Statt importierten chemischen Dünger durch lokal produzierten, "grünen" Stickstoffdünger auf Basis von Wasserstoff zu ersetzen, sollten die afrikanischen Länder einen umfassenden Wandel in der Düngemittelpolitik anregen. Die Abhängigkeit von Stickstoffdüngern auf Basis fossiler Brennstoffe sollte verringert und der Übergang zu agrarökologischen Methoden vorangetrieben werden.

Die Geschichte synthetischer Düngemittel in Afrika
Im 20. Jahrhundert machten es das Haber-Bosch-Verfahren beziehungsweise die Ammoniaksynthese in vielen Teilen der Welt möglich, die Ernteerträge maßgeblich zu steigern. Auf dem afrikanischen Kontinent wurde jedoch lange Zeit nur wenig Kunstdünger eingesetzt. Seit Anfang der 2000er Jahre wird Kunstdünger in der Landwirtschaft auf dem afrikanischen Kontinent jedoch als ein Schlüsselelement für die Umsetzung der so genannten Grünen Revolution eingesetzt.
Die wichtigste Vereinbarung war die Abuja-Erklärung von 2006, in der sich die Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union darauf einigten, den Düngemitteleinsatz auf durchschnittlich 50 Kilogramm pro Hektar zu erhöhen. Daraufhin subventionierten mindestens zehn afrikanische Länder die Lieferung von Kunstdünger und gaben einen großen Teil ihres Agrarhaushalts für die finanzielle Unterstützung der Landwirt*innen aus. Ein wichtiger Akteur bei der Förderung des Kunstdüngereinsatzes war - und ist - die von der Bill and Melinda Gates Foundation und der Rockefeller Foundation gegründete Alliance for a Green Revolution in Africa (AGRA). Die Allianz arbeitet sowohl mit afrikanischen Staaten als auch mit multinationalen Agrarkonzernen wie dem norwegischen Stickstoffdüngerhersteller Yara eng zusammen.
Im Mai 2024 fand der African Fertilizer and Soil Health Summit in Nairobi, Kenia, statt. Während des Gipfels wurde der 10-Jahres-Aktionsplan für Düngemittel und Bodengesundheit vorgestellt. Er ruft zu verstärkten Investitionen in die lokale Produktion und den Vertrieb von mineralischen und organischen Düngemitteln sowie von Biodüngern und Biostimulanzien auf. Trotz dieses Fortschritts haben zivilgesellschaftliche Netzwerke wie die Allianz für Ernährungssouveränität in Afrika (AFSA) immer noch große Vorbehalte und fordern eine Konzentration auf den Ansatz der Agrarökologie, die Förderung der Produktion von Biodünger und einen Ausstieg aus importierten Kunstdüngern.
Synthetische Düngemittel auf Basis fossiler Brennstoffe: Nicht kompatibel mit Netto-Null bis 2050
Mit den zunehmenden Bemühungen zur Eindämmung des Klimawandels geraten die Düngemittelindustrie – und insbesondere die Hersteller von Stickstoffdünger – zunehmend unter Druck, Verantwortung für den CO2-Fußabdruck ihrer Produkte zu übernehmen. Der Lebenszyklus von Stickstoffdünger von der Produktion bis zum Acker ist für mehr als zwei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Gründe dafür sind das energieintensive Haber-Bosch-Verfahren, die Methanemissionen im Zusammenhang mit der Gewinnung, der Verarbeitung und dem Transport von Erdgas (der wichtigste Rohstoff für die Düngemittelproduktion) sowie die Lachgasemissionen während und nach der Ausbringung auf dem Acker zurückzuführen.
Als Reaktion darauf investiert die Düngemittelindustrie in die Entwicklung sogenannter "grüner" Düngemittel, bei denen erneuerbare Energien zur Erzeugung von "grünem" Wasserstoff eingesetzt werden, der wiederum zur Herstellung von "grünem" Ammoniak verwendet wird. Yara behauptet, dass diese Düngemittel einen um 75 bis 90 Prozent geringeren Kohlenstoff-Fußabdruck haben, im Vergleich zu denselben Düngemitteln, die mit fossilem Gas hergestellt werden. Die so genannten "grünen" Düngemittel bergen jedoch große Risiken und Herausforderungen. Diese können nicht ignoriert werden, wenn der Kontinent einen Weg einschlagen will, der über kurzfristige Gewinne hinausgeht, um widerstandsfähige und nachhaltige Agrar- und Ernährungssysteme zu erreichen.
Risiken von "grünen" Düngemitteln
Bevor "grünes" Ammoniak und "grüner" Dünger hergestellt werden können, muss "grüner" Wasserstoff produziert werden. Das Hauptproblem bei der Herstellung von "grünem" Wasserstoff ist, dass dafür große Flächen - zum Beispiel für Photovoltaikanlagen oder Windparks - und eine große Menge Wasser benötigt werden. Wenn die Produktion von "grünem" Wasserstoff, Ammoniak und Düngemitteln nicht ordnungsgemäß verwaltet wird und zu Land- und Süßwasserverbrauch oder toten Zonen im Wasser führt (aufgrund der unzureichenden Entsorgung von Nebenprodukten des Entsalzungsprozesses), könnte dies die Lebensgrundlage von Landwirt*innen, Hirt*innen und Fischer*innen bedrohen. Diesen Bedrohungen lässt sich nur durch Regulierung begegnen. Das aber erfordert starke Regierungsinstitutionen, die es in vielen Ländern und Regionen des Kontinents nicht gibt.
Ein weiteres Risiko ist mit dem Einsatz von synthetischem Stickstoffdünger verbunden. Wenn Stickstoffdünger - ob auf der Basis fossiler Brennstoffe oder "grüner" Dünger - auf landwirtschaftliche Felder ausgebracht wird, wird in der Regel nur ein Teil des Stickstoffs von den Pflanzen und dem Boden aufgenommen. Ein Teil des überschüssigen Stickstoffs wird als Lachgas freigesetzt - ein Treibhausgas, das 300-mal stärker wirkt als CO2. Überschüssiger Stickstoff kann auch zu einem übermäßigen Wachstum von Wasserpflanzen und Algen führen (bekannt als Algenblüte), die ihrerseits die Wasserzuläufe verstopfen, bei der Zersetzung Sauerstoff verbrauchen und das Licht in tieferen Gewässern blockieren können. Übermäßiger Stickstoff im Trinkwasser kann zu Krebs, Fortpflanzungsproblemen, Schilddrüsenunterfunktion und anderen ernsthaften Erkrankungen führen. Im Jahr 2023 untersuchten führende Umweltwissenschaftler*innen verschiedene planetare Grenzen, darunter auch in Bezug auf Stickstoff. Sie kamen zu dem Schluss, dass mit Blick auf Stickstoff die planetare Belastungsgrenze bereits überschritten ist – dass also mehr Stickstoff in der Landwirtschaft ausgebracht wird, als Pflanzen und Böden aufnehmen können.
Insgesamt wurden damit sechs von neun planetaren Grenzen weltweit bereits überschritten. Außerdem beschleunigen synthetische Stickstoffdünger auf Ammoniakbasis die Versauerung der Böden dramatisch. Besonders saure Böden können weniger Phosphor aufnehmen. Dies stellt ein großes Problem dar, da Phosphor eine kritische und nicht ersetzbare Ressource ist. Was die biologische Vielfalt des Bodens angeht, ist erwiesen, dass intensive Düngung und der Einsatz chemischer Pestizide zu einem Rückgang der Vielfalt und der Zahl der Mikroorganismen im Boden führen. Ohne eine gesunde Mikrobengemeinschaft können die Pflanzen nicht an wichtige Nährstoffe gelangen, was das Risiko von Schädlingsbefall und Krankheiten steigert und nährstoffarmes Obst und Gemüse hervorbringt.
Den Zusammenhang zwischen Stickstoffdüngereinsatz und Ernährungssicherheit hinterfragen
Es wird oft behauptet, dass der Einsatz von mehr Düngemitteln die Erträge steigert und damit die Ernährungssicherheit verbessert. Allerdings ist der Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Stickstoffdünger und der Ernährungssicherheit nicht eindeutig belegt. In 10 von 13 Mitgliedsländern der Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika, in denen der Einsatz von synthetischen Düngemitteln seit 2006 besonders stark gefördert wurde, ist die Zahl der unterernährten Menschen zwischen 2004-2006 und 2016-2018 sogar gestiegen - von insgesamt 100,5 Millionen auf 131,3 Millionen Menschen. Grund dafür ist, dass eine höhere landwirtschaftliche Produktivität bei bestimmten Nutzpflanzen nicht automatisch zu einem besseren Zugang zu Nahrungsmitteln führt - politische Konflikte, Lebensmittelverschwendung, Preise für Nahrungsmittel und andere Faktoren sind von entscheidender Bedeutung für die Bekämpfung von Hunger und Unterernährung. Die politische Ökonomie der Ernährungssysteme – also die Frage danach, wer Zugang zu Land und Wasser hat, welche Nahrungsmittel produziert werden und für wen – hat erhebliche Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit, wie der anhaltende Hunger in Regionen zeigt, die Nahrungsmittel für den Export anbauen.
Empfehlungen
Stickstoffdünger auf Basis von „grünem“ Wasserstoff sollten den notwendigen Übergang zu nachhaltigen, gerechten und widerstandsfähigen Ernährungssystemen, die auf dem Konzept der Agrarökologie beruhen, auf keinen Fall behindern. Daher sollten die politischen Prioritäten die folgenden sein:
- Der Einsatz von Stickstoffdüngern aus fossilen Brennstoffen sollte vollständig eingestellt werden. Investitionen in die Produktion von Düngemitteln auf Basis fossiler Brennstoffe auf dem afrikanischen Kontinent sollten stark zurückgedrängt werden.
- Der Einsatz von Biodünger und die Anwendung ackerbaulicher Methoden zur Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit müssen gefördert werden. Mittelfristig muss die Landwirtschaft in Richtung diversifizierter Agrarsysteme umgestaltet werden.
- Stickstoffdünger auf Basis von „grünem“ Wasserstoff sollten, wenn überhaupt, nur für begrenzte Zeiträume in Stickstoffmangelsituationen eingesetzt werden, um die aus dem Einsatz synthetischer Düngemittel resultierenden "Lock-ins" und Abhängigkeiten zu vermeiden.
Dieser Text ist eine gekürzte und aktualisierte Fassung des Strategiepapiers "Resilient Agriculture on the African Continent: The Proof will be in the Soil. Recommendations on fossil fuel-based and ‚green‘ fertilizer production and use in Africa", herausgegeben von den Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Abuja, Berlin, Kapstadt und Nairobi im Mai 2024.
Weitere Informationen zum Lesen und Hören
BUND, Heinrich-Böll-Stiftung, TMG (2024): "Bodenatlas: Zahlen und Fakten über eine lebenswichtigen Ressource".
Böll Spezial Podcast - "Bodenatlas 2024 (Teil 2): Die Düngekrise".
Heinrich-Böll-Stiftung (2024): "Rethinking Agriculture: Soil Health for Sustainable Farming in Africa".
Alliance for Food Sovereignty in Africa (2024): "AFSA Statement on the African Fertilizer and Soil Health Action Plan 2023-2033".