"Symbol für fehlende Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine" - Dem ukrainischem Blogger Alexandr Wolodarskij drohen fünf Jahre Haft

8. April 2010
Das Gerichtsverfahren gegen den ukrainischen Blogger und Zensurgegner Alexandr Wolodarskij, das gestern in Kiew eröffnet wurde, steht symbolisch für fehlende Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine: Zu diesem Fazit gelangt Kyryl Savin, Büroleiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew, der die Prozesseröffnung gegen Wolodarskij gestern im Gerichtssaal verfolgte. "Der Fall Wolodarskij zeigt sehr plakativ, in welchem Zustand sich die ukrainische Judikative befindet und wie eine politische Verfolgung Andersdenkender aussieht."

Alexandr Wolodarski hatte im November 2009 gemeinsam mit einer Aktivistin vor dem ukrainischen Parlament nackt einen Geschlechtsakt imitiert. Mit seiner Aktion wollte er nach eigenen Angaben gegen die zunehmende Zensur von vermeintlich unmoralischen Inhalten in den ukrainischen Medien protestieren. Sofort nach der Performance wurde Wolodarskij von der ukrainischen Miliz verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Gegen ihn wurde ein Verfahren nach Artikel 296 des ukrainischen Strafgesetzbuches ("durch Gruppen vollzogenes Rowdytum") eingeleitet. Gemäß Artikel 296 droht Wolodarskij Freiheitsentzug bis zu fünf Jahren.

"Es ist absolut unklar, warum die Protestperformance von Wolodarskij nicht als Ordnungswidrigkeit gesehen, sondern als Straftat verfolgt wird", sagt Kyryl Savin. "Andere ukrainische Protestgruppen wie etwa die Frauengruppe FEMEN, die auch regelmäßig unbekleidet in der Öffentlichkeit auftreten, zahlen nur Bußgelder und sind bis heute nie strafrechtlich verfolgt worden. Aus unserer Sicht geht es im Fall Wolodarskij um eine politische Verfolgung, die in einem demokratischen Staat eigentlich ausgeschlossen sein müsste."

Am gestrigen Mittwoch, den 7. April, fand die erste Gerichtssitzung gegen Wolodarskij statt. Die Atmosphäre im Gerichtssaal sei angespannt gewesen, berichtet Savin, die Gefahr, dass Wolodarskij zu fünf Jahre Gefängnis verurteilt werde, sei groß. "Wolodarskij Anwältin reichte dem Gericht vier Gesuche ein, die alle ohne Begründung abgelehnt wurden", so Savin. Leider interessiere sich die ukrainische Öffentlichkeit bislang kaum für den Fall.

Alexandr Wolodarskij ist Autor eines Blogs auf der Plattform Livejournal.com. Er schreibt unter dem Nickname "Shiitman". Wolodarskij ist ukrainischer Staatsbürger, lebt und studiert aber seit Jahren in Deutschland.


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Dossier

Die Ukraine auf dem Weg zur Demokratie

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