Regierungsgespräche mit Kambodscha: Landkrise fordert politische Lösungen

Lebensbedingungen von Zwangsumgesiedelten in Kambodscha
Bild: Manfred Hornung. Lizenz: Creative Commons BY-SA 2.0. Original: Flickr.

13. Dezember 2011
Manfred Hornung

Am 13. und 14. Dezember 2011 finden in Bonn Gespräche zwischen der deutschen und kambodschanischen Regierung statt, in denen es um die Fortsetzung und Ausgestaltung der bilateralen Entwicklungskooperation geht. Es steht zu erwarten, dass die deutsche Seite die bisherige Zusammenarbeit im Landsektor fortführt und weitere Mittel bereitstellt, um die kambodschanische Regierung beim Aufbau eines Katasterwesens und der beschleunigten Vergabe von Landtiteln zu unterstützen. Erklärtes Ziel dieser Maßnahmen ist es, zur Armutsbekämpfung im Lande beizutragen. Gesicherte Rechtsansprüche auf Grund und Boden sollen sozial schwachen Bevölkerungsgruppen im urbanen und ländlichen Raum ökonomischen Schutz bieten. Soweit zur Theorie.

Der kambodschanische Alltag trägt im Gegensatz zu diesem entwicklungspolitischen Ideal völlig andere Züge. Der seit 26 Jahren unter wechselnden Vorzeichen autoritär regierende Premierminister Hun Sen unterhält ein Patronagesystem, das davon lebt, politisch eng vernetzten Wirtschaftseliten und hochrangigen Militärs Zugang zu Landressourcen zu verschaffen. Landflächen im urbanen wie ländlichen Bereich werden im großen Stil als Konzessionen an Gefolgsleute und deren Partner vergeben.

In den letzten Jahren hat sich die Vergabe der Konzessionen zur Ausbeutung der natürlichen Ressourcen des Landes enorm beschleunigt. Besonders besorgniserregend ist die Proliferation von Konzessionen innerhalb der 23 ausgewiesenen Schutzgebiete des Landes, die unter Federführung des Umweltministeriums vergeben werden.

Inzwischen sind 1,9 Millionen Hektar Konzessionsland an private Investoren für agro-industrielle Plantagenwirtschaft vergeben worden. Bei einer Gesamtfläche von ca. 3,6 Millionen Hektar an landwirtschaftlicher Fläche in Kambodscha sind damit inzwischen ca. 54 % des nutzbaren Landes unter der Kontrolle von privaten Konzessionsträgern. Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei der Vergabe von Konzessionen an extraktive Industrien ab (ebenfalls ca. 1,9 Millionen Hektar). Insgesamt befinden sich daher mehr als 20% der gesamten Landfläche Kambodschas in den Händen privater Konzessionäre.

Konzessionen im urbanen Bereich haben ebenfalls zur Entwurzelung und Verarmung weiter Bevölkerungskreise geführt. So wurde unter anderem einem Senator der regierenden Volkspartei im Zentrum Phnom Penhs der für den städtischen Wasserhaushalt wichtige Boeung-Kak-See mit den angrenzenden Dörfern für die Dauer von 99 Jahren als „Entwicklungszone“ zum Bau einer Satellitenstadt zugesprochen. Noch im März 2006 waren der See und die umliegenden Gemeinden formal als Zone ausgewiesen worden, in der die Eigentumsansprüche der Anwohner abschließend geprüft werden sollten. Dieses Projekt fand im Rahmen eines von der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Kooperation mit anderen Institutionen geförderten Landprojekts statt. Als die kambodschanischen Behörden die Kartierungsergebnisse im Januar 2007 veröffentlichten, mussten die Anwohner feststellen, dass ihre Parzellen nicht auf sie ausgewiesen waren. Einen Monat später übertrug die Regierung das gesamte Gebiet an den Senator.

Der See wurde inzwischen fast vollständig aufgefüllt. Viele Häuser wurden dabei überflutet, während die Familien noch dort lebten, andere Gebäude mit schwerem Räumgerät unter Polizeischutz niedergerissen. Immer häufiger mobilisierten die Behörden Polizeikräfte, um gewaltsam gegen demonstrierende Anwohner vorzugehen. Am 22. November beging Chea Dara, eine Vertreterin der betroffenen Familien, Selbstmord. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen hatte die 33-jährige Mutter zweier Kinder alle Hoffnung verloren, nachdem sie erfuhr, dass sie ihr Haus ebenfalls an das „Entwicklungsprojekt“ des Senators verloren hatte. Ein Großteil der ca. 4.000 am See einst ansässigen Familien haben inzwischen wie Chea Dara ihr Heim verloren.

Seit Jahren werden diese massiven Menschenrechtsverletzungen im kambodschanischen Landsektor öffentlich thematisiert. So hat das Komitee der Vereinten Nationen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte in seinen Abschließenden Bemerkungen vom 22. Mai 2009 zur Berichtsvorlage des Unterzeichnerstaates Kambodscha nochmals die Dimension der illegalen Landwegnahmen deutlich gemacht. Das Komitee zeigte sich tief besorgt über Berichte, die besagen, dass seit dem Jahr 2000 mehr als 100.000 Menschen allein aus Phnom Penh vertrieben wurden und dass mindestens 150.000 Bürger gegenwärtig akut von Zwangsvertreibungen bedroht sind. Das Komitee hebt außerdem hervor, dass die kambodschanischen Behörden aktiv an dem Landraub beteiligt sind und fordert daher ein unmittelbares Ende dieser illegalen Praxis. Das Komitee zeigt sich weiterhin zutiefst besorgt über die Kultur der Straflosigkeit und Gewalt, vor allem gegenüber Personen, die sich für die Landrechte und das Recht auf adäquates Wohnen ihrer Mitmenschen einsetzen. Dazu zählt auch ein System von Justizwillkür, welches die illegalen Landwegnahmen nachträglich legitimiert.

Desweiteren haben sich der Berichterstatter der Vereinten Nationen für adäquates Wohnen als auch der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Menschenrechtsfragen in Kambodscha wiederholt und mit großer Sorge über die Welle der illegalen Landwegnahmen geäußert und mehrfach öffentlich zu einem sofortigen Ende dieser Praxis aufgerufen.

Das Komitee der Vereinten Nationen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat in seinen abschließenden Bemerkungen vom 20. Mai zur Berichtsvorlage der Bundesrepublik Deutschland seiner Besorgnis zur deutschen Kooperation im kambodschanischen Landsektor dezidiert Ausdruck verliehen. Es zeigte sich besorgt darüber, dass im Rahmen der deutschen Entwicklungskooperation Landprojekte unterstützt werden, die zu Verletzung von ökonomischen, sozialen und kulturellen Rechten der Bevölkerung führten.

Bei der Vorstellung des neuen Menschenrechtskonzepts des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im April sagte Staatssekretär Hans-Jürgen Beerfeltz, dass Menschenrechte keine Verhandlungsmasse sein dürfen. Das Dokument betont in diesem Kontext die Bedeutung der Verwirklichung von bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten als die wesentliche Basis für erfolgreiche Armutsreduzierung.

In Anbetracht der Entwicklungen im kambodschanischen Landsektor sollte die deutsche Delegation mit klaren politischen und menschenrechtlichen Forderungen in die Verhandlungen gehen. Grundvoraussetzung für eine Fortsetzung der Kooperation im Landsektor ist ein bedingungsloser Stopp aller Zwangsvertreibungen. Grundsätzlich sollte der Fokus einer entwicklungspolitischen Kooperation im kambodschanischen Landsektor auf dem Teil der Bevölkerung liegen, welche am unmittelbarsten durch Vertreibung und illegale Landnahme betroffen oder gefährdet sind. Dieser Paradigmenwechsel ist unerlässlich, falls man an dem Konzept der Armutsbekämpfung als Kernelement der EZ festhalten will. Denn es sind diese (land-)rechtslosen Bevölkerungskreise, deren Ausschluss von gesichertem Zugang zu Land und Haus zu den von den Institutionen der Vereinten Nationen beschriebenen humanitären Katastrophen durch Enteignung und Vertreibung führt. Hierzu gehören im gesteigerten Maße indigene Gruppen, denen der massive Landraub zum Zweck der Vergabe von Konzessionen sämtliche Lebensgrundlagen entzieht.

Große Probleme bereitet auch die Entrechtung breiter Bevölkerungsschichten, die entweder nach Lesart der Behörden keine „Besitzrechte“ vorweisen können oder per Beschluss der Behörden aus den zu titulierenden Zonen administrativ ausgegliedert werden. Hier gilt es konkrete Beschwerde- und Sicherungsmechanismen zu verhandeln und verbindlich in das Projektdesign einzubauen.

Manfred Hornung

Manfred Hornung ist seit Juni 2011 Leiter des Büros Kambodscha der Heinrich-Böll-Stiftung in Phnom Penh. Davor arbeitete er für das Menschenrechtskommissariat der Vereinten Nationen und die kambodschanische Menschenrechtsorganisation LICADHO in Phnom Penh. Desweiteren war er für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) im Rahmen eines Projekts mit den laotischen Justizbehörden in Vientiane tätig.

Bilder

Lebensbedingungen zwangsumgesiedelter Familien in Kambodscha

Dieser Text steht unter einer Creative Commons-Lizenz.