„Putin hat Russland in eine Situation katapultiert, die für das Land schlimmer ist als der Kalte Krieg“

Interview

Unsere Büroleiterin in Brüssel, Eva van de Rakt, sprach mit dem Europaabgeordneten Sergey Lagodinsky über den Angriffskrieg Russlands, die aggressive Politik Putins und die Möglichkeiten der EU, die Ukraine in ihrem Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung zu unterstützen.

Sergey Lagodinsky

Sergey, der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine, das hat die Bundesregierung mehrfach betont, ist eine Zeitenwende. Die meisten Politikerinnen und Politiker in Deutschland haben noch kurz vor dem Krieg nicht damit gerechnet, dass Russland die Ukraine angreifen würde. Der Krieg gewinnt jeden Tag an Brutalität. Warum wurde deiner Meinung nach die Bedrohung, die von Putins Regime ausgeht so lange unterschätzt, so lange ignoriert – allen voran von der letzten deutschen Bundesregierung?

Sergey Lagodinsky: Wir haben das Stadium schon lange verlassen, in dem die russische Regierung als demokratischer Hoffnungsträger galt. Aber der Gedanke, dass Putin, mit dem viele Akteurinnen und Akteuren in Deutschland Anfang der 2000er Jahre voller Hoffnung zusammengearbeitet hatten, einen Krieg mitten in Europa beginnen würde, überstieg deren politische Vorstellungskraft. Wir haben schon immer davor gewarnt, dass Putin ein unberechenbarer, ein diktatorisch agierender Akteur und auch Kriegstreiber ist. Aber dieses Bewusstsein beschränkte sich in Deutschland leider auf die Grünen und einige vereinzelte Politiker*innen sowie zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure. Viele sahen zwar die Gefahren für die Demokratie in Russland, verbanden damit aber kein Risiko für den Frieden in Europa. Wir Grüne haben schon immer betont, dass die Bedrohung für die Zivilgesellschaft und der Abbau der Demokratie in Russland auch ein geostrategisches Sicherheitsrisiko darstellen.

Die zentrale Frage, die uns alle umtreibt, ist, wie die EU die Ukraine unterstützen kann, die für ihr Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung kämpft und damit auch europäische Werte verteidigt. Worauf kommt es dabei deiner Meinung nach an?

Unser vorderstes Gebot ist, die Ukraine verteidigungsfähig zu machen. Wir müssen dies mit aller Kraft verfolgen, wir müssen alles dafür tun. Gleichzeitig müssen wir solange es geht vermeiden, dass es zu einer direkten Konfrontation zwischen der NATO und Russland kommt. Es ist auch im Interesse der Ukraine und der Nachbarländer, eine nukleare Eskalation zu verhindern. Dies ist natürlich an die Bedingung gebunden, dass Russland selbst keine Massenvernichtungswaffen einsetzt.

Die bestehenden logistischen Herausforderungen und Hürden, die mit unserer Unterstützung einer effektiven Verteidigungsfähigkeit der Ukraine verbunden sind, müssen wir durch eine Entbürokratisierung vieler Vorgänge und auch durch kreative Lösungen überwinden. Wir müssen den Ukrainerinnen und Ukrainern das liefern, womit sie schnell handlungsfähig sind. Im Sinne von „Pooling and Sharing“ müssen wir unsere Waffen- und Ausrüstungsbestände aus verschiedenen Ländern flexibler zur Verfügung stellen. Für alle Länder, die diese Bestände liefern, müssen wir in einem nächsten Schritt Ersatz schaffen, damit sie nicht ihre eigene Verteidigungsfähigkeit verlieren. Das ist ein starkes und großes logistisches Unterfangen, in das wir sehr viele Ressourcen investieren müssen und zwar unverzüglich.

Zweitens muss der Druck auf Russland natürlich aufrechterhalten und verschärft werden. Die EU-Mitgliedstaaten sollten sich dabei auch schnellstmöglich darauf vorbereiten, überhaupt in der Lage zu sein, ein Embargo auf Energieimporte aus Russland zu verhängen. Das kann nicht ohne eine Strategie geschehen. Diese müssen wir entwickeln, damit der Umstieg auch kurzfristig möglich ist. Zugleich müssen wir drittens den Millionen Menschen auf der Flucht helfen. Es ist unsere Pflicht, diesen Menschen Schutz zu geben.

Anfang März wurde erstmals die EU-Richtlinie zum vorübergehenden Schutz aus dem Jahr 2001 für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aktiviert. Der Ratsbeschluss war einstimmig, das ist ein historisches Ergebnis. Diese Richtlinie regelt die sofortige Gewährung von Schutz und Rechten. Dazu gehören das Aufenthaltsrecht, Zugang zum Arbeitsmarkt, Zugang zur Bildung, Zugang zu Wohnraum, Sozialhilfe, auch medizinische und sonstige Unterstützung sowie Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts. Du hilfst ankommenden Geflüchteten in Berlin. Welche Herausforderungen und Probleme siehst du derzeit bei der Aufnahme von Geflüchteten in der EU?

Wir kommen an den Punkt, an dem wir über eine bessere Verteilung der Geflüchteten unter EU-Mitgliedstaaten reden müssen. Wir müssen EU-Mitgliedstaaten wie Polen und EU-Nachbarländer wie Moldau bei der Aufnahme von Geflüchteten unterstützen und entlasten. Eine bessere Umverteilung ist dafür die wichtigste Grundvoraussetzung – das erfahren jetzt auch EU-Mitgliedstaaten, die in der Vergangenheit die Umverteilung von Geflüchteten blockiert haben. Diese Erfahrung muss für diese Länder ein Weckruf auch für die Zukunft sein.

In Deutschland sehen wir, dass sehr, sehr viele Menschen ankommen, in Zukunft werden immer mehr Menschen zu uns flüchten. Wir müssen unbürokratische Lösungen finden, woran auch gearbeitet wird. Aus meiner Sicht müssen wir die Digitalisierung vieler Prozesse vorantreiben. In Berlin z.B. wurde eine digitale Möglichkeit eingeführt, Anträge zu stellen, und mit dieser Antragstellung auch schon die wichtigsten Rechte zu erhalten. Für die Zahlen, die wir in Deutschland erfassen müssen, sind Wartezeiten für eine physische Bearbeitung eine unerträgliche menschliche Belastung, denn Menschen brauchen finanzielle Unterstützung sofort und nicht erst nach Ablauf der Wartezeiten für physische Termine. Viele Volontäre, mit denen ich spreche, sind auch frustriert. Ich habe aber auch Verständnis dafür, dass die Behörden nicht sofort alles lösen können. Wir müssen ehrlich aussprechen, dass das Ausmaß der derzeitigen Fluchtbewegung die öffentlichen Infrastrukturen in Deutschland überlastet. Da müssen wir gemeinsam anpacken.

Die ukrainische Verlegerin und Publizistin Kateryna Mishchenko betonte Mitte März bei einer Veranstaltung des Literaturhauses Stuttgart, dass Ukrainerinnen und Ukrainer nicht als Geflüchtete nach Europa ziehen, sondern Europa in der Ukraine aufbauen wollen. Anfang März stellte die Ukraine einen Antrag auf einen schnellen EU-Beitritt. Wir wissen zugleich, dass Putin nichts mehr fürchtet als die Demokratiebewegungen in Russlands westlicher Nachbarschaft. Wie sollte die EU auf den Antrag der Ukraine reagieren?

Wir müssen den ukrainischen Freundinnen und Freunden signalisieren, dass wir die Ukraine als Kandidatin und in einem nächsten Schritt als Mitglied in der EU haben möchten. Das sollte ein glaubwürdiger und zügiger Prozess sein. Zugleich müssen wir aber auch erklären, dass es dafür vorgesehene Verfahren gibt. Das ist keine unnötige Bürokratie, sondern es handelt sich um vertragliche Vereinbarungen, die wir auch mit Blick auf andere Anwärter nicht brechen können. Wir sollten alles tun, damit diese Prozesse nicht zu lange dauern, nicht verschleppt werden, nicht zu technisch oder zu bürokratisch werden. Wir sollten aus meiner Sicht auch keine Angst davor haben, Putin mit diesen für unsere östlichen Nachbarn positiven Signalen zu “provozieren”. Putin verärgert man mit allem, darauf können wir jetzt keine Rücksicht mehr nehmen.

Zugleich bleibt es dabei: Wir haben Artikel 49 des Vertrags über die Europäische Union. Wir haben ein Verfahren für EU-Erweiterungen, dieses Verfahren kann rechtlich nicht ausgesetzt oder umgangen werden. Es wäre auch nicht zielführend, wenn wir hier Sonderwege eröffnen und Ausnahmen einführen würden, denn das schwächt bei anderen Ländern, die der EU beitreten wollen, den Anspruch und die Ambitionen, europäisch, nachweislich und nachhaltig demokratisch sowie wirtschaftlich stabil zu werden, bevor sie beitreten können. Ein ernstzunehmendes Kandidatenland ist eben ein Land, das auch Reformen auf den Weg bringen kann, soll und muss. Das Signal an die Ukraine muss lauten: Wir wollen euch dabeihaben, wir sehen, dass ihr bereit seid und wir werden alles tun, um glaubwürdig und zügig die notwendigen Prozesse einzuleiten und abzuschließen. Das schulden wir den Ukrainerinnen und Ukrainern, die bereit sind, für eine demokratische und europäische Zukunft zu kämpfen.

Du hast eben gerade schon einen möglichen Lieferstopp für Energieträger aus Russland in die EU angesprochen. Die Tatsache, dass die EU so abhängig von Energieimporten aus Russland ist, stellt die Mitgliedstaaten vor immense Herausforderungen. Auf was muss die EU bei einem möglichen Energieembargo achten, wie kann es auf den Weg gebracht werden?

Es muss klar sein, dass ein Stopp von Energielieferungen aus Russland nicht vom Tisch ist, dass ein Embargo eine realistische Option ist und auch kurzfristig kommen kann. Ich finde die Strategie von Bundesminister Robert Habeck richtig, denn es kann keinen Ausstieg aus den Abhängigkeiten ohne einen realistischen Einstieg in Alternativen geben. Dieser Einstieg muss gemanagt, muss strategisch aufgestellt werden, denn wir müssen natürlich auch unseren Bürgerinnen und Bürgern und Partnern erklären können, wie wir ohne die 55% russisches Gas und 35% russisches Öl weiterhin als Wirtschaft, als verlässlicher Partner, als Führungsmotor in der EU funktionieren wollen und dabei ein Aufnahmeland für so viele Tausende und vielleicht bald auch Millionen von Geflüchteten aus der Ukraine sein können.

Wichtig ist mir aber auch: Putin und Co. schauen genau hin, wie stark oder wie geschwächt wir sind. Deutschlands Stärke ist nicht Deutschlands Militär, sondern Deutschlands Wirtschaft. Das hat nichts mit Angst vor Wohlstandseinbußen zu tun, sondern ganz banal mit geostrategischem Kalkül. Wenn wir mit einem Energieembargo just diese einzig vorhandene Stärke beschädigen, spielen wir dem Kreml in die Hände. Wir müssen für Versorgungssicherheit sorgen und die Weichen für eine Transformation unserer Energiewirtschaft stellen. Das haben die letzten Bundesregierungen nicht auf den Weg gebracht. Wir haben nun die Aufgabe, den Ausstieg aus den durch die letzte Bundesregierung leider zementierten Abhängigkeiten von Russland glaubwürdig zu gestalten. Wir brauchen also eine schnelle, aber ebenfalls klare und durchdachte Strategie des Ausstiegs. Diese Strategie kann kurzfristig sein, muss dann kurzfristig aber dennoch vorbereitet und gemanagt werden.

Was in den letzten Tagen in vielen Debatten um ein sofortiges Embargo nicht im Mittelpunkt stand, ist die Tatsache, dass die EU einige Wirtschaftssanktionen einstimmig verabschiedet hat. Wie bewertest du diese Sanktionen und ihre bisherige Wirkung?

Die Sanktionen, die bisher eingeführt worden sind, in Abstimmung mit unseren transatlantischen Partnern und weiteren Partnern außerhalb der EU, waren wichtig und ihre Folgen sind auch schon spürbar. Die wichtigsten Sanktionen waren aus meiner Sicht die Isolierung der Zentralbank, das Abschneiden des Zugangs zu den Reserven der russischen Zentralbank, denn dadurch wird die russische Währung und die russische Zahlungsfähigkeit getroffen. Es bringt die russische Wirtschaft in schwere Turbulenzen und vielleicht irgendwann zum Kollabieren. Das ist aber natürlich auch sehr schmerzhaft für die russische Gesellschaft. Wir haben immer betont, dass unsere Sanktionen gezielt sein müssen, dass sie sich auf Oligarchen und die Verantwortlichen beschränken müssen. Diesen Ansatz sollten wir nach Möglichkeit auch weiterhin verfolgen.

Allerdings befinden wir uns in einer Situation der Aggression und des von Russland entfesselten Krieges gegen einen Nachbarstaat, in dem einige militärische Handlungen aus meiner Sicht an Völkermord grenzen. In einem internationalen Konflikt solcher Ausmaße sind Staaten als Ganzes Verantwortliche der Maßnahmen und Adressaten der Gegenmaßnahmen. Deshalb können wir nicht auf sektorale Sanktionen und Systemsanktionen verzichten. Mehr noch, damit diese Sanktionen weiterhin erfolgreich sind, brauchen wir eine breite Koalition der Sanktionsverbündeten. Alle, die Moskau helfen, Sanktionen zu umgehen, müssen ebenfalls mit sog. Sekundärsanktionen rechnen. Die Lage ist zu ernst, um Maßnahmen zu verhängen und anschließend zuzuschauen, wie diese unterlaufen werden.

Viele Expertinnen und Experten weisen darauf hin, dass Anreize der Kern eines erfolgreichen Sanktionsregimes sind. Welche Anreize kann die EU Putin deiner Meinung nach bieten? Kann sie überhaupt Anreize bieten, angesichts der Kriegsverbrechen, die Russland in der Ukraine begeht?

Die Zeit der Anreize ist eigentlich vorbei. Der einzige Anreiz, den wir Putin jetzt bieten können, ist das Ende der Sanktionen, wenn er die Truppen aus der Ukraine vollständig abzieht. Das ist das Mindeste. Wir wollen mit den Sanktionen eine Verhaltensänderung erreichen. Ich bin jedoch nicht der Meinung, dass wir diese Sanktionen als die Möglichkeit oder Grundlage für einen Regimewechsel betrachten sollten. Das wäre aus meiner Sicht zurzeit nicht zielführend oder produktiv. Die Sanktionen sind verhängt worden, um Putins aggressives, expansives außenpolitisches Verhalten zu unterbinden. Erst wenn er dieses Verhalten vollständig beendet, kann man über ein Sanktionsende reden. Bisher sehe ich allerdings noch keine Anzeichen, dass eine substantielle Verhandlungs- oder Verhaltensänderung zustande kommt oder eingeleitet wird.

Letzte Woche fanden in Brüssel drei außerordentliche Gipfeltreffen der EU, NATO und G7 statt. Wie bewertest Du die dort getroffenen Entscheidungen?

Ich fand die Woche der Summits in Brüssel stark. Auch wenn einige enttäuscht darüber sind, dass die NATO etwa keine Flugverbotszone und die EU kein Energieembargo verhängte, war damit sowieso nicht zu rechnen gewesen. Wichtig ist zurzeit die Einigkeit der Mitgliedstaaten, die Entschlossenheit bei der Verteidigung des NATO-Territoriums und aktive Waffenlieferungen an die ukrainische Seite. Diese Signale haben die Gipfeltreffen von Brüssel durchaus ausgesandt.

Du hast schon erwähnt, dass die deutsche Bundesregierung in den letzten Wochen in Bezug auf ein umgehendes Energieembargo zurückhaltend war und bleibt. Bei einigen Mitgliedstaaten hat das den Eindruck erweckt, Deutschland sei derzeit nicht bereit, in der EU eine Führungsrolle zu übernehmen. Wie kann die deutsche Bundesregierung auf EU-Ebene Vertrauen bilden? Wie kann sie in der EU eine konstruktive und vorausschauende Führungsrolle übernehmen?

Wir müssen die Rolle Deutschlands in der EU auch bei uns zu Hause, in der Bundesrepublik zur Chefsache machen und dies genau so kommunizieren. Ich finde, dass viele Bundesministerinnen und Bundesminister sehr gute Arbeit leisten. Aber es gab und gibt, aus verschieden Gründen, in der EU eine hohe Erwartung an Deutschlands Spitze, der wir nicht immer gerecht werden. Wichtig ist aber auch: Die Dilemmata, in denen wir stecken, sind viel komplexer als dass wir diese Erwartungen mit eindimensionalen Antworten befriedigen können. Es ist schwierig für ein industrielles Land, das große Verantwortung in der EU trägt, alle Erwartungen zu erfüllen.

In den Merkel-Jahren hat Deutschland in der EU zwar eine sichtbare Rolle gespielt, aber aus meiner Sicht oft zu schlichtend und häufig abbremsend auftretend, also nicht wirklich führend mit einer ambitionierten politischen Vision für die Zukunft der EU. Aber Merkel war als Akteurin stets präsent und für viele jahrelang „point of reference“. Die jetzige deutsche Bundesregierung ist europapolitisch noch nicht dort, wo sie sein könnte. In der derzeitigen Situation ist dies aber auch schwierig, denn sie hatte nicht viel Zeit zu lernen oder Reputation aufzubauen. Wir müssen jetzt in einem Prozess des Learning by Doing zusammen mit unseren Partnern die EU in eine effektive Führungsrolle bringen.

Du bist unter anderem russlandpolitischer Sprecher der grünen Fraktion im Europäischen Parlament. Wie kann eine zukünftige EU-Russlandpolitik deiner Meinung nach aussehen?

In der Situation, in der wir jetzt sind, kann man sich, zumindest mittelfristig, eine EU-Russlandpolitik nicht als eine Einbindungspolitik vorstellen. Es geht um Containment, um Einhegung und Eindämmung. Es ist für mich schwer vorstellbar, mit dieser russischen Regierung, die diese Verbrechen begeht, aber auch mit dieser Gesellschaft, die in weiten Teilen mit dieser Regierung mitzieht, zu einer genuinen und vertrauensvollen Partnerschaft übergehen zu können.

Man weiß nie, wozu man im Interesse des Friedens gezwungen sein könnte, aber die Reste des Vertrauens sind nachhaltig zerstört. Es war klar, dass wir nicht viel erwarten können in Hinblick auf demokratische Grundsätze und auf Russlands Verhalten auf der internationalen Bühne. Was wir aber derzeit erleben, ist eine totale Zerstörung aller auch nur kleinsten gemeinsamen Grundsätze der internationalen Weltordnung durch Russland. Putin hat Russland in eine Situation katapultiert, die für das Land aus meiner Sicht schlimmer als die Situation im Kalten Krieg ist.

Die ohnehin harten Repressionen gegen regimekritische Stimmen in Russland werden in Zukunft weiter verschärft werden. Wie können wir Oppositionelle, Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen in Russland unterstützen, wie können wir sie schützen?

Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, uns für Oppositionelle in Russland einzusetzen, denn die Repressionen werden weiter zunehmen. Wir müssen uns auch darauf konzentrieren, Menschen zu helfen, die aus Russland fliehen müssen. Sie erhalten nicht dieselben rechtlichen Absicherungen wie Menschen aus der Ukraine, die in die EU kommen. Das müsste man jetzt austarieren, denn wir haben zwar nicht Millionen, aber schon Hunderte und vielleicht bald Tausende von Menschen, die die intellektuelle, die journalistische und die moralische Blüte der russischen Gesellschaft sind. Für viele Fragen gibt es noch keine Antworten: Was ist mit ihrem Status, was ist mit ihren Arbeitsmöglichkeiten, wie gehen wir damit um? Diese Menschen können häufig nicht einmal bezahlen, weil ihre Kreditkarten gesperrt sind. Wir müssen dafür sorgen, diesen Menschen in der EU einen würdevollen Aufenthaltsschutz, Sicherheit und auch Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten.

Sergey, wir danken Dir für das Gespräch.

 


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