Die Präsidentschaftswahlen und ein EU-Referendum in der Republik Moldau im Oktober und November 2024 waren überschattet von massiven Versuchen der Wahlmanipulation durch Stimmenkäufe. Ermittler fanden heraus, dass mehr als 35 Millionen Euro über eine russische Bank und Mittelsleute an über 130.000 Wähler*innen zur Beeinflussung des Stimmverhaltens bezahlt worden sind.

Mariana Lucreteanu, ehem. Parlamentsabgeordnete und bis Februar 2025 Staatssekretärin im moldauischen Innenministerium, kommentiert mit Blick auf die im September anstehenden Parlamentswahlen die Aufarbeitung und Konsequenzen aus den Erfahrungen des Vorjahres.
Das Interview mit Mariana Lucreteanu führten Robert Sperfeld und Julian Gröger.
Wie hat die Republik Moldau auf die Fälle von Wahlbetrug reagiert, die bei dem Referendum und den Präsidentschaftswahlen im Oktober und November 2024 aufgedeckt wurden? Wurden sie strafrechtlich verfolgt?
Mariana Lucreteanu: Im ganzen Land sind viele Fälle von Wahlbetrug aufgedeckt worden. Die Polizei hat vor allem versucht herauszufinden, wer den Stimmenkauf organisiert hat, nicht so sehr, wer seine Stimme verkauft hat. Der Verkauf der eigenen Stimme gilt nach unserem Gesetz, das im vergangenen Jahr vom Parlament speziell für diesen Zweck verschärft wurde, ebenfalls als Betrug. Jeder sollte verstehen, dass Stimmen nicht gekauft oder verkauft werden können. Solche Stimmen sind ungültig. Aber die Polizei ist nicht allein, wenn es darum geht, den Betrug zu untersuchen und die kriminellen Netzwerke, die es systematisch organisieren, zu identifizieren. Wir hatten investigative Journalisten moldauischer Medien in diesen Netzwerken, und es wurde sehr deutlich, wie es funktionierte. Der Schwerpunkt lag also darauf, die Verantwortlichen und ihre Finanzierungsquellen ausfindig zu machen. Wir müssen herausfinden, wie sie Geld aus Russland oder anderen Ländern erhalten haben. Das ist organisierte Kriminalität. Es wurden viele Verfahren eingeleitet, aber die Staatsanwälte müssen die Fälle noch bearbeiten. Es dauert eine Weile, bis es zu Bestrafungen kommt.
Wird es die ersten Urteile vor den Parlamentswahlen geben?
Das ist eine Frage an die Staatsanwaltschaft - das kann ich nicht beantworten. Aber natürlich möchten diejenigen, die eine faire Wahl wollen, bald Ergebnisse sehen. Ich denke, jeder ist sich bewusst, wie wichtig die Bestrafung von Stimmenkauf ist.
Welche gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen wurden in der Zwischenzeit ergriffen, um sicherzustellen, dass sich solche Manipulationsversuche nicht wiederholen können?
Wie schon gesagt, es gab eine Gesetzesänderung, die Strafen für Personen vorsieht, die ihre Stimmen verkauft haben. Das ist eine wichtige Entwicklung, und es ist wichtig zu wissen, dass die Strafe eine Geldstrafe ist. Diejenigen, die sich auf diese Praxis einlassen, müssen mit rechtlichen Konsequenzen rechnen; dies ist eine deutliche Warnung, dass dies illegal ist. Darüber hinaus ist es streng verboten, die eigene Stimme zu fotografieren und anschließend mit anderen zu teilen, da dies gegen das Wahlgeheimnis verstößt. Es ist also illegal, einen Stimmzettel zu fotografieren und ihn dann gegen Entgelt mit anderen zu teilen.
Glauben Sie, dass das Bewusstsein der Bürger, dass es ein Problem ist, ihre Stimme zu verkaufen, bereits gewachsen ist und sich die Einstellung geändert hat?
Ja und nein. Wir müssen verstehen, warum die Menschen ihre Stimmen verkaufen. Lassen Sie uns über die Republik Moldau sprechen. Es ist eines der ärmsten Länder Europas. Wenn Sie in die Dörfer gehen, vor allem im Norden, werden Sie viele arme und gefährdete Menschen sehen, auch mit psychischen und Alkoholproblemen, sowie anderen Abhängigkeiten oder extremer Armut. Es gibt auch viele ältere und sehr vulnerable Menschen, die leicht manipuliert werden können. Wir müssen uns darauf konzentrieren, die Grundbedürfnisse dieser Menschen zu befriedigen, wie z. B. Sicherheit und Ernährung. Erst dann können wir über ein freies Wahlrecht für diese gefährdeten Menschen diskutieren. Leider verfügt der Staat nicht über genügend Mittel, um ihnen ausreichend zu helfen. Wir müssen mit Organisationen zusammenarbeiten, die diesen Gruppen helfen, wie der Caritas und dem Roten Kreuz. Viele dieser Organisationen sind bereits hier und versuchen zu helfen. Ich denke, dass die am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen zuerst Hilfe brauchen. Die Armut ist ein Hintergrund der Anfälligkeit für Stimmenkauf.
Ein weiterer Grund ist Propaganda und Manipulation. Die Menschen haben starke Überzeugungen und sind Informationsblasen ausgesetzt, zum Beispiel auf youtube. Es ist ja bekannt, wie es funktioniert. Wenn Sie wiederholt nach einem Thema suchen, schlägt Ihnen der Algorithmus verwandte Inhalte vor. Das kann sehr schädlich sein, weil man keine anderen Perspektiven kennenlernt. Man verbleibt in einer Blase.
Drittens gibt es eine direkte Einmischung von außen. In der Republik Moldau gab es nachweislich Interventionen aus der Russischen Föderation, Präsidentschaftskandidaten wurden direkt von Russland finanziert.
Sind die Zivilgesellschaft und die unabhängigen Medien in der Republik Moldau jetzt besser darauf vorbereitet, mit Desinformationen im Hinblick auf die bevorstehenden Parlamentswahlen umzugehen? Sehen Sie Auswirkungen der USAID-Kürzungen bei der Unterstützung des Mediensektors?
Um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass irgendjemand auf das vorbereitet ist, was auf uns zukommt. Sie haben ja gesehen, was in Rumänien passiert ist. Ich bin mir nicht sicher, ob zum jetzigen Zeitpunkt irgendein Land darauf vorbereitet sein könnte. Was wir tun können, ist, mehr mit unseren Bürgern zu reden und sie zu ermutigen, die richtige Entscheidung zu treffen. Aber man kann nicht mit Sicherheit sagen, ob jemand bereit ist für das, was auf ihn zukommt. Wir wissen nicht, was mit künstlicher Intelligenz und so viel Einmischung von außen passiert. Außerdem verändert sich die geopolitische Lage weltweit. Mögliche Auswirkungen sind nicht absehbar. Ich bin jedoch stolz darauf, sagen zu können, dass wir in der Republik Moldau eine vierte Macht im Staat haben, nämlich die Medien, und sie haben bisher gute Arbeit geleistet. Von der Einstellung der USAID-Finanzierung sind viele Medien betroffen, die durch US-Programme unterstützt wurden. Viele von ihnen bitten nun die Bürger um Geld und Unterstützung. Sie haben mit Crowdfunding auf Patreon und anderen Plattformen begonnen, um diese Mittel zu ersetzen. Wahrscheinlich wird das Geld, das sie von den Bürgern erhalten, nicht ausreichen, um USAID zu ersetzen. Wir hoffen, dass einige europäische Länder, die mit der Republik Moldau zusammenarbeiten, hier nun etwas aushelfen können.
Sie haben erwähnt, dass Sie mit den Menschen sprechen müssen. Wie sind die politischen Parteien auf lokaler Ebene vertreten, haben sie die Möglichkeit, direkt mit den Wählern in Kontakt zu treten?
Das ist eine komplizierte Frage. Ich denke, es gibt nur wenige Parteien, die im ganzen Land vertreten sind. Die Partei Aktion und Solidarität (PAS), die derzeitige Mehrheitsfraktion im Parlament, ist zum Beispiel fast überall im Land vertreten, aber das bedeutet nicht, dass wir alle Dörfer und Gruppen der Gesellschaft erreichen können. Es ist schwierig, ein Unterstützungsnetzwerk im Norden aufzubauen, und wir arbeiten immer noch daran, unsere Verbindungen auszubauen und neue Verbündete zu finden. Wir brauchen mehr russischsprachige Menschen im Norden, um dies zu erreichen. Wir haben einige russischsprachige Parlamentsabgeordnete gefunden, die auch oft im Fernsehen auftreten. Sie versuchen, in den Norden oder nach Gagausien zu reisen, um in der Sprache der Bevölkerung zu sprechen, aber das ist eine Herausforderung. Selbst wenn wir solche Persönlichkeiten in der Partei ausmachen, sind sie im Norden noch immer nicht sehr bekannt. Unsere Partei spricht im Parlament meist nur Rumänisch, so dass es nur wenige russischsprachige Nachrichtensendungen gibt, die die Bevölkerung mit unseren Botschaften erreichen. Die Persönlichkeiten sind nach wie vor nicht sehr bekannt. Das ist ein Problem. Auch wenn unsere Partei vertreten ist, bedeutet das nicht, dass sie Zugang zur Bevölkerung hat. Ja, wir gehen in die Dörfer, sammeln Menschen ein und besuchen Häuser. Ich habe das schon oft gemacht, aber es ist keine Garantie dafür, dass man genug Zeit hat, um alle Themen zu besprechen. Es ist besser, alle zu einem längeren Treffen zu versammeln, vielleicht ein oder zwei Stunden, damit man Zeit zum Reden hat und die Leute Fragen stellen können.
Was sind die Hauptanliegen der Wählerschaft in den ländlichen Gebieten? Inwieweit ist die politische Polarisierung zwischen pro-russischen und pro-europäischen Kräften für die Menschen von Bedeutung?
Ich glaube nicht, dass die Bevölkerung so gespalten ist, wie alle sagen. Das mag für Sie neu sein. Die Bevölkerung der Republik Moldau ist vor allem sehr pragmatisch. Sie wollen Stabilität und Unterstützung. Und viele gehen davon aus, dass Russland Unterstützung bieten kann. Ich glaube, wir haben in den letzten Jahren nicht genug getan, um zu zeigen, dass es keine Unterstützung aus Russland gibt. Die Menschen glauben immer noch, dass Russland einen großen Einfluss auf unser Land hat und dass unsere Wirtschaft davon abhängig ist. Das war vor zehn Jahren, vor 20 Jahren und vor 50 Jahren so, aber das stimmt nicht mehr. Wir bekommen viel mehr Unterstützung von der Europäischen Union, und wir exportieren nach Europa. Die Menschen kennen einfach nicht die Wahrheit. Und das zweite Problem ist das mangelnde Vertrauen in die Politik. Sie neigen dazu, alle Politikerinnen und Politiker als gleich und korrupt zu betrachten, aber das ist nicht wahr. Wir (die Politiker*innen) sind in vielerlei Hinsicht sehr unterschiedlich. Wir haben unterschiedliche Werte, Denkweisen und Visionen für die Zukunft. Ich glaube, die Menschen verstehen nicht, was die pro-russische Perspektive für die Republik Moldau im Vergleich zur europäischen wirklich bedeutet. Eine Idee wäre, mehr russischsprachige Politiker aus anderen EU-Ländern wie dem Baltikum einzuladen, die hierher kommen und mit pro-europäischen Politikern über die Realitäten des EU-Beitrittsprozesses sprechen könnten. Dies könnte dazu beitragen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Politiker und in Europa zu stärken. Es wäre sehr hilfreich für sie, die Unterstützung anderer europäischer Länder zu sehen.
Wie hat sich die jüngste Energiekrise auf die Politik ausgewirkt? Und inwieweit wurde sie auch durch russische Desinformation instrumentalisiert?
Diese Energiekrise war eine erfundene Krise. Aus unserer Sicht gab es keine Krise. Natürlich gab es für die Region am linken Ufer (Transnistrien) ein ernsthaftes Problem, als die Gasversorgung eingestellt wurde. Dies geschah jedoch, weil die Russische Föderation nicht verhandeln wollte. Unsere Regierung hat viele Versuche unternommen, die Situation zu lösen. Die Europäische Union bot Unterstützung an, um Gas auf dem Markt zu kaufen, und es gab auch die Möglichkeit, ukrainische Kohle für das dortige Kraftwerk zu nutzen. Aber sie haben unsere Hilfe mehrfach abgelehnt. Leider erhalten sie nach wie vor russisches Gas über die Türkei. Die Russische Föderation verbreitete Fehlinformationen über die Republik Moldau, indem sie behauptete, sie würde sich in die Hilfe für Transnistrien einmischen. Das ist informiert die dort lebenden Menschen falsch. Ich denke jedoch, dass die meisten Menschen die Wahrheit kennen, da viele Menschen in Transnistrien Rumänisch sprechen und rumänische Medien konsumieren, was ihnen hilft zu verstehen, was wirklich vor sich geht. Wir sind froh, dass die Krise nun beendet ist und wir in dieser Region unabhängiger von russisch kontrollierter Stromerzeugung werden.
Vielen Dank für das Interview!
Das Gespräch wurde am 26. Februar 2025 geführt.