Kenia vor den Wahlen: Ungleichheit und Diskriminierung












25. Februar 2013




Als nach der Präsidentschaftswahl im Dezember 2007 in Kenia Unruhen ausbrachen, war die kenianische Politikwissenschaftlerin Muthony Wanyeki Direktorin der Menschenrechtskommission ihres Landes. Heute lebt sie in Paris. Kurz vor den kenianischen Wahlen am 4. März 2013 war sie in Berlin und gab Auskunft, welche gesellschaftlichen Lernprozesse es gegeben hat und ob diesmal ähnliche Gewalt zu befürchten ist.

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Nach den Präsidentschaftswahlen in Kenia gab es Anfang 2008 gewaltsame Auseinandersetzungen mit mehr als tausend Todesopfern und etwa 300 000 Vertriebenen. Nun stehen wieder Wahlen an. Hat Kenia seine jüngste politische Vergangenheit verarbeitet?

Ja und Nein. In den von der Gewalt besonders betroffenen Landesteilen wurden gegen die politisch für die Ausschreitungen Verantwortlichen bis zur höchsten Ebene strikte Auflagen verhängt. Viel wurde dort auch für eine Versöhnung getan. Deswegen erwarten wir in den damaligen Epizentren der Gewalt keine Wiederholung. Doch neue Faktoren sind dazugekommen: Gemäß der neuen Verfassung wurden viele Machtbefugnisse an die lokale Ebene zurückgegeben, nun gibt es dort Konflikte, bei denen es vor allem um die politische Kontrolle über lokale Ressourcen geht. In Tana River etwa geht es um die Verteilung der noch verfügbaren landwirtschaftlichen Flächen. Der zukünftige Gouverneur hat großen Einfluss, ob dieses Land etwa in die Hände ausländischer Investoren gerät. Diese aktuelle Gewalt ist also eines anderen Charakters.

Diese Wahlkampagne wirkte sehr modern, so gab es im Fernsehen eine Debatte mit allen Kandidaten, gleichzeitig werden immer noch ethnische Differenzen und Zugehörigkeiten thematisiert. Was stimmt nicht mit der politischen Kultur in Kenia?

Es war positiv, dass es diese Debatte gab und alle Kandidaten teilnahmen, damit die Wahlberechtigten sie vergleichen konnten. Aber es war auffällig, dass die wichtigen Themen nicht behandelt wurden, vielleicht folgt dies nun in der zweiten Debatte. Jeder beklagte die Ethnisierung der Politik und die Politisierung der Ethnizität, als ginge es darum, ob wir uns gegenseitig mögen. Aber darum geht es nicht, sondern eben um die Kontrolle über Ressourcen, um im System angelegte Diskriminierung. Es gibt zwischen den Regionen große Ungleichheit, ob bei der Versorgung mit Krankenhäusern, Schulen oder Anwälten, bei den Bildungserfolgen. Ich fand die Debatte enttäuschend und oberflächlich. Es wurde nicht darüber gesprochen, wie Politiker diese Unterschiede zu ihrem Vorteil instrumentalisieren.

Was hat diese Ungleichheit herbeigeführt?

Zum Teil ist sie das Erbe der Kolonialzeit, es kam darauf an, welche Gegenden zuerst besiedelt wurden, wo eine guten Ertrag bringende Landwirtschaft entstand. Aber auch die Zeit nach der Unabhängigkeit trug dazu bei: Die zentrale Region Kenias wurde stärker entwickelt als der Norden, der Westen und die Küste.

Was ist der Hintergrund dieser vorgeblich ethnischen Rivalitäten?

Der Hintergrund ist diese lange Geschichte systematischer Diskriminierung durch den Staat, der nie geregelte Umgang mit Land. Wir müssen diese materiellen Ursachen der Konflikte anpacken, sonst hört das nie auf. Ein guter Ansatz ist das Verfahren, wie Haushaltsmittel nun unter der neuen Verfassung an die Provinzen verteilt werden. Dabei spielt die jeweilige Armutsrate eine Rolle und beeinflusst, wohin das Geld fließt. Positiv ist auch das Bestreben, die unterschiedlichen Gesetze gegen Diskriminierung so unter ein Dach zu bringen, dass sie nicht nur von Individuen, sondern auch von Gruppen eingeklagt werden können.

Wie gut funktionieren die neuen Regelungen?

Viele sind noch neu und müssen sich durchsetzen. Viele Probleme müssen als solche erkannt werden. 2003 gab es die erste landesweite Erhebung über das Ausmaß von Armut. Das Ergebnis wurde kontrovers behandelt: Wer Privilegien hat, verteidigt sie und behauptet, dass er sie zu Recht genießt. Das verzögert die politische Umsetzung von Gegenmaßnahmen – etwa die Umverteilung der Macht an die Provinzen.

Wie bewerten Sie den Versöhnungsprozess, den Kenia nach dem Gewaltausbruch von 2008 durchlaufen hat?

Ich bin kein großer Freund der Versöhnung und Befriedung, wie sie in Kenia stattgefunden haben. Er blieb sehr an der Oberfläche, auf der Ebene von Gefühlen und gegenseitigen Vorurteilen. Doch das Problem liegt in der Marginalisierung von Gruppen und Regionen und in der ungelösten Landfrage. Die traut sich niemand anzupacken. Im Rift Valley gibt es bisweilen fünf verschiedene sich überlagernde Ansprüche auf den Boden. Wir brauchen kreative Lösungen: Wenn eine Bevölkerungsgruppe ihr traditionell genutztes Land verliert, kann man diese Ansprüche nicht nur mit Land ausgleichen, sondern beispielsweise auch mit Investitionen.

Aber war es denn keine gute Idee, die Gewalt mit Tätern und Opfern zu thematisieren?

Es gibt Gesetze, die Gewalt untersagen, jeder kennt sie, und man sollte sie einfach anwenden. Dieses kuschelige Versöhnen wollen hat die Justiz untergraben. Wir haben ein gewaltiges Problem mit Straflosigkeit, es gab kaum Gerichtsverfahren gegen Gewalttäter. Vor allem die Polizei, die für den größten Teil der Gewalt verantwortlich war, ist nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Es gibt andere Leute in Kenia, die es wichtig finden, über die Traumata zu reden, das mag sein, aber ich sehe das als Menschenrechtlerin etwas anders.

Was sollte geschehen, um eine Wiederholung der Ausschreitungen zu verhindern?

Wir wissen, wo die lokalen Hotspots für Gewalt  sind, dorthin sollten frühzeitig Sicherheitskräfte entsandt werden, die mit den Beobachtergruppen vor Ort zusammenarbeiten. Die Polizei muss sich verpflichten, politisch neutral zu bleiben und die Gewalt nicht wie beim letzten Mal anzuheizen. Staatspräsident Kibaki und der Innenminister sollten dies deutlich einfordern.

Das Gespräch führte Stefan Schaaf.