruhen zu lassen und nicht mehr zu thematisieren (Schuldabwehrantisemitismus). Dies geht häufig mit einer impliziten Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus einher. Darüber hinaus beobachteten wir in Folge des Angriffs der Terrorgruppe Hamas auf Israel Formen des Antisemitismus, die sich mit diesen beiden Dimensionen noch nicht adäquat beschreiben ließen. In einer Vorstudie entwickelten wir daher zwei neue Skalen, die erstmalig postkolonialen sowie antizionistischen Antisemitismus als Äußerungsformen des antisemitischen Ressentiments erfassen (Decker et al., 2024).
Ausdruck findet das erwähnte Ressentiment auch im links wie rechts beheimateten Antiamerikanismus (Kiess et al., 2020), indem die USA bzw. die US-Amerikaner stellvertretend für die Probleme moderner Gesellschaft verantwortlich gemacht werden (Stern, 1961), sowie aufgrund einer verkürzten Kapitalismuskritik in bestimmten Formen des Antikapitalismus (Stöss, 2008). Weiterhin erfassen wir bereits seit einigen Jahren regelmäßig Muslimfeindschaft und Antiziganismus, zwei weitere Einstellungsmuster, denen eine Projektion negativer gesellschaftlicher Entwicklungen sowie negativer Affekte auf eine Fremdgruppe zugrunde liegt. Nicht zuletzt können Antifeminismus, also die Ablehnung jeglicher weiblicher Emanzipationsbestrebungen, und Sexismus als Ausdruck autoritärer Aggression verstanden werden, wobei sie sich hier nicht gegen eine Minderheit richtet, sondern Frauen im Allgemeinen als Projektionsfläche herhalten müssen. In diesem Jahr haben wir in diesem Bereich darüber hinaus Transfeindlichkeit als Form antimodernen Ressentiments mitberücksichtigt.
Antisemitismus
Israelbezogenen Antisemitismus haben wir bereits in den Jahren 2012 und dann regelmäßig seit 2018 anhand von drei Items erhoben (Grafik 14). 2024 beobachten wir insgesamt einen Anstieg der Zustimmung in Ost- und Westdeutschland über alle Items hinweg. Während 2022 noch 12,8 % angaben, dass ihnen aufgrund der Politik Israels »die Juden immer unsympathischer« würden, stimmen 2024 15,6 % der Befragten dieser Gleichsetzung von Juden mit den politischen Handlungen des Staates Israel zu. Insgesamt mehr als ein Fünftel der Befragten finden außerdem, dass »Israels Politik in Palästina […] genauso schlimm wie die Politik der Nazis im Zweiten Weltkrieg ist« – eine Aussage, die nicht nur die Handlungen des Staates Israels delegitimiert und dämonisiert, sondern gleichzeitig eine Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus darstellt. Immerhin mehr als jeder Zehnte findet, dass Israels Verbrechen im Vergleich zu den »Schattenseiten« anderer Nationen deutlich schwerwiegender sind.
Grafik 14: Manifeste Zustimmung zum israelbezogenen Antisemitismus 2012 und 2018–2024 (in %)
Die Zustimmung zu den Items des Schuldabwehrantisemitismus verweilt auf ähnlich hohem Niveau, wobei die Zustimmung in Ostdeutschland durchweg höher ausfällt als in Westdeutschland (Grafik 15). Auch 2024 finden über 60 % der Befragten, dass man sich „lieber gegenwärtigen Problemen widmen [sollte], als Ereignissen, die mehr als 70 Jahre vergangen sind“, und fordern damit implizit, einen „Schlussstrich“ unter die nationalsozialistische Vergangenheit zu setzen. Außerdem sehen über ein Drittel der Befragten „eine Holocaust-Industrie von findigen Anwälten“ am Werk, wenn es um Reparationsforderungen an Deutschland geht. 29,3 % der Befragten geben an, dass es sie wütend mache, „dass die Vertreibung der Deutschen und die Bombardierung deutscher Städte immer als kleinere Verbrechen angesehen werden“ – eine Aussage, in der die Relativierung der Shoah angelegt ist.
Grafik 15: Manifeste Zustimmung zum Schuldabwehrantisemitismus 2012 und 2018–2024 (in %)
Für den postkolonialen Antisemitismus haben wir vor dem Hintergrund der gerade auch im linken Spektrum verbreiteten Sympathien für das eliminatorisch motivierte Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 einen neuen Fragebogen entwickelt (Grafik 16). In der ersten Aussage ist eine Variation der sonst von rechts bekannten Schlussstrichforderung enthalten, die auch im Schuldabwehrantisemitismus zentral ist: Über 15 % der Befragten, in Ostdeutschland sogar über 19 %, stimmen der Aussage mindestens überwiegend zu, dass der „deutsche Schuldkomplex“ den „Freiheitskampf der Palästinenser“ behindere, ein weiteres Drittel stimmt dieser Aussage teilweise zu. Nicht zuletzt wegen des Begriffs „Freiheitskampf“ lässt diese Aussage mit den beiden folgenden in ein antiimperialistisch-antikoloniales Weltbild einordnen. Die Gründung des Staates Israel stellt für 13 % der Befragten ein Resultat des schlechten Gewissens der Europäer dar, weiterhin stimmen dem im Osten über 40 % teilweise zu. Mit dieser Aussage wird nicht nur die Legitimität des Staates Israels angezweifelt, sondern auch die besondere Situation der Staatsgründung geleugnet, schließlich war der Staat Israel ein Zufluchtsort für Juden nach der Shoah. 14 % der Befragten halten den Nahostkonflikt für einen „Konflikt zwischen weißem Kolonialismus und unterdrückten Minderheiten“, ein weiteres Drittel stimmt dieser Aussage teilweise zu.
Grafik 16: Manifeste und latente Zustimmung zum postkolonialem Antisemitismus 2024 (in %)
Eine weitere Form der Umwegkommunikation des antisemitischen Ressentiments bildet der antizionistische Antisemitismus (Grafik 17). Eine einseitige Schuldzuweisung und damit Dämonisierung des Staates Israel ist in der Aussage „Ohne Israel würde Frieden in Nahost herrschen“ verbalisiert, der bundesweit 17,9 % zustimmen, in Ostdeutschland sogar jeder Vierte. Ein weiteres Drittel der Bevölkerung stimmt der Aussage teilweise zu. Die Formulierung „ohne Israel“ beinhaltet eine eliminatorische Komponente, die in der zweiten Aussage ebenfalls beinhaltet ist. Auch bei diesem Item ist die höhere manifeste Zustimmung in Ostdeutschland auffällig: Signifikant mehr Ost- als Westdeutsche sind der Ansicht, dass es Muslimen „ohne Israel“ besser gehen würde. Dass es besser sei, wenn nicht nur der Staat Israel, sondern auch „die Juden den Nahen Osten verlassen würden“, denken 13,2 % der Befragten, ein weiteres Viertel stimmt der Aussage teilweise zu.
Grafik 17: Manifeste und latente Zustimmung zum antisemitischen Antizionismus 2024 (in %)
In Grafik 18 sind die Zustimmungswerte zu weiteren Aussagen abgebildet, die Antisemitismus messen. Augenfällig ist auch hier die sehr hohe latente Zustimmung. Doch auch manifest denken 10 % der Befragten, dass der Holocaust letztlich weniger wichtig als die Kolonialverbrechen ist, 15,5 %, dass Israel ein „rassistischer Kolonialstaat“ sei, und 21,5 %, dass es keine echte Meinungsfreiheit gebe, wenn „man sich nicht offen zum Holocaust äußern darf“.
Grafik 18: Manifeste und latente Einstellung zu verschiedenen antisemitischen Aussagen 2024 (in %)
Weitere antimoderne Ressentiments
Wie oben bereits angesprochen drückt sich im Antiamerikanismus ein Ressentiment gegen die moderne Gesellschaft aus: Für bestimmte, unerwünschte gesellschaftliche Entwicklungen werden die USA bzw. die US-Amerikaner verantwortlich gemacht. Sie werden zu Repräsentanten einer fortschreitenden Individualisierung, die ambivalent bleibt, weil sie sich mit individualisierten Anforderungen verbindet: Die gewonnenen Freiheiten sind verbunden mit einer Auflösung der Sicherheiten traditioneller Gesellschaften. Letztere werden in der Rückprojektion somit zur vermeintlich besseren Welt und die USA zu deren Antipoden. Ein knappes Drittel der Befragten hält die Menschen in den USA für „überaus eigennützig und egoistisch“, ein weiteres Drittel stimmt dem teilweise zu. Ebenfalls ein Drittel hält die US-amerikanische Kultur für „oberflächlich“ – eine Ansicht, die von einem weiteren Drittel zumindest teilweise geteilt wird. Interessanterweise ist hier die Zustimmung im Osten niedriger. Dass „US-amerikanische Spekulanten […] die Werte der sozialen Marktwirtschaft“ zerstören, denken mehr als ein Drittel der Befragten und in Ostdeutschland sogar jeder Zweite. Sie verkennen damit nicht allein, dass auch an deutschen Börsen und von deutschen Banken spekuliert wird, sondern auch, dass dies zur grundlegenden Funktionsweise des Kapitalismus sowie der sozialen Marktwirtschaft gehört.
Grafik 19: Manifeste und latente Zustimmung zum Antiamerikanismus 2024 (in %)
Eine antikapitalistische Einstellung ist deutlich weiter manifest verbreitet als die bisher berichteten Ressentiments. Dagegen fällt die latente Zustimmung wesentlich geringer aus, was darauf schließen lässt, dass die Items weniger in der Kommunikationslatenz stecken, also Zustimmung offener geäußert werden kann. Knapp die Hälfte der Befragten ist der Ansicht, dass „wirkliche Demokratie“ erst möglich sei, „wenn es keinen Kapitalismus mehr gibt“, über 60 % denken, dass von der Globalisierung „nur die mächtigen Wirtschaftsinteressen“ profitieren, und zwei Drittel sehen die Schuld für wachsende Ungleichheit bei den Finanzmärkten. In diesen Aussagen werden die gesellschaftlichen Verhältnisse stark vereinfacht und schematisch dargestellt. Sowohl die eigene Involviertheit als auch jene breiterer Gesellschaftsschichten werden negiert, Schuld sind einige Wenige. Dass auch hier die negativen Entwicklungen und Affekte nach außen verlagert werden, erlaubt dem Individuum Beruhigung ob der vermeintlichen Klarheit der Verhältnisse und der eigenen Position.
Grafik 20: Manifeste und latente Zustimmung zum Antikapitalismus 2024 (in %)
Eine solche Projektion, die sich in den zuvor genannten Bereichen ausdrückt und die für die autoritäre Aggression insgesamt kennzeichnend ist, findet sich auch in anderen Formen der Abwertung von Minderheiten, wofür Muslimfeindschaft und Antiziganismus weitere Beispiele sind. Beide Formen erheben wir seit 2014 regelmäßig alle zwei Jahre. In dieser Erhebung können wir in Westdeutschland durchweg einen deutlichen Anstieg der Zustimmungsraten verzeichnen (Tab. 12). Während 2022 etwas mehr als ein Drittel der Westdeutschen angaben, sich „durch die vielen Muslime […] manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“ zu fühlen, sind es 2024 Ost wie West fast die Hälfte. Auch dass „Muslimen […] die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“ sollte, finden 2024 fast ein Drittel der Westdeutschen, während es 2022 weniger als ein Viertel waren. Hier sind die Zustimmungsraten im Osten zwar etwas rückläufig, jedoch mit 43,2 % auch 2024 noch signifikant höher als im Westen. Ressentiments gegen Menschen muslimischen Glaubens sind also auch 2024 in ganz Deutschland weit verbreitet.
Ähnlich hoch fällt die Zustimmung zum Antiziganismus aus. Zwar ist hier die Rate in Ostdeutschland im Vergleich zu 2022 rückläufig, jedoch geben immer noch jeweils mehr als die Hälfte der Ostdeutschen an, ein Problem mit der Anwesenheit von Sinti und Roma zu haben sowie zu glauben, dass „Sinti und Roma […] zur Kriminalität“ neigten. Die Ansicht, dass „Sinti und Roma […] aus den Innenstädten entfernt werden“ sollten, teilen in Ost- und Westdeutschland etwa 40 % der Befragten.
Tabelle 12: Muslimfeindschaft und Antiziganismus 2014–2024 (Zustimmung in %)
Antifeminismus, also die Ablehnung weiblicher Emanzipationsbestrebungen, erfassen wir seit 2020 anhand von vier Items. In Ostdeutschland fällt die Zustimmung auch in diesem Jahr höher aus als in Westdeutschland. Dabei zeigt sich, dass Antifeminismus in Westdeutschland im Vergleich zu 2022 an Zuspruch verliert, während die Zustimmung in Ostdeutschland auf ähnlich hohem Niveau verweilt oder sogar zunimmt: 2022 glaubten 20,8 % der Ostdeutschen, dass Frauen „sich in der Politik häufig lächerlich“ machen würden, 2024 wird diese Meinung von mehr als einem Drittel vertreten (34,9 %). Auch bei der Aussage, dass „Frauen, die mit ihren Forderungen zu weit gehen“, sich nicht zu wundern hätten, „wenn sie wieder in ihre Schranken gewiesen werden“, stieg die Zustimmung in Ostdeutschland von gut einem Viertel der Befragten auf 35,6 % und damit auf einen Wert, der noch über dem von 2020 liegt (33,5 %).
Grafik 21: Zustimmungswerte zu den Items der Skala Antifeminismus nach Ost und West im Zeitvergleich (in %)
Betrachten wir den Sexismus, den wir seit 2006 in unregelmäßigen Abständen erheben, so ergeben sich ähnlich hohe Zustimmungsraten wie 2022. Mit Blick auf Ost-West-Unterschiede zeigt sich jedoch ein überraschendes Bild. In der Vergangenheit waren die Zustimmungswerte in Ostdeutschland stets niedriger als in Westdeutschland – eine Beobachtung, die häufig auf die Rolle der Frau und die Förderung weiblicher Erwerbstätigkeit in der DDR zurückgeführt wird (Heller et al., 2024). 2024 finden wir in einzelnen Aussagen erstmals höhere Zustimmung im Osten: Signifikant mehr Ostdeutsche (31,4 %) als Westdeutsche (25,7 %) finden, dass sich Frauen „wieder mehr auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter“ konzentrieren sollten. Außerdem gab ein Drittel der Ostdeutschen an, „Frauen, die sich gegen eine Familie und Kinder entscheiden“, als egoistisch zu empfinden. Im Westen sind es immerhin 18,9 %. Die beiden Aussagen, die eher auf die Berufstätigkeit von Frauen abzielen als auf die Gründung und Versorgung einer Familie, werden hingegen in Westdeutschland eher vertreten. So stimmen in Westdeutschland 17,2 % der Befragten der Aussage zu, dass es einer Frau wichtiger sein sollte, „ihrem Mann bei der Karriere zu helfen als selbst Karriere zu machen“, während in Ostdeutschland lediglich 12,8 % diese Position vertreten. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass in Ostdeutschland die Stellung der Familie und die Rolle von Mutterschaft im Wandel begriffen sind, während die Berufstätigkeit von Frauen nach wie vor befürwortet wird.
Grafik 22: Zustimmungswerte zur Skala Sexismus im Zeitvergleich (in %)
In den letzten Jahren wurden vermehrt auch Personen mit einer von der Norm abweichenden sexuellen Orientierung und/oder Geschlechtsidentität zur Zielscheibe autoritärer Aggression sowie Opfer von tatsächlichen Gewalthandlungen (Bundeskriminalamt, 2024). Anhand von drei Items haben wir daher 2024 erstmalig Ressentiments gegenüber Transpersonen erhoben. Wie beim Antifeminismus ist auch bei der Transfeindlichkeit eine höhere Zustimmung in Ostdeutschland zu verzeichnen: Über die Hälfte der in Ostdeutschland ansässigen Befragten finden, „Transsexuelle sollen aufhören, so einen Wirbel um ihre Sexualität zu machen“, halten die Toleranz gegenüber diesen Personen für „übertrieben“ und sind der Meinung, „Transsexuelle stellen zu viele Forderungen“. Aber auch in Westdeutschland ist die Zustimmung zur Transfeindlichkeit hoch, kann doch auch dort die Mehrheit der Befragten diese Aussagen zumindest nicht explizit ablehnen.
Grafik 23: Manifeste und latente Transfeindlichkeit 2024 (in %)
Entwicklung mit unentschiedenem Ausgang: Demokratiezufriedenheit und die Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung
Wie weit die bis hierhin beschriebenen Ressentiments und ihre Mischformen Verbreitung finden, entscheidet über die Stabilität einer liberalen Demokratie. Diese zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass die Bevölkerung als Souverän auf unterschiedlichen Wegen an den Entscheidungen zu Angelegenheiten aller beteiligt wird. Sie existiert überdies nur dann, wenn dieser Allgemeinheit Schutzrechte für die Besonderen an die Seite gestellt werden. Anders ausgedrückt: Es kommt darauf an, dass dem Willen der Mehrheit und der Macht des Staates rechtliche Garantien für den Schutz des einzelnen Menschen an die Seite gestellt werden und jedes einzelne Mitglied in den Stand gesetzt ist, seine Rechte gegen das gesellschaftliche Ganze auch wahrzunehmen. Deshalb ist nicht nur bedeutsam, dass es eine Zustimmung zur Demokratie als Herrschaftsform gibt, sondern auch, welche Vorstellungen sich damit verbinden und welche autoritären Bedürfnisse das Bekenntnis unterlaufen. Hier beginnen wir zunächst mit der Zustimmung zur Demokratie, die vertiefende Analyse zu den Demokratieerwartungen erfolgt in Kapitel 4.
Seit 2006 erheben wir Daten zur Demokratiebefürwortung, wobei wir drei Arten unterscheiden: Zustimmung zur Demokratie als Idee, Zufriedenheit mit der Demokratie, wie sie in der Verfassung festgeschrieben ist, sowie Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie im Alltag der Bundesrepublik. Betrachten wir zunächst die Zustimmung zur Demokratie als Idee (Grafik 24), so wird ein Einbruch der Werte in Westdeutschland augenfällig. Während die Zustimmung in Ost- und Westdeutschland in den letzten zwei Erhebungen auf hohem Niveau verblieb, verzeichnen wir für Westdeutschland mit 89,4 % ein historisches Tief. In Ostdeutschland bleibt die Zustimmung zur Idee der Demokratie mit 94,6 % ungebrochen hoch.
Grafik 24: Zustimmung zur »Demokratie als Idee« 2006–2024 (in %)
Anders sieht es mit der Zustimmung zur verfassungsmäßigen Demokratie aus (Grafik 25). Hier zeigt sich in Ost- und Westdeutschland ein ähnlich deutlicher Rückgang der Zustimmungsraten. Nachdem die Zustimmungswerte in Ostdeutschland nach 2006 nahezu kontinuierlich anstiegen sind, verzeichnen wir seit 2018 starke Schwankungen. Wie bereits 2022 zeigt sich aber auch in diesem Jahr in Ostdeutschland eine höhere Zustimmung zur verfassungsmäßigen Demokratie als im Westen. Dort finden wir zunächst diskretere Verläufe, aber mit 70,8 % auch einen historischen Tiefpunkt bei der Zufriedenheit mit der grundgesetzlich garantierten Demokratie.
Grafik 25: Zustimmung zur »Demokratie, wie sie in der Verfassung festgelegt ist« 2006–2024 (in %)
Bei der Zufriedenheit mit der Alltagsdemokratie ist im Vergleich zu den letzten Jahren ein noch deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Wenngleich die Werte in diesem Bereich schon immer niedriger waren als bei den beiden bereits vorgestellten Aspekten, ist der Einbruch bei der Zufriedenheit mit der Alltagserfahrung der Demokratie dennoch besonders drastisch und besorgniserregend. Gerade angesichts des massiven Rückgangs seit 2022 ist die These naheliegend, dass diese Unzufriedenheit auch mit den in dieser Zeit offen zutage liegenden Konflikten der Regierungskoalition zusammenhängt. Da diese Konflikte allerdings auch Ausdruck einer allgemeinen Fragmentierung der Gesellschaft und der daraus resultierenden Auseinandersetzungen sind, reicht die erwähnte These zur Erklärung nicht aus (vgl. Kapitel 5).
Mit dem Begriffspaar politische Deprivation wird in der Wissenschaft die Wahrnehmung bezeichnet, keinen Einfluss auf die Politik ausüben zu können und politisches Engagement für nutzlos zu erachten. Wir erfassen auch diese Deprivation seit 2006 und nutzen hierfür zwei Aussagen. Im Ergebnis müssen wir feststellen, dass die Menschen sich seit Beginn der Erhebung als politisch einflusslos erleben, wobei diese Wahrnehmung im Osten zumeist noch häufiger anzutreffen ist als im Westen. Im Vergleich zur letzten Erhebung 2022 ist die Zustimmung zur Aussage »Leute wie ich haben sowieso keinen Einfluss darauf, was die Regierung tut« jedoch leicht rückläufig (Tab. 13). Während 2022 knapp drei Viertel der Befragten diese Position vertraten, sind es 2024 noch 71,7 %.
Tabelle 13: Politische Deprivation, Zustimmung zur Aussage »Leute wie ich haben sowieso keinen Einfluss darauf, was die Regierung tut« (in %)
Auch die Zustimmung zur Aussage »Ich halte es für sinnlos, mich politisch zu engagieren« ist im Vergleich zu 2022 leicht rückläufig (Tab. 14). Trotzdem halten auch 2024 deutlich mehr als die Hälfte der Befragten (63,7 %) politisches Engagement für nicht erfolgversprechend.
Tabelle 14: Politische Deprivation, Zustimmung zur Aussage »Ich halte es für sinnlos, mich politisch zu engagieren« (in %)
Ein wichtiger Erfahrungsbereich für Menschen ist die Arbeitswelt. Wer erwerbstätig ist, kann auch hier die Erfahrung von demokratischer Teilhabe oder dem Ausbleiben der Anerkennung als Bürger machen (Decker et al., 2018). 2020 setzten wir erstmals einen Fragebogen ein, der die Wahrnehmung von Mitbestimmung, Solidarität und Anerkennung am Arbeitsplatz erfassen sollte (Kiess & Schmidt, 2020). Vor dem Hintergrund wichtiger Transformationsprozesse der Wirtschaft – Dekarbonisierung, Digitalisierung –, aber auch der grundsätzlich hierarchischen und zwischen Unternehmensführung und Beschäftigten ungleichen Machtverteilung ist das Erleben von Kontrolle und Einfluss am Arbeitsplatz ein wichtiger Prädiktor für politische Einstellungen (Kiess & Schmidt, 2024). In diesem Jahr müssen wir feststellen, dass sich dieses Erleben insbesondere in Ostdeutschland im Vergleich zu 2020 eindeutig negativ entwickelt hat. Nahmen 2020 nur 10 % der Befragten im Osten wahr, dass sie „bei Entscheidungen im Arbeitsalltag übergangen“ werden, sind es 2024 30 %. Konnten 2020 noch 45 % der Ostdeutschen „offen über Betriebsräte und Gewerkschaften sprechen“, berichten das 2024 nur noch 27 %. Nur noch 28,8 % denken, sie könnten im Betrieb „etwas zum Positiven verändern“, 2020 waren es noch 55 %. Auch im Westen sind die Werte etwas schlechter geworden, aber bei weitem nicht so deutlich. Es ist damit zu rechnen, dass diese negativer werdenden Erfahrungen in der Form eines „spillovers“ auf die politische Ebene übertragen werden.
Die Sphären von Politik und Arbeitswelt haben einen großen Einfluss auf das Leben der Menschen und prägen deren Erfahrungen. Entsprechend ist politische und betriebliche Teilhabe auch ein zentraler Bestandteil eines allgemeinen menschlichen Kontrollbedürfnisses. Dieses Grundbedürfnis und die Suche nach Wiedererlangung des Kontollerlebens sind in der Forschung als relevante Treiber von politischen Dynamiken erkannt worden, nicht zuletzt beeinflussen sie Ressentiments sowie Gruppenidentifikation und -konflikte (Agroskin & Jonas, 2010; Fritsche et al., 2013; Fritsche et al., 2017). Für die folgende Analyse ist es deshalb nicht nur relevant, wie die Bundesbürger ihre Einflussmöglichkeiten auf politische Entscheidung einschätzen, sondern auch, wie groß wiederum ihr Bedürfnis nach Kontrolle und Einfluss ist. Die letzten Jahre und Jahrzehnte sind von einer Vielzahl von Entwicklungen und Herausforderungen geprägt gewesen, die zunehmend als Krisen wahrgenommen wurden. Um ein Stimmungsbild zur Bewertung dieser multiplen Problemlagen zu erhalten, baten wir unsere Befragten in diesem Jahr erstmals um eine Einschätzung darüber, wie sehr sich ihr Blick auf die Zukunft aufgrund ausgewählter Entwicklungen verändert hat („Wie stark haben die folgenden Entwicklungen in den letzten Jahren Ihren Blick auf die Zukunft verändert?“). Die Befragten wurden gebeten, ihre Antwort auf einer fünfstufigen Skala von „gar nicht verändert“ bis „extrem verändert“ auszuwählen. Die Ergebnisse sind in Grafik 28 aufgeführt.
Für eine erste Gesamtbetrachtung haben wir einen Cut-Off-Wert (> 30) über alle Antworten hinweg gebildet. Dieser Wert bedeutet, dass durchschnittlich jede der aufgeführten Entwicklungen den eigenen Blick auf die Zukunft nachhaltig verändert hat. Sichtbar wird, dass mehr als die Hälfte der Deutschen sehr sensibel auf die gegenwärtigen Entwicklungen reagieren. Allerdings gilt das vor allem für Westdeutschland, denn hier sind es 56,5 % der Befragten, die durchschnittlich über alle Bereiche angeben, dass sich ihr Blick „sehr“ oder „extrem verändert“ hat. Im Osten sind es dagegen nur 36,9 % und damit signifikant weniger. Es ist zu registrieren, dass Ostdeutsche sich durch die von uns genannten Herausforderungen der letzten Dekaden weniger in ihrer Weltsicht beeinträchtigt sehen als die Westdeutschen. Auch die spezifischen Entwicklungen, die zu einer veränderten Wahrnehmung der Zukunft geführt haben, unterscheiden sich zwischen beiden Landesteilen teils deutlich. Offen bleibt, ob darüber hinaus andere, von uns nicht genannte Entwicklungen den Blick auf die Zukunft maßgeblich beeinflussen.
Die von uns abgefragten Entwicklungen wirken sich unterschiedlich stark auf die Wahrnehmung der der Befragten aus. Sowohl der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine als auch die Migration haben in Ost- wie in Westdeutschland bei über der Hälfte der Befragten zu einer Veränderung der Zukunftsaussichten geführt. Der Einfluss der Migration wird dabei in Ostdeutschland von einem etwas größeren Anteil als Veränderungsgrund angeführt. Interessanterweise unterscheidet sich die Bewertung der COVID-19 Pandemie deutlich zwischen Ost- und Westdeutschland: Während im Westen auch hier über die Hälfte der Befragten (55,4 %) angeben, dass sich ihre Zukunftsaussicht in der Folge veränderte, sind es in Ostdeutschland weniger als ein Drittel. Weniger große Unterschiede finden sich in der Wahrnehmung wirtschaftlicher Krisen, die in Ost wie West von etwas weniger als der Hälfte der Befragten als Veränderungsgrund der Zukunftsaussichten angeführt wird. Auch bei der Einschätzung der politischen Polarisierung der Gesellschaft sind sich Ost und West einig: Etwas mehr als ein Drittel der Befragten sehen ihre Zukunftsaussichten dadurch verändert. Die Erfolge rechtsextremer Parteien und auch der Klimawandel führen in Ostdeutschland bei ungefähr einem Drittel der Befragten zu veränderten Zukunftsaussichten. In Westdeutschland liegt hier der Anteil jeweils höher. Der Nahost-Konflikt führt in Westdeutschland wiederum etwas häufiger zu einer Veränderung der Zukunftsaussichten als in Ostdeutschland. Die Konflikte mit China haben zwar in Ost- wie Westdeutschland am wenigstens Einfluss auf den Blick auf die Zukunft genommen, trotzdem zeigen sich erneut klare regionale Unterschiede: Während sich im Westen beinahe ein Fünftel der Befragten (19,3 %) durch die Konflikte beeinflusst sieht, sind es im Ost nur 6,4 %. Wir verstehen den veränderten Zukunftsblick als Hinweis auf eine verstärkte Krisenwahrnehmung und ein erhöhtes Bedrohungserleben und vermuten, dass der damit assoziierte Kontrollverlust einen Einfluss auf die politische Einstellung und die Bewertung der Demokratie hat.
Grafik 28: Blick auf die Zukunft wurde durch die genannte Entwicklung sehr oder extrem verändert (in %)
Eine Möglichkeit, auf die Bedrohungswahrnehmung zu reagieren, ist eine aggressive Verteidigung von Eigen- bzw. Gruppeninteressen. Die Akzeptanz von Gewalt in der Bevölkerung ist deshalb ein weiterer Hinweis auf eine Krisenwahrnehmung. Wir unterscheiden einerseits die Bereitschaft, selbst Gewalt anzuwenden, um seine Ziele durchzusetzen, sowie andererseits und den Wunsch, andere mögen diese Gewalt anwenden (Tab. 15). Zunächst sehen wir, dass es keine signifikanten Ost-West-Unterschiede gibt. Allerdings ist die Differenz bei der höheren Gewaltbereitschaft im Westen nur knapp nicht signifikant (Pearson Chi-Quadrat, p = .57), sodass hier ein zweiter Blick lohnt. Wir können feststellen, dass die Gewaltbereitschaft im Osten sogar unterhalb des regionalen langjährigen Mittels liegt (M = 15,6 %; ohne Abb.), während es in Westdeutschland auch bezogen auf den eigenen Vergleichswert eine höhere Gewaltneigung gibt (M = 14,6 %; ohne Abb.). Allerdings wünschen sich Befragte im Osten häufiger jemanden, der diese Aufgabe übernimmt (ebenfalls kein signifikanter Unterschied) und dieser Wunsch findet auch mehr Anhänger als 2022.
Tabelle 15: Gewaltbereitschaft und Gewaltakzeptanz 2006–2024 (in %)
Die latente Aufstandsbereitschaft gegen die Demokratie: autoritäre Wünsche, die Ressourcen der offenen Gesellschaft und die Fluchten aus der Freiheit
Wenn im Westen jeder zweite und im Osten jeder dritte Bundesbürger große gesellschaftliche Herausforderungen wahrnimmt, aber gleichzeitig der Eindruck vorherrscht, dass weder die Fähigkeit der institutionalisierten Demokratie noch die eigenen Partizipationsmöglichkeiten zu deren Bewältigung ausreichen, stellt sich die Frage nach den politischen und psychischen Auswegen aus dieser Bedrohungswahrnehmung. Trotz der Wahlergebnisse bei den Landtags- und Kommunalwahlen in Deutschland 2024 treten auf den ersten Blick auf unsere Erhebungsdaten gegenwärtig rechtsextreme Einstellungen nicht vornehmlich als Krisenreaktionen auf. Während die extrem-rechten Einstellungen zwar gewisse Schwankungen zeigen und die Zustimmungswerte zu Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit im Westen sogar angestiegen sind, bleiben doch die starken Ausschläge nach oben (noch) aus. Die neonazistischen Parteien und extrem-rechten Bewegungen mobilisieren mit der „Einstiegsdroge“ Ausländerfeindlichkeit ihre Anhängerschaft, aber bislang sind jene Anteile der Bevölkerung, die dieses Ressentiment nicht teilen, nicht für sie erreichbar. Die genannten Herausforderungen führen also nicht automatisch zu einer stärkeren Orientierung an einer geschlossenen Ideologie der Ungleichwertigkeit, obwohl deren Versatzstücke in der Bevölkerung immer noch sehr präsent sind.
Das führt zur Frage nach der psychosozialen Verfasstheit der Befragten: Welche Ansprechbarkeit für antidemokratische Lösungen jenseits der extremen Rechten besteht in der Bevölkerung? Wie wirkt die gegenwärtige Entwicklung auf die psychosoziale Konstitution der Bevölkerung? Um zu bestimmen, wie weit die psychosozialen Bedingungen einer Orientierung an kollektiver Identität in der Gesellschaft jenseits extrem-rechter und neonazistisch-völkischer Mobilisierung verbreitet sind, haben wir von Anfang an das Autoritarismus-Konzept herangezogen. Es ist Ende der 1920er Jahre am Frankfurter Institut für Sozialforschung in der Arbeitsgruppe um Max Horkheimer entwickelt worden (Horkheimer et al., 1936). Mit dem Autoritarismus-Konzept in der Tradition der Kritischen Theorie steht für unsere Studienreihe ein Zugang nicht nur zur politischen Einstellung zur Verfügung, sondern auch zur Verfasstheit der Menschen, zu ihren Bedürfnissen nach Kontrollrestitution, ihrer Abwehr von Unsicherheit und ihrem Wunsch nach klaren Lösungen. Bereits 2022 konnten wir entlang dieser Differenzierung zeigen, dass die Flucht ins Autoritäre ein Versuch war, dem erlebten Kontrollverlust durch die COVID-19-Pandemie zu begegnen (Decker et al., 2022).
Seitdem sind bei den autoritären Reaktionen der Konventionalismus um rund 5 % und die autoritäre Unterwürfigkeit um rund 4 % zurückgegangen (Grafik 29). Dabei fällt der Rückgang bei der autoritären Unterwürfigkeit im Osten besonders stark aus, sowohl im Vergleich zu 2022 als auch zu den vorhergehenden Untersuchungen. Ost-West-Unterschiede sind in diesen beiden Dimensionen allerdings nur signifikant, wenn wir die latente Zustimmung berücksichtigen (o. Abb.). So ist autoritäre Unterwürfigkeit im Westen bei einem weiteren Drittel der Bevölkerung (31,8 %), im Osten bei einem weiteren Viertel (23,6 %) latent vorhanden („Menschen sollten Entscheidungen Führungspersönlichkeiten überlassen“; p < .01). Bei der Forderung „bewährte Verhaltensweisen nicht in Frage zu stellen“ zeigt im Westen zwar ebenfalls ein weiteres Drittel einen latenten Konventionalismus (35,4 %), im Osten sind es hier aber noch einmal 44,3 %, womit in den fünf ostdeutschen Bundesländern gerade mal ein knappes Viertel der Befragten nicht die Konventionen als verbindlich wünscht (Ost-West-Unterschiede; p < .01). Die autoritären Aggressionen befinden sich auf einem ähnlichen Niveau wie 2022, sind aber in ihrer manifesten Ausprägung in Ostdeutschland weiterhin signifikant stärker vertreten als im Westen. Das sadomasochistische Syndrom zeigt insgesamt weiterhin eine hohe Verbreitung, wenn auch die manifeste Ausprägung derzeit nicht so deutlich ist wie noch in den Jahren 2016 und 2018.
Grafik 29: Sadomasochismus im Zeitverlauf 2016–2024 (in %)
Die Dimensionen des autoritären Syndroms, die auf eine kollektive Realitätsverleugnung setzen, um mit den gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen umzugehen und den Wunsch nach Prothesensicherheit zu befriedigen, sind im Vergleich zu 2022 nahezu unverändert. Weiterhin orientieren sich die Westdeutschen aber signifikant häufiger an einer Verschwörungsmentalität (Grafik 30).
Grafik 30: Fetischismus im Zeitverlauf (in %)
Um in der folgenden Analyse weitere Einflussfaktoren untersuchen zu können, haben wir in diesem Jahr erstmalig Daten zur Ambiguitätsintoleranz erhoben, also zur Unfähigkeit, Mehrdeutigkeiten, Unsicherheiten und Widersprüche aushalten zu können. Ambiguitätstoleranz wurde bereits von Else Frenkel-Brunswik in den frühen Autoritarismusstudien der Berkeley Gruppe um Adorno et al. (1950) als ein dem Autoritarismus nahestehendes Konzept eingeführt und später von ihr ausgearbeitet (Frenkel-Brunswik, 1949; Benetka, 2020). Psychodynamisch verstanden liegt dem Konzept ein Prozess der Spaltung zugrunde (Klein, 1957, S. 304ff.). Mangelnde Ambiguitätstoleranz äußert sich folglich als Denken in stereotypen Kategorien wie „gut“ und „böse“ oder auch „richtig“ und „falsch“. Obwohl die drei eingesetzten Items dasselbe Konstrukt messen, zeigen sich unterschiede in der Zustimmung je nach Bereich (Grafik 31): Während weniger als ein Viertel der Befragten zustimmen, dass sich Menschen in zwei Kategorien – „gut“ und „böse“ – einteilen lassen, sind sich mehr als ein Drittel sicher, dass es „eigentlich immer einen richtigen und einen falschen Weg“ gibt, Dinge zu tun. Am höchsten sind die Zustimmungswerte zur Aussage, dass immer klar sei, ob jemand die Antwort auf eine Frage weiß oder nicht. Während bei den ersten beiden Aussagen keine statistisch relevanten Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland zu beobachten sind, findet die letztgenannte Aussage im Osten besonders hohen Zuspruch: Fast 60 % der Befragten in Ostdeutschland stimmen zu, während es im Westen nur 41,8 % und damit weniger als die Hälfte sind.
Grafik 31: Ambiguitätsintoleranz in 2024 (in %)
In Kapitel 1 sind wir auf die Bedeutung des „Ressentiments der beherrschten Subjekte der Naturbeherrschung“ eingegangen (Horkheimer & Adorno, 1944, S. 238). Nicht nur im Hass auf „Andere“, auch in der Forderung nach einer Unterwerfung der „Natur“ äußert sich die autoritäre Aggression. Sie kann sich in instrumentellen Naturverhältnissen äußern, in denen projektiv nicht nur die Tier- und Pflanzenwelt, sondern auch menschliche Körper als Objekt der Manipulation und Zurichtung wahrgenommen werden. Gesellschaftliche Bilder und Praktiken, mit denen in Vergangenheit und Gegenwart etwa die Körper von Frauen, Juden oder nicht-weißen Menschen diszipliniert und zugerichtet werden, sind diesem Verständnis nach Ausdruck eines autoritären Impulses (Theweleit, 1977). Die Verbreitung eines solchen instrumentellen Naturverhältnisses ist ein Hinweis auf die Ressentimentbereitschaft in der Gesellschaft. Da sich oft auch hinter der esoterischen Vorstellung einer harmonischen Ganzheitlichkeit eine Vermeidung von Ambiguität sowie der Wunsch nach Kontrolle verbergen, haben wir in diesem Jahr je einen Fragebogen zur instrumentellen Naturbeherrschung und zur Esoterik in unsere Untersuchung aufgenommen. Sie bilden für uns die Pole im Umgang mit der beschrieben Kontingenzerfahrung. In den Analysen zum Antisemitismus und Antifeminismus werden sie eine Rolle spielen, aber als psychosoziale Bedingung der antidemokratischen Einstellung wird ihre Verbreitung auch im Folgenden vorgestellt.
Wie im Aberglauben kommt es auch in der Esoterik zu einer Abkehr von Vernunft und Moderne, die sich in einer Remysthifizierung der Natur und einer fantasierten Verschmelzung mit derselben äußert. Nicht selten sehen sich Anhängerinnen und Anhänger einer esoterischen Weltsicht als „Eingeweihte“, die über eine „höhere Wahrheit“ verfügen. 2024 haben wir drei Items zur Erfassung esoterischer Einstellungen eingesetzt (Grafik 32). Vergleicht man die manifeste Zustimmung, so finden sich über alle Items hinweg geringere Zustimmungswerte in Ostdeutschland als in Westdeutschland, wobei die Latenz bundesweit hoch ausfällt. Während in Westdeutschland fast ein Fünftel der Befragten findet, dass „mehr spirituelles und ganzheitliches Denken […] der Gesellschaft guttun“ würde, sind es in Ostdeutschland lediglich 15,3 %. Knapp ein Drittel der Ostdeutschen und mehr als ein Viertel der Westdeutschen kann der Aussage jedoch teilweise etwas abgewinnen. 42,8 % der Befragten sind ferner der Ansicht, dass „nur wer sein wahrhaftiges Selbst kennt“, eine „höhere Wahrheit erkennen“ wird, oder lehnt diese Aussage zumindest nicht explizit ab. Schließlich glaubt mehr als ein Zehntel der Westdeutschen, jedoch nur 5,9 % der Ostdeutschen, dass die Natur für diejenigen ungefährlich sei, die „mit dem Kosmos im Einklang“ stünden. Weitere 22,2 % der Westdeutschen lehnen diese Vorstellung zumindest nicht ab.
Ein scheinbar gegenteiliges Verhältnis zur Natur findet im instrumentellen Naturverhältnis seinen Ausdruck: Während in der Esoterik eine harmonische Vereinigung mit der (inneren und äußeren) Natur angestrebt wird, ist das instrumentelle Naturverhältnis von Gewalt sowie einem Herrschafts- und Kontrollwunsch geprägt. 18,8 % der Befragten glauben, dass es nur eine Frage der Zeit sei, ehe „die Menschen genug über die Natur lernen, um sie kontrollieren zu können“ (Grafik 33). Zusätzlich können mehr als ein Drittel dieser Aussage teilweise etwas abgewinnen. Außerdem sehen es immerhin 11,8 % als menschliche Bestimmung an, „über die übrige Natur zu herrschen“, weitere 23,1 % lehnen die Aussage zumindest nicht explizit ab. Zuletzt stimmen 18,8 % der Befragten manifest zu, dass es das Recht der Menschen sei, „die natürliche Umwelt an ihre Bedürfnisse anzupassen“. Auch hier lehnt ein weiteres Drittel die Aussage zumindest nicht explizit ab.
Grafik 33: Instrumentelles Naturverhältnis in 2024 (in %)
Zusammenfassung und Diskussion
Die Entwicklung der rechtsextremen Einstellung hatte über die Jahre eine gewisse Konstanz: Neo-NS-Ideologien gingen im Westen lange Zeit eher zurück, im Osten unterlagen sie Schwankungen. Allerdings verblieben die Dimensionen des Ethnozentrismus – also Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit – im selben Zeitraum dauerhaft auf hohen Niveau. An der Zustimmung in den ostdeutschen Bundesländern konnten öffentliche Auseinandersetzungen und die Intervention der Zivilgesellschaft bisher nicht viel ändern. Auch in dem kleinen Zeitfenster während der ökonomischen „Schönwetterperiode“ 2014 und vor der erneuten Zuwanderung nach Europa 2016 sank die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen im Osten auf nur 22%.
Auch im Jahr 2024 sind zentrale Elemente der extrem-rechten Ideologie in der Bevölkerung weit verbreitet. Wir müssen sogar eine deutliche Verschlechterung auf allen Dimensionen der rechtsextremen Einstellung feststellen. Mit der Ausländerfeindlichkeit und dem Antisemitismus betrifft dies in Westdeutschland vor allem jene Elemente des rechtsextremen Weltbilds, die sich als Ressentiments gegen Menschen richten. Diese Entwicklung wird auch bei den anderen Abwertungsformen deutlich: Die Gefahr für die Demokratie geht von den Ressentiments aus, für die eine Gruppenidentität die Scheidelinie ist. Die Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe bzw. die projektive Aufladung von „Anderen“ – seien dies Juden, Migranten, Muslime, Sinti und Roma oder Frauen und queere Menschen – legitimiert die Aggressionen. Allerdings ist diese Stimmung, die der organisierten extremen Rechten und neonazistischen Bewegungen Zustimmung und Unterstützung verschafft, nicht nur eine Bedrohung für die Demokratie als politischem System. Mit der fehlenden Anerkennung des Gegenübers bedrohen diese Aggressionen auch die Grundlage der Demokratie. Das ihnen zugrundeliegende Bedürfnis ist jedoch nicht auf die extreme Rechte beschränkt, sondern bekommt von ihr nur einen möglichen politischen Ausdruck: Im Extrem der neonazistischen Bewegung zeigt sich der gesellschaftliche Normalfall eines Bedürfnisses nach Gruppenorientierung und kollektiver Zugehörigkeit. Kollektive Identitäten haben eine unheimliche Renaissance. Dabei ist die mit ihnen einhergehende Unterscheidung von Fremd und Eigen der Vorbote der Bereitschaft zur Abwertung.
Im Folgenden fassen wir die Ergebnisse zusammen, die aus unserer Sicht in diesem Jahr besonders hervorzuheben sind.
- Deutlicher Anstieg der rechtsextremen Einstellung in Westdeutschland: Die Atmosphäre verändert sich
Elemente neo-nazistischer Ideologie treten seltener als geschlossenes Weltbild auf, aber die Veränderungen insbesondere im Westen zeigen eine atmosphärische Verschiebung an. So wünscht sich im Westen jeder Fünfte eine „starke Partei“, im Osten ist es jeder Sechste. Berücksichtigt man die latente Zustimmung, dann sehnen sich bundesweit von 40 % der Menschen nach einer „Verkörperung der Volkgemeinschaft“. Da sie Wünsche nach einem „Führer“ und einer „nationalen Diktatur“ nicht in gleicher Stärke geteilt werden, sind es nur rund 4 %, die allen drei Aussagen ausdrücklich zustimmen. Dennoch ist dies der höchste Wert seit 2016.
Im Westen wird die Vorstellung, dass „wie in der Natur […] sich in der Gesellschaft immer der Stärkere durchsetzen“ sollte, von jedem Zehnten geteilt, im Osten wird diese Ansicht nur von jedem Zwanzigsten vertreten. Rund 3 % der Bundesbürger sind geschlossen sozialdarwinistisch eingestellt. Das erscheint auf den ersten Blick nicht viel, doch ein ähnlicher Wert wurde zuletzt im Jahr 2018 erreicht.
Dass man „Hitler heute als großen Staatsmann“ ansehen würde, wenn es die Judenvernichtung nicht gegeben hätte, stimmen zwar im Westen mit 6,3 % etwas weniger Menschen zu als im Osten (7,8 %), aber die latente Zustimmung (West: 15,6 %; Ost: 10,6 %) führt insgesamt zu deutlich höherer Zustimmung im Westen. Während gerade mal 1 % der Ostdeutschen allen drei Aussagen der NS-Verharmlosung manifest zustimmt, sind es im Westen rund 2 %.
- Ausländerfeindlichkeit und Chauvinismus: der Ethnozentrismus bestimmt die Themen
Während die gesellschaftliche Verbreitung der Neo-NS-Ideologie allein als Spitze des Eisbergs zu verstehen ist, wird die Problemlage deutlicher, wenn wir die Ausländerfeindlichkeit und den Chauvinismus betrachten. In beiden Dimensionen des Ethnozentrismus zeigt sich eine sehr hohe Zustimmung bundesweit.
In Westdeutschland wünscht sich jeder Dritte ausdrücklich den „Mut zu einem starken Nationalgefühl“, im Osten ist es jeder Vierte. Diese Unterschiede gleichen sich jedoch aus, wenn die latente Zustimmung einbezogen wird, die im Osten deutlich höher ist (rund 37 %) als im Westen (27 %). In der Summe teilen nur 40 % der Deutschen diesen Wunsch nicht. 16 % der Westdeutschen und 10 % der Ostdeutschen haben ein manifestes chauvinistisches Weltbild, stimmen also allen Aussagen dieses Inhalts zu.
Die Ausländerfeindlichkeit ist ebenso ein bundesweit geteiltes Ressentiment. Manifest sieht ein Drittel die Bundesrepublik durch „die vielen Ausländer überfremdet“, noch einmal rund ein Drittel können der Aussage teilweise zustimmen. Im Westen teilen 2024 20 % eine geschlossene Ausländerfeindlichkeit, was gegenüber 13 % im Jahr 2022 einen deutlichen Anstieg bedeutet. Der leichte Rückgang von 33 % (2022) auf 32 % (2024) im Osten ist dagegen nicht relevant. Deutlich wird: Wie bereits im Osten droht nun auch im Westen die Ausländerfeindlichkeit zu einer hegemonialen Weltsicht zu werden. Der Anteil der geschlossen Rechtsextremen, die allen 18 Aussagen unseres Rechtsextremismusfragebogens zustimmen können, ist bundesweit auf rund 5 % gestiegen (2022: 3 %).
- Ausländerfeindlichkeit: in der öffentlichen Debatte scheinbar mehrheitsfähig, aber nur von der Mehrheit der AfD-Wähler geteilt
In der gegenwärtigen Debatte versuchen CDU/CSU und SPD sowie die FDP auf die Wahlergebnisse der extrem-rechten AfD in Thüringen und Sachsen mit einem Paradigmenwechsel in der Bundespolitik zu reagieren. Die Migrationspolitik soll restriktiver werden, wobei zur Begründung zentrale Motive rechtsextremer Rhetorik, wie Sozialstaatsmissbrauch und Überfremdung, übernommen werden. Dabei findet sich nur unter den AfD-Wählern mit 61 % Zustimmung zu allen drei Aussagen in dieser Dimension eine Mehrheit mit ausländerfeindlichem Weltbild. Die Zustimmung in der Dimension Ausländerfeindlichkeit liegt unter Wählern von CDU/CSU, SPD, FDP sowie BSW bei gerade mal um die 20 %. Grünen-Wähler können in der Breite diesen Aussagen nichts abgewinnen (rund 3 %) und unter den Wählern der Linkspartei sind es 12 %. Interessant ist auch der Anteil derjenigen, die nicht wissen, welche Partei sie wählen wollen. Diese Unentschiedenen haben durchgängig ähnlich niedrige Werte wie die Wähler der Grünen und der Linkspartei. Es zeichnet sich hier ab, dass die liberalen Teile in der Wählerschaft von CDU/CSU, SPD und FDP ihren bisherigen Parteien den Rücken kehren könnten. Die AfD hat unter den Unentschiedenen keine Reserven mehr. Vielmehr zeigen sich gegenwärtig eher Menschen, die ausländerfeindlichen Ressentiments ablehnend gegenüberstehen, von den demokratischen Parteien enttäuscht. Dies verstärkt den Eindruck einer Orientierungslosigkeit bei gleichzeitig intensiver Krisenwahrnehmung und wird die Volatilität bei der Parteiwahl weiter erhöhen sowie zu wechselnden Mehrheiten und Parteikoalitionen in den Parlamenten führen.
- Der Antisemitismus ist angestiegen und erhält Funktion als Brückenideologie
Auf den ersten Blick sind die Zustimmungswerte zum Antisemitismus nicht gleichermaßen hoch. Allerdings sind bundesweit 9 % der Auffassung, der „Einfluss der Juden“ sei zu hoch. Während es im Osten 5 % sind, findet diese Aussage jeder zehnte Westdeutsche ausdrücklich zustimmungsfähig. Zurückgewissen wird sie zudem in Ost und West nur von zwei Dritteln der Befragten. Allen drei Aussagen zum tradierten Antisemitismus kann im Westen jeder Zwanzigste zustimmen, was dort der höchste manifeste Wert seit 2014 ist.
In Ost und West zeigt sich darüber hinaus ein massiver Anstieg des Antisemitismus bei weiteren Erscheinungsformen: Fast jeder vierte Befragte stimmt der Aussage zu, die israelische Politik sei „genauso schlimm wie die Politik der Nazis“, 40 % sieht hinter Reparationsforderungen an Deutschland die Aktivitäten einer „Holocaust-Industrie von findigen Anwälten“. Diese Zustimmung zu beiden Aussagen fällt mit 37,5 % bzw. 46% im Osten höher aus. Ostdeutsche befürworten auch deutlich häufiger postkolonialen Antisemitismus, gerade mal die Hälfte von ihnen lehnt die Aussage ab, dass der Nahostkonflikt ein Konflikt zwischen weißem Siedlerkolonialismus und unterdrückten Minderheiten sei, oder widerspricht der Forderung, die Juden sollten Israel verlassen. Die Unterschiede zu Westdeutschland sind signifikant, aber auch im Westen finden wir sowohl zu antizionistischem als auch zu postkolonialem Antisemitismus hohe Zustimmungswerte, etwa wenn jeder sechste der Ansicht zustimmt, „ohne Israel würde Frieden in Nahost herrschen“. Wie deutlich die Ablehnung von Juden ist, offenbart die Ansicht, dass es nur dann Meinungsfreiheit gebe, wenn man „offen über den Holocaust“ reden könne. Jeder zweite Bundesdeutsche in Ost und West kann dem zustimmen. Männer und junge Erwachsene im Westen sind überproportional häufiger Antisemiten.
- Ressentiments gegenüber Minderheiten bzw. „Anderen“ in der Bevölkerung sehr hoch: Antifeminismus und Sexismus im Osten angestiegen, Muslimfeindschaft und Antiziganismus im Westen. Antiamerikanismus ist 2024 genauso konsensfähig wie Antiziganismus, Muslimfeindschaft, Antifeminismus und Transfeindlichkeit
Aus der rechtsextremen Ideologie werden vor allem die ethnozentrischen Dimensionen von vielen Menschen in Deutschland geteilt. Es deutet sich an, dass kollektive Identitäten politisch entscheidend werden und die Demokratie bedrohen. Neben dem Antisemitismus als Ressentiment „sui generis“ (eigener Art; vgl. Kap. 1 und 4) besteht in der Bevölkerung eine hohe Bereitschaft, entlang von Gruppenzugehörigkeiten autoritäre Wünsche zu befriedigen. Der Antiamerikanismus ist im Grunde mehrheitsfähig, denn werten wir die latente Zustimmung mit, steigt dessen Akzeptanz auf über 50 %. Vollständig teilen die Ressentiments gegen die USA bzw. die US-Amerikaner jeweils um ein Drittel der Befragten, wobei diese Abwertungsbereitschaft besonders im Osten anzutreffen ist.
Antiziganismus und Muslimfeindschaft sind im Westen seit 2022 angestiegen. Im Jahr unserer letzten Erhebung zeigten sich Westdeutsche nur zu einem Viertel bis einem Drittel bereit, Muslime abzuwerten. Heute sind es knapp die Hälfte, während sich das Bild im Osten kaum verändert hat. Ähnliches gilt auch für den Antiziganismus. In Ostdeutschland zeigen rund die Hälfte der Befragten ausdrücklich Ressentiments gegen Sinti und Roma, indem sie ihnen beispielsweise zuschreiben, zur „Kriminalität zu neigen“, und auch im Westen ist der Wert von 39 % auf rund 47 % angestiegen.
Der Antifeminismus ist ebenfalls im Osten hoch und liegt teilweise über den Werten von 2022. Dass Frauen sich in der Politik „lächerlich“ machen würden, bei zu weitgehenden Forderungen in die Schranken zu weisen seien oder sexuelle Gewalt für ihren Vorteil übertreiben würden, ist ausdrücklich bei einem Drittel in Ostdeutschland zustimmungsfähig. Im Gegensatz zu 2022 ist der Anteil von einem Viertel auf ein Drittel gestiegen. Bei der Transfeindlichkeit ist das Bild verwandt, nur die Zustimmung sehr viel höher. Im Osten finden rund 60 %, dass „die Toleranz gegenüber Transsexuellen übertrieben“ sei, im Westen sind es mit rund 40 % deutlicher weniger und dennoch ist es auch hier ein eindeutiges Ergebnis. Selbst mit Beachtung der höheren Latenz von rund 28 % im Westen gegenüber 20 % im Osten bleibt das Gesamtbild eines im Osten weit verbreiteten Ressentiments gegen Transsexualität deutlich.
- Rückgang der Zufriedenheit mit der Verfassung und starke Unzufriedenheit mit der Alltagsdemokratie führen zu Fluchten ins Autoritäre
Auch wenn die „Idee der Demokratie“ noch von 90 % der Bundesbürger gestützt wird: Es ist der niedrigste Wert seit 2006. Während die Zustimmung mit rund 95 % in Ostdeutschland immer noch hoch ist, sackt die Zustimmung zur Demokratie in Westdeutschland von 94 % auf 90 % ab. Dieser Rückgang wird konkreter, wenn wir die Zufriedenheit mit der Verfassung betrachten, die mit einem Wert von knapp 78 % so niedrig liegt wie nie. Diesmal ist nicht allein die Stimmung im Westen ursächlich, vielmehr ist der Rückgang im Osten mit fast 10 % sogar noch deutlicher. Das ganze Desaster wird deutlich, wenn die Alltagsdemokratie bewertet wird. Auch hier ist der gesamtdeutsche Zufriedenheitswert so niedrig wie nie, wobei die Ostdeutschen so unzufrieden sind wie zuletzt 2006, während im Westen der Wert auf rund 46 % abfällt.
Der beschriebene Rückgang in der Demokratiebefürwortung kann nicht allein in der politischen Deprivation begründet liegen, denn es zeigt sich, dass diese in Ost- und Westdeutschland sogar leicht zurückgegangen ist. Dennoch ist es nicht irrelevant, dass sich weiterhin ein Drittel bis drei Viertel der Befragten politisch wirkungslos fühlen. Die Wahrnehmung von Handlungsfähigkeit wird umso wichtiger, je eher Menschen gesellschaftliche Entwicklung als Bedrohung oder Herausforderungen erleben. Angesichts der veränderten Zukunftserwartungen und erwarteten Herausforderungen führen die bereits länger bestehenden fehlenden Gestaltungsmöglichkeiten wahrscheinlich schneller zu einem Akzeptanzverlust des politischen Systems (vgl. Kap. 6). Hierzu passt auch, dass bei im Grunde gleichbleibend (schlechten) demokratischen Teilnahmerechten in ostdeutschen Firmen die Empfindung der Wirkungslosigkeit bei ostdeutschen Beschäftigten massiv angestiegen ist. Der Verdacht liegt nahe, dass diese skizzierte Entwicklung ein Echo auf die Krisenwahrnehmung ist. Die meisten Bundesdeutschen berichten, dass sich ihr Blick auf die Zukunft in Anbetracht der gesellschaftlichen Herausforderungen der letzten Jahre „sehr“ bzw. „extrem“ verändert hat. Welche Entwicklungen dabei mehr oder weniger im Vordergrund stehen, ist dabei in Ost- und Westdeutschland bis zu einem gewissen Grad unterschiedlich. Während in beiden Landesteilen die Folgen des Kriegs in der Ukraine eine große Rolle spielen, sehen die Westdeutschen ihren Blick auf die Zukunft stärker durch die Pandemie, die Ostdeutschen stärker durch Migration beeinflusst. Gerade im Westen zeigt sich die Mehrheit von den Herausforderungen beeinträchtigt (57 %), während es im Osten nur 37 % sind.
Hier fügt sich ein, dass im Westen geringfügig häufiger als 2022 Gewalt als Mittel der Problemlösung gesucht wird, im Osten dagegen bei der Akzeptanz der Gewalt ein Anstieg zu verzeichnen ist. Die autoritären Aggressionen verharren auf hohem Niveau: Wir treffen sie wie schon 2022 bundesweit bei jedem Zweiten an (47,8%), aber im Osten sind sie mit 63 % noch deutlich weiter verbreitet.
Während der Wunsch nach Autoritäten vergleichsweise wenig Echo findet, werden die Konventionen der eigenen Gruppe wiederum stark betont. Man gewinnt den Eindruck, dass die Gruppenidentität weiterhin weniger über eine Führungsperson als über gemeinsame Weltsichten und einen äußeren Gegner („Andere“) gewonnen wird. Die Welt wird in klare Ordnung gebracht, Indifferenz und Uneindeutigkeit werden vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklung nicht akzeptiert. Die Ambiguitätsintoleranz ist bundesweit ähnlich wie hoch wie der Sadomasochismus, jedoch trifft man den Wunsch nach klaren Verhältnissen und autoritäre Aggressionen gegenwärtig eher im Osten.
Eine besonders akzentuierte Spielart dieser schwarz-weißen Weltsicht ist die Verschwörungsmentalität, die zwar nicht mehr so hoch wie 2020, aber im Westen weiterhin häufiger anzutreffen ist. Auch der Aberglaube ist im Westen trotz eines leichten Anstiegs im Osten weiter verbreitet. Während also im Osten mit Ambiguitätsintoleranz und autoritärer Aggression eher ein „klassisches autoritäres Syndrom“ zu beobachten ist, finden wir im Westen eher die fetischistische Flucht. Das esoterische Weltbild als möglicher Ausgang aus der bedrückten Realität in eine fantasierte „Einheit mit der Natur“ ist im Westen häufiger anzutreffen, wohingegen Ostdeutsche häufiger ein instrumentelles Naturverhältnis haben. Beide Formen bedrohen aber die demokratischen Optionen für eine Bearbeitung der sozialen, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen. Da sie gleichermaßen kollektive Identität absichern, braucht es zudem „Andere“, um mit ihnen die fortbestehende Unsicherheit und Aggressionen zu bearbeiten.
- Die Politik läuft Gefahr, die Flucht ins Autoritäre nicht nur zu legimitieren, sondern auch selbst zu beschreiten
Die Herausforderungen der Gegenwart werden von vielen Menschen als einschneidend erlebt. Neben die massiven Veränderungen aufgrund von Krieg und Klimawandel gesellen sich die marode Infrastruktur von Schulen und öffentlichem Personenverkehr sowie eine schwächelnde Gesundheitsversorgung und ein bröckelndes Sozialsystem. Die Antwort der extremen Rechten liegt in der autoritären Restitution, sie braucht hierfür „Andere“ als Sündenböcke. Die vorschnelle Reaktion der bundesdeutschen Politik ist aber nicht nur ein Versuch, das Thema der Rechten zu einem Thema der Mitte zu machen. Darin zeigt sich auch der Versuch, die autoritäre Flucht selbst anzutreten. Vor dem Hintergrund der Verantwortung für die Herausforderung verspricht die Übernahme der extrem-rechten Themen eine Krisenbearbeitung, die eine Bestandsaufnahme der Politik über die letzten Jahrzehnte unnötig macht. Damit gleichen sich die demokratischen Parteien an die Krisenbewältigung der autoritären Agitatoren an und bestätigen nolens volens eine Diagnose, die der Sozialwissenschaftler Stuart Hall Anfang der 1980er Jahr angesichts der Reaktionen auf die neoliberale Wirtschaftspolitik der Regierung Thatcher in Großbritannien fand: Autoritärer Populismus ist eine Krisenbearbeitung des Neoliberalismus. Mit demokratischen Aushandlungsprozessen hat er nichts zu tun.
- Stärkung der Demokratie – Stärkung der Parlamente und der Bürger
In den nächsten Kapiteln werden vertiefende Analysen vorgestellt. Bereits jetzt lässt sich feststellen, dass die Bundesrepublik vor einer ungewissen Entwicklung steht. Die Krisenwahrnehmung ist ausgeprägt und zum Charakter der Krise gehört die Erwartung eines grundlegenden Entscheidungsmoments. Das ist auch die von uns ermittelte Stimmung in der Bundesrepublik. Obwohl die Demokratie von vielen Bundesbürgern skeptisch betrachtet wird, ist derzeit nicht ausgemacht, dass autoritäre oder extrem-rechte Lösungen in der Breite der Bevölkerung Anklang finden. Es zeigt sich aber eine Neigung zum Eskapismus – ein Abschied von der Realität, wie er im Aberglauben, der Verschwörungsmentalität und der Esoterik zum Ausdruck kommt. Darüber hinaus findet er seine Wege im instrumentellen Naturverhältnis und in den Ressentiments gegen „Andere“. Diese Entwicklung lässt sich weniger denn je auf West- oder Ostdeutschland beschränken und auch international zeigen sich ähnliche Fluchtlinien bei wechselnden Motiven des Ressentiments.
Unter den Bürgern beider deutschen Landesteile finden sich gleichzeitig eine hohe Akzeptanz für das demokratische System sowie eine latente Aufstandsbereitschaft gegen diese Herrschaftsform. Dabei wird die Aufstandsbereitschaft immer häufiger wahlentscheidend. Dies führt nicht nur zu einem Anstieg der Wahlerfolge extrem-rechter und neonazistischer Parteien, sondern außerdem zu einer hohen Wechselbereitschaft. Daraus folgt, dass sich die Bundesbürger auch an dieser Stelle auf unsichere Verhältnisse einstellen müssen. Inwieweit dies zur weiteren Suche nach autoritärer Sicherheit und Ambiguitätsreduktion führt – und damit zu einem erstarken antidemokratischer Kräfte –, hängt nicht zuletzt von der politischen Performanz und der Resilienz der Bürger ab. Beides kann nur abgesichert werden, wenn sowohl die Parlamente als auch die Bundesbürger in den Stand gesetzt werden, in Aushandlungsprozesse zu treten. Die Limitierung der psychischen und sozialen Verhandlungsräume durch behauptete fiskalische und politische „Alternativlosigkeit“ führt auf jeder Ebene zur Schwächung der Demokratie.
Die Politik einer Stärkung der parlamentarischen Vermittlungsorte und der Bürger wird die grundlegenden Widersprüche der Gesellschaft und die aus diesen erwachsenen Probleme nicht lösen. Aber sie kann ihre Folgen lindern helfen.
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