Von Eva van de Rakt, Leiterin des Prager Büros der Heinrich-Böll-Stiftung
Prag, 8. September 2008
Vorgeschichte: Parteiinterne Konflikte
Um die Einberufung und den Verlauf des Parteitages der tschechischen Grünen (Strana zelených, SZ) zu verstehen, muss man kurz auf seine Vorgeschichte eingehen: In den letzten Monaten kam es zu parteiinternen Konflikten, die zum großen Teil in den Medien ausgetragen wurden. Dabei wurde deutlich, dass innerhalb der Partei kein Konsens darüber besteht, welche Prioritäten die tschechischen Grünen als Koalitionspartner durchsetzen sollten und welche Kompromisse sie in der Regierungsverantwortung eingehen können.
Zu nennen sind hier vor allen Dingen die Themen Radaranlage, Sozial- und Gesundheitspolitik sowie Energie- und Klimapolitik. In der Regierungskoalition mit der konservativen ODS und der KDU-ČSL (Christdemokraten) stellt die SZ mit sechs von 200 Abgeordneten drei Minister und eine Ministerin: Martin Bursík (Umweltminister), Karel Schwarzenberg (Außenminister, parteilos), Ondřej Liška (Minister für Bildung, Jugend und Sport) und Džamila Stehlíková (Ministerin für Menschenrechte und Minderheiten).
Nach dem Rücktritt Dana Kuchtovás, der ersten stellvertretenden Parteivorsitzenden, vom Amt der Bildungsministerin im Herbst 2007 kam es zu einer Spaltung im Vorstand, die sich negativ auf die Arbeit der Fraktion und Regierung auswirkte: Martin Bursík, Vize-Premier, Umweltminister und Parteivorsitzender und Dana Kuchtová waren nicht mehr in der Lage, als Team einen Weg für die zukünftige Entwicklung und thematische Ausrichtung der Partei zu ebnen.
Martin Bursík begründete die Einberufung des Parteitages mit der Verantwortung der tschechischen Grünen in der Regierung und wies darauf hin, dass es nicht möglich sei, Regierungs- und Oppositionsarbeit zugleich zu machen. Dana Kuchtová warf Martin Bursík im Vorfeld des Parteitages vor, dass er die Partei nicht demokratisch sondern autoritär führe und erklärte es für verantwortungslos, kurz vor den Bezirks- und Senatsteilwahlen im Herbst 2008 einen Parteitag einzuberufen.
Fehlender Konsens über Rollen und Kompetenzen
Wichtig zu erwähnen ist, dass die Parteiorgane in den letzten Monaten nicht in der Lage waren, eine konstruktive parteiinterne Diskussion über die Prioritäten der Partei in der Regierungsverantwortung zu starten. Dies ist für eine Partei, die in der ersten Legislaturperiode im Abgeordnetenhaus vertreten und zugleich mit der Regierungsverantwortung konfrontiert ist, selbstverständlich keine einfache Aufgabe. Es ist für die tschechischen Grünen umso schwieriger, weil es keinen Konsens über die Rolle und Kompetenzen der verschiedenen Parteiorgane gibt. Am deutlichsten wird das in der Diskussion um die Rolle des Republikrats.
Der Republikrat (RR) tagt zwischen den Parteitagen. Er setzt sich aus 20 Mitgliedern zusammen, die vom Parteitag gewählt werden, jeweils zwei Vertreterinnen und Vertretern aus den 14 Bezirken, dem Parteivorstand und den Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern der SZ. Derzeit ist die Abgeordnete Olga Zubová Vorsitzende des Republikrats, stellvertretende Vorsitzende sind Jana Drápalová und Matěj Stropnický, der in den Medien am häufigsten zitierte Kritiker Martin Bursíks. Auch Olga Zubová kritisierte Martin Bursík in den vergangenen Monaten in den Medien und drohte zusammen mit der Abgeordneten Věra Jakubková mit dem Austritt aus der Fraktion.
Während des Parteitages erwähnte Matěj Stropnický, dass der Republikrat sich in den letzten Monaten seiner Hauptaufgabe gewidmet hätte, die darin bestehe, die Mandatsträgerinnen und Mandatsträger daran zu erinnern, was die Partei der Wählerschaft versprochen habe. Zuzana Drhová (Abgeordnete im Prager Stadtparlament) wies darauf hin, dass der Republikrat ein Gremium für parteiinterne Diskussionen darstellen und nicht die Arbeit der Abgeordneten und Regierung in den Medien angreifen sollte.
Im Vorfeld des Parteitages wurde eine umfassende Novelle der Satzung vorgelegt, in der die Anzahl der Mitglieder des RR reduziert und die Kompetenzen des RR und Parteivorstands neu bestimmt werden sollten. In der vorgelegten Novelle entfällt u.a. die Formulierung, dass der RR das höchste ausführende Organ zwischen den Parteitagen ist, der RR wählt nach dieser Novelle keinen Vorstand mehr. Die Kompetenzen des Parteivorstands gegenüber dem RR werden in der vorgelegten Novelle gestärkt.
Der Parteitag: Ein starkes Mandat für den neuen Vorstand
Am ersten Tag des Parteitages richteten die Koalitionspartner ihre Grußworte an die Delegierten. Der Premierminister und Vorsitzende der ODS Mirek Topolánek wünschte den Grünen in einer emotionalen Rede für den Parteitag Erfolg. Emotional deshalb, weil Medien am Tag zuvor aufgedeckt hatten, dass ein ODS-Abgeordneter plante, Abgeordnete der SZ und ODS durch Erpressung zur Koalitionsdisziplin zu zwingen. Mirek Topolánek betonte, dass er die Grünen als Koalitionspartner vor allen Dingen deshalb brauche, um derartigen Machenschaften in der Politik die Stirn zu bieten. Auch der stellvertretende Vorsitzende der KDU-ČSL David Macek erwähnte, dass die SZ innerhalb der Koalition eine wichtige Rolle spiele, gerade wenn es um europapolitische Fragestellungen und eine pro-europäische Ausrichtung der Regierung gehe.
Während der Wahl des Parteivorstands wurden außer den vorher bekannt gegebenen Kandidaturen Martin Bursíks, Dana Kuchtovás und Jan Linharts (Vertreter der SZ in Pardubice) weitere Personen vorgeschlagen, von denen drei die Kandidatur annahmen. Klar war, dass neben Martin Bursík und Dana Kuchtová keiner der weiteren Kandidaten eine Chance auf Erfolg hatte.
Dana Kuchtová betonte in ihrer Rede, dass der Erfolg der Partei nicht nur ein Verdienst Martin Bursíks sei. Sie lobte die Erfolge der Grünen in der Regierung, sprach sich aber dafür aus, die Misserfolge nicht zu vergessen und zu reflektieren. Wenn die Grünen nicht über ihre Misserfolge sprechen, so Kuchtová, bestehe die Gefahr, dass die Partei in Zukunft nicht als Grüne Partei in der Regierungskoalition bestehen könne und so ihr Gesicht und ihre Authentizität verlieren werde. Die Grünen müssen sich ihrer Meinung nach Koalitionsmöglichkeiten offen halten, neben der ODS und KDU-ČSL hält Dana Kuchtová die ČSSD (Sozialdemokraten) für einen potenziellen Koalitionspartner. Sie kritisierte Martin Bursík dafür, Mehrheitsentscheidungen der Partei nicht zu respektieren und verwies in diesem Kontext auf die Verhandlungen zur US-amerikanischen Radaranlage in der Tschechischen Republik.
Martin Bursík erwähnte, dass vor drei Jahren die Emanzipation der SZ begonnen habe und die Grünen durch den Wahlkampf und den Wahlerfolg im Jahr 2006 die Frustration einer außerparlamentarischen Partei überwinden konnten. Die SZ habe sich von der Zuordnung in das linke bzw. rechte Parteienspektrum befreit und als politische Kraft der Mitte etabliert. Martin Bursík betonte, dass es noch lange dauern werde, bis die SZ Parlamentswahlen gewinnen werde. Die politische Methode der Grünen müsse vor diesem Hintergrund die Fähigkeit zu verhandeln bleiben. Es sei nicht glaubhaft, als ein Teil der Regierung diese gleichzeitig zu kritisieren.
Die Politik sei die Kunst des Machbaren, er selbst versuche das Maximum zu erreichen. Er wünsche sich eine moderne Partei, die offen für den Dialog mit der Zivilgesellschaft ist, Schritt hält mit Wissenschaft und Forschung, das Wohl und die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger zum Ziel hat und eine Vision zur Modernisierung der Tschechischen Republik und Europas entwickelt. Im Vorfeld der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft wies er auf die Wichtigkeit der Themen hin, die im Kompetenzbereich der grünen Ressorts liegen: Klimapolitik, die Ratifizierung des Vertrages von Lissabon sowie außenpolitische Prioritäten (mit Verweis auf den Konflikt in Georgien). Er wünsche sich, dass es ihm und seinem Team gelingen wird, Brücken zu bauen und die Spaltung der Partei zu überwinden.
Martin Bursík wurde mit 227 der 349 abgegebenen Stimmen als Parteivorsitzender bestätigt, Dana Kuchtová erhielt 109 Stimmen.
Dana Kuchtová erklärte unmittelbar nach der Bekanntgabe des Ergebnisses, dass sie als erste stellvertretende Parteivorsitzende kandidieren und sich im Falle eine Niederlage um keinen weiteren Posten bemühen werde. Ihr Gegenkandidat Ondřej Liška war bisher stellvertretender Parteivorsitzender für Internationale Politik.
Ondřej Liška betonte in seiner Rede, dass die Benennung von gesellschaftspolitischen Problemen und das Aufweisen von Lösungsansätzen der einzige Weg sei, die Partei von innen zu stärken. Die Diskussion um die Frage, wo sich die Partei im Parteienspektrum positionieren solle, führe zu nichts. Er erwähnte, dass die SZ ein Team brauche, das sich einig ist und gut argumentieren kann. Ondřej Liška erwähnte, dass eine klare Struktur der Organe der Partei für eine Stärkung der Partei unabdingbar sei. Er wünsche sich einen verstärkten Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie eine nachhaltige und langfristige programmatische Arbeit. Für eine innovative Politik brauche eine Partei neben Expertise auch finanzielle Mittel. Er wolle in diesem Kontext zeigen, was ethisches Fundraising bedeutet. Außerdem werde er sich um eine neue Kultur des Dialogs über das Parteiprogramm bemühen. Er schloss seine Rede mit der Bitte um ein starkes Mandat für sein Programm, dessen erfolgreiche Umsetzung für einen Erfolg bei den Bezirks- und Senatsteilwahlen im Herbst 2008 wichtig sei.
Dana Kuchtová sagte in ihrer Rede, dass sie sich als stellvertretende Parteivorsitzende weiterhin dafür einsetzen werde, die Prioritäten der Grünen innerhalb der Regierungskoalition durchzusetzen. Sie werde sich darum bemühen, dass sich in der außenpolitischen Ausrichtung der Regierung zu den Themen Radaranlage, Energiesicherheit und Entwicklungspolitik verstärkt grüne Akzente finden. Sie setze sich für die Gründung eines grünen Think Tank ein und betonte die Notwendigkeit einer neuen Programmkonferenz.
Ondřej Liška wurde mit 212 der 336 abgegebenen Stimmen zum ersten stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt, Dana Kuchtová erhielt 122 Stimmen.
Dana Kuchtová gab nach ihrer Niederlage bekannt, dass sie den Erfolg Ondřej Liškas respektiere, Parteimitglied bleibe und in die „konstruktive Opposition“ gehe.
Weitere stellvertretende Parteivorsitzende wurden Kateřina Jacques (Abgeordnete der SZ, 207/308) und Martin Ander (stellvertretender Bürgermeister von Brünn, 177/296). Als Mitglieder des Vorstands wurden außerdem Zuzana Drhová (Abgeordnete der SZ im Prager Stadtparlament), Ladislav Vrchovský (stellvertretender Vorsitzender der SZ Moravskoslezský) und Džamila Stehlíková gewählt. Martin Bursík bedankte sich für das starke Mandat und betonte seine Überzeugung, dass das neu gewählte Vorstandsteam gut zusammenarbeiten wird.
Am 7. September wurde die Zentrale Revisionskommission ÚRK (Ústřední revizní komise) gewählt. Nach der Wahl des Vorsitzenden Miroslav Rokos (Parteivorsitzender der SZ, 2002 – 2003) einigte sich der Parteivorstand und die Opposition darauf, dass beide Seiten jeweils drei der sechs weiteren Mitglieder bestimmen. Der Parteivorstand versprach außerdem, die umfassende Novellierung der Satzung von der Tagungsordnung zu nehmen und diesbezüglich eine Lösung anzubieten. Der Vorschlag vom Vorstand, die vom letzten Parteitag gewählten Mitglieder des RR abzuberufen, wurde per Abstimmung angenommen. Zu den abberufenen Mitgliedern des RR zählt auch Matěj Stropnický. Die Vorbereitung der Bezirks- und Senatsteilwahlen konnte nicht mehr besprochen werden.
Ausblick 2009: EP-Wahlen und EU-Ratspräsidentschaft
Der Parteivorstand hat mit einer Zweidrittelmehrheit ein starkes Mandat inne und steht vor der Herausforderung, die innerparteiliche Opposition in einen Dialog einzubinden. Offen bleibt, ob es Dana Kuchtová schaffen wird, innerhalb der SZ eine „konstruktive Opposition“ zu bilden, da die innerparteiliche Opposition bisher diffus auftritt und sehr unterschiedliche Ziele verfolgt.
Für die Entwicklung der tschechischen Grünen war dieser Parteitag ein entscheidender Schritt. Im Hinblick auf die tschechische EU-Ratspräsidentschaft und die EP-Wahlen im ersten Halbjahr 2009 ist es wünschenswert, dass in Zukunft die parteiinternen Konflikte der SZ nicht mehr im Vordergrund stehen und eine Fokussierung auf inhaltliche Prioritäten stattfindet.