Politische Farbenspiele – inhaltliche Schärfe muss sein

11. April 2008
Von Franziska Brantner

Franziska Brantner

Es gibt eine interessante Parallele zwischen den aktuellen Farbenspielen und den Debatten um und in der Friedens- und Sicherheitspolitischen Kommission der Grünen: Wir versuchen im Vorfeld Prinzipien und Kriterien zu formulieren und aufzustellen, um dann im Ernstfall aus ihnen Handlungsanleitungen ableiten zu können.

Kriterien für Auslandseinsätze der Bundeswehr zu formulieren, ist eine der wichtigsten Fragen in der Kommission. Ließen sich, angelehnt an diese Kriterien, politische Farbkombinationen bilden? Was die Vereinten Nationen für Auslandseinsätze sind, sind die Wähler im Farbenspiel. Sie können einen Auftrag geben.

Dringlichkeit der grünen Beteiligung

Ein zentrales Kriterium für einen Auslandseinsatz ist die Dringlichkeit des deutschen oder europäischen Beitrages zur Lösung eines Konfliktes – oder eben die Dringlichkeit des grünen Beitrages zur weiteren Gestaltung der deutschen und europäischen Gesellschaft. Was passiert, wenn man nichts tut? Müssen wir Grüne verantwortlich handeln, um etwas Schlimmeres zu verhindern? Das Schlimmere könnte zum Beispiel der Ausstieg aus dem Atomausstieg unter einer schwarz-gelben Koalition sein, oder ein Zurück zu einem rein auf Abstammung basierenden Staatsbürgerschaftrecht.

Diese Strategie hat einen großen Nachteil: Wenn wir Grüne selber den Preis hochschrauben und den Atomausstieg zu dem Kriterium stilisieren, das uns „Jamaika“ rechtfertigt, dann müssen wir dafür auch wirklich zahlen. Das heißt: wir müssen viele andere Kröten schlucken. „Schlimmeres verhindern“ kann also Bestandteil eines Kriterienkatalogs sein, reicht aber nicht aus, und man kann sich leicht verspekulieren. 

Ein starkes und klares Mandat

Ein Einsatz der Bundeswehr muss zur Politikunterstützung dienen und nicht als Politikersatz – Lust auf  Macht und eine nette Gelegenheit reichen nicht aus. Entscheidungen für oder gegen Koalitionen müssen von den Inhalten abhängen. Das hat auch etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun – ein weiteres Kriterium. Stattdessen ist ein klares und „robustes“ Mandat notwendig. Es muss klar sein, wohin die Reise geht, die Endstation und der Weg dahin.

Ein starkes Mandat erfordert inhaltliche Schärfe. Wofür wagen wir den Einsatz? Und welche Instrumente schlagen wir vor? Dabei ist die Definition der Instrumente ebenso wichtig wie das End- und überprüfbare Etappenziele. Was uns Grünen momentan am meisten fehlt sind die Instrumente, die klaren und einleuchtenden Projekte, und falls es ernst werden sollte, die Etappenziele. Die Einsatzfelder wurden schon in anderen Beiträgen hier benannt: das deutsche und europäische Solidarsystem, das Bildungssystem von der Krippe bis zur Weiterbildung, die Umweltpolitik. Dafür brauchen wir ehrgeizige und provokante Projekte, sei es ein Minimum an erneuerbarer Energie, ein CO2-Ausstoßmaximum pro Viertel oder im Bildungssystem die Abschaffung des Beamtenstatus. Wir brauchen davon nicht viele solche Projekte, aber wir sollten uns auf sie einigen und gemeinsam dafür kämpfen.

Die Projekte müssen aber auch leben; die Bevölkerung muss spüren, wohin die Sonne sie zieht. Die schönsten Versprechungen über einen Rechtsstaat morgen helfen nichts, wenn Menschen sich unter dem Begriff heute nichts vorstellen können. Für uns Grüne bedeutet das, Lebensgefühl-Themen auf die Agenda zu setzen, allen voran den Umgang mit Zeit, Kultur und Weltoffenheit. Das hat eine starke Geschlechterdimension. Entschleunigung neu zu definieren in dieser sich so rasant verändernden Welt, Ruhepunkte zu schaffen und trotzdem einen Schritt voraus zu bleiben, das ist eine der zentralen Herausforderung für unsere westlichen Gesellschaften. Und das kann man leben. Kosmopolitisch und weltoffen sich auf anderes und andere zu freuen ohne seine eigenen Grundwerte dabei aufzugeben, selber anders zu sein, Innen und Außen in der Gesellschaft aufzubrechen, mal wieder nach Außen zu gehen, das kann man leben. Wenn wir das an Lebensgefühl vermitteln, und mit gesellschaftlichen Projekten verbinden, dann haben wir die wichtigste Hürde übersprungen. Dann kann uns auch kein schwarzes Eigelb die Identität nehmen und uns unsere Projekte absprechen.

Einbindung in politische Prozesse

Außerdem geht es um die Einbindung in einen politischen Prozess. Wer macht mit uns mit und stellt sicher, dass wir den Weg und das Ziel nicht aus den Augen verlieren? Haben wir genügend Partner in der Zivilgesellschaft, die mit uns dafür sorgen, dass das politische Ziel nicht verloren geht und die uns aber auch dabei helfen, das Ziel zu erreichen? Ich denke, dies ist ein wichtiges Kriterium und, um es zu erfüllen, muss lange voraus gedacht, gearbeitet und eingebunden werden.  

Der Notfallplan

Spätestens seit Bush Senior und Somalia braucht jeder Einsatz eine Exit-Strategie. Wissen wir, wann es Zeit ist zu gehen? Ab wann wird der Preis zu hoch, und vor allem: Haben wir einen verlässlichen Notfallplan, einen der uns sicher rausbringt? Exit-Strategien machen nur Sinn, wenn vorher überprüfbare, realitätstaugliche Etappen vereinbart wurden. Verpasst man mehrere davon, wird es Zeit zu gehen oder zumindest scharf die Strategie zu überdenken. Und auch für einen potentiellen GAU muss es einen Notfallplan geben.

Politische Akzeptanz

Politische Akzeptanz und die Beteiligung des Parlaments sind weitere Kriterien für Auslandseinsätze. Dabei ist die Parteibeteiligung zentral, sei es auf lokaler, Landes- oder Bundesebene. Wenn wir unsere eigenen Leute nicht von der Sinnhaftigkeit eines Einsatzes überzeugen können, wie wollen wir dann politische Akzeptanz gewinnen? Dies erfordert mehr als Abstimmungen. Ehrlichkeit, Informationen und Diskussionen sind zentral, vor allem Ehrlichkeit über die Lage vor Ort und das, was man sich wirklich vornimmt zu erreichen, mit welchen politischen Figuren – und was dies kosten wird. Enttäuscht sind nur diejenigen, die vorher getäuscht wurden oder sich getäuscht haben. Morgen ein dänisches Afghanistan ohne Nebenkosten zu versprechen ist genauso verantwortungslos wie das grüne Paradies auf Jamaika oder ein weltoffenes Deutschland mit einem Lafontaine der „Fremdarbeiter“ und Ex-Stasi und NVA-Offizieren.

Kapazitäten und Durchhaltefähigkeit: Nachhaltigkeit unserer Politik

Ein letzter Punkt zur eigenen Kapazität, zur Durchhaltefähigkeit. Sind wir bestmöglich auf allen Ebenen personell aufgestellt? Kapazitäten zur Rotation um auch enge und schwierige Passagen zu überstehen sind wichtig. Erlauben wir es uns, Fehler zu machen; geben wir Leuten Chancen, die immer mit Risiken verbunden sind? Woher nehmen wir unsere Energie, wenn wir gegen den Wind fahren müssen? Wahrscheinlich wird es wichtig sein, strategisch zu entscheiden, wann sich voller Einsatz lohnt und wann nicht. Frei nach Lao Tse müssen wir unterscheiden, wann für eine Sache gekämpft werden muss und wann wir auf einem Gebiet eine Niederlage akzeptieren müssen – um das Gesamtprojekt nicht zu gefährden. Man kann kein Omelett kochen ohne Eier zu zerschlagen. Aber solche Entscheidungen müssen eindeutig kommuniziert werden. Dies wird gerade in einer Dreier-Konstellation wichtig; egal welche Dreierkoalitionen, der Haufen zerbrochener Eier wird höher.

Vorrausschauende Überzeugung

Wie auch bei Auslandseinsätzen sind bei politischen Farbenspielen Prinzipien nicht erst dann relevant, wenn der Ernstfall eintritt. Damit Einsätze erfolgreich sein können, müssen im Vorfeld die richtigen Strategien entwickelt und Kapazitäten aufgebaut werden. Vor allem inhaltliche Schärfe und die Entwicklung eines starken Mandates sind zentral, um dann vor Ort flexibel auf die jeweilige Situation reagieren zu können.

Bei Auslandseinsätzen und im Farbenspiel geht es darum, den Ernstfall zu verhindern. Trotzdem muss man sich ihm, wenn er eintritt, verantwortungsvoll und mit der vollen Kraft der Überzeugung stellen.


Franziska Brantner, ehemalige Promotionsstipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung, lebt und arbeitet in Paris als Politikberaterin. Sie ist Mitglied der Friedens- und Sicherheitspolitischen Kommission der Grünen.