Migration in Zeiten des Klimawandels – Krise oder Teil der Lösung?

Commentary

In seinem letzten Bericht unterstreicht der Weltklimarat (IPCC) mit Nachdruck, dass der Klimawandel jeden dritten Menschen ausgesprochen verwundbar macht.[1] Diese Vulnerabilität ist stark mit sozialer Ungleichheit verwoben und deshalb global sehr unterschiedlich verteilt. Die Ergebnisse des Berichts betonen eine zentrale Frage unserer Zeit: Wie können wir betroffene Menschen schützen und uns an die gegenwärtigen und zukünftigen Veränderungen des Klimas anpassen?

Menschen sitzen im Sonnenuntergang in einem Boot

Wenn die Auswirkungen des Klimawandels einige besiedelte Gebiete der Erde unbewohnbar machen, wandern die betroffenen Menschen teilweise in andere Regionen ab. Es sind in erster Linie der Anstieg des Meeresspiegels und extreme Wetter- oder Klimaereignisse – wie langanhaltende Dürren, Wirbelstürme oder Überschwemmungen –, die Menschen aus ihrer Heimat vertreiben. Darüber hinaus können auch schleichende Umweltveränderungen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, wie etwa Temperatur- oder Niederschlagsveränderungen, eine Rolle bei der Entscheidung zur Abwanderung spielen. Beispielsweise hängt das Leben vieler ländlichenr Gemeinden in Ostafrika von natürlichen Ressourcen ab. Landwirt*innen sind auf Niederschläge und Bodenfruchtbarkeit angewiesen, um ihre Nahrungsmittel zu produzieren. Wenn sich die Verfügbarkeit der Ressourcen aufgrund veränderter Umweltbedingungen verschlechtert, sind die Lebensgrundlagen bedroht. Neben landwirtschaftlichen Maßnahmen kann die Migration eine mögliche Anpassungsstrategie sein, um das Wohlergehen der Menschen zu verbessern.

According to the latest IPCC report climate change one in three people are extremely vulnerable to climate change.

Vertreibung aufgrund extremer Wetterereignisse ist mittlerweile ein globales Phänomen

Im vergangenen Sommer verwüstete ein verheerendes Hochwasser im deutschen Ahrtal die Region und einige umliegende Gebiete. Als Folge verloren viele Menschen ihr Zuhause – einige sind noch mit dem Wiederaufbau beschäftigt, andere vorübergehend oder dauerhaft weggezogen. Dies hat auf erschütternde Weise die Auswirkungen extremer Wetterereignisse veranschaulicht, die aufgrund des sich rasant verändernden Klimas immer häufiger auftreten. In den USA wird die Entscheidung von Einzelpersonen oder Haushalten zur Abwanderung in andere Gebiete zunehmend durch die Erfahrung von Hitzewellen oder Bränden in der bisherigen Wohngegend beeinflusst. In Bangladesch kommt es in Küstengebieten bereits jetzt zu häufigeren und intensiveren Überschwemmungen oder Wirbelstürmen, die zur Versalzung oder zum Verlust von bewohnbarem Land beitragen. Diejenigen, die es sich leisten können, haben widerstandsfähigere Häuser auf höherem Grund gebaut oder Familienmitglieder zur Arbeit in nahe gelegene Städte geschickt.

Vertreibung aufgrund von Extremwetterereignissen ist heute ein globales Phänomen, wobei die Bevölkerungen kleiner Inselstaaten im Pazifik und Menschen in Afrika und Asien am stärksten betroffen sind. Nach Angaben des Internal Displacement Monitoring Center (IDMC) werden jedes Jahr mindestens 20 Millionen Menschen innerhalb ihrer Landesgrenzen vertrieben, was in etwa der Einwohner*innenzahl Pekings entspricht. Die meisten von ihnen bewegen sich nur über kurze Distanzen, im Zusammenhang mit Klimaextremen ist internationale Migration viel seltener. Einige Menschen kehren – wenn möglich – auch zu einem späteren Zeitpunkt an ihren Wohnort zurück.

Migration im Kontext des Klimawandels ist eine Frage der Klimagerechtigkeit

In den letzten Jahren hat die Forschung in diesem Bereich zugenommen, und befasst sich auch mit der Frage, ob und inwiefern heißeres Klima, veränderte Niederschläge oder unfruchtbare Böden das menschliche Mobilitätsverhalten beeinflussen. Forscher*innen haben unter anderem festgestellt, dass Umweltveränderungen Migration einerseits begünstigen und andererseits auch verhindern können. Die Ergebnisse zeigen, dass Migration nicht nur von Umweltbedingungen beeinflusst wird, sondern von mehreren miteinander interagierenden Kontextfaktoren abhängt: Finanzielle Ressourcen, soziale Netzwerke, persönliche Wünsche, politische Institutionen und Veränderungen von Umweltbedingungen sind alles Einflüsse, welche auf die Entscheidung wegzuziehen oder zu bleiben einwirken.

Many different factors influence the decision to migrate oder to stay put. Whether peoplecan or want to migrate depends on their circumstances, opportunities and resources.

Obwohl immer mehr Menschen die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren bekommen, hängt es von ihren Lebensumständen, Möglichkeiten und Ressourcen ab, ob sie migrieren können oder wollen. Außerdem sind die vom Klimawandel am stärksten betroffenen Bevölkerungsgruppen oft diejenigen, die am wenigsten für die Verursachung verantwortlich sind. Deshalb ist Migration im Kontext des Klimawandels eine Frage der Klimagerechtigkeit. Klimawandel oder Umweltveränderungen erhöhen oft den Druck auf Haushalte, aber neben Migration können Menschen auch auf weitere lokale Anpassungsstrategien z.B. in der Landwirtschaft zurückgreifen. Außerdem ist Abwanderung in der Regel teuer, die Ärmsten können sich Mobilität oft kaum leisten. Vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels spielt die Migration eine entscheidende Rolle bei der Anpassung an die veränderten Lebensbedingungen. Weltweit sind immer mehr Menschen betroffen und es ist eine Tatsache, dass einige Regionen irgendwann unbewohnbar sein werden. Allerdings gibt es noch erhebliche Wissenslücken darüber, wie genau diese Wanderungen aussehen und wie umfangreich sie in Zukunft sein werden. Das liegt daran, dass die Wechselbeziehung zwischen Migration und Klimawandel nach wie vor komplex ist und unterschiedliche Formen annehmen können.

Alarmistische Warnungen vor “Klimaflüchtlingen” entbehren häufig einer wissenschaftlichen Grundlage, sie helfen den vom Klimawandel betroffenen nicht

Im Vorfeld der Klimaverhandlungen auf der COP26 in Glasgow kündigte Boris Johnson an, dass ein Ausbleiben von klimapolitischen Maßnahmen „sehr problematische geopolitische Ereignisse“ auslösen könnte, einschließlich Massenmigration und globalem Wettbewerb um Nahrung und Wasser. Im Jahr 2015 hatte John Kerry bereits vor durch den Klimawandel ausgelösten „Flüchtlingswellen“ gewarnt. Westliche Regierungsvertreter*innen nutzen die Rhetorik des Klimaexodus häufig, um entweder für Klimaschutz zu werben oder verstärkte Grenzkontrollen zu legitimieren. Zudem haben mehrere Berichte[2] aus den vergangenen Jahren für alarmistische Schlagzeilen und die Ankündigung eines klimabedingten Massenexodus gesorgt.

Das Narrativ einer durch den Klimawandel ausgelösten Massenbewegung von Geflüchteten in Richtung des globalen Nordens ist in den Schlagzeilen und in politischen Verhandlungen allgegenwärtig. Alarmistische Warnungen vor „Klimaflüchtlingen“ (unabhängig davon, ob aus humanistischen oder restriktiver Motivation geäußert) entbehren jedoch nicht nur einer wissenschaftlichen Grundlage, sie spielen meistens denjenigen in die Hände, die für eine restriktivere Grenzpolitik plädieren, anstatt denen zu helfen, deren Lebensgrundlage durch den Klimawandel ernsthaft bedroht wird.

Prognosen, die „Klimamigration“ messen oder vorhersagen, sind äußerst schwierig zu erstellen

Die Annahme, dass sich Massen von “Klimaflüchtlingen” auf den Weg nach Europa machen, wird häufig von Versuchen begleitet, diese Migrationsbewegung in Zahlen vorherzusagen. In den 1990er Jahren sagte der Biodiversitätsforscher Norman Myers insgesamt 200 Millionen „Klimaflüchtlinge“ bis Mitte des 21. Jahrhunderts voraus. Seine Prognose beruhte jedoch auf stark vereinfachten Annahmen darüber, wie sich der Klimawandel auf das Migrationsverhalten der Menschen auswirken könnte – von Migrationsforscher*innen wurde er heftig kritisiert. Dessen ungeachtet zirkulierten seine Daten weiterhin in der Öffentlichkeit und wurden in Berichten verschiedener NROs verwendet. Angesichts der Komplexität und Multikausalität von Migrationsdynamiken ist es äußerst schwierig klimabedingte Migrationsströme zu messen oder vorherzusagen. Obwohl viele Versuche sogenannte „Klimaflüchtlinge“ zu quantifizieren zu eher unzuverlässigen Daten geführt haben, war die öffentliche Wirkkraft der Zahlen groß. Wissenschaftler*innen und Kritiker*innen haben wiederholt vor dem Mythos rund um „Klimamigration“ gewarnt. Unter Verweis auf den wachsenden Wissensbestand zum Klima-Migrations-Nexus fordern viele eine differenziertere Darstellung des Nexus und eine differenziertere politische Debatte.

Wir brauchen eine differenzierte Darstellung von Klimamobilität

Seit den 1980er Jahren kursieren in der öffentlichen Debatte verschiedene Narrative zu Klimamigration sowie unterschiedliche Vorstellungen zu der Figur des „Klimaflüchtlings“. Bereits in den 1990er Jahren wurden Menschen auf der Flucht mit Bildern von hilflosen Opfern des Klimawandels assoziiert, die auf Hilfe des globalen Nordens angewiesen waren. Als der Klimawandel in den 2000er Jahren mehr und mehr unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit betrachtet wurde, entwickelte sich auch die Figur des „Klimaflüchtlings“ zu einer Interpretation der Sicherheitsbedrohung. Seit 2010 hat eine hoffnungsvollere Rahmung Einzug in die Debatte erhalten: Migration als eine sinnvolle und legitime Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Wenn die Lebensgrundlagen der Menschen durch den Klimawandel bedroht sind, kann der Umzug in die Stadt eine effektive Möglichkeit sein, die Existenz zu sichern. Das Bild von Migration als Anpassungsstrategie setzt dem Narrativ des Chaos oder der Bedrohung eine positivere Sicht der Mobilität entgegen. Dennoch birgt das Framing der Anpassung auch die Gefahr, dass die Verantwortung des Einzelnen für die Anpassung überbetont wird und die strukturelle Ungleichheiten übersehen werden.

In meiner Untersuchung der aktuellen deutschen Medienberichterstattung habe ich feststellen könne, dass alarmistische und vereinfachte Narrative zu Klimamigration sehr tief im öffentlichen Diskurs verankert sind. Klimabedingte Migration wird auch heute noch regelmäßig als chaotisches Massenphänomen des globalen Südens und im Zusammenhang mit Konflikten dargestellt. In diesen Erzählungen wird der „Klimaflüchtling“ als bedrohlicher „Anderer“ konstruiert und manchmal mit paternalistischen oder sogar rassistischen Zuschreibungen versehen. Die aktuelle Medienberichterstattung ist jedoch in Teilen auch differenzierter und vielfältiger geworden. Ein differenzierteres Bild ergibt sich aus den informationsbasierten Artikeln, die eine komplexere und wissenschaftsbasierte Einordnung des Klima-Mobilitäts-Nexus vornehmen und aktuelle Forschungsergebnisse mit einbeziehen. Darüber hinaus beschreiben Reportagen oder Storytelling-Ansätze die Seite der subjektiven und individuellen Mobilitätserfahrung. Sie nähern sich dem Nexus von der Mikroebene aus, erzählen persönliche Geschichten und stellen diese im besten Fall in einen historischen und lokalen Kontext. Auf diese Weise kann die Komplexität von Mobilitätserfahrungen vermittelt werden, was mehr Empathie mit den Betroffenen zulässt. 

Wie kann Migration das Wohlergehen der vom Klimawandel Betroffenen steigern?

Die vorherrschenden Narrative, die durch einen großen Teil der Medienberichterstattung unterstützt werden, haben das Bild von “Klimamigration als Krise” etabliert. Dieses Bild wird geprägt durch die überwiegende Darstellung des Phänomens im globalen Süden und die Erzählung von Migration als Belastung oder Bedrohung für den globalen Norden. Zudem wird die Debatte über „Klimaflüchtlinge“ überwiegend von Expert*innen aus dem globalen Norden geführt, ohne, dass die Betroffenen angemessen beteiligt werden. Dies zeigt sich auch in der global ungleichen Verteilung von Forschung: Während die meisten Forscher*innen im globalen Norden angesiedelt sind, befinden sich die Untersuchungsgebiete überwiegend im globalen Süden. Dass sich alarmistische „Klimaflüchtlings“-Narrative hartnäckig halten hängt auch damit zusammen, dass sie in gesellschaftliche Vorstellungswelten passen, in denen Flucht und Migration mit Angst und Bedrohung assoziiert ist. Nicht zuletzt aufgrund dieser verbreiteten Deutung von Migration als Bedrohung wird in Europa oft die Frage gestellt, wie klimabedingte Migration vermieden werden kann. Dies ist jedoch nicht unbedingt die richtige Fragestellung. Migration ist schon immer eine menschliche Verhaltensweise, somit ist sie nicht per se gut oder schlecht. Mobil zu sein oder zu werden kann sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf das menschliche Wohlergehen haben. Migration kann eine Anpassungsstrategie sein, um mit Umweltveränderungen fertig zu werden. Die entscheidende Frage lautet deshalb: Kann durch Migration das Wohlergehen der vom Klimawandel betroffenen Menschen verbessert werden? Politische Antworten sollten darauf abzielen, die positiven Auswirkungen von Migration zu fördern und die negativen zu minimieren. Sie sollten die Menschen in den Mittelpunkt stellen und betroffene Regionen unterstützen, z.B. durch Umsiedlungsmaßnahmen, die Förderung verschiedener Mobilitätsformen und sicherer Migrationswege.

 

[1] IPCC. 2022. “Summary for Policymakers”. In: Climate Change 2022: Impacts, Adaption and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change.

[2] IPCC. 2022. Summary for Policymakers. In: Climate Change 2022: Impacts, Adaption and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change.