Tschechien: Das Comeback des Miloš Zeman

Schwarzenbergs Wahlkampfteam ist es zwar gelungen, eine pfiffige Kampagne zu führen. In direkter Konfrontation mit Zeman war Schwarzenberg allerdings sprachlich im Nachteil und weniger dominant. Illustration: volimkarla.cz Teaserbild: CC-BY-SA Draceane

4. Februar 2013
Im Januar 2013 wurde der tschechische Staatspräsident zum ersten Mal direkt gewählt. Gewonnen hat die Stichwahl am 25. und 26. Januar der ehemalige Premier Miloš Zeman. Sein Gegenkandidat war der Außenminister und erste stellvertretende Ministerpräsident Karel Schwarzenberg.

Die Wahl bewegte mehrere Wochen die Bürgerinnen und Bürger des Landes. Selten konnte man vor einer Wahl eine so lebendige politische Debatte in der Öffentlichkeit verfolgen. Das macht Hoffnung, da die durch zahlreiche Korruptionsskandale desillusionierte Gesellschaft aus einer Art Dornröschen-Schlaf erwachte und sich die Bürgerinnen und Bürger aktiv an zahlreichen Diskussionen zur politischen Zukunft des Landes beteiligten. Weniger erfreulich ist, dass sich die Emotionen vor der Stichwahl zuspitzten und dadurch die Polarisierung in der tschechischen Gesellschaft vertieft wurde.

Karel for President

Vor drei Wochen standen noch neun Kandidatinnen und Kandidaten zur Auswahl. Niemand hatte damit gerechnet, dass es Karel Schwarzenberg in die Stichwahl schaffen würde. Zu gering war und ist das Ansehen der krisengeschüttelten Regierung unter Premier Petr Nečas. Zu oft sah man den tschechischen Außenminister vor sich hin dösend bei Konferenzen oder Parlamentssitzungen. In Umfragen kam Schwarzenberg lange nicht über 10%. Doch kurz vor der Wahl häuften sich vor allem in den Großstädten die witzigen, an Winterjacken befestigten Buttons mit der Aufschrift „Karel auf die Burg“, „Karel for President“ und einer knallgelb unterlegten Abbildung des Fürsten mit Punkfrisur, die an Poster der Punk-Band Sex Pistols erinnern. „Ich wähle einen anständigen Präsidenten“ – so ein weiterer der zahlreichen Slogans auf Buttons, Plakaten und Aufklebern, die in den Städten zu sehen waren. Schwarzenberg unterstützten Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Sport, Wirtschaft, Kunst und Kultur, die der Wahlkampagne Schwung und Witz verliehen. Gewählt wurde er von einer jungen und städtischen Wählerschaft mit hohem Bildungsniveau, die die Fehlentwicklung der politischen Kultur im eigenen Land mit Sorge beobachtet und mit dem „Bürger“ Schwarzenberg die Hoffnung auf einen Wandel verbindet – die Hoffnung auf mehr Transparenz, Fairness und Anstand in der Politik. Auch einige Tageszeitungen sprachen sich offen für eine Wahl Schwarzenbergs aus.

In der ersten Runde erzielte Schwarzenberg 23,4% der Stimmen, Zeman 24,2% (Wahlbeteiligung: 61,3%). In der Stichwahl erhielt Schwarzenberg 45,2 % (in Prag 66%), Zeman 55,8% (Wahlbeteiligung: 59,1%).

Schwarzenbergs Wahlkampfteam ist es zwar gelungen, eine pfiffige Kampagne zu führen. In direkter Konfrontation mit Zeman war Schwarzenberg allerdings sprachlich im Nachteil und weniger dominant. Hinzu kam, dass Zeman vor der Stichwahl eine Kampagne gegen Schwarzenberg entfachte, die auf Unwahrheiten basierte.

Das Dilemma der Stichwahl

Die Stichwahl war für viele Wählerinnen und Wähler nicht einfach. Auf den ersten Blick schien es, dass man sich zwischen einem linken und einem rechtskonservativen Politiker entscheiden muss. Beide Kandidaten haben eine parteipolitische Karriere hinter sich.

Zeman war für das Bürgerforum OF Abgeordneter, von 1993 bis 2001 war er Vorsitzender der Sozialdemokraten ČSSD. In dieser Zeit gewannen die Sozialdemokraten beachtlich an Zustimmung (1992: rund 7%; 1998: 32%). Von 1998 bis 2002 war Zeman Ministerpräsident einer Minderheitsregierung (s.u.). Bei der Präsidentschaftswahl 2003 war er nicht erfolgreich, weil ihn einige sozialdemokratische Abgeordnete nicht wählten. Dies hat Zeman der ČSSD nie verziehen. 2007 trat er aus und gründete die Partei SPOZ (Partei für die Rechte der Bürger – Zemanovci), deren Vorsitzender er bis 2010 war. Bei den Parlamentswahlen 2010 erzielte die SPOZ 4,3% und verfehlte somit die Fünfprozenthürde. Zeman ist bis heute ihr Ehrenvorsitzender.

Schwarzenberg war von 1997 bis 2007 Mitglied der ODA (Demokratische Bürgerallianz), von 2004 bis 2010 Senator (benannt von der US-DEU und ODA). 2006 wurde er von den tschechischen Grünen als Außenminister nominiert (im Amt von 2007 bis 2009) und ist seit 2009 Vorsitzender der TOP09 – ein parteipolitisches Projekt, das er in Zusammenarbeit mit dem umstrittenen Finanzminister Miroslav Kalousek initiierte. Die TOP09 schaffte bei den Parlamentswahlen 2010 aus dem Stand 16,7% – vor allem auch wegen Schwarzenberg.

Hätte es der sozialdemokratische Präsidentschaftskandidat und Senator Jiří Dienstbier jr. (Sohn des ehemaligen Dissidenten, Außenministers und Senators Jiří Dienstbier) in die Stichwahl geschafft, wäre es für Zeman nicht möglich gewesen, die zweite Runde als eine Wahl zwischen „links“ und „rechts“ zu präsentieren. Dienstbier erzielte in der ersten Runde immerhin 16,1% und belegte damit den 4. Platz – unmittelbar hinter dem monatelangen Favoriten aller Umfragen und ehemaligen Premier Jan Fischer. Dienstbier vertritt den progressiven Flügel der tschechischen Sozialdemokratie und distanzierte sich – wie auch der ehemalige sozialdemokratische Premier und EU-Kommissar Vladimír Špidla – von der Empfehlung der Partei an die Wählerschaft „zu erwägen, Zeman zu wählen“. Er betonte, dass Zeman für ihn die Verzahnung von Politik mit korrupten Wirtschaftskreisen verkörpere.

Auch die tschechischen Grünen standen vor der nicht einfachen Aufgabe, eine Empfehlung für die grüne Wählerschaft zu geben. Die von den Grünen unterstützte Kandidatin, die Schauspielerin Taťana Fischerová, erhielt 3,2% und landete damit auf dem 7. Platz (immerhin vor dem Kandidaten der Regierungspartei ODS Přemysl Sobotka). Schwarzenberg ist heute Mitglied einer Regierung, die die Grünen kritisieren. Sie haben dennoch dazu aufgerufen, ihn in der 2. Runde zu wählen.

Václav Havel vs. Václav Klaus

Denn es ging bei der Stichwahl um viel mehr und etwas ganz anderes als um das Bekennen zu einem politischen Lager. Es ging für viele Wählerinnen und Wähler um die Frage des Politikstils, des Charakters, der Integrität und Transparenz der beiden Kandidaten. Es ging auch um die Frage, ob man sich eine Fortsetzung der konfrontativen Politik von Václav Klaus oder eine Rückkehr zu den Idealen und eine Besinnung auf das Erbe des vor einem Jahr verstorbenen Präsidenten Václav Havel wünscht. Kein Zweifel: Zeman verkörpert dabei den Politikstil von Präsident Klaus, Schwarzenberg von Präsident Havel.

Karel Schwarzenberg war von 1984 bis 1991 Präsident der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte. Er engagierte sich für Dissidentinnen und Dissidenten sowie Menschen im Exil. Von 1990 bis 1992 leitete er das Büro des Präsidenten Václav Havel.

Zeman und Klaus hatten schon in der Zeit des sogenannten Oppositionsvertrags einen politischen Pakt geschlossen, der verdeutlicht, wie ähnlich sich diese beiden Machtpolitiker sind und erklärt, warum es Zeman gelang, sowohl die Parteiführung der Kommunisten und Sozialdemokraten als auch Klaus für sich zu gewinnen. Von 1998 bis 2002 regierte eine Minderheitsregierung der ČSSD unter Duldung der ODS das Land. Zeman war damals Ministerpräsident und Vorsitzender der ČSSD, Klaus war Vorsitzender der ODS und Parlamentspräsident.

Klaus & Family

Auch wenn Zeman und Klaus heute gerne betonen, dass das Land in dieser Zeit wirtschaftlich wuchs, blühte damals vor allem die Korruption. Zeman arbeitete mit umstrittenen Beratern, die ihn teilweise noch heute begleiten. Einige Politikerinnen und Politiker (auch aus den Reihen der ČSSD), die Zeman in der Öffentlichkeit kritisierten, zahlten dafür einen hohen Preis. Die bis heute noch nicht vollständig aufgeklärten Skandale aus dieser Zeit scheinen Zemans Wählerschaft nicht weiter zu beunruhigen. Auch die Tatsache, dass die Finanzierung der Wahlkampagne Zemans nicht transparent war, hielt viele nicht davon ab, Zeman ihre Stimme zu geben. Václav Klaus machte vor der Stichwahl keinen Hehl daraus, dass er sich einen Wahlsieg Zemans wünscht. In einer SMS schrieb er sogar, dass er im Falle eines Wahlsiegs von Schwarzenberg emigriere. Er verwies darauf, dass Schwarzenberg vor 1989 nicht im Land lebte. Unerwähnt ließ er dabei, dass Schwarzenbergs Familie 1948 das Land verlassen musste – Schwarzenberg war damals 10 Jahre alt. Die Präsidentengattin Livia Klausová meldete sich ebenfalls entschieden zu Wort: Sie wolle auf der Prager Burg keine Nachfolgerin, die nur Deutsch spreche (Anm.: Schwarzenberg ist mit einer Österreicherin verheiratet). Zur Hilfe eilte Klaus auch sein Sohn Václav Klaus jr., Direktor eines bekannten Gymnasiums in Prag: Er behauptete, dass Schwarzenbergs Vater zur Zeit der deutschen Besatzung Beziehungen zu Kollaborateuren pflegte. Richtig ist, dass Familienmitglieder Schwarzenbergs von der Gestapo verfolgt wurden, sein Onkel und Vater überzeugte Gegner der Nationalsozialisten waren und 1940 das Vermögen der Familie vom deutschen Besatzungsregime konfisziert wurde.

Der „echte“ Tscheche Zeman


„Hier ist meine Heimat“ – diesen Slogan schmetterte Zeman schon zu Beginn seiner Kampagne. Er bezieht sich auf die tschechische Nationalhymne, die mit der Frage beginnt „Wo ist meine Heimat, wo ist meine Heimat?“. In den zwei Wochen vor der Stichwahl spielte Zeman immer öfter die nationale Karte – besonders nachdem sich Schwarzenberg während eines Fernsehduells zu den Beneš-Dekreten geäußert hatte. Schwarzenberg bezeichnete die Dekrete als ungültig und als eine schwere Verletzung der Menschenrechte. Er fügte hinzu, dass der ehemalige tschechoslowakische Präsident Edvard Beneš und seine Regierung heute wahrscheinlich in Den Haag wären. Diese Äußerungen kamen Zeman gelegen. Er belehrte Schwarzenberg sofort, dass die Dekrete nicht „ungültig“ sondern lediglich „erloschen“ und somit weiterhin Bestandteil der tschechischen Rechtsordnung seien (wodurch ihre Anwendung in zahlreichen Restitutionsverfahren möglich bleibt). Außerdem behauptete er, dass sich der Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft Bernd Posselt in der Süddeutschen Zeitung positiv darüber geäußert hätte, dass es Schwarzenberg in die zweite Runde geschafft hat. Diese Behauptung entsprach nicht der Wahrheit. Zeman inszenierte sich ganz bewusst als „echter“ Tscheche und versuchte den falschen Eindruck zu erwecken, dass sein Gegner nach einem Wahlsieg den Sudetendeutschen auf Kosten des tschechischen Volkes entgegenkommen werde. Die darauf entflammende Kampagne gegen Schwarzenberg, in die das Wahlkampfteam Zemans immer wieder Öl goss, gipfelte in der Anzeige „Wählt nicht Karel Schwarzenberg“ des Anwalts und ehemaligen Mitarbeiters der Staatssicherheit Vladimír Zavadil. Ohne in diesem Inserat namentlich genannt zu werden, trumpfte Zavadil mit Lügen auf, die sich auf die falschen Aussagen und absichtlichen Fehlinterpretationen Zemans während und nach dem Fernsehduell bezogen. Dieses Inserat erschien noch am ersten Wahltag in der tschechischen Version der Bild-Zeitung („Blesk“). Es ist schwierig zu beurteilen, inwieweit diese Kampagne Wählerinnen und Wähler davon abgehalten hat, Schwarzenberg zu wählen. Auffallend ist aber, dass Zeman in der 2. Runde sein Ergebnis in den Grenzregionen zu Deutschland und Österreich teilweise fast verdreifachte. Man kann davon ausgehen, dass Zeman vor allem unentschiedene Wählerinnen und Wähler auf seine Seite zog. Ungefähr ein Fünftel seiner Wählerschaft gab als größten Vorteil Zemans an, dass er Tscheche sei.

Der „Edelmann“ Zeman

In einem Fernsehduell machte Miloš Zeman einen seiner „geistreichen Witze“, der auf die Nachnamen der Kandidaten anspielt. Im Wortlaut: „Die Fürsten hatten das Recht der ersten Nacht und sind deshalb degeneriert, weil sie ihre Leibeigenen nicht vergewaltigen, keine Energie dafür verbrauchen mussten. Wohingegen wir Landedelmänner (Anm.: Zeman bedeutet in deutscher Übersetzung Landedelmann) unser Recht nicht nur im sexuellen Bereich immer hart erkämpfen mussten – und deshalb sind wir nicht degeneriert.“ Bekannte tschechische Frauen wehrten sich gegen diese sexistischen Äußerungen und publizierten in Tageszeitungen ein Inserat mit dem Titel „Wer kein anständiger Mann ist, kann kein guter Präsident sein“. Zeman hat sich für diesen „Witz“ nicht entschuldigt.

Die Basta-Politik Zemans


Wer hätte noch vor einem Jahr gedacht, dass Miloš Zeman, der sich nach dem Wahldebakel im Jahr 2003 zehn Jahre aus der Politik zurückgezogen hatte, eine Rückkehr in die tschechische Politik gelingen wird? Höchstwahrscheinlich war es gerade seine Abwesenheit, die seinen Wahlsieg ermöglichte. Die Skandale und Machenschaften rund um Zeman wurden in der Zwischenzeit von einem Großteil der Wählerschaft schlicht und ergreifend vergessen. Sie verblassten in der öffentlichen Wahrnehmung und werden von gegenwärtigen Korruptionsskandalen in den Hintergrund gedrängt.

Sein Wahlkampfteam zeichnete Zeman erfolgreich als erfahrenen Politiker mit Sinn für Humor, als Menschen mit Prinzipien, der immer auf der Seite der Bürger steht. Die Wählerschaft Zemans fasziniert, dass er nie klein bei gibt, ihn so leicht nichts aus der Fassung bringt und er auf alles eine Antwort zu haben scheint. Seine Selbstzufriedenheit verkaufte sein Team als Selbstbewusstsein – Zeman strahlte in Zeiten der Krise für viele Bürgerinnen und Bürger Sicherheit aus. Seine Basta-Politik präsentierte sein Team als eine Art Charakterstärke, durch die Zeman das Land aus der Krise führen wird.

Es ist kaum zu erwarten, dass es dem neu gewählten Präsidenten Miloš Zeman mit seiner Vorliebe für einen konfrontativen und scharfen Politikstil gelingen bzw. darum gehen wird, die Polarisierung in der tschechischen Gesellschaft zu entschärfen. Er wird auch in Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit vor allem in Tschechien für viel Aufsehen und Aufregung sorgen. Er wird sich vermutlich in das politische Tagesgeschäft einmischen, seine Kritikerinnen und Kritiker ignorieren oder zurechtweisen. Er wird sich voraussichtlich – in seinen eigenen Worten – als „Präsident der unteren zehn Millionen“ inszenieren und keine Konflikte sowie politischen Krisen scheuen, wenn er gestärkt aus ihnen hervorgehen kann. Dem progressiven Flügel der tschechischen Sozialdemokratie ist derzeit sicher nicht zum Lachen zumute.

Auch wenn der Wahlsieg Zemans viele engagierte Bürgerinnen und Bürger in Bezug auf die politische Zukunft Tschechiens skeptisch werden lässt, ist es nun wichtig, dass sich gerade diese Bürgerinnen und Bürger nicht frustriert zurückziehen, sondern aktiv bleiben. Der Wahlsieg Miloš Zemans ist mit Risiken verbunden, auf die eine wache und aktive Zivilgesellschaft hinweisen und auf die sie reagieren muss.

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Eva van de Rakt ist Büroleiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Prag. Sie lebt und arbeitet seit 1997 in der Tschechischen Republik.