Wachstum der Grenzen - Auf dem Weg in die ökologische Moderne

Geht es um Abschied vom Wachstum oder den großen Sprung in eine ökologische Moderne, in der wirtschaftliches Wachstum und Naturverbrauch entkoppelt sind? Heißt die ökologische Vision Wohlstand ohne Wachstum oder Wachsen mit der Natur? ➤ Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen zu Wirtschaft und Finanzen.

Vom Weg in die ökologische Moderne nach dem Vorbild der Natur

Bald 40 Jahre nach der berühmten Studie des Club of Rome zu den « Grenzen des Wachstums » ist das Unbehagen am Wirtschaftswachstum neu erwacht. Keine Frage: Das gegenwärtige Wachstumsmodell ist nicht zukunftsfähig. Es überlastet die Ökosysteme, von denen die Menschenwelt abhängt, und es produziert wachsende Risiken. Zur Debatte steht die Schlussfolgerung aus diesem Befund: Geht es um den Abschied vom Wachstum oder um den großen Sprung in eine ökologische Moderne, in der wirtschaftliches Wachstum und Naturverbrauch entkoppelt sind? Heißt die ökologische Vision Wohlstand ohne Wachstum oder Wachsen mit der Natur?

Schauen wir den Tatsachen ins Auge: Ein Ende des ökonomischen Wachstums ist reine Fiktion. Vielmehr befinden wir uns mitten in einem gigantischen Wachstumszyklus, der sich noch über die nächsten Jahrzehnte erstrecken wird. Er speist sich aus zwei mächtigen Quellen: dem Anwachsen der Weltbevölkerung von heute knapp 7 Milliarden auf ca. 9 Milliarden Menschen bis zum Jahr 2050 sowie den nachholenden Bedürfnissen der großen Mehrheit der Erdbewohner, die gerade dabei sind, sich aus bitterer Armut herauszuarbeiten. Während wir über die Grenzen des Wachstums diskutieren, sind die Menschen in Asien, Lateinamerika und Afrika auf dem Weg, ihre Träume von einem besseren Leben zu verwirklichen – moderne Wohnungen, reichhaltige Nahrung, Fernsehen, Computer und Telefon, modische Kleidung, individuelle Mobilität und Reisen in fremde Länder. Nichts und niemand wird sie davon abbringen. Die Frage wird einzig sein, ob dieser gewaltige Schub neuer Güter und Dienstleistungen in den ökologischen Kollaps führt oder in nachhaltige Bahnen gelenkt werden kann.

Es ist kein Zufall, dass die Wachstumskritik vor allem in Europa zuhause ist – einem Kontinent, der mit sinkenden Einwohnerzahlen und den wachsenden Selbstzweifeln zu kämpfen hat, ob seine beste Zeit nicht schon vorbei ist. Der Kulturwissenschaftler Harald Welzer hat diese Fin de Siècle-Mentalität in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (52 / 2009) auf den Punkt gebracht. Er hält «dem Westen» Realitätsverleugnung vor, wenn er weiterhin dem Wachstum hinterher rennt. «Seine Zukunft hat er schon hinter sich. Man muss auch loslassen können.» Wachstum, behauptet er, schaffe «weder Arbeitsplätze, noch beseitigt es im Weltmaßstab die Armut». Wohl wahr, dass wirtschaftliches Wachstum allein noch keinen sozialen Fortschritt verbürgt. Zu bestreiten, dass Wachstum, Beschäftigung und Lebensstandard eng miteinander verwoben sind, ignoriert allerdings alle empirischen Befunde.

Die Grenzen des Wachstums sind variabel

Die Verkündung der «Grenzen des Wachstums» ist nicht neu. Ende des 18. Jahrhunderts, als die Industrialisierung noch in ihren Anfängen war, prophezeite der englische Ökonom Robert Malthus, dass die Agrarproduktion nicht mit der rasch anwachsenden Bevölkerung Schritt halten könne. Da die Landwirtschaft aufgrund der wachsenden Nachfrage nach Lebensmitteln auf immer unergiebigere Böden ausgeweitet werde, müsse die durchschnittliche Ertragskraft pro Fläche unweigerlich sinken, während die Bevölkerungsrate weiter ansteigt. Steigende Lebensmittelpreise und Hungersnöte seien unausweichlich. Malthus’ Gesetz hatte nur einen kleinen Fehler: Es verlängerte den Status quo in die Zukunft. Wie hätte er auch die bahnbrechenden Entdeckungen von Justus Liebig und seinem Zeitgenossen Gregor Mendel voraussehen können? Die Kombination von Agrochemie und systematischer Pflanzenzucht revolutionierte die Landwirtschaft und vervielfachte die Erträge.

Statt an die ehernen Grenzen des Wachstums zu stoßen, wuchs die Weltbevölkerung seit Malthus’ düsteren Prognosen auf das Siebenfache, und zwar parallel mit einem steigenden Kalorienverbrauch pro Kopf. Auch für bald 9 Milliarden Menschen wird es genügend zu essen geben, wenn die nötigen Agrarreformen rechtzeitig eingeleitet werden, die Produktivität der kleinen Farmer steigt und der Überkonsum von Fleisch in den wohlhabenden Ländern sinkt.

Keine Frage, es gibt ökologische limits to growth, die nur bei Strafe schwerer Umweltkrisen überschritten werden können. Sie liegen vor allem in der Absorptionsfähigkeit der Ökosysteme für die von Menschen verursachten Emissionen. Der hausgemachte Klimawandel ist ein Fiebersymptom für das Überschreiten der Belastungsgrenzen der Atmosphäre. Allerdings markieren die Belastungsgrenzen des Ökosystems keine absoluten Grenzen für künftiges Wirtschaftswachstum. Die natürlichen Grenzen des Wachstums sind keine starre Größe. Sie können durch zwei Operationen erweitert werden:

  • mittels Steigerung der Ressourceneffizienz  (aus weniger mehr machen) sowie
  • mittels der Substitution endlicher Rohstoffe durch regenerative Energien und nachwachsende Werkstoffe, also durch potenziell unendliche Quellen des Reichtums.
Bisher zehrte die Industriegesellschaft von den gespeicherten Energievorräten der Erde: Wälder, Kohle, Öl und Gas. Jetzt zeigt sich, dass die Auflösung der Kohlenstoffreserven des Planeten einen lange vernachlässigten Effekt hat – er destabilisiert das Erdklima. Das fossile Zeitalter stößt tatsächlich an seine Grenzen. Künftig muss die Menschheit ihren Energiebedarf aus erneuerbaren Energiequellen decken. Gleichzeitig erzwingt die absehbare Erschöpfung vieler mineralischer Rohstoffe und Metalle den Übergang zu einer Bio-Ökonomie, deren stoffliche Basis aus organischem Material besteht. Letztlich geht es auch hier um Sonnenlicht als primäre Quelle aller Produktion und Konsumtion.
 
Die Melodie des neuen technischen Fortschritts

Die Brücke zur solaren Zukunft führt über die kontinuierliche Steigerung der Ressourcenproduktivität. Es geht darum, mehr Wohlstand aus einem bestimmten Quantum Rohstoffe und Energie zu erwirtschaften. Das verlängert die Frist, in der knappe Ressourcen zur Verfügung stehen und schafft Zeit für Sprunginnovationen, mit denen sie substituiert werden können. Für Ernst Ulrich von Weizsäcker, der die Formel «Faktor 5» geprägt hat, ist die Steigerung der Ressourcenproduktivität die «Melodie des neuen technischen Fortschritts, der einen neuen großen Wachstumszyklus trägt.» Im Unterschied zu früheren langen Wellen technischer Innovation geht es diesmal darum, dass «der Naturverbrauch vermindert, aber der Wohlstand vermehrt wird». (Interview in changeX, 14.04.2010).

Was aber hat es mit dem berühmten «Rebound-Effekt» (s. auch S. 32) auf sich, der besagt, dass Effizienzgewinne durch steigenden Konsum aufgefressen werden? Tatsächlich gibt es dafür zahlreiche empirische Belege. Es ist jedoch kein Naturgesetz, dass der Ressourcenverbrauch schneller wächst als die Ressourceneffizienz. Ein zentraler Lenkungsfaktor für den Naturverbrauch ist der Preis knapper Güter. « Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass begrenzte Ressourcen im Laufe der Zeit teurer werden » (von Weizsäcker). So müssen Energiepreise zumindest proportional zur Energieproduktivität steigen, um keinen Anreiz zum Mehrverbrauch zu liefern. Technische Innovation allein reicht also nicht aus. Damit sie zu den gewünschten ökologischen Zielen führt, braucht es Eingriffe der Politik in die Märkte.

Qualitatives Wachstum als Leitbegriff

Über Jahrtausende hinweg sind Menschenzahl und materielle Produktion nur sehr langsam gewachsen. Mit der Industrialisierung setzte eine atemberaubende Beschleunigung ein. In den Jahren 1800 bis 2000 wuchs die Weltbevölkerung um das 6-Fache, der Energieverbrauch um das 40-Fache und die Weltwirtschaft um das 50-Fache (Christian Schwägerl, Menschenzeit, München 2010). Es greift allerdings zu kurz, wenn man die Dynamik der Industriegesellschaft auf «quantitatives Wachstum» reduziert. Denn welche Kriterien man immer anlegt, ob Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, verfügbare Kalorien pro Kopf, Bildungsniveau, gesundheitliche Versorgung, Frauenrechte oder demokratische Freiheiten – der wachsende materielle Reichtum ging Hand in Hand mit gesellschaftlichem Fortschritt. Mit der Quantität der verfügbaren Güter und Dienstleistungen wuchs auch ihre Qualität. Das gilt – entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil – für Lebensmittel ebenso wie für Kleidung, Haushaltsgeräte, Autos, Computer und Medikamente. Denn Wettbewerb um Käufer ist nicht nur ein Preis-, sondern auch ein Qualitätswettbewerb. «Qualitatives Wachstum» mag ein neuer Leitbegriff sein; der Sachverhalt selbst ist alles andere als neu.

Zusammenarbeit von Mensch und Natur

Ernst Bloch hat in «Das Prinzip Hoffnung» Überlegungen zu einem neuen Mensch-Natur-Verhältnis formuliert, die vorwegnehmen, worum es bei der ökologischen Transformation der Industriegesellschaft geht. Anknüpfend an Schellings Unterscheidung zwischen Natur als Objekt und Natur als Produktivität entwirft er die Utopie einer Koproduktion von Mensch und Natur. Die bisherige Technik operiert in der Natur « wie eine Armee in Feindesland ». Dagegen zielt eine künftige «Allianz-Technik» auf die «Entbindung der im Schoß der Natur schlummernden Schöpfungen». (Das Prinzip Hoffnung, 1985). Während andere Lebewesen in unbewusster Symbiose mit ihrer natürlichen Umwelt leben, muss der von der Natur abgefallene Mensch diese Allianz bewusst herstellen. So zielt die Bionik darauf ab, biologische Prozesse und Materialien in technische Innovationen zu übersetzen und von den phantastischen Lösungen zu lernen, die von der Evolution über lange Zeiträume entwickelt wurden. Weitere Beispiele für «Allianz-Technik»:

  • Sonnen- und Windenergie, Gezeitenkraftwerke, die Nutzung von Ernteabfällen als Bioenergie
  • Nanotechnik und Biotechnologie, die den Material- und Energieverbrauch reduzieren
  • Recycling von Metallen mittels bakterieller Verfahren
  • Plus-Energie-Gebäude, die mehr Energie erzeugen als verbrauchen
  • Vertikale Gewächshäuser, die Abwärme von Hochhäusern nutzen, um Obst und Gemüse zu produzieren
  • Nutzung von Kohlendioxyd aus Industrieanlagen, um Algen zu züchten, die als Grundstoff für Medikamente, Kosmetika, Nahrungs- und Futtermittel dienen
  • Rekultivierung von Wüsten: Aufbereitung von Meereswasser mit Hilfe hochkonzentrierter thermischer Solarenergie, um küstennahe Wüstengebiete wieder fruchtbar zu machen.

Die Rolle der Politik

Wenn wir keine schweren Krisen riskieren wollen, kann die Weltwirtschaft künftig nur noch innerhalb ökologischer Leitplanken wachsen, die von den Belastungsgrenzen der Ökosysteme abzuleiten sind. Es bleibt originäre Aufgabe der Politik, den Handlungsrahmen für Unternehmen, Investoren und Konsumenten zu setzen. Zentral ist die Festlegung von degressiven Emissionsgrenzen für CO2-Emissionen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Gleichzeitig brauchen wir eine ökologische Dynamik «von unten», die von High-Tech-Unternehmen und Öko-Bauern, Erfindern und Investoren, Umweltverbänden und Konsumenten vorangetrieben wird.

Ob der Übergang zum nachhaltigen Wachstum rechtzeitig gelingt, ist eine offene Wette. Wir können den Wettlauf mit der ökologischen Krise auch verlieren. Aber die Zukunft ist offen, und die Innovationsfähigkeit offener Gesellschaften ist unbegrenzt. Darauf ist zu hoffen.


Der Atrikel erschien zuerst in gekürzter Fassung in "Die Zeit" vom 14.4.2011.

Zum Weiterlesen: Eine Erwiderung von Konrad Ott Neue "grüne" Wachstumsgläubigkeit? auf die Beiträge von Peter Sloterdijk und Ralf Fücks.