Wir trauern um Antonie Nord

Nachruf

Wir trauern um unsere Kollegin Dr. Antonie Katharina Nord, die am 18. Mai 2025 nach langer Krankheit verstorben ist. Sie hat in unterschiedlichen Funktionen, zuletzt in den vergangenen sechs Jahren als Leitung des Bereiches Internationale Zusammenarbeit, die Arbeit unserer Stiftung geprägt wie wenig andere. Wir verlieren eine kluge Strategin, eine beeindruckende Führungspersönlichkeit, ganz besonders aber: einen warmherzigen und humorvollen Menschen. Ihr Tod ist ein Verlust, den wir kaum fassen können.

Lesedauer: 7 Minuten
Antonie Nord spricht auf einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin

Antonie wird uns und vielen anderen als Kämpferin für Demokratie und Menschenrechte und als überzeugte Feministin sehr fehlen. Sie war in ihrer Klarheit und Konsequenz für viele in der Heinrich-Böll-Stiftung und darüber hinaus ein Vorbild. Sie war jemand, der Orientierung geben konnte, mit einem strategischen Gespür für Politik und mit einem feinen emotionalen Gespür für die Menschen um sie herum. Sie hat die Arbeit der Heinrich-Böll-Stiftung geprägt und weiterentwickelt, an allen Orten, an denen sie gearbeitet hat, als Leitung des Referates Nahost und Nordafrika, in ihrer Zeit als Büroleitung in Kapstadt/Südafrika und ganz besonders in den letzten sechs Jahren als Leitung des Bereiches Internationale Zusammenarbeit.

Antonie brannte für die internationale Arbeit der Stiftung. Sie hat wusste, dass ein starkes Beziehungsgeflecht zwischen Politik und Zivilgesellschaft entscheidend ist für den Schutz von Demokratie vor ihren Feinden und für die Stärkung von Menschen- und Frauenrechten, und sie hat alle Möglichkeiten einer politischen Stiftung genutzt, um diese Verbindungen aufrecht zu erhalten und zu stärken.

2002, als Antonie zur Heinrich-Böll-Stiftung kam, war diese gerade erst fünf Jahre alt. International war sie an 17 Standorten und auf allen Kontinenten vertreten; etwa die Hälfte der Büros lag im Globalen Süden. Politisch war die Zeit von der Erschütterung durch den Terrorangriff von Al-Qaida auf die Zwillingstürme von New York am 11. September 2001 geprägt und von den folgenden Kriegen des Westens in Afghanistan und im Irak – keine guten Ausgangsbedingungen, um Demokratie und Menschenrechte zu stärken. Aber die rot-grüne Bundesregierung investierte in dieser angespannten Lage mehr in die Entwicklungszusammenarbeit und davon profitierte auch die Stiftung und baute ihre internationale Arbeit weiter aus; ab 2010 wurde dies auch noch durch den Arabischen Frühling befördert.

Antonie kam mit ihrer Expertise für Demokratisierungsprozesse auf dem afrikanischen Kontinent genau zum richtigen Zeitpunkt. Sie war damals als einzige Afrikareferentin für die Büros in Addis Ababa, Lagos, Nairobi und Kapstadt zuständig. Schon bald trieb sie die konzeptionelle Arbeit der Stiftung zu Fragen der Demokratieförderung voran, mit Tagungen und Veröffentlichungen, zu den unterschiedlichen Ansätzen in den Ländern, in denen die Stiftung präsent war, und mit grünen Abgeordneten und internationalen Partner*innen.

Demokratisierungsprozesse sind mit Konflikten verbunden, insbesondere, wenn herrschende Kräfte ein Interesse daran haben, konkurrierende Gruppen von der politischen Teilhabe auszuschließen und ihre Privilegien zu erhalten. Und so stellte Antonie als überzeugte Feministin schon früh die Frage, welche Rolle die Geschlechterverhältnisse spielen und wie die Stiftung Geschlechtergerechtigkeit herstellen und insbesondere Frauen in ihrem Kampf um Selbstbestimmung und Demokratie auch unter diesen harten Bedingungen stärken kann.

Aber Antonie stellte mit ihrer Arbeit nicht nur beeindruckende analytische Fähigkeiten unter Beweis, sondern auch ihre politische Tatkraft: denn sie war zur Stiftung gekommen, um konkret etwas zur Veränderung der Welt beizutragen.

Es ist daher wenig verwunderlich, dass sich Antonie für die junge Demokratie Südafrika interessierte. Von 2006 bis 2011 leitete Antonie das Büro in Kapstadt und leistete dort Pionierarbeit für die Stiftung, indem sie Studien zu den Auswirkungen des Klimawandels koordinierte, ein Thema, das damals noch nicht im Zentrum politischer Aufmerksamkeit stand. Ambitioniert verknüpfte sie die Stiftungsarbeit mit der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und dem südafrikanischen Parlament. So schuf das Büro Verbindungen und baute Brücken zwischen den drei Bereichen. Sie erkannte auch früh, wie wichtig es war, dass die Stiftung diejenigen verteidigt, die am meisten angefeindet werden und sorgte dafür, dass die Rechte von LGBTIQ+ Personen fester Bestandteil des Förderungsprogramms wurden.  

Antonie setzte mit dem Magazin ‚Perspectives Africa‘ ihre Idee um, afrikanische Expert*innen selbst schreiben zu lassen und ihre Stimmen in der deutschen Fachöffentlichkeit hörbarer zu machen. Der Erfolg strahlte auf andere Regionen aus: Bald gab es auch Perspectives Asien, Nahost, Lateinamerika und Südost-Europa. Antonie selbst entschied vor einigen Jahren, das Magazin einzustellen. Sie erkannte, dass mit den online-Medien und im Zuge der Pandemie neue Formate vonnöten waren, um die Öffentlichkeit zu erreichen und erfand, erneut mit positiver Haltung und Gestaltungswillen, Böll.Global – ein online-Diskussionsformat mit deutschen und internationalen Expert*innen, das sich zunächst den globalen Auswirkungen der Pandemie widmete und so der physischen Trennung und dem Gefühl der Isolation entgegenwirkte.

2011 übernahm sie die Leitung des Referates Nordafrika-Naher Osten und konnte mit den neuen Büros in Tunis und in Rabat die Chancen des Arabischen Frühlings für die Unterstützung von Zivilgesellschaft und Demokratisierungsprozessen nutzen. Gleichzeitig spitzte sich die Lage in Syrien unter Baschar Al-Assad zu, der mit massiver Gewalt gegen die anfänglichen friedlichen Demonstrationen für Reformen vorging und diese Gewalt immer brutaler gegen die Bevölkerung und die Zivilgesellschaft einsetzte. Mit Weitsicht erkannte Antonie, wie wichtig die juristische Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen des Assad-Regimes für eine demokratische Zukunft sein würde. 

Sie unterstützte Kooperationen mit dem ECCHR in Berlin und mit syrischen Menschenrechtsorganisationen im deutschen und europäischen Exil und hat so ermöglicht, dass syrische Folterer vor Gericht gestellt und verurteilt werden konnten. Aber nicht nur das: In einem wegweisenden Gerichtsprozess gegen Vertreter das Assad-Regimes in Koblenz belegte Joumana Seif vom ECCHR, wie systematisch das Regime sexualisierte Gewalt als Waffe einsetzte, gegen Kinder, Frauen und Männer. Dank ihrer wurde sexualisierte Gewalt erstmals als eigener Straftatbestand in die Anklage aufgenommen; auch dafür hat sich Antonie eingesetzt.

2019 übernahm Antonie die Leitung der Internationalen Zusammenarbeit der Stiftung und brachte auch hier mit Tatkraft Strukturen und die Arbeit voran. Dazu gehört der Kompass für Geschlechterdemokratie und Feminismus, der die geschlechterpolitische Strategie der internationalen Stiftungsarbeit beschreibt. Auch die Erarbeitung einer Richtlinie für den Schutz gegen sexuellen Missbrauch und Belästigung war Antonie ein wichtiges Anliegen. Mit der Einrichtung einer Anlaufstelle für den internationalen Bereich hat Antonie Pionierarbeit für die Stiftung geleistet.

In den vergangenen Jahren wuchs der Druck auf die Stiftungsarbeit und auf zivilgesellschaftliche Partner*innen an vielen Standorten und in Deutschland spürbar. Antonie befasste sich früh mit dem Erstarken illiberaler, rechter und autoritärer Kräfte und mit möglichen Gegenstrategien. Sie sorgte dafür, dass die Stiftung in Brüssel eine Einheit schaffte, die Partner*innen in Krisensituationen der Stiftung unterstützt, und hat alles dafür getan, damit die Arbeit, wenn sie vor Ort unmöglich gemacht wurde, auch aus dem Exil fortgesetzt werden konnte. Mit großer Solidarität und unermüdlichem persönlichem Einsatz setzte sie sich für verfolgte Partner*innen ein.

Antonie war für uns eine wichtige Ratgeberin und ein sehr vertrauensvolles Gegenüber. Sie war in allen großen und kleinen Herausforderungen jemand, der Menschen begeistern konnte, mit ihrer präzisen Analyse und mit ihrem ansteckenden Humor, mit kühlem Kopf in vielen Krisensituationen und mit großer Empathie und Solidarität gegenüber denjenigen, mit denen sie zusammenarbeitete. Ihre Leichtigkeit und Eleganz inmitten großer und kleiner Widrigkeiten konnte einen manchmal vergessen lassen, wie diszipliniert und beharrlich sie gekämpft hat, für unsere Werte, für eine starke und wirkungsvolle Stiftungsarbeit in der Welt, und nicht zuletzt gegen ihre Krankheit.

In Trauer und mit großem Respekt und Dank für die gemeinsame Zeit nehmen wir Abschied. Unser Mitgefühl gilt ihrer Familie, insbesondere ihrem Ehemann und ihren Söhnen.

Die Heinrich-Böll-Stiftung verdankt Antonie Nord sehr viel. Wir werden ihr ein ehrendes Andenken bewahren, indem wir ihr Engagement mit klarem Kurs und mit Herzblut weiterführen.

Imme Scholz, Jan Philipp Albrecht und Steffen Heizmann

Vorstand und Geschäftsführung der Heinrich-Böll-Stiftung

Zum Warenkorb hinzugefügt: