Archiviert | Inhalt wird nicht mehr aktualisiert

"Die Kulturflatrate ist nicht die eierlegende Wollmilchsau "

Carsten Werner: Kulturwertmark gegen Kulturflatrate (Begriffserklärungen unten, die Red.), ist das überhaupt einen Streit wert? 

Constanze Kurz: Das ist ein Streit um Details. Natürlich fußt die Kulturwertmark im Prinzip auf der Idee der Kulturflatrate. Wir haben überlegt, welche modernen Mittel es gibt, die man für neue sinnvolle Vergütungsmethoden einsetzen kann. Zudem hat uns eine Dekade Stillstand gestört: Die Kulturflatrate ist ein sieben Jahre altes Konzept und in dieser Zeit ist politisch nichts passiert. Für uns ist die Frage, wie man das Geld aus einer pauschalierten Einnahme verteilt, auch eine demokratische. Wir wollen die Bande stärken zwischen denen, die Kunst schaffen, und denen, die sie rezipieren. Ein großer Unterschied zur Kulturflatrate ist, dass wir die Kulturwertmark mit dem Konzept der digitalen Allmende verbunden haben. Das bezieht sich auch auf die Schutzfristen, die radikal sinken sollen.

Konstantin von Notz: Ich sehe die Kulturwertmark nicht als Gegenmodell zur Flatrate, sondern als Ergänzung. Die Grünen haben um das Jahr 2004 zum ersten Mal die Kulturflatrate diskutiert. Aber es ist bisher nicht bis in die letzte Falte ausgearbeitet worden, wie sie ganz konkret ausgestaltet sein soll. Sie ist auch nicht die Antwort auf alle Probleme. Die Kulturflatrate ist vielmehr ein Ansatz, den durch die Digitalisierung notwendig gewordenen, neuen Anforderungen an das Urheberrecht näherzukommen. Die Grünen-Bundestagsfraktion hat gerade ein Gutachten in Auftrag gegeben. Wir lassen bis Ende des Jahres ergebnisoffen prüfen, wie so ein Pauschalvergütungsmodell ganz genau aussehen könnte. Es gibt dabei eine Grundüberlegung, die auch schon in anderen Bereichen funktioniert hat, nämlich im Bereich des Radios, der Tonträger und Kopiergeräte. Dort hat man das Problem über eine Pauschalgebühr bzw. eine Leerträgerabgabe gelöst.  Kurz: Das Ganze ist nicht nur eine Aufgabe der Parteien. Es gibt eine Menge guter Ideen aus dem akademischen Bereich, aus der Jurisprudenz, auch aus dem Ausland. Mir wäre auch wichtig, dass man das Thema auf die europäische Ebene trägt.

"Kulturflatrate kann nur ein Baustein sein"

Werner: Glaubt ihr, dass es die eine Kulturflatrate geben kann, mit der Konsumenten dann alles machen und haben können? So klingt es ja oft im schnellen, tagespolitischen Diskurs.

von Notz: Die Leerträgerabgabe wird ja schon auf Handys gezahlt, auf USB-Sticks, Festplatten und CD-ROM und so weiter. Die Frage ist jetzt, ob man ein Modell erarbeiten kann, das ergänzend dazu noch einen großen Sprung nach vorne macht, um einen gerechten Interessenausgleich herzustellen. Bei der Beschreibung des Status quo als schlecht sind sich immer alle schnell einig. Aber diejenigen, die wie wir Grünen oder auch der CCC versuchen, konstruktive Lösungen zu finden, werden dann in der Debatte gerne gebasht für unsere Vorschläge. Aber welche Alternativen zur Kulturflatrate für einen gerechten Interessenausgleich gibt es? Ich kann keine anderen realistischen und bürgerrechtskonformen erkennen.

Werner: Aber du suchst schon die eine Flatrate für alles?

von Notz: Nein. Auch eine Kulturflatrate kann letztlich nur ein Baustein eines zukünftigen funktionierenden urheberrechtlichen Gesamtsystems sein. Es wird nicht die eierlegende Wollmilchsau, die alle Probleme aus der Welt schafft. Wir brauchen neue Geschäftsmodelle. Wir brauchen auch ein neues kulturelles Verständnis in vielerlei Hinsicht. Ein Pauschalvergütungsansatz kann da eine Ergänzung sein, die hilft, Ungerechtigkeiten auszugleichen. Auch über Schutzfristen haben wir Grünen ja intensiv diskutiert. In Zeiten, in denen jeder mit dem Handy gemachte Schnappschuss bis 70 Jahre nach dem Tod des Fotografen oder der Fotografin unter strengstem Urheberrechtsschutz steht und genauso behandelt wird wie eine komponierte Oper, würde man sich mehr Differenzierung wünschen. Aber angesichts internationaler Abkommen haben wir einen realistischen Blick darauf, wie schnell man hier etwas politisch erreichen kann. Und die Frage der Pauschalvergütung darf nicht so lange warten. Angesichts der Probleme haben wir eigentlich einen sehr hohen Zeitdruck.

Verwerterinteressen werden zu stark betont

Werner: Ist das Musik-Stream-Angebot Spotify, das sich über Abogebühren und Werbung finanziert, nicht das, was wir vor Jahren mit der Kulturflatrate meinten?

Kurz: Aus meiner Sicht nicht. Spotify ist ein funktionierendes Geschäftsmodell in einigen Ländern. Ist auch für viele Nutzer attraktiv, löst aber die grundsätzlichen Probleme nicht. Was mich interessiert, ist ein Interessenausgleich. In der Frage der geistigen Eigentumsrechte werden die Interessen immer zwischen Urheber, Verwerter und Nutzer gesehen. Ich finde das deutlich zu eng gefasst. Ich möchte, dass man selbstverständlich den ganzen Bildungsbereich mitdenkt, die Hochschulen, die Schulen, die Archive, die Bibliotheken. Digitale Allmende meint ja, dass diejenigen, die Wissen und Kultur bewahren oder die sie weitergeben in Form von Bildung, viel stärker mit bedacht werden. Ich finde, im öffentlichen Gezeter werden die Verwerterinteressen viel zu stark betont. Dabei hat der zweite Korb der Urheberrechtsnovelle ganz klar Nachteile für Akademiker und für die Bildung gebracht. Und Probleme mit Langzeitarchivierungen sind im Bundestag oft genug angesprochen worden. Die Wahlbürger werden sich für die Bundestagswahl auch daran orientieren, weil die Urhebergesetzgebung heute viel mehr Menschen betrifft. Wir sind alle Urheber/innen und Nutzer/innen und machen Remixes. Deswegen glaube ich, dass die Parteien honoriert werden, die moderne Ansätze haben und nicht diese merkwürdigen Abschreckungsmethoden propagieren, wie Two-Strikes, Three-Strikes, vorgerichtliche Mitwirkungsmodelle und wie die lustigen Neusprechbegriffe alle lauten, die von den Konservativen aufgetischt werden.

von Notz: … Warnmodelle, Warnhinweis­modelle … 

Kurz: … restriktive Ansätze, die ich im Sinne der Urheber und auch der Bildungseinrichtungen oder der Bibliotheken überhaupt nicht zielführend finde … 

von Notz: … und die letztlich das Onlineverhalten der Menschen überwachen sollen, was, wenn man es nicht schon moralisch schlimm finden würde, grundrechts- und verfassungspolitisch ganz, ganz problematisch ist. Pauschalvergütungsmodelle haben in der Vergangenheit gute Dinge bewirkt, aber es gibt damit ja auch Probleme: Bestehende Verwertungsgesellschaften privilegieren strukturell die Madonnas und Michael Jacksons, die prominenten, kommerziell erfolgreichen Stars, und « die Kleineren » fallen häufig durchs Raster. Wir wollen auch mehr Verteilungsgerechtigkeit, deswegen brauchen wir Reformen. Auch eine Gesellschaft wie die Gema muss transparenter, muss demokratischer werden, muss « die Kleinen » besser berücksichtigen. Deswegen muss man das Gesamtgefüge im Auge haben. Wir müssen priorisieren: Was sind die Maßnahmen, die wir sehr schnell machen können, was geht mittelfristig und wo muss man auf lange Sicht Veränderungen herbeiführen.

Kurz: Ich glaube, es öffnet sich gerade ein Fenster, auf das wir alle, die ein moderneres Urheberrecht wollen, gewartet haben: Es gibt jetzt eine intensive, breite Debatte über verschiedene Aspekte des Urheberrechts, da spielen die Gema, das neue Leistungsschutzgeld, aber auch dieses Abmahn-Unwesen eine Rolle. Und wenn schon alle darüber reden und sich teilweise als Interessenverbände mit sehr durchschaubarer Argumentation auch demaskieren, dann eröffnet das Möglichkeiten. Die muss man politisch nutzen, und dabei haben wir sehr große Mehrheiten auf der Seite der Modernisierer. Und das ist nicht auf Deutschland begrenzt: Wenn wir nach Frankreich schauen, wo mit dem Hadopi-Gesetz …

Werner: … mit dem dieses Three-Strikes-Warnsystem mit einem Gerichtsverfahren als letzte Stufe bereits eingeführt wurde und das bereits in seinen ersten acht Monaten zu 400 000 Warnhinweisen geführt hat …

Kurz: … und wo sich dagegen auch Widerstand regt. Auch die Proteste gegen Acta, Supa und Pipa sind letztlich Ausflüsse der breiten öffentlichen Diskussion.

Mehr Macht der Verwerter durch Technik

Werner: Diskutieren wir nicht zu wenig über Technik und Macht? Wenn sich die Rolle der Verwerter ändert, dann doch, weil Technik teilweise an deren Stelle treten kann, weil sie Lizenzierung und Kontrolle, Verkauf und Verwertung ergänzen oder ersetzen kann. Welche Macht haben und erweitern Google, Apple, Facebook, Microsoft oder auch die Verwertungsgesellschaften durch Technik? Muss man nicht über öffentlich-rechtliche Technik sprechen?

Kurz: Ich glaube, dass die Fragen des Immaterialgüterrechts nicht wirklich einen großen technischen Bezug haben. Aber ich sehe natürlich die Möglichkeiten. Zum einen: Wie zieht man pauschalierte Beträge ein? Da gibt es natürlich heute viel mehr Möglichkeiten als vor 10 oder 15 Jahren. Und man kann durch Technik mehr Gerechtigkeit und Transparenz in die Verteilung bringen …

von Notz: … bei gleichzeitigem Schutz des individuellen Verhaltens vor Kontrolle und Überwachung! Man muss ja nicht messen, was der Einzelne tut, sondern eigentlich nur sehen, was insgesamt konsumiert, genutzt wird. Das sollte technisch machbar sein.

Kurz: Teil des Denkmodells der Kulturwertmark ist, dass wir natürlich nicht wollen, dass es auch nur potenziell zu einer Überwachungsinfrastruktur kommt. Doch letztlich sind mir Details in den Regelungen noch gar nicht so wichtig. Wichtig ist, dass diese Debatte jetzt geführt wird. Ich hab einfach keine Lust, noch eine Dekade zu warten, bis irgendwas passiert. Ich sehe im gegenwärtigen Zustand auch Gefahren: Ich gucke mir die Generation der Studenten, Schüler und auch jungen Eltern an, junge Leute, die lernen, dass die Gesetzgebung, wie sie ist, auf überhaupt keinem Konsens mehr beruht; die sehen, dass es massenweise Rechtsverletzungen gibt, einfach weil das Gesetz so nicht mehr akzeptiert wird, weil es nicht in die digitale Zeit passt.

von Notz: Es ist eine Erosion der Akzeptanz eines ganzen Rechtsbereichs. Die Verbraucherzentrale hat vor Kurzem Zahlen vorgestellt: In den letzten Jahren sind über 4 Millionen Haushalte abgemahnt worden, teilweise völlig überzogen: Für im Bagatellbereich liegende Verletzungen werden oft Gebühren weit über 1000 Euro fällig. Kurz: Sowohl die Kulturflatrate wie die Kulturwertmark würden privates Filesharing entkriminalisieren.
Werner: Aber müssen wir nicht viel schneller den Abmahnwahn beenden und nicht warten, bis eine Kulturflatrate etabliert ist?

von Notz: Ja, absolut. Das eine bedingt natürlich das andere. Wir müssen jetzt sehr schnell klären, was für Veränderungen man im Urheberrecht machen muss, um diesen Abmahnwahnsinn schnellstmöglich zu stoppen. Da geht es um die Deckelung von Gebühren und die Eingrenzung von Schadensersatzforderungen, die völlig aus dem Ruder gelaufen sind.

Kurz: Wenn wir mal auf die aktuelle Politik gucken, sieht es momentan nicht danach aus. Wenn die Bundesregierung das Leistungsschutzgeld einführt, ist das Erste, was kommen wird, eine weitere Abmahnwelle.

von Notz: Das stimmt. Das macht ziemlich fassungslos und ist ein ernstes Problem.

Werner: Was hätten Kreative von einem freieren Internet, von einem neuen Umgang mit Urheberrechten?

von Notz: Viele Menschen finden jetzt als Kreative Arbeit, die es früher in der Form nicht gab: programmieren Spiele, designen Websites und Geräte und verdienen damit auch gutes Geld. Das soll nicht die Anliegen der Fotografen, Schriftstellerinnen und Musikproduzenten schmälern – aber man muss auch anerkennen, dass das Internet und die Digitalisierung vielen Kreativen ganz neue Möglichkeiten gegeben haben. 

Das Gespräch ist erschienen in Böll.Thema 2/2012 ("Digitale Demokratie").


Kulturflatrate und Kulturwertmark

Die Digitalisierung von Kunstwerken und Kulturprodukten ermöglicht – anders als noch beim Mitschnitt von Radiosendungen oder bei der Fotokopie von Büchern und Zeitschriften –, diese ohne Qualitätsverlust zu vervielfältigen und zu verbreiten. Die wirtschaftliche Relevanz dieses Effekts und die Furcht von Musikindustrie, Verlagen und Kreativen vor Umsatzverlusten haben das Nachdenken über Pauschalvergütungsmodelle angefacht: Nach Vorbildern wie Gema, GEZ oder der VG Wort – die für Leermedien und Kopiergeräte Umsatzbeteiligungen, aber auch von allen Nutzern Gebühren erheben und an die Kreativen und Künstler ausschütten – sollen Erhebungsverfahren für Daten und Zahlungen ins digitale Zeitalter fortgeschrieben werden. Für die von den Grünen schon 2004 vorgeschlagene « Kulturflatrate » wären vor allem Erhebungs- und Verteilungsverfahren zu klären – also eine Beobachtung der Nutzungshäufigkeit der einzelnen Inhalte und Produkte und eine Differenzierung nach (auch neu entstehenden) Genres und Formaten.

Eine besondere Herausforderung ist dabei, dass für das Teilen digitaler Produkte über Tauschbörsen oder soziale Netzwerke zwischen einzelnen Nutzern kein persönliches Verhältnis mehr bestehen muss – und entsprechend eine klare Grenze zwischen privatem Tauschen und kommerziellen Download-Angeboten juristisch definiert werden müsste. Der Chaos Computer Club schlägt als Modell die « Kulturwertmark » vor, eine Pflichtabgabe oder Steuer, deren Verteilung durch digitale Münzen über eine unabhängige Stiftung von den Konsumenten direkt an Künstler ihrer Wahl möglich werden soll. Damit müssten Kunstwerke und Kulturprodukte nicht einheitlich nach Format, Dateigröße oder zeitlicher Nutzung bewertet werden, sondern durch die individuelle Wertschätzung ihrer Konsumenten. Nach Erreichung eines bestimmten Umsatzes oder Ablauf einer bestimmten Frist soll ein Werk nach diesem Konzept unter Creative Commons Lizenz gestellt und als Teil der Digitalen Allmende gesellschaftliches Eigentum werden.