Im Vorfeld der kambodschanischen Parlamentswahlen am 23. Juli wurde die beliebteste Oppositionspartei von den Wahlen ausgeschlossen. Dadurch hat die regierende Kambodschanische Volkspartei so gut wie keine Konkurrenz bei diesen Wahlen.

Die Wahlberechtigten in Kambodscha, die am 23. Juli die 125 Abgeordneten für das Unterhaus des Parlaments, die Nationalversammlung, wählen sollen, stehen vor einer Parteienlandschaft, die sich im Laufe des letzten Jahrzehnts drastisch verändert hat.
Vor zehn Jahren gab es bei den Wahlen noch ein enges Rennen mit einem umstrittenen Wahlausgang, bei dem die regierende Kambodschanische Volkspartei (CPP) 49 Prozent der Stimmen für sich verbuchte – gegenüber 45 Prozent für die Oppositionspartei, die Kambodschanische Nationale Rettungspartei (CNRP). Die CNRP erhob danach nicht nur Vorwürfe über Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen, sondern führte auch monatelange Massenproteste an.
Heute sind solche Szenen unwahrscheinlich, nachdem die Regierung ein Jahr lang mit aller Härte gegen politische Gegner*innen und Kritiker*innen vorgegangen ist. Wie schon vor fünf Jahren, als die CPP bei den Parlamentswahlen von 2018 alle Sitze gewann, nachdem der parteiische Oberste Gerichtshof die CNRP aufgelöst hatte, stehen neben der Regierungspartei nur einige kleinere Parteien zur Wahl. Denn auch der kurzlebige Versuch der CNRP, die Partei unter dem Namen „Kerzenlicht-Partei“ (Candlelight Party, CP) wiederzubeleben, scheiterte im Mai diesen Jahres, als die neugegründete Partei aus formalen Gründen wegen unvollständiger Unterlagen nicht zu den Wahlen zugelassen wurde. Eine Entscheidung, die von regionalen Wahlbeobachter*innen als „willkürlich“ und „politisch motiviert“ verurteilt wird.
Andeutungen, dass die Legitimität der Wahlen infrage steht, weil die CP nicht teilnehmen kann, kontert die CPP mit dem Verweis auf kleinere Oppositionsparteien, die zur Wahl antreten. Dazu gehören beispielsweise die Überreste der einst bedeutenden monarchistischen Partei, eine „basisdemokratische“ Partei und eine für indigene Minderheiten eintretende Partei. Für die CPP ist dies Beweis genug, dass das Land nach wie vor eine Mehrparteiendemokratie ist.
Aber die meisten dieser Kleinparteien haben wenig Profil, knappe Ressourcen und nichts, was dem von der CNRP und ihren Mitgliedern aufgebauten nationalen und internationalen Unterstützungsnetzwerk auch nur nahekommt. Die CPP ist dagegen schon seit über vier Jahrzehnten an der Macht. Ihr Vorsitzender Hun Sen, der seit 1985 der amtierende Premierminister ist, kündigte an, seinen ältesten Sohn, den Armeechef Hun Manet, als seinen Nachfolger ins Amt zu hieven. Das ist Teil eines in der Partei stattfindenden Generationswechsels, der sich darin widerspiegelt, dass mehrere Sprösslinge von führenden Politikern bei den anstehenden Wahlen kandidieren.
Kleine Fische
Von den kleinen Parteien, die im Juli zur Wahl stehen, haben nur sieben überhaupt Kandidierende in ausreichender Zahl für alle 125 Sitze in der Nationalversammlung aufgestellt.
Eine davon ist die FUNCINPEC, die monarchistische Partei, die das Land in den 1990er-Jahren zusammen mit der CPP regierte, nachdem sie die 1993 von den Vereinten Nationen organisierten Wahlen gewonnen hatte, mit denen das vom Krieg zerrüttete Kambodscha als Demokratie wiederaufgebaut werden sollte. Nachdem es Hun Sen 1997 mit militärischer Gewalt gelungen war, die FUNCINPEC aus der gemeinsamen Koalitionsregierung zu putschen, ist die Partei nach und nach in der politischen Bedeutungslosigkeit versunken.
Im Jahr 2018 gewann sie unter ihrem Vorsitzenden Prinz Norodom Chakravuth, dem Sohn des früheren Parteichefs Norodom Ranariddh, sogar weniger Stimmen als die Gesamtzahl ungültiger Stimmzettel. Und im letzten Jahr konnte sie nach den Kommunalwahlen keinen einzigen Gemeinderat oder Bürgermeister stellen.
Ein weiterer Wahlkandidat mit königlichem Hintergrund ist der frühere Armeechef Nhek Bun Chhay, der 2016 die FUNCINPEC verließ und heute Vorsitzender der Vereinigten Nationalen Khmer-Partei ist, die bei den Kommunalwahlen von 2022 nicht einmal 1 Prozent der Stimmen erhielt.
Auch die kleinen Parteien, die sich für bestimmte Zielgruppen einsetzen, konnten bei den letzten Kommunal- oder Parlamentswahlen keine Ämter gewinnen. Die Demokratische Partei der indigenen Völker Kambodschas, die für die Rechte der ethnischen Minderheiten im Nordwesten des Landes eintritt, gewann bei den Gemeinderatswahlen von 2017 und 2022 keinen einzigen Sitz.
Auch die Basisdemokratische Partei, die 2015 von zuvor zivilgesellschaftlich Aktiven gegründet wurde und mit einem engagierten, überlokalen Ansatz Unterstützung gewinnen wollte, scheiterte mit ihrer Strategie. Die bei den diesjährigen Wahlen nur mit 83 Kandidierenden antretende Partei konnte in den vorhergehenden Wahlen nicht viel ausrichten, sodass mehrere Führungsmitglieder die Partei verließen und sich der Regierungspartei anschlossen.
Je näher die Wahlen rücken, desto größer wird die Zahl der Abtrünnigen aus den Oppositionsparteien. Unbestätigten Berichten eines regierungsfreundlichen Medienunternehmens zufolge sind seit Januar schon 6.000 Oppositionsmitglieder zur CPP übergelaufen. Einige von ihnen taten dies, nachdem sie aufgrund kritischer Kommentare verhaftet worden waren.
Eine Reihe der für die Wahlen registrierten winzigen Parteien vertreten Positionen, die der CPP zuträglich sind, wie beispielsweise Angriffe auf frühere CNRP-Mitglieder oder Unterstützung für die Regierungsmaßnahme, unabhängige Medien zu schließen. Die Kambodschanische Jugendpartei wurde 2015 gegründet und schrieb sich auf die Fahne, für höhere Lebensstandards und mehr Beschäftigung zu kämpfen. Stattdessen war der aufsehenerregendste Beitrag dieser Partei die Entscheidung ihres Vorsitzenden Pich Sros, 2017 die Klage gegen die CNRP einzureichen, die zur Auflösung der Partei durch den Obersten Gerichtshof führte.
Die Riesenkrake
Die Kambodschanische Volkspartei unter ihrem Vorsitzenden Hun Sen bestimmt seit langem die Politik im heutigen Kambodscha. Sie ist die Nachfolgepartei der Revolutionären Volkspartei der Khmer (Kampuchean People's Revolutionary Party, KPRP), die 1979 mit Unterstützung der vietnamesischen Armee das für den Völkermord verantwortliche Regime der Roten Khmer stürzte und den Kampf gegen die radikalen Kommunisten solange weiterführte, bis ihre letzten Mitglieder in den 1990er-Jahren die noch von ihnen kontrollierten Grenzgebiete verließen und sich der Regierungspartei anschlossen.
Die Niederschlagung und Absorption der Roten Khmer im Zuge der sogenannten „Win-Win-Politik“ ist ein zentrales Element des von der Partei für sich beanspruchten Vermächtnisses. Die Kernbotschaft ihres Wahlkampfs basiert auf „dem Frieden und der Entwicklung“, die Kambodscha in den letzten beiden Jahrzehnten erlebte, in denen das Bruttoinlandsprodukt jährlich um durchschnittlich 7 Prozent stieg.
Die CPP kontrolliert alle Schalthebel der Staatsmacht – sämtliche Führungspersonen aus Regierung, Armee und Justiz sind Mitglieder ihres Zentralkomitees. Im Wahlkampf von 2023 ist sie im Grunde die einzige sichtbare Partei.
Vor dem Hintergrund von wirtschaftlichem Gegenwind, wie der weltweit sinkenden Nachfrage nach den wichtigsten Exportgütern Kleidung, Schuhwaren und Reiseprodukten sowie der hohen Privatverschuldung, hat Hun Sen versprochen, dass sich die Partei auf die Senkung der Lebenshaltungskosten konzentrieren werde – ein Punkt von mehreren, die im Wahlprogramm der Partei angekündigt werden.
Allerdings haben sich die Vetternwirtschaft, Straffreiheit und Korruption, auf denen die Macht der Partei gründet, bisher als sehr reformresistent erwiesen. Die CPP hat eine Regierungs-, Wirtschafts- und Militärelite geschaffen, die durch familiäre Beziehungen miteinander verbunden ist und deren riesiges Vermögen im krassen Gegensatz zum kambodschanischen durchschnittlich verfügbaren Monatseinkommen von 566 US-Dollar (Zahlen aus 2021) steht.
Im Vorfeld der Wahl arbeitet die CPP daran, die Macht an eine neue Generation innerhalb dieser Elite weiterzugeben, ein heikles Unterfangen, bei dem die Wirtschaftsinteressen der konkurrierenden Familien ausgewogen bedient werden müssen. Neben dem offiziell gesalbten Nachfolger für das Amt des Premiers, General Hun Manet, der als Kandidat für einen Sitz in Phnom Penh aufgestellt wurde, stehen auch die Sprösslinge mehrerer führender Parteipolitiker auf der Wahlliste. Dazu gehören die Söhne von Innenminister Sar Kheng, von Verteidigungsminister Tea Banh und der Schwiegersohn vom Präsidenten der Nationalversammlung Heng Samrin.
Aus Sorge um eine zu niedrige Wahlbeteiligung und zu viele ungültige Stimmzettel und auch um Zweifel an der Seriosität der Wahlen zu zerstreuen, bemüht sich die CPP mit Zuckerbrot und Peitsche um eine höhere Wahlbeteiligung. Zur Wahlbeobachtung eingesetzte Nichtregierungsorganisationen dokumentierten zahlreiche Beispiele von Stimmenkauf. Gleichzeitig wurde in den letzten Wochen vor der Wahl ein Gesetz verabschiedet, mit dem es Personen, die nicht zur Wahl gegangen sind, nicht möglich ist, bei zukünftigen Wahlen zu kandidieren. Zudem wurde unter Strafe gestellt, zum Wahlboykott aufzurufen, für den sich die ins Exil gegangenen Oppositionsführer aussprechen.
Damals und heute
Nachdem die CPP 2013 beinahe eine Wahlniederlage erlitten hätte, hat sie seither mit einer Reihe von Maßnahmen sichergestellt, dass so etwas nie wieder vorkommt.
Der Partei wird ein dauerhaftes hartes Vorgehen gegen politische Gegner*innen, Kritiker*innen, unabhängige Medien und die Zivilgesellschaft zur Last gelegt, die laut der Menschenrechtsorganisation Freedom House mit „Einschüchterung, politischer Verfolgung und Gewalt“ konfrontiert sind.
Ein Großteil der CNRP-Führung, darunter auch Hun Sens Langzeitrivale Sam Rainsy, sind ins Exil gegangen, nachdem immer neue Rechtsverfahren gegen sie eingeleitet wurden. Rainsys Mitgründer der CNRP, Kem Sokha, blieb im Land und wurde im März wegen angeblichen Landesverrats zu 27 Jahren Haft verurteilt. Gegenwärtig steht er unter Hausarrest, bis alle Berufungsinstanzen durchlaufen sind. Über 100 Aktive aus der Opposition wurden verfolgt und verurteilt – mindestens zwei Dutzend sitzen Gefängnisstrafen ab. Eine Nichtregierungsorganisation, die erfasst, welche Menschen aus politischen Gründen inhaftiert sind, verzeichnet 52 politische Gefangene – darunter auch Personen, die sich für Landrechte einsetzen und für Gewerkschaften arbeiten.
Parallel zur juristischen Schikane von politischen Gegner*innen, die von einer Menschenrechtsgruppe als „juristische Kriegsführung“ bezeichnet wird, wurden auch mehrere Gesetze eingeführt, mit der die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften eingeschränkt wird.
Anders als in der Vergangenheit gelingt es derzeit nicht, durch Druck vonseiten liberaler demokratischer Länder den politischen und zivilgesellschaftlichen Raum wieder zu öffnen. Aufgrund der Unterdrückung politischer Opposition überdachte die EU 2020 ihre Kambodscha gewährten Handelspräferenzen. Aber das konnte die Behörden nicht dazu bewegen, die Anklage gegen Sokha fallen zu lassen, und führte letztlich zur teilweisen Aussetzung eines Programms für zollfreie Importe, das für die Fertigungsindustrie von großer Bedeutung ist.
Währenddessen kann Kambodscha auf weitere Investitionen und Unterstützung aus China zählen, seinem wichtigsten Wohltäter. Beijing liefert nicht nur das Vorbild, sondern billigt auch das CPP-Narrativ von der „Nichteinmischung“ und dem „Recht auf Entwicklung“ als Antwort auf die westliche Kritik, dass Kambodscha eine Abkehr von dem Wahlsystem und der offenen Zivilgesellschaft vollzogen hat, die 1993 mit Hilfe der Vereinten Nationen eingeführt wurden.
Auch wenn sein Wahlsieg in Ermangelung ernsthafter Alternativen ausgemachte Sache ist, steht Hun Sen innenpolitisch unter Druck, die Interessen der Elite gleichmäßig zu bedienen, wenn er in einem hochgradig personalisierten System eine Machtübergabe plant. Zudem ist er mit den Forderungen von Millionen Kambodschaner*innen konfrontiert, die für einen politischen Wechsel gestimmt hätten, wenn sie die Wahl gehabt hätten.
Übersetzung: Ina Goertz
Die Ansichten des Autors entsprechen nicht notwendigerweise denen der Heinrich-Böll-Stiftung e.V.