Grenzenlos illegal - Transnationale Organisierte Kriminalität im 21. Jahrhundert

1. Juni 2011
Barbara Unmüßig
Drogenkrieg in Mexiko mit zehntausenden Toten und Drogenanbau in Afghanistan, davon hören wir ab und zu bei uns in den Medien. Von spektakulären Aktionen gegen die italienische und von den Machenschaften der russischen Mafia auch. Aber Hand aufs Herz: So ganz genau wollen wir eigentlich gar nicht wissen, wie sehr die Organisierte Kriminalität Politik und Alltag in vielen Ländern der Welt infiltriert und zu dominieren beginnt. 

Organisierte Kriminalität ist weder ein mexikanisches oder italienisches Thema, noch ein neues Phänomen. Sie ist überall und längst in Deutschland angekommen. Transnationale Organisierte Kriminalität ist ein globales Phänomen und definitiv eine der Schattenseiten der Globalisierungsprozesse. Zwar sind offene Grenzen, wie sie die Europäische Union kennt, eine politische Errungenschaft, und die Freizügigkeit von Personen, Waren und Dienstleistungen soll hier nicht geschmälert werden. Doch während es für Menschen, die nicht ins Schengen-Profil passen, nach wie vor massive politische Barrieren und Hürden gibt, ist kaum ein Markt freier als der illegale. 

Was bedeutet diese transnationale Dimension Organisierter Kriminalität? Wie wirkt sie sich aus auf Menschen und ihre Rechte, auf die Ökonomien, auf menschliche Sicherheit und staatliche Institutionen? Mit der Konferenz „Grenzenlos illegal – Transnationale Organisierte Kriminalität und die Zukunft einer demokratischen Welt“ stellen wir Fragen zu den globalen Zusammenhängen und Auswirkungen und richten dabei den Blick, ausgehend von der Situation in Deutschland und Europa, auf einige Regionen der Welt, in denen Transnationale Organisierte Kriminalität bereits massiv das gesellschaftliche Leben und die Sicherheit der Menschen beeinträchtigt sowie die Politik und Wirtschaft beeinflusst.

Transnationale Organisierte Kriminalität heute

Was heißt Transnationale Organisierte Kriminalität heute? Im Kampf um territoriale und wirtschaftliche Einflusssphären verlieren jährlich tausende Menschen ihr Leben. Ob im Menschen-, Drogen- oder Waffenhandel: Gewalt ist an der Tagesordnung. Menschenrechte werden mit Füßen getreten. Ein Beispiel ist die Zwangsprostitution. Die mexikanische Journalistin Lydia Cacho hat fünf Jahre zum Thema Menschenhandel und Zwangsprostitution in 47 Ländern recherchiert. Sie kommt zu dem Schluss, dass noch nie in der Menschheitsgeschichte Sklaverei und Menschenhandel so verbreitet waren. Laut Vereinten Nationen leben heute 27 Millionen Menschen, davon viele Kinder, in sklavenähnlichen Verhältnissen – und fast 80 Prozent dieser neuen Sklaven sind Prostituierte. Cacho beschreibt Sexsklaverei als ein globales Phänomen – und auch die Behörden spielen eine Rolle in diesem Spiel. So berichtet sie von einer Argentinierin, die in Mexiko zur Prostitution gezwungen werde. Sie sei in einem Privatjet von Argentinien nach Mexiko gebracht und dort am Flughafen im Regierungsbereich abgefertigt worden. Von Japan über Thailand und Israel, von der Türkei über Italien bis Mexiko sei es – so Lydia Cacho – völlig üblich, dass Polizisten, Politiker und Richter sich entweder von den Menschenhändlern schmieren lassen oder aber selbst zu guten Kunden der Etablissements gehören. Das macht es so schwer und – wie das Beispiel Lydia Cachos zeigt – auch gefährlich, dagegen anzukämpfen.

Die graduelle Ausbreitung illegaler Praktiken wie Schmier- und Schutzgeldzahlungen, Geldwäsche oder Korruption, unterhöhlt mehr und mehr demokratische Institutionen und gefährdet jedes Gemeinwesen. Vor allem die fragile Staatlichkeit wird verschärft und befördert. Die Menschen in Afghanistan leiden nicht nur unter der schlechten Sicherheitslage, sondern auch unter der Korruption. Nach UN-Schätzungen flossen in Afghanistan im Jahr 2009 ca. 1,7 Milliarden Euro an Bestechungsgeldern. Ohne Schmiergeldzahlungen – so der Eindruck – läuft kaum etwas. Geschmiert werden Behörden, Regierungsmitglieder, Richter und die Polizei. Berichtet wird, dass die afghanische Polizei, wenn sie gerufen wird – und tatsächlich kommen sollte –, zunächst nach Geld für den Sprit fragt, der für die Anfahrt verbraucht wurde; dann nach Verpflegung; und schließlich fordern sie zusätzliche Bezahlung. Stabilität und verantwortungsvolle Regierungsführung lassen sich auf diese Weise nicht generieren und laufen dem Aufbau demokratischer Institutionen entgegen.

Transnationale Organisierte Kriminalität als politischer und ökonomischer Machtfaktor

Transnationale Organisierte Kriminalität ist ein wachsender politischer und ökonomischer Machtfaktor. Hunderte Milliarden US-Dollar werden weltweit alljährlich mit illegalen Geschäften verdient und verschoben, vorbei an jeder Staatskasse. Und es wird zunehmend schwieriger, Transnationale Organisierte Kriminalität zu greifen oder zu begreifen. Traditionelle Mafia-Strukturen, in denen ein Capo, ein Boss, das Sagen hat, und der zugleich eine gewisse Verantwortung für „seine Leute“ übernimmt (darunter die Fortsetzung von Zahlungen an die Familie bei Verhaftung etc.) verlieren deutlich an Bedeutung gegenüber Strukturen, die auf Unverbindlichkeit und hohe Flexibilität setzen.

Eine zentrale Rolle spielen heutzutage die Routen. Auf ihnen wird, gemeinsam mit legalen Produkten, alles gehandelt, was illegal ist. Entscheidend ist die umfassende Kontrolle eines Routenabschnitts, eines Handelsweges, der den reibungslosen Güterverkehr garantiert. Die Produkte werden immer austauschbarer, von den „Klassikern“ wie Drogen, Menschen oder Waffen bis hin zu Produkten, die nur in bestimmten Konstellationen illegal gehandelt werden, wie Zigaretten, Kaviar oder sogar Leberpastete. Die Organisation des Vertriebes der illegalen Güter wird immer stärker international vernetzt. Und spätestens damit sind wir bei uns: Europa und auch Deutschland haben auf diesen Routen ihren festen Platz. Geldwäsche, Drogenhandel, Menschenhandel, Schmuggel mit Zigaretten, Markenprodukten und Waffen – dies alles gibt es auch bei uns. Maurizio Prestieri, der einst große Boss der Camorra in Neapel, der heute mit der Justiz zusammenarbeitet, schwärmt beispielsweise von dem erstklassigen Waffenmarkt in Deutschland. Es versteht sich von selbst, dass diese Waffen – wenn schon Maurizio Prestieri davon berichtet – ihren Weg aus Deutschland heraus gefunden haben. Die Absicherung der Routen beginnt auch nach innen, in die politischen und gesellschaftlichen Strukturen, zu wirken.

Wie stark Transnationale Organisierte Kriminalität mit Wirtschaft und Politik verflochten ist, lässt sich ebenfalls an dem Beispiel der italienischen Mafia, etwa der Camorra, verdeutlichen. Die Camorra ist nicht nur in Neapel ein zentraler Arbeitgeber, sondern sie tätigt Millioneninvestitionen in Restaurants, Hotels, Wohnbauten und sogar in die Industrie in vielen Nachbarländern Italiens. Das macht sie zu einem Wirtschaftsfaktor. Ihre Investitionen haben mitunter der jeweiligen lokalen Wirtschaft geschadet – und, so Prestieri – auch zur Wirtschaftskrise beigetragen. Mit Blick auf die Politik versteht es sich für Prestieri von selbst, dass die Behörden (in Italien) gekauft und entscheidende Posten in der Verwaltung mit den richtigen Leuten besetzt seien und die Camorra damit zigtausende Wählerstimmen in der Hand habe. So oder ähnlich – ob im großen oder im kleinen Stil – ist es an vielen Orten der Welt möglich – und leider Realität.

Legale Wirtschaft und illegales Geld

Die massive Verflechtung der Organisierten Kriminalität mit Wirtschaft und Politik deutet darauf hin, dass die Grauzone zwischen legal und illegal immer größer wird. Transnationale Organisierte Kriminalität wird nach und nach zu einem integralen Bestandteil der legalen Wirtschaft. Gewaschenes Geld fließt in legale Unternehmen im Land und bildet oft einen erheblichen Marktanteil. Auch als Arbeitgeber wird die transnational organisierte Kriminalität in dem Maße interessant, wie auf dem Arbeitsmarkt die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität verwischen. Häufig ist es gar lukrativer und sicherer, für illegale Organisationen zu arbeiten, als für ausbeuterische Leiharbeiterfirmen, die an der Grenze der Legalität operieren.

Die Herausforderungen durch Transnationale Organisierte Kriminalität sind so groß, dass es keine einfachen Lösungen geben kann – davon legen auch die erwähnten Beispiele Zeugnis ab. Dabei entwickelt sich die Transnationale Organisierte Kriminalität weiter, wird „intelligenter“. Cyber-Kriminalität ist ein Beispiel dafür. Millionen Computernutzer sind Opfer von Internetkriminalität. Allein in Deutschland – so die Schätzungen des Bundeskriminalamtes – sind 2009 über 50.000 Straftaten über das Netz verübt worden. Aber Internetkriminalität geht noch weiter. Sensible Einrichtungen wie Strom-, Wasser- oder Gasversorgung können ins Visier von Hackern geraten; und derartige Angriffe treffen einen Staat hart. Das iranische Atomprogramm geriet unlängst ins Visier von Hackern, tausende Rechner in Irans Industrieanlagen wurden mit dem Trojaner Stuxnet infiziert, darunter auch die Atomanlage in Buschehr. Die Medaille hat zwei Seiten. Ein Cyber-Angriff mit einem Trojaner kann durch kriminelle und terroristische Organisationen erfolgen. Doch auch ein Staat könnte sich das Instrument zu Nutze machen und gezielt manipulieren und stören. So wurden im Netz Gerüchte laut, die Programmierer aus Israel oder den USA mit dem Angriff in Iran in Verbindung brachten.

Innenminister Friedrich warnte jüngst, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis kriminelle Banden über eine virtuelle Bombe verfügten. Und: bei dem großen wirtschaftlichen Schaden, der durch Cyber-Kriminalität entstehen kann, werden staatliche Sicherheitsbehörden in Deutschland immer wachsamer und fordern mehr personelle Kapazitäten. Die Sicherheit des Internets sei „ein zentrales Thema“ seiner Amtszeit – so Minister Friedrich. Mehr und bessere Kapazitäten für die Aufdeckung und Ermittlung von Frauen- und Drogenhandel oder Geldwäsche sollten allerdings gleichrangig behandelt werden.

Hingucken statt Wegducken

Es ist wichtig, dass Transnationale Organisierte Kriminalität in all ihren Dimensionen als Tatsache anerkannt wird. International und national muss transparent werden, wie hoch der Preis ist, der für Transnationale Organisierte Kriminalität gezahlt wird – vor allem in Hinblick auf die Wirtschaft, auf Gesellschaftsstrukturen, auf demokratische und institutionelle Strukturen. Hingucken und Handeln statt Wegducken und Verdrängen. Es braucht eine konsequente Beschäftigung mit dem Thema in all seinen Verflechtungen mit Wirtschaft, Politik und zunehmend mit dem Alltagsleben vieler Menschen. Organisierte Kriminalität verursacht viel menschliches Leid und immense Kosten.

Die Ursachen und Wirkungen von Transnationaler Organisierter Kriminalität bewusst und deren Machenschaften konsequent öffentlich zu machen, ist eine dringliche Aufgabe für Politik und Medien. Nur wer Transnationale Organisierte Kriminalität ernstnimmt, kann um Antworten zur deren Bekämpfung und ihrer Ursachen ringen. Diese sind kompliziert genug. Das gilt insbesondere für die Politik. Sie muss aufwachen – wenn ihr eine demokratische Welt am Herzen liegt. Sie muss eine eindeutige Politik zu Transnationaler Organisierter Kriminalität machen und zum Beispiel unabhängig ermittelnde Behörden ausreichend ausstatten und diese ebenfalls transnational vernetzen. Das geschieht bislang in nicht ausreichendem Maße. Die Internationale Gemeinschaft sollte viel enger zusammenarbeiten. Auch sollte sie sich mit den laufenden Debatten in Zivilgesellschaft und Wissenschaft aufrichtig auseinander setzen: Wir hatten große Schwierigkeiten, hochrangige, mit dem Thema befasste Ministerialbeamte für eine Teilnahme an dieser Konferenz zu gewinnen. Dabei ist der deutsche Staat in alle auf dieser Konferenz behandelten Vorgänge in Mexiko, Brasilien, Afghanistan und Nigeria auf die eine oder andere Art und Weise involviert – von der heimischen Organisierten Kriminalität ganz abgesehen.

Mit der Konferenz „Grenzenlos illegal – Transnationale Organisierte Kriminalität und die Zukunft einer demokratischen Welt“ wollen wir das Wissen vermehren, die Suche nach (Teil-)Antworten fördern und all diejenigen besser vernetzen, die dem organisierten Menschen-, Drogen- und Waffenhandel, der Geldwäsche und systematischen Vorteilsnahme krimineller Netzwerke eine politische Agenda entgegen setzen wollen. 

Böll.Thema 3/2011

Grenzenlos Illegal – Transnationale organisierte Kriminalität

Organisierte Kriminalität kennt keine Grenzen. Sie hat in vielen Ländern der Welt die Politik und den Alltag infiltriert. Auch in Deutschland. Sie gehört deshalb in den öffentlichen Diskurs und auf die politische Agenda. Mit Beiträgen von: Florian Kühn, Arun Kumar, Carolyn Norstrom, Annette von Schönefeld, Regine Schönenberg u.a.

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